Читать книгу Die Galloway Geschwister - Maja M. Scharf - Страница 9
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ОглавлениеIch schlug meine Augen auf und kniff sie sofort zusammen, da ich in blendend helles Sonnenlicht geguckt hatte, das durch das Fenster in mein Zimmer schien. Für einen Moment befürchtete ich, dass ich verschlafen hatte und fuhr hoch, doch ein Blick auf meinen Radiowecker sagte mir, dass es gleich sieben Uhr morgens war. Erleichtert lehnte ich mich zurück und atmete tief durch.
Dann stand ich auf, streckte mich und ging ins Badezimmer. Während ich mich im Spiegel betrachtete und meine dunkelbraunen Haare kämmte, tauchte automatisch Simon wieder in meinen Gedanken auf und blieb hartnäckig dort. Ich konnte ihn weder beim Frühstück noch beim Fertigmachen vertreiben und auch als ich zu meinem Auto ging, war ich noch in Gedanken an ihn versunken.
„Amelia?“, hörte ich plötzlich eine Stimme rufen und ich zuckte zusammen.
Als ich nach dem Inhaber der Stimme Ausschau hielt, fiel mein Blick auf niemand anderen als Simon Galloway, der über die Hecke von seinem auf unser Grundstück spähte und mich anlächelte. „Guten Morgen.“
Ich trat etwas näher an die Hecke und erwiderte sein Lächeln. „Morgen“, sagte ich.
Eine peinliche Stille folgte, in der wir uns nur ansahen und anscheinend beide nicht wussten, was wir sagen sollten. Ich wollte mich gerade abwenden und die Autotür öffnen, als Simon fragte: „Fährst du zur Schule?“
Ich nickte und überlegte kurz, ihn zu fragen, ob ich ihn mitnehmen sollte, doch ich brachte schon wieder keinen Ton heraus.
„Ja, ich auch“, sagte Simon. „Wollen wir zusammen fahren?“
Nach der Art und Weise, wie er gestern Abend förmlich vor mir geflohen war, überraschte mich dieses Angebot. Dennoch brachte ich ein Lächeln zustande und nickte. „Okay.“
„Willst du fahren oder ich?“, fragte Simon und setzte ein leicht gezwungen wirkendes Lächeln auf.
Ich sah ihn nachdenklich an und beschloss, ihn auf der Fahrt erneut auf Samstag anzusprechen, dann sagte ich: „Ich fahre. Aber ich muss noch meine Freundin Millie mitnehmen.“
„Okay“, nickte Simon und ging zur Straße, wo er auf mich wartete.
Als ich meinen Audi aus unserer Einfahrt bugsiert hatte, hielt ich neben ihm an und er stieg auf der Beifahrerseite ein. Mein Herzschlag verschnellerte sich augenblicklich.
So gelassen wie möglich, fuhr ich los und malte mir in Gedanken aus, wie Millie gucken würde, wenn sie sah, wer hier in meinem Auto saß. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Gerade als ich Simon wieder nach Samstag fragen wollte, kam er mir zuvor. „Wegen gestern bin ich dir vermutlich noch eine Erklärung schuldig“, sagte er ernst.
Überrascht sah ich ihn an. „Ach was“, sagte ich sarkastisch und wandte meinen Blick wieder nach vorn auf die Straße. „Ich habe schon ein paar eigene Erklärungen für dein Verhalten gefunden.“
„Und die wären?“, fragte Simon und klang amüsiert.
„Entweder dir bekam das Essen meiner Mutter nicht“, sagte ich, „oder du bist einfach total verrückt. Oder du bist mir ausgewichen, weil du keine Erklärung für deine Rettungsaktion im Einkaufszentrum hast.“
Simon lächelte. „Letzteres trifft zu“, meinte er. „Ich hab selbst keine Ahnung, wie ich das angestellt habe, ehrlich.“
„Okay“, sagte ich. „Dann habe ich aber eine weitere Frage; warum bist du danach einfach abgehauen? Ohne etwas zu sagen und ohne dich untersuchen zu lassen? Du hättest wirklich schwer verletzt sein können.“
„Ja, ich weiß auch nicht, wieso ich das getan habe“, behauptete Simon nachdenklich. „Ich war vermutlich selbst noch so geschockt von allem, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.“
Ich warf Simon einen skeptischen Blick zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er verheimlichte mir etwas. Dennoch beließ ich es (vorerst) dabei und wechselte das Thema. „Und wie gefällt dir und deinem Onkel unsere Gegend bis jetzt?“, fragte ich.
„Es geht so“, meinte Simon achselzuckend. „Schick und so, klar, aber irgendwie ein bisschen steif.“
Ich musste lachen. „Ja, daran werdet ihr euch gewöhnen müssen.“
„Deine Familie ist anscheinend die einzige, die okay ist“, fuhr Simon fort. „Obwohl wir noch nicht lange hier sind, haben wir das schon mitgekriegt.“
Ich zuckte die Schultern. „Damit muss man rechnen, wenn man in so eine Luxusgegend zieht“, meinte ich und war überrascht, wie einfach es war, sich mit Simon zu unterhalten. Womöglich vereinfachte es aber auch nur der Umstand, dass ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste und ihn nicht die ganze Zeit ansehen konnte.
„Ihr wohnt schon immer hier?“, fragte Simon.
Ich stutzte kurz; das hörte sich irgendwie nicht wie eine Frage an, sondern vielmehr so, als wüsste er das bereits. Kopfschüttelnd vertrieb ich diesen Gedanken; natürlich war das eine Frage gewesen. Woher sollte Simon denn wissen, dass wir schon immer hier lebten?
„Seit ich denken kann“, antwortete ich. „Aber inzwischen hab ich mich daran gewöhnt. Man darf einfach nicht mit den Nachbarn reden, sondern sie nur beobachten, das ist dann amüsant und nicht ätzend.“
Simon lachte und ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Sein Lachen war warmherzig und unheimlich anziehend, sodass ich sofort rot anlief und mich zwingen musste, meinen Blick wieder auf die Straße zu richten.
„Dann werde ich mich auch damit begnügen, sie zu beobachten und mich lustig zu machen“, sagte Simon grinsend.
Ich nickte lächelnd und hielt vor Millies Haus an. Wie auf Kommando kam sie heraus, als hätte sie bereits hinter der Tür gelauert. Doch als sie sah, wer neben mit im Auto saß, blieb sie wie angewurzelt stehen.
Augenblicklich musste ich schmunzeln.
„Ist das Millie?“, fragte Simon.
Ich schnaubte lachend. „Ja, das ist sie.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis Millie sich rührte und nach hinten in den Wagen stieg.
Simon drehte sich zu ihr um und sagte: „Hi.“
„Hallo“, hauchte Millie.
„Ich bin Amelias neuer Nachbar, deshalb fahren wir zusammen zur Schule“, erklärte Simon der völlig verdatterten Millie.
Wie in Zeitlupe sah Millie zu mir rüber und ich grinste entschuldigend. „Der neue Nachbar also“, wiederholte sie und langsam breitete sich ein Strahlen auf ihrem hübschen Gesicht aus. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut los zu prusten.
Kopfschüttelnd fuhr ich los und jedes Mal, wenn ich in den Rückspiegel schaute, stellte ich fest, dass Millie Simon keine Sekunde aus den Augen ließ, als erwartete sie, dass er nicht mehr da sein würde, sobald sie einmal wegschaute.
„Ach so! Ich bin übrigens Simon“, sagte Simon nach einer Weile und warf wieder einen Blick nach hinten.
„Ja, ich weiß“, sagte Millie lächelnd. „Ich bin Millie.“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Simon und schenkte Millie sein atemberaubendes schiefes Lächeln, sodass ich förmlich spüren konnte, wie sie dahin schmolz.
„Du bist also Amelias neuer Nachbar“, sagte Millie. „Der, der dich gestern Morgen mit seinem Geländewagen beinahe platt gemacht hätte?“, fügte Millie zu mir gewandt hinzu.
Ich verdrehte die Augen und grinste. „Ja, offensichtlich“, meinte ich.
„Ich?“, fragte Simon mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich nickte. „Als du gestern Morgen aus eurer Einfahrt gefahren bist, hast du mir total die Vorfahrt genommen“, sagte ich. „Und mich fast zu Tode erschreckt“, fügte ich hinzu.
„Ehrlich?“, hakte Simon nach. „Oh Mann, das tut mir leid“, meinte er. „Ich hatte es eilig, ich musste früher in der Schule sein wegen meiner Anmeldung und so. Da hab ich dich in meiner Hektik gar nicht gesehen in deinem kleinen Flitzer.“
Ich lachte. „Ist schon okay, ist ja nochmal gut gegangen.“
Ich fuhr auf den Schulparkplatz und wir stiegen aus. Während wir gemeinsam zum Schulgebäude gingen, fiel mir auf, dass Millie mir immer wieder eindringliche Blicke zuwarf und mich angrinste. Sie schien es kaum noch erwarten zu können, über mich herzufallen und mich mit Fragen zu löchern.
„Was habt ihr beiden jetzt?“, fragte Simon.
„Ich habe Französisch“, sagte ich und schnitt eine Grimasse.
„Ich auch“, stöhnte Millie. „Und ich kann diese Sprache einfach nicht.“
Simon grinste nur, sagte jedoch nichts.
„Und du?“, fragte ich deshalb nach.
„Ähm“, machte Simon, kramte seinen Stundenplan aus seiner Tasche hervor und begutachtete ihn kurz. „Mathe“, antwortete er dann.
„Tja“, sagte ich schulterzuckend und blieb vor dem Klassenraum stehen, in dem wir Französisch hatten.
„Dann bis später“, sagte Simon.
„Bis später“, flöteten Millie und ich wie aus einem Mund, sodass wir beide anschließend lachen mussten.
Ehe Simon sich abwandte, um zu seinem Matheraum zu gehen, schenkte er mir noch ein schiefes Lächeln und zwinkerte mir kurz zu. Weil Millie neben mir stand, verkniff ich mir ein schwärmerisches Seufzen, was ohnehin ganz und gar nicht zu mir gepasst hätte, und betrat den Klassenraum.
Nach Französisch hatte ich Politikwissenschaften und Millie Philosophie, also trennten wir uns auf dem Flur. Ich setzte mich an meinen Platz und legte meinen Ordner vor mir auf den Tisch. Dann erwischte ich mich dabei, wie ich immer wieder verstohlen zur Tür blickte und darauf wartete, dass Simon den Raum betrat. Unweigerlich musste ich feststellen, dass ich es sogar ein bisschen hoffte. Doch leider blieb es bei meinen üblichen Klassenkameraden und schließlich kam Mrs. Parker und schloss die Tür hinter sich. Ich konnte nicht umhin, etwas enttäuscht zu sein, versuchte dann aber trotzdem, mich so gut es ging auf den Unterricht zu konzentrieren.
Nach der Stunde schloss ich mich der Schülermenge an, die in die Mensa zum Mittagessen strömte. Ich traf Millie an der Essensausgabe und wir suchten uns einen Platz. Nach ein paar Minuten stieß Eric mit Cole und Julian zu uns.
„Na Mädels?“, rief Eric vergnügt.
„Hi“, sagte ich mit vollem Mund.
Eric grinste mich an und wandte sich auch schon Millie zu. „Und? Wie läuft’s mit dem neuen Mitschüler?“
Millie schenkte ihm einen abfälligen Blick. Dann schluckte sie ihren Bissen hinunter und sagte: „Er ist Amelias neuer Nachbar.“
Erics Blick wanderte von Millie zu mir und er zog eine Augenbraue hoch. „Dein neuer Nachbar, soso“, sagte er und tat, als wäre er hochinteressiert. „Etwa der, der dich gestern Morgen fast plattgefahren hätte?“
Millie und ich lachten kurz. „Ja, genau der“, sagte ich. „Aber er hat sich dafür schon entschuldigt.“
Eric nickte grinsend und fragte: „Und? War er gestern beim Abendessen bei euch?“
Ich schmunzelte und nickte. Eric wusste natürlich, dass meine Mutter die neuen Nachbarn wie üblich zum Abendessen eingeladen hatte; er wusste fast alles über mich und kannte mich besser als jeder andere. „Klar, kennst doch meine Mutter“, sagte ich grinsend.
„Und wie ist er so?“, fragte Eric, ohne mich anzusehen.
„Ganz nett“, murmelte ich.
„Und hübsch“, schwärmte Millie leise im Hintergrund.
Ich ignorierte diesen Kommentar und Eric ebenfalls. „Nett?“, wiederholte er ungläubig. „Dann ist er ja völlig unpassend für eure Wohngegend.“
Ich lachte. „Ja, völlig unpassend!“
Wir grinsten uns einen Moment lang an, bis Millie plötzlich rief: „Da ist er ja!“
Ich folgte ihrem Blick und entdeckte Simon auf der anderen Seite der Mensa; er hatte ein Tablett mit Essen in der Hand und sah sich suchend in dem Saal um.
„Er kann sich zu uns setzen“, rief Millie aufgeregt. „Ich hole ihn.“ Kurz entschlossen stand sie auf und ging selbstbewusst auf Simon zu.
Eric und ich tauschten einen für uns typischen, alles sagenden Blick und mussten uns das Lachen verkneifen.
Millie kam mit Simon im Schlepptau zurück an unseren Tisch und stellte ihm Eric, Cole und Julian der Reihe nach kurz vor. Als ich aufsah und ihm direkt in die Augen schaute, war ich abermals für den Bruchteil einer Sekunde überwältigt von seinem Anblick. Ich spürte, wie ich schon wieder rot wurde, also sah ich schnell wieder auf meinen Teller und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
Simon setzte sich zu uns und eine kurze Weile waren wir alle schweigend mit Essen beschäftigt.
Eric war der Erste, der wieder etwas sagte: „Und Simon, von wo bist du hergezogen?“
„Aus der Stadt“, antwortete Simon.
„Und wie gefällt dir Amelias tolle Wohngegend?“, fragte Eric und zwinkerte mir zu, als ich aufblickte.
Simon lächelte. „Kann ich noch nicht sagen“, meinte er achselzuckend. „Etwas steif.“
Eric schnaubte. „Ja, das kann man wohl sagen.“
Millie, die sich ganz offensichtlich etwas anderes davon erhofft hatte, Simon an unseren Tisch zu holen, als dass dieser sich nur mit Eric unterhielt, rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her und sagte schließlich: „Eric, du gibst doch am Freitag eine Party, oder?“
Eric runzelte kurz die Stirn, dann grinste er. „Na klar, warum?“
Millie warf einen Blick auf Simon und lächelte. „Simon könnte doch auch kommen“, schlug sie vor.
Simon schaute auf und zog seine Augenbrauen hoch.
Ich sah zu Eric hinüber, der schnell wegschaute, als unsere Blicke sich trafen. Nach einem kurzen Moment peinlicher Stille räusperte Eric sich und sagte: „Klar.“
Millie strahlte. „Cool“, sagte sie fröhlich. „Du kommst doch, oder?“, fügte sie an Simon gewandt hinzu.
Mir entging nicht, dass Simon kurz zu mir rüber schielte, ehe er antwortete: „Okay.“
„Wir feiern sozusagen den Beginn der letzten Schulwoche und die danach kommenden Ferien“, erklärte Eric jetzt. „Ist so eine Art Tradition bei uns. Kannst gerne kommen, wenn du willst.“
Simon grinste und nickte. „Gern.“
Ich wusste nicht, warum, aber irgendetwas an dieser ganzen Situation fühlte sich seltsam an. Aus unerfindlichen Gründen störte es mich, dass Simon zu Erics Party eingeladen war. Wahrscheinlich lag es hauptsächlich daran, dass ich befürchtete, dort würde Millie ihre Chance ergreifen und ich wäre abgeschoben; Millie hatte bislang immer bekommen, was sie wollte, vor allem wenn es um Jungs ging.
Eine Erbse traf mich am rechten Auge und ich zuckte erschrocken zusammen.
Eric lachte. „Na? In Gedanken schon wieder bei den Hausaufgaben, Kleine?“
Ich schnipste eine meiner Erbsen zurück, doch Eric wich ihr problemlos aus. „Du Blödmann!“, rief ich.
„Kommst du auch auf meine Party?“, fragte Eric grinsend.
Ich warf einen Blick auf Simon, der mich ansah, und glaubte zu sehen, wie er kaum merklich nickte.
Meine Mundwinkel zuckten ein wenig. „Klar“, sagte ich achselzuckend und schnipste zwei weitere Erbsen in Erics Richtung.