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A. Einführende Bemerkungen

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Am 12.12.2012 durchsuchten auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 500 Beamte des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und der Steuerfahndung die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Grund für die Durchsuchung war der dringende Tatverdacht des Umsatzsteuerbetruges in Millionenhöhe im Zusammenhang mit Luftverschmutzungsrechten. Im Fokus der Ermittlungsbehörden stand unter anderem der zu diesem Zeitpunkt amtierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Ins Visier der Ermittlungsbehörden war er geraten, weil die Umsatzsteuererklärung der Deutschen Bank für das Jahr 2009 seine Unterschrift trug. Die Geschäfte, die im Zusammenhang mit den Luftverschmutzungsrechten getätigt wurden, fielen allerdings nicht in seinen Zuständigkeitsbereich und er wäre im Normalfall auch nicht für die Unterschrift der Umsatzsteuerklärung zuständig gewesen. Einzig, weil das eigentlich zuständige Vorstandsmitglied am Tag der Ausfertigung der Umsatzsteuererklärung nicht zugegen war, unterschrieb er an seiner statt.[1]

Mit diesem Beispiel ist zwar noch nichts Wesentliches über das Kernthema dieser Arbeit – die Tatherrschaft im Rahmen von Steuerhinterziehungen – gesagt. Es illustriert aber einen wesentlichen Aspekt des Problems, Täterschaft im modernen Wirtschaftsstrafrecht zu bestimmen: Arbeitsabläufe werden innerhalb von Wirtschaftsunternehmen in zunehmenden Maße dezentralisiert. Das Bild des Unternehmenspatriarchen, der alle Fäden in der Hand hält und über dessen Schreibtisch alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen laufen, gehört zunehmend der Vergangenheit an. Verantwortung wird dagegen immer mehr auf verschiedene Schultern verteilt, wobei jedoch in vielen Fällen – so steht es zu vermuten – der Umstand unbeachtet gelassen wird, dass rechtliche Haftungstatbestände keine Rücksicht auf interne Geschäftsverteilungspläne nehmen.

Die von dem Steuerberater eines mittelständischen Unternehmens erstellte und von dessen Geschäftsführer ungelesen unterschriebene Steuererklärung scheint heute ebenso zum Alltag zu gehören, wie die einleitend erwähnte Umsatzsteuererklärung in Millionenhöhe, die, so hat es den Anschein, „zwischen Tür und Angel“ unterschrieben und damit autorisiert wird. Hierbei scheint jedoch allzu häufig unberücksichtigt gelassen zu werden, dass – bereits dem Rechtsempfinden nach – durch eine eigenhändige Unterschrift nach außen hin eine persönliche Garantie für die unterzeichneten Inhalte übernommen wird. Diese Entwicklung dürfte einem immer schnelllebigeren Wirtschaftsleben geschuldet sein. Das Strafrecht hat indes die Aufgabe, fortwährend mit derartigen Entwicklungen Schritt zu halten. Idealerweise kann es die Strafbarkeit eines Ladendiebes anhand derselben Kriterien bestimmen wie diejenige der Mitglieder eines europaweit tätigen Umsatzsteuerkarussells.

Nicht nur im Bereich der Steuerhinterziehung besteht diesbezüglich heute zwischen Wissenschaft[2] und Rechtsprechung[3] ein weitreichender Konsens, dass es für die Bestimmung von Täterschaft auf die Tatherrschaft oder jedenfalls „den Willen zur Tatherrschaft“ ankommen soll. Der vorliegenden Arbeit liegt die Frage zugrunde, ob das Kriterium der Tatherrschaft tatsächlich dazu geeignet ist, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. In der als „Badewannenfall“ berühmt gewordenen Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1940[4] war noch unmittelbar einleuchtend, dass die junge Frau, die das unehelich geborene Kind ihrer Schwester direkt nach der Geburt und ohne eigenes Tatinteresse in der Badewanne ertränkte, aufgrund der vollständig eigenhändigen Tatverwirklichung – und damit vollständig eigenen Herrschaft über den Tatverlauf – nicht lediglich als Teilnehmerin angesehen werden konnte, sondern als Täterin hätte verurteilt werden müssen. Dieser Fall verdeutlicht somit nachdrücklich die Vorzüge der Tatherrschaftslehre, die dem objektiven Tatverlauf einen hohen Stellenwert zubilligt. Im Zuge der oben beschriebenen Dezentralisierung von Arbeitsabläufen in Unternehmen verschwinden derart klare Grenzen zwischen eigenhändiger Tatverwirklichung und originärer Tatverantwortung jedoch in zunehmendem Maße. Wer ist beispielsweise verantwortlich, wenn ein Bote, in Kenntnis der darin enthaltenen unrichtigen Angaben, die Steuererklärung seines Vorgesetzen an das Finanzamt übermittelt?[5] Das Rechtsempfinden wird jedenfalls auch – womöglich aber auch ausschließlich – den Vorgesetzten als Verantwortlichen nennen. Aber hatte er in diesem Fall in irgendeiner Form Herrschaft über das zur Tatbestandsverwirklichung führende Geschehen? Hatte er eine wie auch immer geartete (Tat-)Herrschaft?

Die besondere Bedeutung des Kriteriums der Tatherrschaft im Zusammenhang mit derartigen Fragen zeigt sich an dem Umstand, dass sich Rechtsprechung und Wissenschaft bei der Bestimmung von Täterschaft sowie der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwischenzeitlich ein gutes Stück aufeinander zu bewegt haben. Die Rechtsprechung trägt ihrem ursprünglich rein subjektiv geprägten Ansatz heute durch eine Bestimmung des Täterwillens anhand einer wertenden Gesamtschau verschiedener subjektiver und objektiver Kriterien Rechnung. Die Ergebnisse dieser wertenden Gesamtschau hängen dabei „unter anderem von dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft ab“.[6] Insoweit wird von einer „normativen Kombinationstheorie“ gesprochen.[7] Vor diesem Hintergrund kann durchaus von einer gewissen Hinwendung der Rechtsprechung zur Tatherrschaftslehre gesprochen werden.[8]

Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

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