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Gespenster

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Eines Abends, kurz vor dem Zubettgehen, hörte ich Lasse pfeifen. Ich kannte niemanden, der so pfiff wie Lasse. Zwei kurze Töne und dann ein Triller. Ertönte der Triller zuletzt, war dies ein Zeichen, daß es besonders wichtig war.

Die Treppe führte am Wohnzimmer vorbei und knarrte schauerlich. Daher war die Feuerleiter der einzige Weg ins Freie. Vorsichtig kletterte ich aufs Dach hinaus und kämpfte mich nach unten. Hartnäckig starrte ich die Wand vor mir an und vermied es tunlichst, hinunterzuschauen. Obwohl mir die Feuerleiter so vertraut war, verspürte ich doch jedesmal ein Ziehen im Magen.

Das letzte Stück mußte ich springen.

Endlich war ich unten. Von der Landung taten mir die Knie weh, und die Fußsohlen brannten. Aber wenn ich Lasse pfeifen hörte, hätte ich durchs Feuer gehen können.

Lasse hatte mich gesehen und tauchte aus den Schatten auf. »Der Schmied ist tot«, flüsterte er.

Seine Augen leuchteten, und er wirkte kein bißchen traurig. Er genoß es jedesmal, wenn er mir etwas Spannendes auftischen konnte – vor allem, wenn es mit Tod und Gefahr zu tun hatte. Und damit hatte es oft zu tun. Schließlich war Lasses Vater ja Totengräber.

»Also, der Schmied saß auf seinem Wagen, als er starb. Fiel einfach vom Sitz und war tot. Das Pferd hat ihn nach Hause gebracht.«

Der Schmied ...

Wenn jemand gestorben war, mußte man trauern, das wußte ich. Aber es fiel mir schwer, um den Schmied zu trauern. Vor dem Schmied hatte ich fürchterliche Angst gehabt. Groß wie ein Riese war er gewesen und sehr stark. Am schlimmsten waren seine Augen, die zornig unter seinen roten Augenbrauen hervorfunkelten.

Ich hatte es nie gewagt, die Schmiede zu betreten. Dort brannte ein flammendes, fauchendes Feuer, und der schwere Vorschlaghammer des Schmieds fiel mit drohendem Klang auf den Amboß. Wenn der Pfarrer oder unsere Lehrerin von der Hölle oder von Satan erzählten, mußte ich jedesmal an die Schmiede und den Schmied denken.

Und jetzt war der Schmied also tot. Ich würde mich nie mehr vor ihm fürchten müssen.

»Das glaub ich dir nicht«, flüsterte ich.

»Komm, wir fahren hin und gucken nach«, antwortete Lasse eifrig. »In dem Zimmer, wo er aufgebahrt liegt, haben sie Leintücher vors Fenster gehängt.«

Vorsichtig holten wir den Roten Blitz und fuhren zur Schmiede rüber. Dort versteckten wir das Fahrrad hinterm Zaun und schlichen dann zum Haus.

Alles war dunkel. Kein helles Feuer flammte mehr in der Esse. Der Hammer lag so still da, als hätte ihn ebenfalls alles Leben verlassen. Aber vor den Fenstern im Haus des Schmieds waren keine weißen Leintücher zu sehen. Dort hingen genau wie sonst auch die karierten Vorhänge.

Wir warteten.

»Jetzt!« zischte Lasse.

Der Vorhang bewegte sich. Wurde zur Seite gezogen. Jemand schaute heraus. Wir sahen es alle beide: ein Gesicht, bleich wie der Tod. Aber die Augenbrauen waren immer noch buschig und leuchtend rot. Die schwarzen Augen starrten uns wie dunkle Löcher durch die Fensterscheibe an.

Ich spürte, wie mir tausend Ameisen durchs Haar krabbelten. Ich wurde ganz steif und konnte weder atmen noch davonrennen. Dann war die Erscheinung verschwunden.

Aber noch wehte der Vorhang im Fenster. Wir hatten es nicht geträumt!

»Du hast recht gehabt«, flüsterte Lasse. »Der Schmied spukt.«

Noch nie war ich so schnell geradelt. Und noch nie war Lasse auf seinen dünnen Beinen so schnell gerannt. Wie der Wind sausten wir über die Weide. Jetzt wußten wir, daß es tatsächlich Gespenster gab!

Wir wußten auch, daß niemand uns glauben würde. Bevor wir uns beim Birnbaum trennten, gaben wir uns feierlich die Hand darauf, niemandem zu erzählen, was wir gesehen hatten.

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Ich schwitzte und zitterte. Kaum wurde das Licht ausgemacht, schrie ich auf. Dann tauchten nämlich sofort die Augen des Schmieds vor mir auf.

Mama und Papa glaubten, ich sei krank, und gaben mir Zuckerwürfel mit Baldriantropfen. Davon pflegte ich immer schnell einzuschlafen, wenn ich Husten hatte.

Aber diesmal halfen die Zuckerwürfel kein bißchen, und erzählen konnte ich auch nichts. Denn wer petzt, wenn er mit Handschlag versprochen hat, zu schweigen, dem fault die Hand ab. Das weiß doch jeder.

Im Morgengrauen hörte ich Lasse pfeifen. Das eilige Signal!

Fröstelnd stolperte ich die Treppe runter. An die Feuerleiter war nicht zu denken. Nach dem vielen Baldrian, den sie mir eingeflößt hatten, hätte ich mir glatt das Genick gebrochen.

Da saß er, hinterm Zaun versteckt. Er grinste.

»Der Schmied war nur scheintot. Sie haben die Beerdigung abgeblasen. Am meisten tut mir mein Vater leid! Er hatte das Grab nämlich schon ausgehoben!«

Purzelbaum und Liebesbrief

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