Читать книгу Die Galloway Geschwister - Maja M. Scharf - Страница 6
2
ОглавлениеIch musste nicht einmal eine Nacht im Krankenhaus bleiben. Zuerst hatten die Ärzte darüber gesprochen, aber alle Untersuchungen waren positiv verlaufen und ich hatte ihnen und auch meiner Mutter mehrmals versichert, dass es mir gutging.
Ich sagte niemandem ein Wort von dem mysteriösen Jungen; es würde vermutlich nur beunruhigend auf meine Mutter und die Ärzte wirken, zumal es viel zu unglaublich klang, um wahr zu sein. Manchmal erwischte ich mich sogar selbst bei dem Gedanken, dass ich es mir womöglich doch nur eingebildet hatte. Andererseits hatte es zig Augenzeugen im Einkaufszentrum gegeben und ich hatte den Jungen eindeutig gespürt, als er sich auf mich gestürzt hatte, also war es offensichtlich wirklich geschehen. Trotzdem wollte ich es für mich behalten, zumal mir so viel Aufmerksamkeit ohnehin unangenehm gewesen wäre.
Aus diesem Grund erzählte ich es auch Eric und Millie nicht, die ich an diesem Abend auf der Party traf.
Gegen neun Uhr stand ich vor Erics Haus, aus dem bereits laute Partymusik und die Stimmen von unzähligen feiernden Menschen ertönten.
„Hey Kleine“, begrüßte Eric mich fröhlich, als er die Tür öffnete und mich hereinließ.
Eric war ein sehr großer und muskulöser Junge, hatte dunkelblondes Haar, blaue Augen, hohe Wangenknochen und ein außergewöhnlich nettes Gesicht mit einem außergewöhnlich fröhlichen Lachen, das einem auf der Stelle sympathisch sein musste. Auf seiner Nase und seinen Wangen wimmelte es von Sommersprossen, die sein Gesicht jetzt im Sommer nur noch gebräunter wirken ließen.
Eric war mein bester Freund und der einzige Mensch, mit dem ich wirklich auf einer Wellenlänge war. Wir kannten uns seit fast vier Jahren; damals waren wir beide in demselben Einkaufszentrum gewesen und zu zweit im Fahrstuhl stecken geblieben. In dieser Situation hatten wir uns zwangsläufig unterhalten, irgendwann angefangen zu lachen und aus der eigentlich blöden Situation war erstaunlicherweise ein echt lustiger Nachmittag geworden. Nachdem wir nach etwa zwei Stunden aus dem Fahrstuhl befreit worden waren, waren wir uns am nächsten Tag zufällig wieder über den Weg gelaufen und waren zusammen einen Kaffee trinken gewesen. Wir hatten uns einfach super verstanden und auch heute noch, fast vier Jahre später, waren wir die besten Freunde.
„Hey Großer“, gab ich grinsend zurück.
Es waren schon einige Leute hier, die alle tanzten, tranken und sich amüsierten. Hier und da standen einige sich küssende und fummelnde Pärchen an der Wand gelehnt, man brüllte sich über die laute Musik hinweg an und die Luft war stickig und von dem Rauch von unzähligen Zigaretten erfüllt. Es war eine ganz normale typische Party bei Eric.
„Komm, ich besorg dir was zu trinken“, rief Eric mir zu und wir bahnten uns einen Weg durch die feiernde Menge zur Küche. Während Eric mir aus dem großen Bierfass einen Becher zapfte, ließ ich meinen Blick erneut über die feiernde Menge schweifen. Allerdings sah ich sie gar nicht wirklich. Der mysteriöse Junge war wieder in meinem Kopf aufgetaucht und starrte mich aus seinen blauen Augen eindringlich an.
Ich war so gedankenverloren, dass ich überhaupt nicht bemerkte, dass Eric mir einen Becher reichte. Erst als er lauthals meinen Namen brüllte, zuckte ich zusammen und wandte mich ihm zu.
„Hier, dein Bier“, rief Eric und kicherte kurz über diesen wahnsinnig einfallsreichen Reim.
„Oh“, sagte ich und nahm ihm den Becher lächelnd ab. „Danke.“
Eric sah mich einen Moment lang prüfend an. „Ist alles okay?“, fragte er schließlich.
„Jaah, natürlich“, meinte ich zaghaft. „Es ist nur …“ Ich zögerte. Ich blickte in Erics Augen und wusste, dass ich es ihm ruhig erzählen konnte. Kurz entschlossen packte ich seine Hand und zog ihn durch die feiernde Menge hindurch, bis nach draußen in den Garten. Dort erzählte ich ihm alles, was ich heute Morgen im Einkaufszentrum erlebt hatte; davon, wie der Junge mich in dem Café beobachtet, wie er mich plötzlich vor der Explosion gerettet hatte und wie er dann einfach abgehauen war.
Als ich geendet hatte, war Eric erstmal baff. „Krass!“, seufzte er beeindruckt. „Und dir geht’s wirklich gut?“
Ich nickte. „Ja, dank diesem Jungen.“
„Scheint topfit zu sein, der Typ“, meinte Eric nach einer Weile.
Ich grinste über diesen Kommentar.
Eric betrachtete mich nachdenklich und schließlich breitete sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Gott sei Dank bist du okay“, sagte er leise.
Lächelnd nickte ich. „Das bin ich.“
Eric atmete tief ein und erwiderte mein Lächeln. „Komm her, Kleine“, murmelte er und schloss mich in seine Arme. Sofort fühlte ich mich beruhigt und vertrieb den geheimnisvollen Jungen weiter nach hinten in meinen Kopf.
Eric ließ mich los und rief: „Das muss jetzt aber wirklich gefeiert werden, Am’! Du wurdest heute – naja, das Wort ‚Opfer’ passt nun wirklich nicht – eines Wunders!“
Ich lachte und hob meinen Becher hoch. „Auf das Opfer eines Wunders!“
Eric grinste zufrieden und prostete mir zu. „Das Opfer eines Wunders“, erwiderte er und zwinkerte mir zu. Dann tranken wir jeder einen großen Schluck und gingen wieder zurück ins Haus. Im Wohnzimmer entdeckte ich meine Freundinnen Millie und Sarah, die an dem großen Panoramafenster, das zum Garten hinzeigte, standen.
„Ich sag mal Millie und Sarah hallo“, rief ich Eric zu.
„Alles klar“, rief er zurück. In dem Moment ertönte die Türklingel und Eric wuselte davon, um den neuen Gästen die Tür zu öffnen.
Ich bahnte mir einen Weg zu Millie und Sarah und begrüßte die beiden. „Hey Leute!“
„Hey Am’“, erwiderten sie und wir umarmten einander flüchtig.
„Wo ist Lena?“, fragte ich, als ich bemerkte, dass sie fehlte.
Millie zuckte mit den Schultern. „Konnte nicht kommen“, meinte sie lächelnd.
Wir unterhielten uns eine Weile, bis plötzlich ein großer massiger Typ kam und Millie anquatschte. „Hey, willst du was trinken?“, fragte er lächelnd.
Millie warf Sarah und mir einen Blick zu, doch wir nickten nur belustigt. „Okay“, sagte Millie zu dem Typ und er nahm sie mit in die Küche.
Sarah und ich tauschten einen viel sagenden Blick aus und begannen zu lachen. „Typisch Millie“, meinte Sarah.
„Du meinst, typisch Jungs“, verbesserte ich sie. „Millie kann eigentlich nichts dafür.“
Sarah nickte lächelnd. „Stimmt.“
Es gab kaum eine Party, auf der Millie nicht angebaggert wurde; auf einigen wurde sie sogar mehrmals angemacht oder auch manchmal von mehreren Typen gleichzeitig. Und natürlich stylte sich Millie auch, sodass sie besonders gut aussah, aber ich glaubte, dass sie auch noch angemacht werden würde, wenn sie ungeschminkt in einem Müllsack auf einer Party auftauchte. Millie war einfach eine Schönheit mit einer umwerfenden Figur, also konnte sie tatsächlich nichts dafür, dass sie ständig angemacht wurde.
Manchmal beneidete ich sie ein kleines bisschen darum, aber meistens tat sie mir eher Leid, denn bei den meisten Jungen, von denen sie angemacht wurde, handelte es sich um Idioten oder Nervensägen.
Der große massige Typ schien ebenfalls eine Nervensäge zu sein, denn er ließ Millie keine Sekunde mehr allein. Als Millie sich ihren Weg zurück zu uns bahnte, folgte er ihr auf dem Fuß, worüber sie nicht erfreut wirkte. Und auch als sie ihm demonstrativ den Rücken zukehrte und mit uns sprach, redete er unentwegt weiter auf sie ein und schien verzweifelt zu versuchen, sie zum Lachen zu bringen.
Sarah und ich amüsierten uns köstlich über Millies genervtes Gesicht und ihre immer offensichtlicher und gemeiner werdenden Abfuhren, die sie dem Typen erteilte, die der aber anscheinend nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Irgendwann rastete Millie völlig aus, sodass Sarah und ich uns vor Lachen kringelten.
Während ich wie verrückt lachte, ließ ich meinen Blick unweigerlich durch den Raum schweifen und da sah ich ihn plötzlich!
Am anderen Ende des Raumes, in der Tür zum Flur, stand der Junge aus dem Einkaufszentrum und sah zu mir herüber.
Mit einem Mal verging mir das Lachen abrupt und ich starrte mit offenem Mund zu dem Jungen rüber. Als er merkte, dass ich ihn entdeckt hatte, wandte er sich schnell ab und verließ das Wohnzimmer.
Doch dieses Mal würde ich ihn nicht spurlos verschwinden lassen; ohne ihn aus den Augen zu lassen, bahnte ich mir so schnell wie möglich einen Weg durch die Menschenmenge, um ihm zu folgen. Natürlich verlor ich ihn in dem Gedränge doch sehr schnell aus den Augen, sodass ich schließlich im Flur stand und mich suchend umschaute, allerdings ohne Erfolg.
Ich schluckte. Hatte ich ihn mir etwa nur eingebildet? Bestimmt hatte ich das; warum sollte dieser Junge auf einer Party von Eric auftauchen? Keiner von uns kannte ihn und er kannte uns nicht.
Ich schüttelte meinen Kopf und atmete tief durch und vertrieb den Gedanken an den Jungen aus meinem Kopf.
„Am’!“, rief plötzlich jemand hinter mir.
Ich wirbelte herum und erblickte Eric mit seinen zwei Kumpels Cole und Julian in der Küche stehen und mir zu winken.
Ich versuchte, ein lockeres Lächeln aufzusetzen und gesellte mich zu ihnen. „Was gibt’s?“, wollte ich wissen.
„Es gibt Tequila, Baby!“, rief Eric ausgelassen und eine recht ordentliche Alkoholfahne wehte mir entgegen.
Ich grinste. „Okay, also los!“, rief ich und rieb mir die Hände.
„Okay“, sagte Eric, stellte vier kleine Schnapsgläschen vor uns auf den Tisch, legte jedem eine Zitronenscheibe dazu und schüttete jedem eine Prise Salz auf den Handrücken der linken Hand.
Dann hob er sein leeres Glas und prostete Cole, Julian und mir in der Luft zu.
Ich zog amüsiert meine Augenbrauen nach oben, tauschte einen belustigten Blick mit Cole und Julian und grinste Eric kopfschüttelnd an. „Hast du nicht was vergessen?“, fragte ich.
Eric blickte hinab auf sein leeres Glas und wieder zu uns. Dann strahlte er übers ganze Gesicht, was so niedlich und gleichzeitig so blöd aussah, dass ich vor Lachen losprustete.
„Sorry, Leute“, rief Eric. „Da hab ich wohl glatt den Ketuila vergessen.“
„Genau“, rief Cole lachend. „Den Ketuila!“
Ich kicherte ununterbrochen und Eric zwinkerte mir grinsend zu. „Na, dann schenk uns mal einen … Ketuila ein“, lachte ich und hielt ihm mein leeres Glas hin.
Eric öffnete die Tequilaflasche und schenkte jedem ein Glas ein. Dann hob er sein Glas von neuem hoch und prostete uns in der Luft zu. „Auf ein Neues“, rief er fröhlich.
„Auf deine Party“, Julian.
„Genau, auf dich, Bro’!“, rief Cole gut gelaunt.
Eric grinste und sah mich fragend an.
Ich lächelte, hob mein Glas und verdrehte meine Augen. „Auf dich“, sagte ich dann grinsend.
„Ja, das will ich auch meinen“, grinste Eric und verschüttete die Hälfte seines Tequilas, als wir unsere Gläser in unserer Mitte zusammenstießen.
Daraufhin hatten wir noch jede Menge Spaß, wir tanzten und lachten (das heißt, ich stand eigentlich eher daneben und lachte darüber, wie die anderen „tanzten“) und spielten ein paar lustige Partyspiele, bis der Gastgeber irgendwann mitten auf dem Küchentisch einschlief, woraufhin ich einen roten und einen schwarzen Filzstift holte und die Gelegenheit nutzte, um Erics Gesicht unter dem lauten Gelächter der Umstehenden in eine groteske Clownsvisage zu verwandeln.
„Da wird er sich freuen, wenn er aufwacht und in den Spiegel schaut“, grinste Millie, als wir Erics Haus verließen und uns auf den Heimweg machten.
„Bist du den anhänglichen Typen losgeworden?“, fragte ich belustigt.
Millie verdrehte ihre Augen und stöhnte genervt. „Ich hab mich ungefähr eine halbe Stunde auf dem Klo eingesperrt, damit er dachte, ich wäre schon weg“, meinte sie, „aber es hat nicht geklappt. Er hat mich kurz darauf wieder gefunden und verfolgt.“
Ich lachte. „Du armes begehrtes Mädchen.“
„Man hat’s nicht leicht im Leben“, grinste Millie achselzuckend. „Also bis Montag“, sagte sie an der nächsten Kreuzung, wo sie nach links und ich nach rechts musste.
„Bis dann“, entgegnete ich, winkte ihr noch einmal zu und ging alleine weiter.
Bereits nach wenigen Schritten hatte ich das ungute Gefühl, jemand würde mir folgen, doch jedes Mal, wenn ich über die Schulter sah oder mich ganz umdrehte, war niemand zu sehen. Trotzdem kam es mir so vor, als würde mich jemand beobachten, obwohl ich keine Ahnung hatte, woher dieses Gefühl kam.
Als ich in unsere Wohnsiedlung kam, glaubte ich zweimal, näher kommende Schritte hinter mir zu hören, aber es war keine Menschenseele zu sehen.
Mit schnellen Schritten und rasendem Herzen ging ich weiter und fragte mich dabei unwillkürlich, woher diese plötzliche Paranoia kam. Ich war auch früher schon spät abends alleine nach Hause gegangen und hatte bisher nie etwas Unheimliches erlebt oder Angst gehabt. Hatte das etwa mit der Begegnung dieses mysteriösen Jungen und seiner Rettungsaktion zu tun?
Jetzt dachte ich schon wieder über ihn nach!
Genervt schüttelte ich den Kopf, um ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben, doch es gelang mir nicht; er blieb hartnäckig anwesend, vor meinem geistigen Augen sah ich die Explosion und wie er mich vor der drohenden Feuerwelle beschützt hatte, wobei seine blauen Augen mich durchbohrten.
Schnellen Schrittes ging ich die Straße, in der wir wohnten, hinauf, vorbei an den immer größer und protziger werdenden Villen; wir lebten in einem sehr reichen Wohnviertel, das sich vor allem durch unnötig große und teure Villen und unfreundliche arrogante Nachbarn auszeichnete.
Schließlich kam ich vor unserem Haus an, einer großen, im mediterranen Stil erbauten Villa. Unser Grundstück war von einem hohen massiven Eisengitterzaun umgeben, deshalb musste ich kurz an dem großen Tor vor der Einfahrt stehen bleiben, um den Sicherheitscode einzugeben. Das Tor schwang auf und ich trat hindurch auf unser Grundstück. Als ich an unserer Haustür ankam, hielt ich inne und blickte mich noch einmal um.
Das Tor schloss sich hinter mir bereits wieder, aber für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich zu sehen, wie jemand schnell hinter der Hecke auf dem Nachbargrundstück verschwand. Und obwohl ich diesen Jemand nur einen Augenblick lang gesehen hatte und ich mir fast sicher war, dass es sich wieder um eine Halluzination handelte, hätte ich schwören können, dass es der Junge aus dem Einkaufszentrum gewesen war …