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Die Tage vergingen. Eigentlich hätte schon längst Frühling sein müssen. Aber dieses Jahr war der Winter besonders lang und hart.

Der Junge war immer noch nicht getauft, obwohl jeder Säugling eigentlich getauft werden mußte, bevor er eine Woche alt war. Aber es war unmöglich gewesen, zur Kirche hinunterzukommen.

Das Feuer, das sowohl das Haus wärmen als auch die Trolle verjagen sollte, verschlang viel Holz. Der Holzvorrat, den Vater gehackt und in den Holzschuppen geschichtet hatte, ging allmählich zu Ende.

„Am Sonntag wird der Junge getauft“, beschloß Vater. „Jetzt können wir es nicht mehr wagen, noch länger zu warten.“

Mutter erinnerte ihn daran, wie weit der Weg zur Kirche sei. Es komme immer wieder vor, daß die Täuflinge unterwegs erfroren. Im Winter geborene Kinder seien meistens nicht besonders kräftig.

Mutter selbst war noch zu schwach, um den weiten Weg im Schnee zurücklegen zu können.

„Anneli kommt mit“, sagte Vater. „Sie muß hinterm Schlitten gehen und schieben.“

Anneli wurde ganz heiß vor Glück. Sonst war sie ja immer diejenige, die zu Hause bleiben und die Tiere und die kleine Schwester hüten mußte. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, bis es Sonntag wurde.

Endlich!

Mutter bettete den Kleinen in ein dickes, weiches Schafsfell. Anneli versprach, gut auf ihn achtzugeben.

„Wenn er schreit, gibst du ihm von der Milch aus der Rindenflasche“, sagte Mutter.

Überall lag tiefer Schnee. Aber Vater hatte lange Beine und bahnte den Weg. Über der Schulter trug er seine Flinte – man konnte ja nie wissen, wem man begegnete, wenn man im Wald unterwegs war.

Anneli stampfte hinterher. Noch war die Rindenkiepe, die sie auf dem Rücken trug, nicht schwer. Nein, das einzige, was störte, war der Rock, der sich von Schnee durchnäßt, immer wieder um die Beine wickelte.

Der Kleine schlief friedlich auf dem Schlitten.

Sie kamen gut voran. Allmählich wurde der Wald lichter, und sie kamen auf einen Weg hinaus, den andere Menschen in den Schnee getrampelt hatten. Jetzt ging alles leichter.

Der Klang der Kirchenglocken schwang durchs Tal und hallte schwer gegen die hohen Berge.

Ding! Dong!

Ding! Dong!

Der Kleine wachte auf und begann, unter seinem Fell wütend zu schreien. Hungrig und naß! Anneli hatte inzwischen gelernt, seine Schreie zu deuten. Aber es war viel zu kalt, um ihn hier zu füttern.

Vater klopfte beim ersten Haus an, an dem sie vorbeikamen. Selbstverständlich durften sie hereinkommen und den Kleinen versorgen!

Als der Junge nicht trinken wollte, wußte die Hausfrau was zu tun war. Sie nahm einen kleinen Stoffbausch und stippte ihn in die Milch, und gleich darauf saugte der Kleine gierig alles in sich hinein.

Bald war er eingeschlafen, um erst wieder aufzuwachen, als der Pfarrer ihm das kalte Taufwasser über den Kopf goß.

Nach der langen Wanderung war Anneli ebenfalls müde. In der Kirchenbank kauerte sie sich eng neben Vater. Vorn auf dem Altar flatterten die Kerzenflammen im Zug hin und her. Der Gesang und die Wärme der vielen Menschen machten sie schläfrig. Sie nickte ein und lehnte den Kopf an Vaters dicke Lodenjacke. Aber in der Kirche schlafen – das ziemte sich nicht. Vater weckte sie mit einem Schubs.

Als es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen, hätte Anneli alles darum gegeben, sich in den Schnee legen und schlafen zu dürfen.

„Nein!“ sagte Vater. „Jetzt müssen wir uns beeilen! Die Predigt des Pfarrers war doch recht lang. Vor Einbruch der Dunkelheit müssen wir zu Hause sein.“

Obwohl der Weg jetzt bergauf führte, ging Vater sehr schnell. Einer von Annelis Rindenschuhen hatte ihren Strumpf durchgescheuert und schnitt ihr in die Ferse. Aber ohne Schuh konnte sie nicht durch den Schnee gehen. Also hinkte sie hinterher, so gut es ging. Der Schmerz in der Ferse hielt sie wach.

Sie erreichten den Wald, wo niemand außer ihnen einen Weg gebahnt hatte. Hoch oben sang der Wind sein Sonntagslied in den Kieferkronen. Mächtig und stark ...

Mächtig und stark ...

Das schwere Brausen wuchs zu einem Dröhnen. Bald darauf blies der Sturm seinen eisigen Atem über die Erde und preßte den Schnee zu Schneewehen zusammen. Bleigraue Wolken jagten über den Himmel, immer dunkler werdende Wolken, hinter denen die Sonne verschwand. Die Dunkelheit und der Schnee verwandelten Bäume und Felsen. Vater blieb stehen. Obwohl er diesen Weg schon so oft gegangen war, zögerte er jetzt. Vielleicht sollten sie doch lieber kehrtmachen und ins Dorf zurückkehren?

Nein, inzwischen hatten sie schon über den halben Weg hinter sich gebracht. Wenn sie erst etwas weiter oben auf der Höhe wären, würde er sich wieder auskennen. Sicherheitshalber setzte er seine Mütze verkehrt herum auf. Das war ein zuverlässiges Mittel, wenn man sich verirrt hatte.

Er packte den Schlitten und begann wieder zu ziehen.

Da ertönte ein Krachen. Eine Kiefer, die bisher vielen Winterstürmen getrotzt hatte, verlor ihren Halt und begann zu fallen. Vater warf sich hastig nach hinten und zerrte den Schlitten zur Seite. Der Baum erreichte den Boden nicht, sondern blieb schwer in den Zweigen der anderen Bäume hängen.

Die Wurzeln ragten wie schwarze Trollgestalten aus dem Schnee. Bald wurden sie von Eiskristallen überzogen.

Vater war inzwischen auch ganz weiß im Gesicht. Da entdeckte er zwei Felsblöcke am Berghang. Der eine streckte sich schräg gegen den anderen und bildete ein Dach. Vielleicht könnten sie dort Schutz suchen?

Er wendete den Schlitten und zog ihn zu den Felsen hinüber. Und plötzlich glitten die Kufen ganz leicht über den Schnee. Die Felsen öffneten sich freundlich wie zu einer Umarmung. Der Boden war hier von weichem, grünem Moos bedeckt.

„Oh!“

Erschöpft sank Anneli zusammen. Das Moos bildete ein wundervolles Bett. Nicht einmal Vater konnte sie am Einschlafen hindern. Sie merkte nicht, daß er am Schlitten zerrte – daß er hier wegwollte.

Er hatte nämlich entdeckt, wo sie Schutz gesucht hatten! Weit hinten zwischen den Felsen lag der Eingang zu den Sälen des Bergvolkes! Also war es das Bergvolk gewesen, das den Weg für sie geglättet hatte, um sie herzulocken. Mit dem Bergvolk wollte er nichts zu tun haben. Vor allem jetzt nicht, wo er die Kinder dabeihatte. Das Bergvolk lockte mit Vorliebe die Kinder der Menschen zu sich, um Hütejungen und Hirtenmädchen für ihre Kühe zu bekommen. Die Kinder, die in den Berg gelockt worden waren, kehrten fast nie wieder in die Freiheit zurück!

„Hier können wir nicht bleiben“, flüsterte Vater.

Aber er hatte keine andere Wahl. Draußen toste der Sturm. Vater tastete in seinen Taschen nach dem Feuerzeug. Er mußte ein Feuer anmachen, das war das einzige, was er tun konnte, um sich und die Kinder zu schützen. Nein, es gab noch ein weiteres Mittel! Er zog sein Messer aus der Scheide und schob es unter Tapios Felldecke auf dem Schlitten. Gegen finstere Mächte schützten sowohl Stahl als auch Feuer.

Und Gottes Wort, natürlich. Ein Glück, daß dies nicht auf dem Weg zur Kirche passiert war! Da war der Junge ja noch nicht getauft gewesen!

Ohne Handschuhe begannen Vaters Finger, vor Kälte zu erstarren. Seine Bewegungen wurden fummlig, und es dauerte lange, bis die Zweige, die er von einem Busch abgebrochen hatte, Feuer fingen. Die Zweige waren naß vom schmelzenden Schnee, und die Funken, die aufstoben, als er den Feuerstahl gegen einen Stein schlug, wurden rasch vom Wind gelöscht, ehe sie etwas anzünden konnten. Endlich flackerte dennoch ein Flämmchen aus dem Reisighaufen empor. Da wachte Tapio auf und schrie, weil er naß und hunrig war.

„Anneli!“ flüsterte der Vater und schüttelte sie. „Tapio braucht etwas zu essen.“

Aber Anneli schlief tief und fest wie eine Tote. Zum ersten Mal mußte Vater selbst versuchen, den Kleinen zu füttern. Noch war Milch in der Rindenflasche, und den Bausch, durch den der Kleine die Milch aufsaugte, hatte Anneli daneben in die Kiepe gelegt.

Es gelang Vater, den Hunger des Kleinen zu stillen. Aber als er den Bausch mit der letzten Milch füllte, sah er plötzlich ein kleines krummes Männchen neben dem Feuer. Das Männchen war kleiner als Tapio, und seine Füße schwebten eine Handbreit über dem Boden. Es lächelte freundlich und streckte die Hand nach dem Jungen aus. Vater verbarg Tapio unterm Kittel und legte heimlich zwei gekreuzte Zweige neben Anneli. Seine Kinder durfte der Alte nicht holen! Da zeigte das Männchen auf die Kiepe und bat um ein Stück Brot. Vater wagte es ihm nicht abzuschlagen. Er nahm das letzte Stück Brot und reichte es dem Alten.

Plötzlich sah er, wie der Alte ihm einen goldgelben Käse reichte, der im Schein des Feuers verlockend glänzte.

„Leih mir dein Messer“, bat der Alte, „damit wir das Brot und den Käse teilen können.“

„Lieber werde ich hungern“, antwortete Vater und preßte den Messergriff in der Hand.

Jetzt wußte er gewiß, daß das Männchen zum Bergvolk gehörte. Messer oder Beile konnte das Bergvolk nämlich nicht selbst anfertigen. Daher versuchten sie bei jeder Begegnung mit den Menschen, diese Werkzeuge zu stehlen oder mit List an sich zu bringen.

Vater starrte das Männchen durchdringend an und sagte das Vaterunser auf.

Der Alte warf den Käse von sich und stieß ein Wolfsgeheul aus, bevor er in den Berg hineinglitt. Anneli wachte jäh auf.

„Ein Wolf!“

„Nein“, flüsterte Vater, „das war ...“

Da ertönte das Geheul erneut, doch diesmal aus dem Wald. Der Sturm hatte sich gelegt, draußen war es still. Das Feuer war erloschen. Der Himmel schimmerte grünlich hinter den weißen Baumwipfeln.

Vater zögerte. War es möglich, daß er eingeschlafen war? War das Männchen nur ein Traum gewesen? Der Wolf heulte zum dritten Mal.

Vater sah, wie etwas zwischen den Bäumen hindurchhuschte. Er hob die Flinte, feuerte einen Schuß ab und sah, wie das große Tier umfiel und durch den Schnee rollte. Voller Vorfreude auf den Pelz lief er vor. Der Winterwolf hatte ein besonders kräftiges Fell.

Aber das einzige, was im Schnee zurückgeblieben war, war ein halbes Wolfsohr.

Vater faßte es nicht an. Er holte rasch die Kinder und eilte davon.

Anneli zitterte. Von allen Tieren des Waldes fürchtete sie sich am meisten vor dem Wolf.

Bald schwamm die Sonne auf einem Meer aus Morgengewölk über den Bergen. Im Tageslicht verwandelte sich die dunkle Nacht in einen schlimmen Traum.

Die Hexenprobe

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