Читать книгу Die Galloway Geschwister - Maja M. Scharf - Страница 8
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Оглавление„Guten Abend, Amelia“, sagte der eine Mann sofort freundlich und hielt mir seine Hand entgegen. Er war ungefähr im Alter meiner Mutter, würde ich sagen, und er sah sehr gut aus. Hoch gewachsen, schlank, volles dunkles Haar und große blaue Augen. Sein offenes Lächeln und seine tiefe, langsame Stimme machten ihn mir sofort sympathisch. „Ich bin Samuel Galloway.“
Ich stutzte angesichts des Nachnamens und als der andere Mann sich jetzt zu mir umdrehte, konnte ich nicht verhindern, dass mir wieder einmal der Unterkiefer herunterklappte. Es war kein Mann, es war ein Junge in meinem Alter und zwar nicht irgendein Junge; es war Simon. Mein neuer Mitschüler und der Junge, der mir vor kaum zwei Tagen das Leben gerettet hatte.
Ich dachte an den schwarzen Geländewagen; dann war es tatsächlich Simon gewesen, der mir heute Morgen so rücksichtslos die Vorfahrt genommen hatte. Doch als er mich jetzt ansah und sich auf seinem Gesicht ein schiefes, leicht arrogantes Lächeln bildete, konnte ich ihm das nicht länger übel nehmen. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, es wäre heute Morgen überhaupt nicht so knapp und erschreckend gewesen.
„Und das ist mein Neffe Simon“, sagte der Mann lächelnd.
Ich nickte. „Ja, ich weiß“, murmelte ich, als ich meine Stimme wieder fand.
„Ach, ihr kennt euch?“ Meine Mutter klang ganz entzückt und ich musste mir verkneifen, die Augen zu verdrehen.
„Ich bin ihr neuer Mitschüler“, sagte Simon lächelnd. Seine Stimme klang leicht rau, reif und freundlich. Irgendwie fand ich sie sexy, was ich noch nie empfunden hatte und mich selbst überraschte. Dass er so eine schöne Stimme hatte, war mir heute in der Schule gar nicht richtig aufgefallen. Spätestens jetzt war mein Ärger wegen heute Morgen verflogen.
„Oh wie schön“, rief meine Mutter fröhlich.
Simon und ich sahen uns an und jetzt wo er so dicht vor mir stand und ich ihn zum ersten Mal in Ruhe betrachten konnte, überwältigte seine Schönheit mich. Seine dichten, dunkelbraunen Haare, die markanten Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen und die absolut gerade Nase ließen ihn einfach absolut perfekt aussehen.
Unsere Blicken trafen sich und auf seinem Gesicht bildete sich wieder ein schiefes Lächeln. War er im Einkaufszentrum oder heute Morgen auch schon so schön gewesen? Er hatte keinen einzigen Makel. Er war absolut perfekt. Zu perfekt. Zu schön.
Ich war dankbar, als meine Mutter uns zu Tisch bat und ich einen Grund hatte, meinen Blick von ihm abzuwenden. Meine Mutter saß am Kopfende des Tisches, rechts war Stevens Platz, der frei gehalten wurde, falls er es doch rechtzeitig schaffte, links von ihr saß Samuel. Simon nahm gegenüber von mir Platz und lächelte jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen.
Während wir das Festmahl von meiner Mutter verspeisten, erzählte sie gut gelaunt irgendwelche Geschichten, die ich bestimmt schon zigmal gehört hatte. Ich beteiligte mich kaum an dem Gespräch, obwohl ich ununterbrochen darauf brannte, mit Simon über Samstag zu reden. Wusste er eigentlich, dass ich das Mädchen war, das er da vor der Explosion und den herabfallenden Trümmerteilen gerettet hatte oder war ihm das überhaupt nicht klar?
Ich wünschte, ich wäre nicht so zurückhaltend, doch leider war es so; ich brachte keinen Ton heraus und so verbrachte ich das Essen schweigend, bis meine Mutter mich irgendwann einfach mit ins Gespräch einbezog.
„… Amelia ist auch Jahrgangsbeste“, hörte ich sie fröhlich rufen und ich blickte von meinem Teller auf.
„Was?“, fragte ich mit vollem Mund, da ich kaum zugehört hatte, so in Gedanken war ich gewesen.
„Ach Schatz, ich habe nur gerade gesagt, dass du in deinem Jahrgang auch die Beste bist“, sagte meine Mutter und schenkte Samuel mehr Wein ein. „Simon war an seiner alten Schule auch der Beste.“
„Cool“, war das Einzige, das ich dazu sagen konnte. Ich spürte, wie ich rot anlief und senkte meinen Blick schnell wieder. Wie peinlich, jetzt musste Simon denken, ich wäre eine Streberin. Andererseits war er offenbar ja selber ein kleiner Streber, also brauchte es mich nicht zu stören. Im Gegenteil, dann hatten wir ja eine Gemeinsamkeit. Ich musste grinsen und kam mir unweigerlich wie ein kleines Mädchen vor.
„Und hast du eine Freundin, Simon?“, hörte ich meine Mutter fragen, als wir den Nachtisch verspeisten.
Ich musste mir ein genervtes Stöhnen verkneifen und zwang mich dazu, den Blick gesenkt zu halten. Musste das denn sein? Ich hatte noch keine zwei Sätze mit Simon geredet und schon fing meine Mutter an, uns zu verkuppeln. Ich war das gewohnt; als ich Eric kennen lernte, hatte meine Mutter zunächst auch öfter peinliche Anspielungen gemacht, bis sie eines Tages endlich eingesehen hatte, dass es zwischen Eric und mir keinerlei Romantik gab. Meine Mutter würde es wahrscheinlich nie zugeben, aber es schien ihr viel mehr auszumachen als mir, dass ich mit meinen achtzehn Jahren noch nie einen Freund gehabt hatte.
„Nein, Ma’am“, antwortete Simon höflich.
Guck ihn jetzt bloß nicht an, sagte ich mir leise. Oder doch? Ich seufzte kaum merklich und erhob mich erstmal, um die Dessertteller abzuräumen. Ich war froh, dass ich meiner Mutter und Simon und Samuel Galloway für einen Moment den Rücken zuwenden und in aller Ruhe meine Augen verdrehen konnte.
Ich hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, und eine Sekunde später kam Steven in die Küche. „Guten Abend“, sagte er freundlich.
Ich wandte mich wieder um und lächelte Steven an.
Simon und Samuel erhoben sich und schüttelten Steven die Hand, während meine Mutter mir beim Abräumen half.
„Samuel, haben Sie Lust, mit meinem Mann und mir noch ein Glas Cognac im Wohnzimmer zu trinken?“, fragte sie schließlich lächelnd.
Ich funkelte meine Mutter unauffällig an; zwischen den Zeilen konnte ich ganz genau lesen, dass sie mich nur mit Simon allein lassen wollte, damit wir die Gelegenheit bekamen, uns näher kennen zu lernen. Ich seufzte genervt und fragte mich einen Moment lang, was wohl in dem Kopf meiner Mutter vorging.
Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und als ich mich wieder aufrichtete, waren meine Mutter, Steven und Samuel Galloway bereits im Wohnzimmer verschwunden. Simon stand am Küchentisch und sah mich an.
Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich war allein mit ihm.
„Hey“, war das erste Wort, das aus meinem Mund kam.
Simon runzelte kaum merklich die Stirn, dann schmunzelte er belustigt. „Hey“, erwiderte er leise.
Jetzt sprich ihn auf Samstag an!, sagte ich mir und ging einen Schritt auf Simon zu.
Ich öffnete meinen Mund. „Und von wo seid ihr hergezogen?“ Feigling!
Simon grinste. „Ich wusste doch, dass du vorhin überhaupt nicht zugehört hast“, meinte er.
Ich lächelte. „Jedenfalls nicht aufmerksam“, gab ich verlegen zu.
„Wir sind aus der Stadt hergezogen.“
Ich biss mir auf die Lippe und überlegte fieberhaft, wie ich ihn am besten auf das, was im Einkaufszentrum passiert war, ansprechen sollte. „Hör mal, ich wollte dich etwas fragen“, begann ich zögerlich, „wegen Samstag … was da im Einkaufszentrum geschehen ist …“
Simon sagte nichts, doch ich meinte zu merken, wie er sich leicht anspannte.
„Das warst doch du, nicht wahr?“, fragte ich leise.
Simon schluckte und sah mir unsicher in die Augen. „Würdest du mich kurz entschuldigen?“, fragte er unvermittelt und ließ mich allein in der Küche.
Ich zog überrascht meine Augenbrauen hoch und wandte mich wieder der Spüle zu. Ich ließ heißes Wasser hinein und begann mit dem Abwasch der Töpfe und Pfannen, um mich vom Warten abzulenken.
Es dauerte ein paar Minuten, bis jemand zu mir in die Küche kam. Ich wollte Simon gerade erneut nach Samstag fragen, als meine Mutter sich neben mich an die Spüle stellte und anfing, das saubere Geschirr abzutrocknen.
Stirnrunzelnd sah ich mich um. „Wo sind Simon und Samuel?“, wollte ich wissen.
„Sie sind gerade gegangen“, antwortete meine Mutter verblüfft. „Simon sagte, er hätte sich von dir verabschiedet.“
„Nicht wirklich“, entgegnete ich. Beim weiteren Abwaschen war ich wütend.
Als ich später in meinem Bett lag, fragte ich mich, warum Simon mir derart ausgewichen und abgehauen war, ohne sich zu verabschieden. Was sollte das denn?
Glaubte er etwa, ich würde ihn nicht erneut darauf ansprechen? Natürlich würde ich das, wir gingen jetzt in dieselbe Klasse und waren Nachbarn. Plötzlich kam mir ein anderer Gedanke und ich musste grinsen; wir waren Nachbarn. Ich musste an Millie denken und was sie für ein Gesicht machen würde, wenn sie das erfahren würde! Vermutlich würde sie mich ab jetzt sehr viel öfter besuchen kommen.