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Hawaiki

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ALS DIE MĀORI im 18. Jh. erstmals begannen, mit Europäern zu kommunizieren, beharrten sie darauf, dass Neuseeland nicht ihre ursprüngliche Heimat sei, vielmehr würden ihre Vorfahren von Hawaiki stammen, einer Insel irgendwo am nordöstlichen Horizont. Und nicht nur das, sie seien nicht in weit zurückliegender Vergangenheit angekommen, sondern erst vor ein paar hundert Jahren.

Die Einzelheiten dieser Wanderung waren nicht ganz eindeutig. Verschiedene Stammesgruppen (iwi) erzählten verschiedene Versionen. Und obwohl ihr kulturelles Gedächtnis reich an Details war, zögerten manche Māori aus verständlichen Gründen, solch wichtiges Wissen mit Siedlern zu teilen, zumal diese Siedler auch Ansprüche auf ihr Land erhoben.

In der bekanntesten Version der Frühgeschichte des Landes stieß ein Fischer und Entdecker namens Kupe vor über 1.000 Jahren auf Neuseeland. Er landete dort durch Zufall, als er einen riesenhaften Oktopus in südlicher Richtung über den Ozean jagte. Kupe kehrte dann nach Hawaiki zurück und erzählte von diesem neuen Land im Süden, welches er Aotearoa nannte: „lange weiße Wolke“. Um 1350 machte sich eine „große Flotte“ von sieben großen Kanus gemäß seinen Weisungen auf die Überfahrt nach Aotearoa. Die Passagiere jener Kanus waren die Vorfahren der heutigen Māori.

Doch wir haben es mit einer konstruierten Geschichte zu tun, einer Verschmelzung verschiedener Erzählungen, zusammengefügt im späten 19. und frühen 20. Jh. von einem Ethnologen, Stephenson Percy Smith. Smith war ein akribischer Forscher, aber seine Schlussfolgerungen waren irreführend. Statt Unstimmigkeiten und mythische Elemente stehen zu lassen, versuchte Smith sie zu glätten und präsentierte das Ergebnis als Tatsache. Damit schuf er eine Erzählung, die weder historisch genau ist noch dem entspricht, was die Māori selbst glaubten.

Tatsächlich ist das Datum, welches Smith für die „große Flotte“ ansetzt, gar nicht so falsch. Den neuesten Belegen zufolge kamen die ersten Siedler, die sich in dem Land niederließen, etwa um 1280 an, wenn auch nicht in einer Einzelflotte, sondern eher in Gruppen und vielleicht über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Die Polynesier waren fähige Seefahrer und Kontakte zwischen alter und neuer Heimat sind denkbar. Insgesamt betrug die Zahl jener ersten Immigranten vielleicht nicht mehr als 200 Menschen.

Auch die geografischen Ursprünge der Māori lassen sich nun mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad bestimmen. Sie kamen aus Ostpolynesien, genauer von den Cook- und Gesellschaftsinseln. Eine simple Antwort auf die Frage nach Hawaiki liefert dies allerdings noch lange nicht. In den überlieferten Erzählungen ist Hawaiki eine vielschichtige Idee, die sich nicht auf eine einzige Örtlichkeit festlegen lässt. Die Insel war nicht nur Ausgangspunkt dieser Zuwanderer, sondern Teil ihres „Reisegepäcks“ – jener reichen mythischen Tradition, die sie mitbrachten.

1793 wurde ein Māori-Häuptling namens Tuki Tahua gebeten, für den Gouverneur von New South Wales eine Karte von Neuseeland zu zeichnen. Dies tat er auch, und zwar mit einem beeindruckenden Maß an Genauigkeit. Aber neben den physischen Merkmalen des Landes bezog Tuki auch eine „Straße der Geister“ ein, welche die Bergketten vom fernen Süden geradewegs bis zum Nordkap säumte. Dies war der Pfad, dem jeder nach dem Tod folgen würde und welcher schließlich zum Te Rerenga Wairua, dem „Absprungplatz der Geister“, führte. Von jenem Endpunkt des Landes an der Spitze der Nordinsel würde jeder Geist in den Ozean eintauchen und der Unterwelt entgegenschwimmen, wo er Hawaiki finden würde.

Und dies waren die Worte, mit denen Neugeborene in der Welt begrüßt wurden:

E taku pōtiki, kua puta mai rā koe i te toi i Hawaiki.

Mein Kind, du bist aus der Quelle geboren, welche in Hawaiki ist.

Von Hawaiki also nimmt der Geist bei den Māori seinen Ausgang und dorthin kehrt er zurück, es ist Ursprung und Bestimmung. In manchen Geschichten ist es zudem der Ort, an dem der erste Mensch erschaffen wurde: eine Art Eden, wo noch immer die Götter wohnen. Die Art, wie die Insel im Einzelnen dargestellt wird – ob eher als physisch greifbares Heimatland, spiritueller Ursprung oder Unterwelt –, variiert stark in Abhängigkeit von der lokalen Kultur des jeweiligen Erzählers. Doch ist Hawaiki eine gemeinsame Idee, welche die Menschen verbindet, und dies über Neuseeland hinaus.

Ostpolynesien gehört zu den am spätesten besiedelten Teilen der Welt. Viele der Inseln jener Region, welche sich von Hawaii im Norden bis zu den Osterinseln im Osten und Neuseeland im Süden erstreckt, wurden erst in den letzten ca. 1.500 Jahren bevölkert. Die Traditionen dieser Orte sind eng verbunden und die Vorstellung von einem anderweitigen Ursprung ist im Denken ihrer Bevölkerung lebendig geblieben. Während die meisten Kulturen Schöpfungsmythen kennen, sind es bei den Polynesiern Wanderungsmythen.

Für die Māori ist Hawaiki ein Ort des Guten. Es ist der Ort, von dem ihr Volk, ihre Traditionen und ihre Kultur stammen. Es ist sowohl real als auch imaginär, sowohl geografisch verankert als auch mythisch. Etwas Trennendes in Bezug auf ihre derzeitige Heimstatt hat es jedenfalls nicht.



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