Читать книгу Blood-Lady - Mandy Hopka - Страница 6
Erstes Treffen
ОглавлениеIch hasste diese langweiligen Geschäftsessen tatsächlich. Mit diesen langweiligen, oberflächlichen Gesprächen und den damit verbundenen vorgetäuschten Gefühlen. Man musste immer hübsch lächeln und immer freundlich sein. Die eigene Meinung dachte man sich nur. Das letzte Mal, als meine Mutter mich bei so einem Event mitgenommen hatte, war ich Fünfzehen Jahre gewesen. Danach hatte sie gelernt, dass ich meinen eigenen Kopf hatte und nicht so war, wie sie es sich gerne wünschte. Ich ließ mir den Mund nicht gern verbieten. Ich war eben nicht das kleine süße und folgsame Mädchen, welches sie sich wünschte.
Aber das heute war zum Glück etwas ganz Besonderes. Es waren keine dummen Politiker oder andere Landesvertreter, sondern tatsächlich reinblütige Vampire. Mein Herz raste vor Aufregung. Wahrscheinlich fühlten sich so die ganzen Teenies, wenn sie Justin Bieber oder Robert Pattinson live trafen. Ich trug ein schlichtes, schwarzes, rückenfreies Cocktailkleid, dessen träger ich am Hals verknotete. Es reichte mir bis zu den Knien, wo der leicht schwarze Stoff für ein paar Zentimeter in spitze überging. Nun war ich froh, dass ich es mir von Nicki aufschwatzen lassen hatte, denn ansonsten besaß mein Schrank eher Shorts oder Röcke. Mit Kleidern stand ich eigentlich mein Leben lang schon auf Kriegsfuß. Nachdem ich auch das Make-up vollendet und meine Haare mit einer Spange nach oben gesteckt hatte, stand ich vor der Qual der Wahl. Auch wenn ich nicht immer feminin rüberkam – was ich heute durchaus tat, besaß ich dennoch eine kleine Ansammlung an Schuhen. Und da ich heute eh schon Sachen trug, die ich sonst nie aus dem Schrank holte - wie meine kleine Clutch, in der ich mein Portemonnaie und meinen kleinen Dolch verstaute, konnte ich auch gleich ein paar Schuhe tragen, die ich sonst nie aus dem Schrank nahm. Zum Schluss entschied ich mich für meine schwarzen Pumps. Ohne Glitzer, ohne irgendwelche Diamanten, vollkommen schlicht. Selbst meine Ohrringe waren aus schlichtem Silber. Ich wusste schon gar nicht mehr, wann ich mich das letzte Mal so angezogen hatte. Normalerweise war ich nicht der Typ, der gerne Aufmerksamkeit bekam. Nicki gefiel es schon immer, wenn ihr die Männer hinterher sahen. Mich würde das nur nerven, wenn ich unter dieser ständigen Beobachtung stehen würde. Ohne das ich überhaupt wusste was ich tat, drehte ich mich vor meinem Spiegel hin und her. Was war zu viel, was war zu wenig? Ich machte einen viel zu großen aufriss um diesen Abend. Aber wann traf man schon auf legenden, von denen man glaubte, sie seien längst ausgestorben? Allein der Gedanke an die Informationen die ich sammeln würde, brachte meinen Puls zum rasen. Alles was ich gelesen, alles was man uns in der Schule beigebracht hatte, all das würde heute entweder wahr werden oder ich würde die lügen aufdecken, die man uns aufgetischt hatte.
„Ich sollte dieses Kleid nicht tragen“, erkannte ich und marschierte in mein Schlafzimmer zurück. Ich fühlte mich nicht wohl darin und ich brauchte heute meine komplette Konzentration für die Gespräche und Diskussionen. Die würde ich bei dieser Beinfreiheit nie aufbringen können.
Das Leuten der Tür ließ mich fluchen, ich hatte viel zu viel zeit damit verbracht, meine seltene Schönheit zu bewundern, dass ich die Zeit komplett vergessen hatte. Hektisch rannte ich zu meiner Wohnungstür und nahm den Hörer der Gegensprechanlage in die Hand. „Ich komme gleich runter. Ich muss mir nur schnell noch was anderes anziehen“, rief ich hinein. „Wie was anderes anziehen? Ich komme sicher nicht wegen dir zu spät, also schwing deinen Hintern hier herunter!“
Wie spät war es eigentlich? Ich verdrehte meinen Kopf, um in die Küche blinzeln zu können, wo eine Uhr an der Wand hang. Es war tatsächlich bereits zu spät. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben.
Wenig später fuhren wir durch das Eingangstor eines enorm großen Anwesens. Die Villa wirkte Modern und hatte einen schönen Vorgarten. Der Rasen wirkte gepflegt. Hier und da stand ein Baum und gemeinsam mit ein paar Blumenbeete und Sträucher machten sie den Anblick perfekt. Warum nur hatte ich ein gruseliges, modriges Schloss erwartet? Ein geteerter und mit großen Steinen abgegrenzter Weg, führte uns zum Haus. Abgezäunt war das Anwesen durch eine große, schöne Hecke. Das voll automatisierte Tor viel hinter uns zu und die Lampen, die am Wegesrand angebracht waren, fingen nacheinander zu leuchten an, bevor wir an diesen vorbeifuhren. „Wer bezahlt diesen ganzen Quatsch?“, fragte ich meine Mutter kritisch und belustigt zu gleich. „Er wird seine Quellen schon haben“, gab sie mir desinteressiert als Antwort. Der schwarze Wagen meiner Mutter hielt und eine Person kam die Treppe vor der Eingangstür herunter. Noch ehe ich den Türgriff in die Hand nehmen konnte, öffnete man mir vornehm die Tür und ich stieg aus dem Wagen.
Ich wusste nicht, wen oder was ich erwartete hatte aber ich konnte nicht anders, als seine starken Blicke zu erwidern. Diese enorm hellblauen Augen verrieten ihn sofort. Wie gebannt und kurz abgelenkt bemerkte ich zu spät, dass er meine Hand nahm und diese zu seinem Mund führte, wo seine Lippen meine Finger leicht berührten. Eine kaum wahrnehmbare Berührung und doch durchzog mich ein Gefühl wie ein Blitz, dass mich unter Strom stellte. „Sie haben mir nie gesagt, dass sie eine so bezaubernde Tochter haben, Frau Evers.“ Ich entzog sie ihm abrupt, mit dem Wunsch, meine Hand in seinem Gesicht zu sehen aber ich unterdrücke diesen Wunsch. Ein arrogant, amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen. „Machen sie das noch einmal und sie können diese Hand in ihrem Gesicht spüren!“, fauchte ich stattdessen bissig. „Entschuldigen sie ihr benehmen, Herr Báthory“, mischte sich meine Mutter sofort ein und eilte zu uns hinüber. Allerdings schien Mister Báthory keines Wegs böse, sondern eher belustigt über meine Unverfrorenheit. Er ignorierte meine Mutter schlichtweg und ließ mich noch immer nicht aus den Augen. „Sie ist eben noch Jung“, rechtfertigte sie sich für mich und nun war eher sie es, die mich mit bösen Blicken strafte. „Aber dennoch ist sie bereits eine Frau die - wie es mir scheint, bereits sehr gut für sich selbst sprechen kann.“ Ich schaute ihn missmutig an, auch wenn ich sehr beeindruckt darüber war, wie er gegen meine Mutter konterte. Seine intensiven blicke lagen auf mir, meinem Körper, meinen Augen und fixierten schließlich meine Lippen. Ich erwiderte seine Blicke, wieso auch nicht. Es war für ihn besser, wenn er gleich verstand, dass ich weniger Angst oder Respekt vor ihm hatte, als meine Mutter. Dass ich mich mit ihm anlegen und ihm nicht in den Arsch kriechen würde wie sie. Ich wollte spielen und alle dreckigen Geheimnisse auffliegen lassen. Aber ich wusste auch, dass ich ihn schon jetzt nicht mochte. Seine Augen wirkten kalt und scharf wie ein Felsen aus Eis und sagten mir, dass er eine berechnende Person war. Garantiert plante er seine Schritte haargenau. Er war fast zwei Köpfe größer als ich, hatte einen gut gebauten Körper, was nun mal typisch für Vampire war. Ein eher kantiges Gesicht, welches ebenfalls makellos erschien und seine schwarzen Haare reichten ihm bis zu den Ohren, wo ein Kreuz aus Silber an seinem rechten Ohr prangte. Sollte das Witzig sein? Wollte er sich damit über Gott lustig machen? Die Krawatte seines Anzuges saß genauso perfekt, wie der Anzug selbst. Im Großen und Ganzen also ein perfekter Anblick, eines perfekten Vampirs. Wie immer eben. Wo war da der Unterschied zu den Mischlingen? Ich wusste nicht wieso, aber irgendwas in mir begann sich zu regen aber ich konnte es nicht einordnen. Es war keine Angst, keine Aufregung, nicht einmal Interesse. Was war es dann, dass zwischen uns lag? Wieso starrte er so verlangend auf meine Lippen? Das ganze gefiel mir nicht.
Meine Mutter schien verwirrt über sein Verhalten zu sein und für einen Augenblick standen wir drei stumm herum. Er und ich mit unseren Gedanken beschäftigt und meine Mutter wusste wohl nicht, was sie sagen sollte. „Willst du sie nicht hereinbitten, Damian?“ Eine Frau war an der Tür erschienen und unterbrach diese unangenehme Situation. Sie hatte eine Zigarre in der Hand, lange weiße Haare und trug ein langes schwarzes Kleid, was ihre Beine komplett bedeckte und den Boden leicht streifte. Für 79 hatte sie sich ganz gut gehalten, bemerkte ich. „Guten Abend Frau Báthory.“ Meine Mutter ging stolz die Stufen zur Eingangstür hinauf und ließ uns beide allein zurück. Ich wand mich von seinen durchdringenden blicken ab und beobachtete stattdessen aus der Ferne, wie meine Mutter ihr die Hand reichte und Frau Báthory ihr dafür ein Lächeln schenkte, das weder nett noch sympathisch wirkte. Es erinnerte mich eher an dieses triumphierende Lächeln in den Kinofilmen, wo man seinem Opfer - bevor man diesen niederstach, noch ein letztes Lächeln schenkte. Da ich mich irgendwie unwohl in Damianos nähe fühlte – schon allein, wegen diesem anmaßenden verlangen, was in seinen Augen schimmerte, ging ich an ihm vorbei, ohne ihn weiter zu beachten. Er strahlte tatsächlich eine bedrohliche Aura aus. Selbstsicher und Stolz, wie eine Festung, die man nicht einreißen, hinter dessen Mauern, man nicht blicken konnte. Um ihn lag eine dunkle, finstere Aura. Da war er, der Unterschied, denn in ihm, konnte ich kein bisschen Mensch erkennen. Beim Vorbeigehen breitete sich sein Parfüm in meiner Nase aus. Es roch nach Minze und Mandarine und hatte etwas Exotisches an sich. Exotisch aber durchaus noch männlich.
Noch immer mit diesem Duft in der Nase, der so gar nicht zu ihm passte, begrüßte ich ebenfalls seine Mutter. „Guten Abend, mein Name ist Amy Evers.“ Auch ich reichte ihr meine Hand - immerhin wurde ich gut erzogen, zumindest die erste Hälfte meines Lebens. Langsam schlangen sich ihre kalten Finger um die meine. Sie waren hell, fast weiß, sehr runzelig aber vor allem verdammt dünn. Dies waren wohl die Zeichen ihres Alters. „Du hast die starken Augen deiner Mutter“, bemerkte sie und in ihrer Stimme klang ein komischer Akzent mit, den ich nicht so recht einordnen konnte. Sie war die unheimlichste Frau, die ich je kennengelernt hatte. Im Grunde, war sie sogar unheimlicher als Damianos, der wenigstens ein falsches lächeln aufgesetzt hatte. Aber sie … Ihre Seele war noch dunkler als die ihres Sohnes. Ihre Ausstrahlung ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Sie wirkte tatsächlich gruselig. Vielleicht wegen der Art und Weise, wie sie sich gab. Vornehm und Arrogant, ganz darauf bedacht, jede Bewegung, die sie tat, genauestens zu durchdenken. Und dann auch noch diese Zigarre, die sie elegant zwischen ihren Fingern balancierte. Wie eine etwas in die Jahre gekommene Anführerin einer Gangster Gruppe. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie die Horrorperson aus unserer Kindheit war, die soeben real vor mir stand. Für eine Frau war sie recht groß, nur ihr Sohn überragte sie. Ihre Beine und Arme waren so dünn, dass sie wie eine Leiche wirkte, die nach Jahren der Ruhe, wieder zum Leben erwacht war. Ja, ich hatte sie mir immer genauso vorgestellt. „Kommen sie, dass Essen wird kalt.“ Damianos war hinter mir erschienen und legte arrogant, wie er wohl war, seine Hand auf meinen Rücken, um mich zum gehen zu animieren. Da war es schon wieder! Dieses Gefühl, diese Hitze, die meinen ganzen Körper durchzog, als hätte er mir einen Stromschlag verpasst und gleichzeitig ein Feuer in mir entfacht. Herrgott, er war doch nicht der erste schöne Vampir der mir begegnete! Oder war dies ebenfalls etwas, was ihm von einem gewöhnlichen Mischling unterschied? Ich schaute zu ihm hoch, mit einem Blick, der ihm signalisieren sollte, seine vampirischen, mit blutbefleckten Händen besser von mir zu nehmen. Er grinste allerdings nur gönnerhaft, was mir zu verstehen gab, dass er es darauf anlegte, mich zu reizen. Damianos wusste was er tat und was er damit auslöste. Was spielte er für ein Spiel? „Du bist nicht allzu erfreut, über deinen Besuch?“, fragte er und seine Mutter blies den Rauch ihrer Zigarre aus dem Mund. Ich unterdrückte den daraus resultierenden Hustenreiz. „Ich misstraue ihnen einfach“, erwiderte ich ehrlich. Ich war kein Mensch, der lange Drumherum redete. „Was soll dieses komische Katz und Maus Spiel? Wir sind alle nicht hier, weil wir uns groß schätzen, oder liege ich da etwa falsch?“ Mit diesen Worten bewegte ich mich von ihm weg. Was auch immer er hier versuchte, ich würde seinen Plan schon noch durchschauen und dann, kurzen Prozess mit ihm Machen. „Und eine große Rednerin ist sie noch dazu“, erkannte Frau Báthory und noch während sie mich mit diesem merkwürdigen Lächeln begutachtete, kochte meine Mutter wohl bereits innerlich. „Also wirklich, Amy!“ Damianos unterbrach meine Mutter erneut, die gerade dazu ansetzte ihre Wut, über meine nicht vorhandene falsche Höflichkeit, freien Lauf zu lassen. „Nicht doch. Tadeln sie ihre Tochter nicht dafür, dass sie so ehrlich ist. Seien sie stolz auf ihre Loyalität und ihr Selbstbewusstsein.“ Nun war ich es, die beeindruckt war. Er war der Erste, der es schaffte, meine Mutter sprachlos zu machen.
Wir wurden durch eine große Empfangshalle hindurch geleitet, durchquerten einen Flur mit vielen Porträts und Gemälden und traten schlussendlich in ein großes Esszimmer. Es prahlte geradezu mit seinem Reichtum. Ein goldener Kronleuchter hing von der Decke, dessen Diamanten, ob nun echt oder nicht, im Schein des Lichtes funkelten. In einem Kamin brannte ein Feuer und auch an diesen Wänden gab es Porträts von altertümlichen Vampiren. Noch ehe ich mich an dieses helle Licht und dem ganzen Gold und Glitzer in diesem Raum gewöhnt hatte, gab man mir ein Glas mit vermutlich Sekt, Prosecco oder auch Champagner. Was auch immer es war, ich hasste dieses Zeug. Ich schenkte demjenigen, der es mir in die Hand gedrückt hatte, keine Beachtung und ließ meine Blicke stattdessen durch den Raum schweifen. Ich trat näher an die Bilder heran, um sie zu begutachten. Es waren allesamt Ölgemälde von vermutlich unschätzbarem Wert. Allein diese Goldenen, antiken Rahmen waren wohl ein vermögen wert und vermutlich uralt. Ich fragte mich wer sie gezeichnet hatte und blickte in das Gesicht einer jungen Frau, die ein für damalige Verhältnisse wohl, wunderschönes rotes Kleid trug. Ihre braunen Haare versteckte sie hinter einer merkwürdigen, ebenfalls roten Haube. „Da war sie 25 Jahre gewesen, wie alt sind sie? Im selben alter?“ Ich zuckte zusammen und drehte mich zu der stimme hinter mir herum. „Für einen Fighter, sind sie ziemlich nachlässig, was ihre Umgebung angeht.“ Arroganter Arsch. Das dachte ich zwar, sprach es allerdings nicht aus. „Wer ist sie?“, fragte ich stattdessen, da ich mir gerne von ihm erzählen lassen wollte, wer hier so alles im Raum hing. „Das hier ist meine Mutter. Das Original. Ich hoffe sie werden mich jetzt nicht dafür einsperren wollen, dass ich es mir zurückgeholt hatte“, belustigt nippte er an dem Glas mit dem Sprudelwasser. „Jetzt wo sie es sagen“, erkannte ich nachdenklich und ignorierte seine Anspielung. „War das Original Portrait nicht seit 1990 verschwunden? Dann hatten sie es also die gesamte Zeit über?“ Die erste interessante Information an diesem Abend. „Und was ist mit dem Rest? Ist das hier alles ihre Mutter?“ Ich zeigte ihm mit einer Handbewegung die Richtung, zu den anderen 3 Gemälden mit Frauen in verschiedenen Kleidern und Posen. „Nein, so selbstverliebt ist sie dann doch wieder nicht“, gab er als Antwort und schritt zu den drei Bildern hinüber. Ich folgte ihm mit einem gewissen Abstand, den ich bewahren wollte, nachdem ich wusste, welche Reaktion er bei mir auslösen konnte und für die ich noch keine Erklärung hatte. „Dies hier ist Anna Báthory von Somlyó, meine Großmutter. Meine Familie zählte damals zu den reichsten und angesehensten Adelsfamilien in Ungarn. Wir besaßen mehr Burgen und Land als der damalige König selbst. Unser Familienstammbaum ist ziemlich groß und komplex, wenn ich ihnen die Langfassung erzählen soll, müssen sie schon die gesamte Nacht mit mir verbringen, denn das würde dauern.“ Ich lachte amüsiert überdiesen absurden Vorschlag. „Ich denke ich muss leider ablehnen. Meine Mutter hat mir verboten allein, nach Anbruch der Dunkelheit die Zeit mit einem Vampir zu verbringen“, log ich und nippte ebenfalls aus purer Langeweile an meinem Glas. „Ich glaube kaum, dass sie eine Person sind, die sich an Regeln oder Vorschriften hält, oder liege ich da falsch?“ Ich fragte mich plötzlich, was er wohl früher für ein Leben gelebt hatte. Ob er auch in so einer riesigen Burg gewohnt hatte, umgeben von Dienstmägden und wunderschönen Gärten mit ihren Labyrinthen. Ob wirklich alles so war, wie man es sich vorstellte. Mit all ihren Grausamkeiten, wie den Hinrichtungen und den Dingen, die einen auch faszinierten wie die Ritter in ihren Rüstungen. Wie es wohl war, so lange zu leben? So viele Veränderungen mit zu erleben ohne stehen bleiben zu könne? Ich stellte es mir ziemlich schwer vor. „Amy?“ Erschrocken richtete ich meine Augen auf ihn und wurde gefangen von den seinen. „Seit wann sind wir beide beim du?“ Ich wollte nie wieder hören, wie er meinen Namen aussprach. Er dehnte diese wenigen Buchstaben, setzte eine solch begierige Betonung dahinter, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten und ich nervöser wurde, als ich es eigentlich wollte. Egal wie viele Mischlinge mir gedroht hatten, bevor ich sie an die Exekutionsteams auslieferte, noch nie war ich nervös geworden. Was sollte das ganze also? „Ein Versuch war es wert, denn auch, wenn es sie vielleicht nicht interessiert, mag ich ihren Namen. Wissen sie, was er bedeutet?“ Genervt seufzte ich. Ich hatte keine Zeit für diese dummen Plaudereien. Ich war hier um Informationen zu sammeln, die mir oder uns weiterhelfen konnten und nicht, um herauszufinden weshalb er die Bedeutung von meinem Namen kannte. „Das werden sie mir sicher gleich erzählen“, prophezeite ich aufmüpfig. Mir missfiel die Art, wie er um mich schlich. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken und fragte mich, ob er mich in den letzten Minuten überhaupt jemals aus den Augen gelassen hatte. „Es bedeutet, die Geliebte.“
Nun verlor ich endgültig die Geduld. Ich hasste es, wie sich diese Vampire fortbewegen konnten. Leise, stumm, kaum wahrnehmbar. Ich nahm meine freie Hand und gab seiner Brust einen kräftigen Stoß nach hinten. Gekünstelt taumelte er von mir weg. Sein warmer Atem, der über meine Nackte Haut strich und diese Lippen, die kaum aber doch spürbar meine Ohren berührt hatten, versetzten meinen Körper in Alarmbereitschaft. Wenn das hier so weiter ging, spielte er mehr mit mir, als ich mit ihm. Das hier lief komplett falsch ab. „Lassen sie das. Das ist meine letzte Warnung! Glauben sie mir, ich bin keine Frau, mit der sie gern die Nacht verbringen würden.“ Meine Stimme zitterte vor Wut, die im Grunde mehr mir selbst galt. Wie konnte er sich das recht herausnehmen und so aufdringlich sein? Noch immer hallten seine geflüsterten Worte in meinem Kopf wieder. Was bezweckte er damit? Was war sein Plan und woher verdammt nochmal kannte er die Bedeutung meines Namens? Er bedachte mich mit einem verstohlenen Lächeln. „Ich denke, dass würde ich gern selbst herausfinden“, sagte er und wandte sich wieder den Bildern zu. Mal ehrlich, was dachte er wer er war? „Das hier sind Clara und Sophia, meine Tanten oder anders ausgedrückt, ihre Schwestern.“ Ich fragte mich, warum ausgerechnet diese eine Báthory überlebt hatte. Vielleicht hatte aber auch Er etwas damit zu tun. Aber wie hatte er es dann geschafft, zu überleben? „Und der Rest hier? Wer ist dieser Mann?“ Damianos zögerte und sein Blick wanderte über das gemalte Bild eines jungen Mannes, wobei es mir schwer viel sein alter zu bestimmen. Es entstammte einer Epoche, wo man Perücken mit Locken trug, gepaart mit komischen Klamotten und merkwürdigen Bärten. „Das hier …“, begann er und zum ersten Mal spürte ich in seiner Stimme einen Funken von Gefühlen aufflammen, denn bis jetzt hatte er nicht mal den Hauch von Bedeutung in seine Worte gelegt. Mal abgesehen von Begierde, verlangen und Belustigung. „… ist mein Vater Franz. Schon merkwürdig, wie er ausgesehen hatte, wie wir alle ausgesehen haben mussten. Die Zeit verändert die Menschheit und mit ihr die Umgebung.“ Etwas in mir zwang mich dazu, etwas zu erwidern, was ich ohne Hass oder Wut aussprach, sondern mit ehrlichen Gefühlen. „Ich bin der Meinung, die Menschen verändern die Zeit. Alles was wir tun, bestimmt die Zukunft. Das was sie sagten, würde bedeuten, dass wir von der Zeit geleitet, durch fremden Einfluss bestimmt werden. Aber wir sind Individuen, die mit ihrem Willen, dass Leben leben, das die Zeit ihnen nehmen wird, wenn es so weit gekommen ist. Dafür ist niemand anderes verantwortlich, als die Menschheit selbst.“ Was redete ich da für komisches zeug? Langsam führte er das Glas zu seinem Mund und ich ertappte mich dabei, wie sehr ich selbst ihn beobachtete. Ich wollte erkennen, was er dachte, was er fühlte, wer er war. Ein Monster? Ein Gentleman? Ein harmloser Macho oder ein blutrünstiger, arroganter Prolet? Aber sein Pokerface war besser, als das von Mutter. Beinahe fragte ich mich, ob ich mir diesen kurzen Moment eingebildet hatte, wo ich glaubte Trauer in seiner Stimme zu vernehmen. Wie konnte eine Person nur so kühl, solche Worte und Sätze sprechen? Sein Schauspiel war ziemlich gut. Was verbarg er nur hinter diesen Augen? Frau Báthory riss mich aus meinen Gedanken.
„Damianos, würdet ihr euch bitte zu uns gesellen? Wir verspüren langsam tatsächlich so etwas wie Hunger und ich warte nicht ewig auf euch.“ Langsam wandte er sich von dem Bild seines Vaters ab und drehte sich zu mir. Seine Blicke durchbohrten mich und unweigerlich verkrampfte ich mich, als würden sie eine geheime Kraft besitzen, die mich innerlich erstarren ließ. Dieser Ausdruck, war eine Mischung aus Interesse, Begehren, Selbstsicherheit und vielleicht auch erstaunen. Dieser Blick war so vieles auf einmal. Was zum Teufel war das hier? Etwas stimmte nicht mit ihm, oder mit mir oder auch mit uns beiden. Aber was war es? Noch nie konnte ein Ausdruck oder ein paar Augen mich dazu veranlassen, schweigend mich betrachten zu lassen und mein gegenüber ebenso anzustarren, als wäre dieser nicht von dieser Welt. Was für ein eigenartiges Phänomen. „Meine Mutter war 11 Jahre als sie mit ihm verlobt war. Mit 14 wurden sie verheiratet. Wir beide sind ziemlich spät dran, finden sie nicht?“ Mit diesen Worten ging er an mir vorbei und ließ mich stehen. Allerdings ließ er es sich nicht nehmen, noch einmal mit seiner Hand durch mein Kleid zu streifen. Als würde eine Last von mir fallen, entweichte die Luft aus meiner Lunge. Wann war ich so angespannt gewesen, dass ich aufgehört hatte zu atmen? Was war das nur für ein schräger Tag? Erst die Sache mit den plötzlichen Gefühlen eines Mischlings und jetzt das hier! So Atemberaubend war er nun auch wieder nicht und erstrecht nicht für mich! Zumindest sollte er das nicht.
Die Tafel war reichlich bedeckt, mit Obst und Gemüse, die dekorativ angeschnitten waren. Es gab Teller mit Fleisch oder Fischspieße, ein Strauß Blumen stand in der Mitte und das Geschirr sah wunderschön antik aus. Ich nahm neben meiner Mutter Platz, wo sofort einer der Diener angerannt kam, um mir mit meinem Stuhl behilflich zu sein. In welchem Jahrhundert waren sie steckengeblieben? Mein Blick viel auf den älteren Mann im feinen Smoking und erst jetzt wurde mir etwas bewusst, was ich zuvor, gar nicht wahrgenommen hatte. Fassungslos schaute ich ihn an. „Aber ... sie sind ein Mensch?“ Irritiert blickte er erst zu mir und dann zu Damianos, der sich mir gegenüber setzte. „Selbstverständlich. Für uns arbeiten fast ausschließlich Menschen.“
„Aber wie ... können sie das tun. Mutter wie kannst du das dulden!“ Ich war schockiert. Menschen so in Gefahr zu bringen. Wieso nur? „Sie alle arbeiten freiwillig für mich und das schon seit Jahrzehnten. Ihre Familien haben vor sehr langer Zeit bereits einen Eid geleistet und somit sind sie seit Generationen als Diener in unserer Familie“, antwortete er. „Ja klar, was sind sie? Ihre Blutbank?“ Damianos brach in Gelächter aus. Es war ein kaltes aber dennoch belustigtes lachen, was auf einer weise menschlich erschien und auf der anderen unheimlich. „Nicht doch. Wieso sollte ich jemanden beißen?“
„Als Reinblüter brauchen sie Blut“, fiel ich ihm ins Wort. „Ich bin auf die Hilfe des Ministeriums genauso angewiesen, wie sie auf die meine. Außerdem nehme ich nicht jedes Blut. Als Reinblüter steht mir nur das Beste zu“, sagte er mit einem durchtriebenen Blick. „Woher nehmen sie das Blut dann?“ Mit dieser Frage, wurde uns das Essen aufgetischt oder zumindest die Vorspeise. Eine Suppe. „Das hier ist eine ungarische Fischsuppe. Ich hoffe, sie schmeckt ihnen. Und ich hoffe ebenfalls“, begann er und hob sein Glas in die Luft und meine Mutter, sowie die seine folgten seinem Beispiel. „Wir werden, einen unvergesslichen Abend haben.“ Ich hätte mir denken können, dass er nicht widerstehen konnte, mich bei diesen Worten anzusehen. Unvergesslich würde er werden, die Frage war nur ob im positiven oder im negativen Sinne. Waren alle Reinblüter so verdammt überheblich? Als wären sie Prinz Charming und alle Frauen würden bei ihm Schlange stehen. Auch war ich mir sicher, das Damianos meiner Frage mit dem Blut ausgewichen war, aber ich würde schon noch herausfinden, was er für ein falsches Spiel spielte. Ich musste mir dieses Haus bei Gelegenheit, einmal genauer ansehen. Ich hob mein Glas um nicht unhöflich zu sein und stieß mit ihnen an. Diese Situation war wirklich absurd. Ich saß mit Reinblütern an einem Tisch. Und das nicht, um sie zu verhören und später einsperren zu lassen, sondern um mit ihnen zu essen !
Ich nahm den Suppenlöffel in die Hand und fragte mich dabei, wie viel verschiedenes Besteck es überhaupt auf dieser Welt gab? Für was brauchte man so viele unterschiedliche Gabeln, Messer und Löffel?
Beinahe wäre mir der Löffel wieder aus der Hand gefallen, als ich hektisch nach meinem Glas griff. „Sie mögen wohl keine scharfen Dinge?“ Nachdem sich mein Mund mit diesem widerlichen alkoholischen Getränk gefüllt hatte, merkte ich, wie das brennen in meinem Hals langsam nachließ. Herrgott, diese Suppe war so scharf, dass ich nicht einmal sagen konnte ob sie überhaupt nach Fisch schmeckte. „Also mir schmeckt sie ausgezeichnet“, warf meine Mutter ein und lächelte Frau Báthory an. Bildete ich mir das ein oder ignorierten Mutter und dieser Damianos sich mittlerweile gegenseitig? „Also, Herr Báthory wie lange leben sie bereits in Deutschland?“, fragte ich und versuchte so viel Nettigkeit hineinzustecken wie ich für ihn aufbringen konnte. Da ich tatsächlich mehr über die Báthory‘s herausfinden wollte, konnte ich mich nicht noch unbeliebter machen. Desto weniger würden sie mir wohl Offenbaren. Und dafür war ich ja schließlich hier, um herauszufinden wer diese Reinblüter waren, die meine Mutter hier am Leben ließ. „Ich lebe seit 1982 hier. Meine Mutter jedoch länger, wenn man die Zeit im Gefängnis mit berechnet.“
„Gefängnis?“, diese Frage stellte ich meiner Mutter, die meinen Blick auffing und den Löffel wieder sinken ließ, den sie sich gerade in den Mund schieben wollte. Ihr schien diese grässlich scharfe Suppe tatsächlich zu schmecken, unglaublich … „Nachdem Frau Bathory aus ihrem Zimmer in ihrer Burg freigelassen wurde, hat man sie für tot erklärt. Wir hatten es so aussehen lassen, als hätte sie sich selbst umgebracht, indem sie ihr Zimmer in Flammen legte. Dadurch war sie zu Asche verbrannt. Sie wurde dann in unser Gefängnis überführt.“
„Fast vier Jahre war ich auf meiner Burg eingesperrt“, unterbrach Frau Bathory meine Mutter. „Und dann? Man hat mich in ein fremdes Land verschleppt und irgendwo eingekerkert. Wie kommt man nur auf diesen Gedanken Vampire einzusperren, die so lange leben? Über Jahrhunderte in diesem Gefängnis zu leben, war schlimmer als der Tod. Selbst diese 4 Jahre waren besser, als die darauffolgenden 400 Jahre in diesem Gefängnis.“
„Mutter bitte“, bat Damianos sie zornig. „Zerstöre doch wenigstens diesen Abend nicht mit deiner mitleidigen Lebensgeschichte.“ Diese bitte war allerdings eher eine Drohung, so wie er sie dabei anblickte. Dabei fing es gerade an interessant zu werden, denn wie ich mir bereits dachte, mochte seine Mutter uns wohl nicht besonders und zum ersten Mal, war diese gegenseitige Ablehnung hier in dieser Runde zu spüren gewesen. Ich staunte, als sie verstummte und sich weiter ihrem essen zuwandte. Das was ihr Sohn da gerade zu ihr gesagt hatte, war selbst für mich zu hart ausgedrückt. „Das hieß, sie wurden 2011 wieder Freigelassen? Was meiner Meinung nach niemals hätte geschehen dürfen, nachdem was sie über all die Jahre angerichtet haben. 650 tote Frauen Wahnsinn.“ Ups, wollte ich nicht lieb und nett sein? Aber wie konnte man zu jemandem Nett sein, der über Jahre hinweg Frauen ermorden ließ, um des Öfteren ein schönes Blutbad zu nehmen? Das war zu krank! Meine Mutter verschluckte sich und gespielt besorgt blickte sie zu mir. „Amy, würdest du bitte …“
„Es war tatsächlich 2011“, fuhr er meiner Mutter abermals ins Wort und so langsam schien sich mein Verdacht zu bestätigen, dass er meine Mutter ignorieren wollte. Warum nur? „Ich kam 1982 hier her, kaufte mir dieses Grundstück und ließ diese Villa renovieren. Ich reiste zeitweilig durch die DDR und BRD und irgendwann dachte ich mir, könnte ich meiner einzigen noch lebenden Verwandten etwas Gutes tun.“ Ich verkniff mir mein Lachen, auch wenn ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Eines wusste ich bereits mit Sicherheit. Er hatte keine gute Beziehung zu seiner Mutter. Obwohl, vielleicht waren das auch nur die typischen Reinblüter Familienbeziehungen? Woher konnte ich auch wissen, in wie fern Reinblüter Liebe oder Zuneigung zeigten? Sofern sie denn überhaupt Liebe kannten, denn in ihnen gab es ja nichts Menschliches mehr. In ihren Adern floss schließlich nur noch das Blut Satans. Und machte nicht gerade die Fähigkeit zu lieben einen Menschen zu einen Menschen?
Ich ließ die Suppe aus und nahm mir ein paar spieße mit Gemüse und Obst. Nach ein paar Minuten entstand eine lange schweigende Pause, als alle sich ihrem essen zuwandten. Allein dieses geschichtliche wissen, was diese Vampire besaßen, hatte uns wohl geholfen unsere eigene Geschichte besser zu verstehen. Ich fragte mich, was er alles schon gesehen haben musste. Ob es selbst für ihn dinge gab, die er nicht kannte, die er noch nicht gemacht hatte und über die er einfach nichts wusste.
Der nächste Gang kam schneller als erwartet und so konnte dieses Spektakel seinen weiteren Lauf nehmen.
Wie sich herausstellen sollte, blieb es auch nicht bei diesen zwei Gängen. Nein es waren ganze 4! Allesamt ungarischer Herkunft. Sogar der Wein, der zu jedem Gang neu aufgetischt wurde, stammte wohl von dort. Meine Mutter verhielt sich ziemlich schweigsam während ich Damianos regelrecht ausquetschte. Was versteckte er wohl hinter seiner - Ich bin so unwiderstehlich, dass mich alle vergöttern - Maske? Er war ein sehr redegewandter Mann und hatte auf jede meiner Fragen eine zweideutige Antwort parat, die ich gekonnt ignorierte. Ich war wirklich ein bisschen neidisch über sein langes Leben. Er berichtete mir mit Freuden, wo er alles schon gewesen war. Von seinem Heimatland, mit den Grünen Wiesen, den Wäldern oder dem Balatonsee, einem mittlerweile sehr begehrten Ausflugsziel bei Touristen. Er erzählte mir, wie es war, im Mittelalter zu leben und wie es mir schien, war er sichtlich froh darüber, dass diese Zeiten nur noch Geschichte waren. „Was war da eigentlich an diesen Hexenverbrennungen dran? Gab es damals wirklich welche?“
„Warum denken sie, dass ausgerechnet ich das wissen könnte?“, fragte er verschmitzt und hob die Brauen. „Sie sind doch ein Vampir oder nicht? Und ich dachte sie wissen alles, was auf dieser Welt vor sich geht? Vor allem über alles Übernatürliche?“ Herausfordernd lächelte ich ihn an und betonte dabei das Wort - Übernatürliche - besonders. Etwas hatte er an sich. Es war eine gewisse Faszination die er auf mich ausübte. Ich glaube, jeder in meiner Situation wäre neugierig darüber, wie es in den Jahrhunderten zuvor gewesen sein musste. Bis jetzt, hatte ich mir nie die Zeit genommen, mich mit den Mischblütern darüber zu unterhalten. Warum auch? Es war nicht Bestandteil meiner Aufgaben und ich wollte mich mit ihnen auch nicht länger abgeben, als ich musste. Aber dies hier, war etwas anderes. Er war ein Reinblüter. Er war tatsächlich etwas Besonderes - was ich ihm natürlich niemals sagen würde, da er ohnehin schon viel zu sehr von sich selbst überzeugt war. Allerdings begann ich dies an ihm zu schätzen. Ich begann zu begreifen, dass ich mit solchen Männern tatsächlich besser klar kam, als mit diesen Weicheiern, die so schüchtern und zurückhaltend waren, dass sie nicht auf eine Frau zugehen konnten. Die einfach keine eigene Ausstrahlung besaßen, weil sie lieber nicht auffallen wollten. Damianos hingegen polarisierte gerade zu. Alles was er tat, seine Schritte, seine Haltung oder seine Worte sprachen von Stolz und Würde. Genau wie bei seiner Mutter. Das war es, was Reinblüter zu Reinblüter machte, dachte ich. Sie hatten nie Angst, sie hatten keine Schwäche und das brachte ihnen meinen Respekt ein. Wenn ich da an die Mischblüter dachte, die alle irgendwann Angst bekommen hatten, nachdem sie mich beleidigten oder bedrohten und bemerkten, dass unsere Leute - die mich natürlich beschützten, etwas drauf hatten. Ich hatte keine Skrupel, ihnen ein Messer zwischen die Brust zu rammen, aber erstens war ich dafür nicht befugt genug, da ich zu einer anderen Abteilung gehörte und zweitens wollte ich so etwas nicht tun. Es war und bliebe immer ein Mord und ich wollte mir meine Hände nicht an ihnen schmutzig machen.
Außerdem konnte man mit Damianos merkwürdigerweise gut plaudern, wenn man sich an seine Persönlichkeit gewöhnt hatte, was allerdings nicht hieß, dass ich ihn leiden konnte oder ihm nicht mehr misstraute. „Hexen gab es nie. Aber da es Vampire gab, und unsere Existenz unter den Menschen bekannt ist - wenn auch als Mythos, erfanden sie so manche fiktiven Geschichten. Tatsächlich bin ich in den mehr als 400 Jahren weder einer Hexe, einem Werwolf noch einer Fee begegnet.“ Natürlich hatten wir das die Mischblüter schon oft gefragt in diesen Jahrhunderten unserer Existenz. Sie waren die Quelle all unseres Wissens. Da auch er, als Reinblüter uns das bestätigte, war ich beruhigt darüber, dass die Menschheit nicht noch mehr Feinde hatte, von denen sie nichts wusste. „Sie scheinen erleichtert darüber? Das überrascht mich, wäre es nicht faszinierend noch mehr Wesen zum erforschen zu haben?“
„Eher nicht, nein“, erwiderte ich. „Mir reicht eine Spezies, um die wir uns zu kümmern haben.“
„Die Mischblüter leben doch aber so gut mit den Menschen zusammen, finden sie nicht auch? Sie fallen überhaupt nicht mehr auf. Sie gehen arbeiten, einkaufen, ins Kino. Also sollten sie sich etwas Entspannen.“
„Entspannen werde ich erst, wenn ihre Sippe ausgerottet ist.“ Erneut verschluckte sich meine Mutter, die sich bis dahin mit Frau Báthory über irgendwelche Blumen unterhalten hatte. Scheinbar hatten sie uns dennoch belauscht. Mittlerweile schien sie jedoch aufgehört zu haben, mich tadeln zu wollen. Vielleicht um zu verhindern, dass Damianos sie erneut daran hindern konnte. „Wir hatten uns gerade so gut unterhalten und sie fangen schon wieder mit diesen Boshaftigkeiten an, dass ist wirklich bedauerlich. Gerade wollte ich ihnen erneut das Du anbieten.“ Ich lachte ihn aus und er schenkte mir dafür einen wütenden Blick. Auch wenn dieser schnell wieder verschwunden war und sich seine Miene wieder glättete, war es mir dennoch nicht entgangen. „Ich weiß ja nicht, welchen Eindruck ich ihnen übermittelt hatte, aber mein Interesse an ihnen gilt einzig und allein der Sammlung von Informationen. Das Du wäre vollkommen nutzlos.“ Wann hatte ich eigentlich gelernt, mich so gut ausdrücken zu können? „Das wird sich sicher schon bald ändern“, verkündete er. Ehe ich ihn fragen konnte, was er denn damit bitte schön andeuten wollte, kam der letzte Gang, den ich eher weniger anrührte. Ich hatte nicht so einen Hunger, dass ich vier Gänge - oder eher Drei nach der grässlichen Suppe, verdrücken könnte. Meine Mutter hingegen aß alles restlos auf. Wer weiß, wann sie das letzte Mal etwas Richtiges gegessen hatte? Ob sie für sich selbst kochte? Die Frage, wie sie wohl ohne mich lebte, schweifte durch meinen Kopf wie dunkle Nebelschwaden. Ich wollte nicht an so etwas denken, am Ende würde ich mir nur Sorgen machen und das, hatte sie nicht verdient.
Die Diener kamen mit dem essen, schenkten uns Wein ein und gingen wieder. Jeder von ihnen wurde von mir genauestens unter die Lupe genommen. Auch als wir uns durch das Haus bewegten, um zu einem anderen Raum zu gelangen, begutachtete ich jeden einzelnen von ihnen, der uns über den Weg lief. Egal was ihre Vorfahren für ein Leben geführt hatten. Warum traten sie in dessen Fußstapfen und arbeiteten hier als Diener für diese Reinblüter? Immerhin schrieben wir das Jahr 2016! Vielleicht entdeckte ich ja doch eine kleine Bisswunde seiner Dienstmädchen, die er des Nachts mit zu sich ins Bett nahm. Wobei ich bezweifelte, dass er so dumm war und sie vor uns herumsprangen ließ. „Wie sehr sie es auch versuchen, sie werden keine Wunden entdecken, um mich aus dem Weg zu schaffen“, sagte er selbstsicher und riss mich aus meinen Gedanken. „Wir werden sehen“, entgegnete ich spielerisch. Elegant führte er sein Weinglas zu seinem Mund, welches er sich mit auf den Weg genommen hatte, und ließ mich dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. Wie viel konnte ein Reinblüter vertragen, bevor er noch gesprächiger werden würde? Seine angeberische Art missfiel mir aber dann auch wieder nicht. Hasste ich nicht diese Personen, die dachten sie seien etwas Besseres? Er war ein einziger Wiederspruch für mich. „Wie ist es so, 428 Jahre alt zu sein?“, fragte ich ihn weiterhin neugierig. „Sie haben so viel gesehen und erlebt, aber ist das auf Dauer nicht langweilig?“ Interessiert begutachtete ich die Gemälde an den Wänden, während er mir seine Antwort gab. Auch eine Art Leinwand, welche wohl diesen ungarischen See darstellte, war unter den vielen Gesichtern seiner Verwandten. Dass unsere Mütter währenddessen schon längst verschwunden waren, interessierte mich nicht. Ich hatte keine Angst vor ihm und seine Mutter, war mir bei weitem unheimlicher, als dieser Möchtegern König. Und ja, ich gab zu ich mochte unsere kleinen Sticheleien. „Langweilig auf keinen Fall. Man hat sehr viel Zeit, die Welt kennenzulernen. Allerdings war es wirklich schwierig, sich immer wieder dem Wandel der Zeit zu beugen oder vor den Kriegen zu fliehen, die die Menschheit anzettelte. Deshalb bin ich nicht traurig darüber, dass auch ich nun altern und diese Welt verlassen kann. Wie sie schon sagten, findet alles irgendwann einmal ein Ende.“ Das konnte ich mir gut vorstellen. Was er alles erlebt haben musste … Den Zweiten Weltkrieg, Tschernobyl, die 50ziger, oder die Wende waren da wohl nur ein paar Beispiele. „Ich beherrsche im Übrigen fast alle erdenklichen Sprachen dieser Welt akzentfrei.“
„Ist ja der Wahnsinn“, sagte ich mit falscher Begeisterung. „Was ist mit ihnen? Sind sie gereist?“, fragte er und ich fuhr mit dem Finger über den Rahmen des Portraits von Stephan Báthory, dies stand zumindest unter dem Bild. Nicht der Hauch von Staub, unglaublich. Jetzt begann ich wieder daran zu zweifeln, dass es keine Hexerei gab. Kein einziges Staubkorn war an den Rahmen oder den Schränken dieses Flures. Unmöglich bei so einem riesigen Haus voller Staubfänger. „So lange, wie noch immer grundlos Menschen umgebracht werden, habe ich keine Zeit für solche Belanglosigkeiten“, erwiderte ich knapp. Mein Leben ging ihn so viel an, wie das Sexleben von Obama. „Nicht alle Vampire sind so.“
„Sicher. Sie sind da natürlich ganz anders als die Mischlinge. Sie sind höflich und gutmütig“, meine Stimme quoll förmlich vor Sarkasmus über und wie zu erwarten war, umspielte ein amüsiertes Lächeln seine Lippen. „Es kommt immer auf die Person an, die mir gegenüber steht.“ Was meinte er nun wieder damit? Meine Augen funkelten in seine Richtung. „Geben sie hier gerade zu, dass sie alle Leute die ihnen im Wege sind, einfach verschwinden lassen?“
„Aber nicht doch. Ich meine damit nur, dass ich Personen unterschiedlich behandle, je nachdem, was ich mir von ihnen erhoffe. Außerdem können sie mir glauben, ich würde mir niemals selbst die Hände schmutzig machen, höchstens im Notfall.“
„Oh, dann lassen sie also für sich morden? Das ist auch eine Variante. Lassen sie mich raten: Sie halten sich ein paar Mischblüter als Handlanger für ihre kriminellen Machenschaften?“ Damianos lächelte mich weiterhin unverfroren an, als redeten wir über niedliche Häschen und Kätzchen. Verstand er nicht, wie ernst diese Unterhaltung für ihn werden könnte? Wahrscheinlich war er sich einfach nur zu sicher, dass niemand ihm etwas anhaben konnte. „Sie haben eine blühende Fantasie“, gab er nur als Antwort. Ich glaubte kaum, dass ich noch irgendetwas Brauchbares aus ihm herausbekommen würde. Zu schade, aber er war einfach zu undurchdringlich und zu schlau. Es gab keinen anderen Weg, als anderweitig an Informationen zu gelangen. Ich kaufte ihm und seiner Mutter diese Nettigkeit einfach nicht ab. Niemals! Das waren nicht ihre wahren Gesichter. Aber was waren ihre eigentlichen Absichten? Der Flur endete schließlich erneut in der Eingangshalle und Damianos begleitete mich die Treppe nach oben, auf die nächste Etage dieses Labyrinth‘ aus Fluren und Bildern. Über Geschmack ließ sich bekanntlich streiten. Alles sah hier so verdammt gleich aus, und für jemanden, der sich hier nicht auskannte, war diese Villa ziemlich undurchsichtig. Einzig an den Bildern könnte man sich orientieren. Wofür benötigten zwei Vampire so viel Platz? Oder schliefen diese Diener, etwa auch hier? Hatten sie überhaupt ein eigenes Leben als Diener?
Indem Zimmer angelangt, ließ er mich - ganz wie ein Gentleman, zuerst den Raum betreten. Einer der angestellten verbeugte sich kurz vor uns, bevor er aus dem Raum verschwand. Ganz so, als wäre er nie hier gewesen. Der Raum bestand größtenteils aus Bücherregalen, die mindestens 3 Meter hoch waren und nur von den wandhohen Fenstern überragt wurden. Ein großer, imposanter Schreibtisch stand in der einen Ecke, hinter dem ein extrem großes Porträt seines Vaters hing. Ich schloss daraus, dass er ihn wohl mehr geliebt hatte, als er seine Mutter wohl jemals lieben würde. Auf der anderen Seite stand eine Couch mit einem kleinen Tisch, auf dem bereits 4 Tassen mit Tee angerichtet waren und unsere Mütter bereits auf uns warteten. Meine Mutter warf mir ein paar fragende Blicke zu, als wir den Raum betraten. Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte mich zu ihr. Mittlerweile war es dunkel draußen und die Nacht war hereingebrochen. Der Himmel schien sternenklar durch die Fenster und der sichelförmige Mond, erleuchtete mit ein paar kleineren Lampen den Raum. Es kam mir vor, als würde der Mann auf diesem Porträt, das bestimmt ebenfalls gute 2 Meter war, mich beobachten. Es zog sofort die Aufmerksamkeit auf sich, wenn man diesen Raum betrat. Ob Damianos auch so aussehen würde, wenn er etwas älter wäre? Bis auf diese Augen, die in demselben Eisblau erstrahlten, erkannte ich allerdings keine Ähnlichkeit der beiden. Ich fühlte mich hier wirklich, als wäre ich in der Zeit zurückgereist. In eine Epoche, dir mir vollkommen fremd war, aber dennoch mein Interesse weckte. Alles im Inneren der Villa wirkte Antik, zwar immer noch edel und hochwertig aber eben nicht mehr zeitgemäß.
„Also, kommen wir doch nun endlich zur Sache und verraten sie uns, weshalb wir uns hier befinden“, warf meine Mutter prompt ein und ich fragte mich, weshalb sie es plötzlich so eilig hatte. „Was war ihr Anliegen an das Ministerium?“ Ungeduldig nahm sie einen Schluck aus ihrer Tasse. Ich tat es ihr gleich und schmeckte Minze mit einem leicht, Zimtigen Nachgeschmack. Welch komische Mischung. Es schmeckte nicht schlecht aber auch nicht wirklich lecker. Zumindest befand sich für mich zu viel Zucker darin und ablehnend stellte ich die Tasse wieder auf den Tisch zurück. „Wir möchten ihnen einen erneuten Vorschlag unterbreiten, der ihnen auf dem ersten Blick betrachtet, sicher nicht gefallen wird“, begann Damianos und ich runzelte die Stirn. „Sie wissen, dass ich kein Freund von großen Schlachten bin. Das Blutvergießen beider Seiten dauert bereits zu lang.“
„Das verstehe ich“, warf meine Mutter ein und stellte die Tasse mit einem klirren, etwas zu unsanft auf dem Tisch ab. „Was haben sie vor?“, fragte sie misstrauisch.
„Wir wollen die alleinige Kontrolle über das Schicksal unserer Vampire. Wir fordern die Auflösung der Exekutionsabteilung.“