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Einleitung

Konrad Koch hat den Fußball in Deutschland eingeführt so kann man es in den Büchern lesen, die sich mit der Geschichte des deutschen Fußballs beschäftigen. Das ist nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Tatsächlich hat der Braunschweiger Lehrer Konrad Koch, geboren am 13. Februar 1846, das englische Fußballspiel ab 1874 an seinem Gymnasium eingeführt und später überregional gefördert. 1875 veröffentlichte er die ersten Regeln in deutscher Sprache, 1894 schrieb er die erste Studie über die historischen Wurzeln des Fußballs. Koch besaß gute Kontakte zum wichtigsten DFB-Vorläufer und prägte viele der Fachausdrücke, die uns auf dem Bolzplatz, im Stadion oder vor dem Fernseher wie von selbst über die Lippen kommen.

Trotzdem stimmt die Behauptung, Koch sei der Urvater des Fußballs, nur zum Teil. Tatsächlich ist in Deutschland auch schon vor 1874 mit dem Lederball herumgekickt worden. Von den zahlreichen im Land lebenden Engländern, aber auch von einigen Deutschen. Koch war aber sehr wohl derjenige, der den Fußball mit einem eigenen Regelbuch und der Gründung eines Schülervereins als Erster in organisierter Weise einführte. Noch dazu erkannte er früher als andere das bahnbrechende Potenzial und die pädagogische Bedeutung des Spiels. Auch wenn die Leibesübung, die Koch mit seinen Schülern ausprobierte, zunächst mehr mit Rugby als mit Fußball zu tun hatte. Association, die nach dem englischen Fußballverband benannte Variante ohne den Gebrauch der Hände, lernte Koch 1877 kennen und formulierte erstmals 1882 rudimentäre Regeln auch das vergleichsweise früh. Allerdings blieb er sein ganzes Leben ein Fan der älteren Spielweise. Auch dann noch, als sich ab etwa 1890 der heutige Fußball in den deutschen Vereinen durchsetzte.

Das eigentliche Missverständnis aber liegt in der Vorstellung, von Konrad Koch eine Linie zum modernen Fußball der Gegenwart ziehen zu können. Zwar lässt sich mit seinem letzten Regelbüchlein von 1895 auch heute noch passabel kicken. Doch ist Kochs Fußballentwurf nur aus der Geschichte des deutschen Turnens zu verstehen. Er selbst war zeit seines Lebens Mitglied im Braunschweiger Männer-Turnverein, und August Hermann, sein Kollege bei den ersten Fußballexperimenten, war Turnlehrer. Koch führte das englische Spiel nicht aus einer Vorliebe heraus ein: Er reagierte mit dem Fußball auf Defizite im Kanon der Turnübungen.

Kochs fußballerische Zielgruppe bestand in erster Linie aus den Schülern höherer Schulen und den Mitgliedern der Turnvereine. Der Braunschweiger Pädagoge war der Ansicht, dass sich die Kinder im Turnunterricht und die Erwachsenen im Turnverein zu wenig an der frischen Luft bewegten. Anders gesagt: Koch propagierte Fußball als Ausgleichssport für das Hallenturnen. Er wollte aus dem Fußball ein sogenanntes Turnspiel für die Mitglieder der Turnvereine machen. Turnen und Fußball sollten sich bei der Ausbildung des Körpers harmonisch ergänzen.

Damit stand Koch im Kontrast zu den Sportvereinen seiner Zeit. Während diese Vereine, initiiert von den in Deutschland lebenden Engländern, den Fußball als geselliges Freizeitvergnügen betrieben, wollte Koch aus dem Fußball ein deutsches Spiel machen, das wie Turnen der nationalen Ertüchtigung diente. Dabei versuchte er gleichsam, die sportlichen Elemente aus dem englischen Original herauszukürzen. Sein Ideal war ein Fußball im Geiste des deutschen Turnens: ohne englische Ausdrücke wie Goal und Offside, ohne auffällige Trikots, aufwändige Pokale oder gar bezahlte Fußballspieler, und vor allem mit einem abgemilderten Leistungsprinzip. Fußball war für Koch kein Selbstzweck und bedeutete nicht das Streben nach Höchstleistungen. Das Spiel sollte den Schülern Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln und die turnerische Ausbildung reformieren. Es ging nicht um eine von Sieg zu Sieg eilende erste Elf, sondern um Bewegung für alle.

Mit der Entwicklung des Fußballs zum Sport war Koch deshalb nicht einverstanden. Zentrale Elemente des Spiels, wie sie in England vor 1900 ausgebildet waren und wie wir sie spätestens seit dem Professionalisierungsschub der Weimarer Republik kennen ein Ligen-system, Training, internationaler Spielverkehr, offene oder verdeckte Bezahlung von Spielern, Wettbüros, riesige Zuschauermengen, ausführliche Medienberichterstattung lehnte Koch vehement ab. Erst gegen Ende seines Wirkens, nach einer Englandreise 1895, relativierte Koch seinen Sportbegriff.

Konrad Koch war deshalb kein Modernisierer wie der eine Generation nach ihm lebende Walther Bensemann (1873-1934). Der gründete Fußballsportvereine, organisierte internationale Wettspiele und rief 1920 den „kicker“ ins Leben. Koch dagegen steht für einen Sonderweg. Deshalb ist dieses Buch auch keine Geschichte des Fußballs im Deutschen Kaiserreich. Es erzählt eine Geschichte, die in dieser Zeit spielt, aber heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Wie jemand einen ganz anderen Fußball wollte und am Ende von der Entwicklung überrollt wurde. Denn mit dem Versuch, den Turnern Fußball beizubringen, repräsentiert Koch nur eine Strömung seiner Zeit und nicht etwa jene, die sich am Ende durchgesetzt hat.

Gleichwohl ist es hochinteressant, sich mit Konrad Koch zu beschäftigen. Obwohl er national dachte und viele seiner Äußerungen aus heutiger Sicht reaktionär wirken, war er in seiner Zeit ein Reformer. Koch erkannte früh, dass der strenge, fast militärische Ablauf einer Turnstunde den Jugendlichen keine zeitgemäßen Werte vermittelte. Im englischen Fußball und im Cricket, das er ebenfalls popularisierte sah er die geeigneten Instrumente, den Schülern auf spielerische Weise moderne pädagogische Werte beizubringen. Auch verringerte Koch auf dem Spielplatz die Distanz zum Lehrpersonal, indem er gemeinsam mit seinen Schülern Fußball spielte.

Koch baute die anti-englischen Vorurteile gegen den Fußball ab. Er war entscheidend an der Entwicklung einheitlicher Regeln und der Übersetzung des Fußballvokabulars beteiligt. In einem Umfeld, das durch die historische Dominanz des Turnens mit dem Leistungsprinzip unvertraut war, warb er für den Wettkampfgedanken. Und er wurde zum ersten Historiker des Spiels.

Die rund 100 Texte, die Koch über Fußball, Cricket, Turnen und andere Themen veröffentlicht hat, zeichnen ein lebhaftes Bild seiner Bemühungen, die Leibesübungen im dicht verflochtenen Spannungsfeld von Turnen, Spiel und Sport zu reformieren. Die sogenannte Spielbewegung, die Koch entscheidend prägte, versuchte dabei im Konflikt zwischen Turnen und Sport zu vermitteln. Und: Indem er das Selbstverständnis der Sportklubs ebenfalls wahrnahm und kritisch kommentierte, wird Koch zum Chronisten auch der Entwicklung, die er verhindern wollte. Im Spiegel seines Lebens scheinen viele wichtigen fußballerischen Ereignisse auf, an denen er nicht beteiligt war: von der Bedeutung der Abseitsregel, der Entwicklung des schottischen Passing Game über die sogenannten Urländerspiele bis zur Gründung des DFB. Nicht zuletzt lässt sich bei Koch lernen, dass die heutige Vorstellung über die Gegensätze in der Frühzeit des Fußballs hier die Turner, da die Fußballer einer wesentlich komplexeren Wirklichkeit nicht standhält.

All das macht Konrad Koch zu einer Figur, die eine Würdigung verdient. Auch wenn er nicht unbedingt der deutsche Fußballvater gewesen ist der erste Fußball-Lehrer war er auf jeden Fall.

Vorbemerkung zu einer unvermeidlichen Begriffsverwirrung

Da der Begriff Rugby in Deutschland erst später aufkam, ist in Zitaten von Konrad Koch, in Regelbüchern und Vereinsnamen häufig nicht klar, ob mit dem Wort Fußball Rugby oder Association gemeint ist. Generell gilt: Von 1874 bis weit in die 1880er Jahre hinein ist Fußball gleichbedeutend mit Rugby. Association war in Deutschland um diese Zeit weitgehend noch unbekannt. Der Deutsche Fußballverein zu Hannover von 1878 etwa, der erste deutsche Klub, spielte Rugby. Die ersten reinen Fußballvereine entstanden erst einige Jahre später.

Weil Koch und seine Mitstreiter englische Wörter grundsätzlich vermieden, können allerdings auch nach 1890 noch Unklarheiten vorkommen. In diesen Fällen habe ich zu erläutern versucht, wann Fußball und wann Rugby gemeint ist. Koch hat mit der Zeit eine eigene Nomenklatur entwickelt, um beide Spielarten voneinander abzugrenzen. Das Ergebnis wirkt nicht unbedingt logisch. Aber da die Begriffe häufig fallen, seien sie hier vorangestellt:

Rugby Fußball mit Aufnehmen des Balles; gemischter Fußball

Association Fußball ohne Aufnehmen des Balles; einfacher Fußball

Um die Verwirrung komplett zu machen, nannten manche Zeitgenossen Kochs Rugby übrigens auch den englischen Fußball und den heutigen Fußball den deutschen Fußball. Alles klar?

Der Fußball-Lehrer

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