Читать книгу Schwesterkomplex - Mandy Hopka - Страница 5
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Оглавление„Gib mir mal die Farbe“, bestimmte ich schon fast, als ich zu meiner Kollegin hinunterblickte. Ich stand auf einem kleinen Hocker, um einen besseren Blick in den Farbkasten der Maschine werfen zu können. Die Druckmaschine war gute 2 Meter hoch und ich leider nur 1,67.
Jenny reichte sie mir ohne Widerrede und blickte mich hoffnungsvoll an. Mit dem Spachtel nahm ich ein bisschen was von der frischen, schwarzen Farbe und mischte sie mit der, die bereits in der Maschine war. Danach stieg ich zu ihr hinunter und versuchte ihr Mut zu machen, indem ich ihr ein aufmunterndes lächeln schenkte. Jenny war als Azubi noch recht neu bei uns in der Firma und ja, auch ich kannte diese Aufträge nur zu gut, die einfach nur beschissen aussahen und man sich fragte, weshalb der Endkunde das nicht auch sah und diesen Rotz nicht reklamierte. Aber so war das in der Verpackungsproduktion nun mal. Man gab viel Geld für ein paar Etiketten aus, die schlussendlich niemanden interessierten und nach wenigen Tagen mit der leeren Verpackung wieder im Müll landeten. Da denkt niemand an den ganzen Frust und Ärger, den ein anderer damit gehabt hatte.
„Probier es jetzt mal. Die Farbe ist viel zu flüssig für das Material. Das nächste Mal einfach weniger Verdünnung.“ Ich klopfte ihr auf die Schulter und sie blickte mich dankend an. Ich mochte dieses 18-jährige Mädchen. Kein Vergleich zu den anderen Azubis. Sie war einer der wenigen, die noch Nett, zuvorkommend und respektvoll mit älteren Leuten umging und vor allem noch Deutsch redete, anstatt Denglisch, oder wie man es auch nannte. „Danke, Jane!“ Fast schon viel sie mir um die Arme, so dankbar war sie mir.
Ich ließ das Mädchen wieder allein und trottete zu meiner Maschine zurück. Allerdings nicht, ohne einen Blick auf die Uhrzeit zu werfen. Gott sei Dank war es fast 22 Uhr und der Feierabend in greifbarer Nähe. Nur zu schade, dass morgen der Tag, der Tage war. Eigentlich war mir heute auch gar nicht nach lächeln zumute. Tatsächlich hatte ich sogar richtig miese Laune. Aber wenn jemand meine Hilfe benötigte, konnte ich sie ja auch schlecht wegschicken, mit der Begründung, meine Ruhe haben zu wollen.
Als ich an meinem Tisch ankam, der neben meiner Maschine stand, die noch immer fleißig ihre Etiketten druckte und aufrollte – die ja wie bereits erwähnt, so oder so wieder im Müll landeten, erblickte ich Anna. Wir hatten zusammen die Lehre gemacht und standen uns seitdem sehr nah. Nach der Mittelschule war sie meine erste richtige Freundin gewesen.
„Isst du schon wieder meine Oreos auf?“, fragte ich sie empört, als ich ihren Mund sah, der sich verdächtig hob und senkte. „Ich liebe diese Dinger einfach“, gab sie mit vollem Mund zu und ich zog einen Schmollmund. „Du weißt schon, dass die teuer sind?“ Ich lehnte mich an den Tisch, während sie gelangweilt auf meinem Stuhl herumlungerte und sich mit einem Selbst gefalteten Fächer Luft zu fächerte. Noch hatten wir Frühling, aber in diesen Hallen spürten wir schon jetzt, dass es eindeutig wärmer wurde. „Ich bringe dir in der nächsten Spätschicht, welche mit, versprochen!“
„Wer’s glaubt“, antwortete ich und blickte auf mein Handy. Ja es war Verboten, aber waren Verbote nicht da, um gebrochen zu werden? Was sollte ich auch machen? Ein Selfie mit meiner Maschine oder mit diesen Etiketten?
Gelangweilt öffnete sich Facebook fast schon von selbst. Der einzige Ort, wo man mit allen, die man mal getroffen hatte, irgendwie noch verbunden war, obwohl man sich ja im Grunde gar nicht mehr für sie interessierte. Früher waren es Freunde gewesen, vielleicht sogar enge Freunde, aber heute waren die meisten doch nur noch Gesichter und Erinnerungen unserer Vergangenheit. Man kommunizierte doch fast nur noch über Kommentare, Reaktionen oder ein paar coolen Emojis. Man las was sie erlebten, spionierte ihnen hinterher, ohne dass man den drang verspürte, mit ihnen wirklich in Kontakt zutreten. Die wenigsten dort, kannte man wohl persönlich und noch weniger von ihnen, traf man wohl auch im echten Leben.
Aber um die Zeit totzuschlagen war es ganz amüsant. Irgendwo waren wir doch alle neugierig. Das lag in der Natur des Menschen.
Ich stöhnte genervt, als ich das Bild von Jessica sah. Es prangte auf meiner Startseite ganz oben, als würde ich sowas von scharf darauf sein, zu wissen, was meine Schwester machte oder postete. Ich dachte, Facebook sammelt all unsere Daten? Konnten sie dann nicht auch wissen, dass ich lieber nichts von ihr sehen wollte? Anna blickte interessiert zu mir und fragte sich wohl, was ich entdeckt hatte. „Schau dir das an“, rief ich und zeigte ihr das Bild. Natürlich wusste Anna alles über mich und meine Sis. Anna war immerhin auch bereits Zeuge, von ihren heißen Nächten mit Charlie geworden. Einer der Gründe, weshalb wir damals zu Ausbildungszeiten lieber bei ihr übernachtet hatten, als bei mir. Unglaublich, dass es schon 8 Jahre her ist, dass wir uns zum ersten Mal begegnet waren, …
Sie stellte sich immer hinter mich und hasste Jess wohl ebenso wie ich. Wie eine richtige beste Freundin eben.
Sie lächelte verschmitzt. „Morgen ist es soweit. Bin mega aufgeregt. Wir sehen uns dort, XOXO“, las ich übertrieben eingebildet vor. „Tja aber verstehen kann man sie. Immerhin hat sie ihr Studium endlich abgeschlossen und schon einen richtig dicken Fisch an Land gezogen.“ Ich schnaubte verachtend und blickte auf das lächelnde Gesicht meiner Schwester. Zumindest bis ich bemerkte, dass man fast ihre Nippel im Ausschnitt sehen konnte. „Ach, die hat ihm ihre Titten gezeigt und wahrscheinlich durfte er einmal über sie drüber rutschen und das war’s.“ Anna verdrehte die Augen. „Warum denkst du sonst, spendiert dieser Kerl ihr eine Party? Nur um ihr bestandenes Studium zu feiern? Nur, um zu feiern, dass sie ihm den Arsch retten darf, wenn es darauf ankommt? Wer macht so etwas, außer meine Eltern?“
„Manche Menschen haben eben Geld. Was sollen sie sonst damit machen?“ Abwesend schob ich mein Handy wieder in meine Tasche zurück und mit einem Kopfschütteln stieß ich mich vom Tisch ab und begutachtete meine Produktion. „Sie könnten es an arme Kinder oder Hundewelpen spenden. Alles wäre logischer, als das!“
„Freue dich doch, so bezahlen deine Eltern weniger.“ Wieder schnaubte ich belustigt. „Das glaube ich erst, wenn sie ausgezogen ist und von meinem Vater keinen einzigen Cent mehr verlangt.“ Ich fing ihren Blick auf, als ich zu ihr an den Tisch zurückkehrte. „Warum kommst du nicht mit? Sie hätte bestimmt nichts dagegen?“, fragte ich sie, jedoch las ich ihre Antwort bereits an ihrem Gesicht ab. „Tut mir leid, aber ich hab mit Tommy schon was vor. Wir gehen ins Kino zum neuen Transformers Film. Aber warum gehst du eigentlich hin? Seit wann lässt du dich zu etwas zwingen? Und erst recht, wenn es um dein Wochenende geht?“ Ich presste die Luft aus meiner Lunge, die in diesen Hallen voller Lösemittel und Chemikalien sicherlich nicht sehr gesund war. „Meine Mutter. Sie würde mich umbringen, wenn ich nicht mitkomme. Glaub mir, ich mache das sicher nicht freiwillig, aber ich will sie nicht verletzen. Sie können ja nichts dafür, dass wir uns nicht grade lieben. Ich bin schon froh, dass wir mittlerweile eine halbwegs, normale Familie sind.“ Denn tatsächlich hatte der Umzug mehr bewirkt, als gedacht. Es war ein schönes Gefühl, wenn Mom mir sagte, dass sie mich vermisste. Was etwas war, was ich früher wirklich nicht gedacht hätte und dadurch, das Jessica und ich uns jetzt weniger sahen, geritten wir auch nicht mehr so oft aneinander.
Anna zuckte mit den Schultern, richtete sich auf und schob den Stuhl wieder zurück. „Du schaffst das schon. Was ist auch dabei. Du tanzt ein bisschen, trinkst ein paar Cocktails und wenn der Saal, den dieser Typ gemietet hat, tatsächlich so groß ist, kannst du ihr prima aus dem Weg gehen.“ Ich wusste, dass sie recht hatte, aber ich hasste es dennoch. Ich verstand einfach nicht, wer dumm genug war, so viel Geld für jemanden auszugeben, den er ohnehin auch noch bezahlen musste. Aber ich wusste auch nicht viel über diesen Job oder diesen Mann. Nur, dass er eine große Firma besaß und Jessica als Firmenanwältin einstellen wollte. Also warum dann dieser ganze Aufwand? Er war ja wohl kaum der Chef von Microsoft oder Apple! Und selbst die hatten bestimmt besseres zu tun!
Ich hatte mich extra in eines der schönsten Kleider gequetscht, dass ich besaß. Es war ja nun nicht so, dass ich mich nicht auch gern mal hübsch machte – okay, im Grunde hatte ich nur keine Lust auf die Beleidigungen meiner Schwester. Wenn ich nun in den Spiegel blickte, konnte ich jedes Mal spüren, wie mein Selbstbewusstsein anstieg. Es war wirklich beschämend, dass ich nur deshalb so selbstbewusst war, weil ich ein bisschen Make-up und ein hübsches Kleid mit hohen Schuhen trug. Als würde ich mich nur so schön fühlen können. Wenn ich mich am Morgen im Spiegel betrachtete, mit den Pickeln, die sich in meinem Gesicht verloren hatten, den langen, zerzausten Haaren und den nicht gerade gleichmäßig gezupften Augenbrauen, verspürte ich kaum mehr Selbstachtung. Wann hatte ich nur angefangen zu glauben, ich könnte mich jemals wieder akzeptieren? Wahrscheinlich war das vor ihm gewesen. Vor meinem dritten Ausbildungsjahr. In der Zeit, wo alles rosarot und schön gewesen war.
Meine sonst so glatten, braunen Haare, hingen dieses Mal gelockt von meiner Schulter und bedeckten den Ausschnitt meines rubinroten Kleides. Jessica hatte mir extra befohlen nichts Blaues anzuziehen. Diese Farbe gehörte ihr. Denn wie sie meinte, würde diese ihre Augen Perfekt unterstreichen. Bla, bla, bla.
Es war lang und reichte mir bis kurz vor meinen Knöcheln, sodass man meine hübschen, nicht ganz so hohen schwarzen Pumps gut sehen konnte. Welche Frau liebte denn bitte schön keine Schuhe? Die untere Hälfte des Kleides war aus leichtem Tüll, sodass sich der angenehme Stoff bei jeder Bewegung um meine Beine schlang. Gerade, als ich mir meine Kette umgelegt und meine unechten, Rose goldenen Ohrringe angesteckt hatte, klingelte es auch schon an meiner Tür. Hastig schnappte ich mir meine Handtasche und meine Jeansjacke und marschierte zu meinen Eltern hinunter, die bereits vor dem Haus parkten. Meine Mom umarmte mich herzlich und drückte mir einen dicken Schmatzer auf meine Wange. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wie mir all die Jahre, genau das gefehlt hatte. Diese Zärtlichkeiten hatte es früher nie gegeben. Da gab es nur kummervolle Blicke und vorwurfsvolle Ratschläge zur Verbesserung meines Lebens. Vielleicht hatten sie jetzt einfach eingesehen, dass ich anders war als Jess?
„Hallo, Mutti“, begrüßte ich sie. Da sie mich so vergnügt anlächelte, lächelte ich zurück, auch wenn ich wusste, dass dieses so freudige Lächeln nicht mir galt, sondern der bevorstehenden Feier meiner Schwester. Ich konnte ihren stolz in ihren Augen glitzern sehen und mein Magen krümmte sich vor Eifersucht. Nie hatte sie für mich so gelächelt, sich so für mich gefreut, selbst als ich meinen Abschluss gemacht hatte. Aber was war schon eine billige Lehre, gegenüber einem Jurastudium …
Ich hatte sowas von keine Lust auf diesen Abend. „Sieh dich an, du bist genauso schön wie Jessica.“ Auch mein Vater umarmte mich und zwinkerte mir anerkennend zu. Na ja, wenn er meinte. Ich wusste, dass mir dieses Kleid stand. Es betonte meinen Po und kaschierte meine wenig vorhandene Oberweite. Durch meine offenen und langen Haare hatte ich auch gelernt, meinen breiten Rücken kaschieren zu können. Vielleicht war das ja auch nur Einbildung, aber der Mensch bildete sich ohnehin zu viel ein. Er dachte viel zu viel über solche Dinge nach und zerbrach sich den Kopf nach Lösungen, die am Ende ohnehin niemanden interessierte. Hatte ich gelernt durch meinen Job so zu denken?
Als wir ankamen, staunte ich in der Tat nicht schlecht. Ich hatte aus Erzählungen meiner Schwester gewusst, dass der gemietete Saal groß, modern und in einer schönen, ruhigen Gegend liegen würde, aber dies hier überschritt alles, was ich mir darunter vorgestellt hatte. Das Haus lag am Rande eines Waldes und ein großer, mit Blumenbeeten und Bänken verzierter Rasen erstreckte sich vor diesem pompösen Haus. Jetzt – im Frühling, begann alles wieder zu blühen und wohl auch deshalb lag eine gewisse Atmosphäre über diesen Ort. Laternen erleuchteten die Wege, die den Rasen unterbrachen. Die Sonne stand schon so tief, dass die Bäume des Waldes kalte Schatten warfen. Ich zog die Jacke enger an mich. In den letzten Stunden hatte sich die angenehme Frühlingsluft ziemlich abgekühlt und ich bekam bereits eine Gänsehaut, von dem kalten Wind, der aufkam. Sofort erkannte meine Mutter Jess, die am Eingang stand, um ihre Gäste zu begrüßen. Wie zu erwarten trug sie ein wunderschönes, Kornblumenfarbenes Kleid, welches ihr nur knapp über den Po reichte. Allerdings war dieser Ausschnitt auch nicht ohne …
Konnte sie sich damit überhaupt bücken, ohne dass vorne alles herausfiel oder hinten ihr Arsch herausrutschte?
Während unsere Eltern überglücklich lächelten und Jess fest umarmten, schaffte ich es gerade mal halbherzig zu grinsen. „Alles Gute, Jess“, entgegnete ich und begutachtete ihre silbernen Kreolen, die an ihren Ohren baumelten und sicherlich einen Durchmesser von 7 cm hatten. Ihr Haar hatte sie zu einer schicken Hochsteckfrisur zusammen gebunden und mit Diamanten besetzten Spangen versehen. Na ja diese Diamanten waren unecht, das war keine Frage. Oder aber, eine Spende von ihrem Wohltäter. Oder Zuhälter … „Danke“, sagte sie knapp, bevor sie unsere Eltern so zuckersüß anlächelte, als wäre sie die gute Fee. „Ist es nicht wunderschön hier? So idyllisch und trotzdem modern und elegant. Kein Wunder, dass die Leute hier gern Heiraten. Ich möchte unbedingt meinen Geburtstag auch hier feiern, Papi“, sagte sie und blickte über die schöne Landschaft. Das war ja klar. Ich glaubte kaum, dass sie diese Feier allein bezahlen wollte. Auch, wenn sie ja jetzt schließlich selber Geld verdiente – wohlgemerkt! Mein Vater lächelte natürlich liebevoll, wenn auch besorgt. „Wie könnte ich dir einen Wunsch abschlagen, Prinzessin.“ Ich kotz gleich. „Das war in der Tat wirklich großzügig von deinem neuen Chef“, meinte ich provokant und verschränkte die Arme vor der Brust. Stolz lag in ihren Augen. „Was willst du damit andeuten, Schwesterherz?“ Ablehnend schüttelte ich den Kopf. Ich war heute wirklich nicht in der Stimmung, mit ihr einen Krieg zu starten. Am Ende wäre ich eh wieder die böse. Nein danke! „Ihr könnt ja schon mal hereingehen. Die Treppe hoch und dann hört ihr sicher bereits die Musik.“ Wieder lächelte sie, als wäre sie die Königin der Welt. Na das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Während meine Eltern noch bei ihr blieben, um ihr vermutlich noch zusagen, wie stolz sie auf sie waren, machte ich mich auf die Suche nach dem Saal, den dieser spendable Heer reserviert hatte. Scheinbar gab es hier mehr Zimmer, als in dem ganzen Haus, indem ich wohnte. Aber es war wirklich schick hier, dass konnte man nicht leugnen. Alles hier drinnen war im Barockstil gehalten. Große goldenen Kronleuchter hingen von den Decken. Dicke, verschnörkelte, weiß lackierte Eichentüren verschlossen mir die Sicht auf die anderen Räume und sogar die Tapeten und Fußböden wirkten zwar Alt aber durchaus edel auf mich. Ich war mir sicher, dass sie hier gut ausgebucht waren. Fast schon fühlte ich mich wie bei den Royals persönlich.
Jess hatte recht, man brauchte nur dem klang der Musik zu folgen und schon stand man vor einer großen Flügeltür, die weit offen stand. Ich atmete noch einmal tief durch, warf noch einen flüchtigen Blick auf den goldenen Türgriff und betrat dann den Raum. Ich wusste, was jetzt auf mich warten würde.
„Oh, Jane, wie schön dich zu sehen!“ Tante Ines trat auf mich zu. Sie war zwar die Neugierde in Person, aber irgendwie mochte ich sie trotzdem. „Schön dich zu sehen“, begrüßte und umarmte ich sie. Das ganze ging noch ungefähr eine halbe Stunde so weiter. Ja wir hatten eine Menge Verwandte. Allein mein Vater hatte 5 Geschwister, meine Mutter lediglich noch zwei Schwestern aber alle hatten Ehemänner, Kinder und sogar diese hatten schon Nachwuchs. Natürlich sollte man unsere Omas und Opas nicht vergessen. Und dann gab es da noch jede Menge junger, gutaussehender Hungerhaken, von denen man sofort wusste, dass sie zu meiner Schwester gehörten. Alle besaßen dieselbe arrogante Ausstrahlung. Gott sei Dank, bedachten sie mich nur mit höhnischen Blicken und kamen nicht zu mir hinüber stolziert, in ihren Prada Kleidern und ihren Taschen von Vuitton. Plötzlich fiel mir mit diesem Gedanken ein Satz aus einer Serie wieder ein. Da hatte mal jemand gesagt: Schöne Dinge, sind erst dann wirklich schön, wenn sie sich mit schönen Dingen umgeben.
Ich musste wohl wirklich weniger Serien schauen … Aber mal abgesehen davon, war daran auch etwas Wahres. Selbst der Prinz von Aschenputtel hatte sich erst in sie verliebt, als sie zur schönen Ballkönigin wurde. Wahrscheinlich hätte er sie vorher nicht einmal von der Seite angesehen. Diese Zicken sollten mich heute lieber in Ruhe lassen, denn ich hatte mittlerweile sehr gut gelernt, mich zu verteidigen. Zumindest mit Worten. Hätte ich das doch nur schon damals gekonnt!
Ja dieser Raum war unglaublich groß, aber durch unsere ganze Familie, wohl dennoch etwas zu klein. Als ich den Buffettisch sah, riss ich mich von Hilde –meiner Cousine, los. Klar, die meisten von ihnen waren wirklich okay. Aber ich mochte diese Familientreffen dennoch nicht. Wenn dich jeder fragt, wie es dir geht, was dein Job macht und ob du endlich auch einen Mann getroffen hast, kann dir das ziemlich auf die Nerven gehen. Besonders diese ständigen Fragen, nach meinem Liebesleben, nicht das es eines gäbe, nervten gewaltig. Natürlich gab es damals jemanden, aber an diesen jemand, wollte ich mich am liebsten nie wieder erinnern. Aus meinem Gedächtnis streichen, alles ungeschehen machen und so tun, als wäre nie etwas passiert … Das wäre wohl zu viel Glück für mich. Ich ermannte mich, nicht daran zu denken, denn jedes Mal, fühlte ich die innere Kälte in mir aufsteigen und sich um mein Herz legen. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre so empfindungslos wie meine Schwester. Vielleicht mochte ich diese Fragerei deshalb nicht.
Liebe war eben nicht mehr mein Thema. Und ich mochte es lieber, nicht daran denken zu müssen, wie einsam ich in meinem inneren war. Liebe gehörte nicht mehr zu meinem Leben. Wie sollte ich auch jemand anderes lieben können, wenn ich mich nicht mal selbst Akzeptierte? Seitdem das geschehen war, hatte ich nie wieder etwas für einen Mann empfinden können. Traurig aber ich hatte mich an die Einsamkeit gewöhnt, die sich jede Nacht heranschlich, wie ein kleiner, tot bringender Teufel. Aber es war meine Schuld, meine ganz allein, dass es jetzt so ist, wie es ist. Warum nur fanden sie es bei mir schlimm, dass ich seitdem – und das ist jetzt gute 5 Jahre her, keinen Freund mehr hatte, aber bei Jess war es egal, dass sie jedes Wochenende einen anderen hatte. War das etwa besser? Wohl kaum!
„Sie müssen Jane Roth sein, Jessicas Schwester.“
Ich drehte mich zu dieser tiefen, rauen Stimme herum, die Männlicher nicht sein konnte. Herrgott, das war kein Mann, das war Adonis in menschlicher Form. Ich konnte nicht anders, als ihn zu mustern. Seine Augen durchstachen mich und hielten mich gefangen, ließen mich zu Eis erstarren, während das Blut in mir zu kochen begann. Seine Haltung signalisierte Überlegenheit. Sein kantiges Gesicht, mit den vollen Lippen, seinen großen Augen und den hohen Wangenknochen sprachen von Selbstbewusstsein, vielleicht auch Arroganz. Diese dunklen, blauen Augen, strahlten etwas Sinnliches aber zugleich auch Unheilvolles und gefährliches aus. Umrahmt wurde dieses so markante Gesicht von kurzgeschnittenen, pechschwarzen Haaren. Ich wusste nicht genau warum, aber er wirkte einschüchternd auf mich. Vielleicht ja deshalb, da er so groß und breit war? Oder aber wegen diesen alles verschlingenden blicken. Er trug einen Smoking, in einem ebenfalls dunklen blau. Da er so viel anhatte, konnte ich diesen Körper nur erahnen, der sich darunter verbergen musste. Dennoch ragten gute 2 Meter Muskelmasse vor mir auf und ich musste denn Kopf beugen, um ihn anzusehen.
Dieser Mann war der Inbegriff von Stärke und Macht und ich spürte, dass man sich mit ihm lieber nicht anlegen sollte, da ich glaubte, dass diese starken Arme nicht nur den Einkauf tragen konnten.
Er strich sich durch seine kurzen Haare und dabei lächelte er so verdammt charmant, dass mein Herz zu rasen begann und ein Kribbeln durch meinen Körper jagte. Sowas war mir gänzlich neu. Ich hätte niemals gedacht, dass mein Herz jemals so schlagen würde. Dass mein Atem aus meiner Lunge wich und ich nicht dem Tode geweiht war, sondern einfach nur wie eine bekloppte vor einem Mann stand, der sich bestimmt gerade fragte, was ich für ein Problem hatte. Ich hatte bis jetzt immer geglaubt, dass ich nun gänzlich gefühllos gegenüber Männern wäre … Hatte es vor ein paar Minuten noch gedacht, bis er mich aus meinen Gedanken gerissen hatte. Nun aber kreisten sie einzig und allein um ihn hier. Mister Adonis, der seine Hände lässig auf seiner Hüfte liegen hatte, zumindest, bis er mir eine entgegenstreckte. Nur Zugern wollte ich sie entgegennehmen, aber sein intensiver Blick, ließ mich nicht. Hielt mich noch immer in meiner starre gefangen. Ich hatte noch nie zuvor einen Mann getroffen, der eine so einschüchternde Aura besaß. „Wenn ich mich vorstellen dürfte, Damien Blake, der neue Arbeitgeber ihrer Schwester.“ Ich spürte, wie ich ihn mit offenem Munde anstarrte. Blickte auf seine starke Hand, die nun weniger einladen auf mich wirkte. „Hallo“, sagte ich knapp während die Luft in meine Lungen zurückkam. Jetzt ergab alles einen Sinn.
Ich drehte mich erneut zu dem Tisch herum, da ich seinen intensiven Blicken nicht länger standhalten konnte und griff als Ablenkung nach einem Glas Sekt, die auf einem Tablett hübsch angeordnet waren. Ich hatte ihn mir nicht nur älter vorgestellt, bei weitem auch irgendwie … ekelhafter. Wie diese Leute eben sind, die für Sex jemanden eine solch kostspielige Party spendierten. „Ihre Schwester hat nie erwähnt, dass sie so attraktiv sind.“ Beinahe hätte ich den Schluck, den ich gerade genommen hatte, wieder in mein Glas zurück gespuckt. „Sie nehmen auch kein Blatt vor den Mund“, erkannte ich abwertend und ohne mich ihm wieder zuzuwenden. So gutaussehend dieser Mann auch war, es war nicht zu übersehen, das er ein Womanizer war und vermutlich alles Vögelte, was nicht bei drei verschwunden war. Ich hatte anfangs gedacht, er sei der neue von Jess und nicht ihr Chef! War er dafür nicht zu Jung? Ich schielte zu ihm hinüber, als ich bemerkte, dass er mich noch immer musterte. Dieser Mann passte zu meiner Schwester, keine Frage. Aber warum nannte er mich dann attraktiv? Ich war bei weitem nicht sein Beuteschema, also was wollte er von mir?
„Ich bin nun mal sehr ehrlich.“ Er kam einen Schritt auf mich zu und unweigerlich spannte sich mein ganzer Körper an, als er sich nach vorne beugte, mich mit seinem Arm streifte und sich ebenfalls ein Glas nahm. Ich roch sein würziges Parfum, welches wohl so schnell nicht mehr aus meinen Gedanken verschwinden würde. War ich jemals einem Mann wie ihm begegnet? Bestimmt nicht, er gehörte in Kreise, die mir niemals zugänglich sein würden. Er hatte das Leben, was sich meine Schwester wohl schon immer gewünscht hatte. Wahrscheinlich hatte er genauso wenig Charakter, wie sie. Dann kannte er nicht einmal die Bedeutung von Ehrlichkeit.
„Kann ich Sie etwas fragen?“, begann ich und lächelte dabei gespielt freundlich. „Sicher, fragen Sie was immer Sie wollen.“ Auch er setzte erneut dieses charmante lächeln auf, welches gleichermaßen verschmitzt aber durchaus interessiert wirkte. „Wieso geben sie so viel Geld, für ihre neue Mitarbeiterin aus?“ Ich konnte einfach nicht anders. Ich erwartete nicht von ihm, dass er es zugab, aber ich wollte wissen, wie er sich erklärte. Amüsiert ließ er den Sekt in seinem Glas umher kreisen, während er mich nicht aus den Augen ließ. „Was denken sie warum?“ Mein Lächeln wurde durchtriebener. „Ich hoffe nur, es hat sich für sie auch gelohnt.“ Ich zog die Augenbrauen hoch, leerte mein Glas mit einem Zug und schritt davon. In diesem Moment sah ich garantiert genauso stolz aus, wie meine Schwester. Nur mit dem Unterschied, dass ich so etwas wie Würde besaß, Jess nicht. Ich spürte seine Blicke hinter mir. Dieser Mann war in der Tat ein Jäger und meine Schwester sein Opfer. Wahrscheinlich würde er sie fallen lassen, wenn es ihm mit ihr zu langweilig werden würde.
Dieser Abend war genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Onkel Oliver war bereits kurz nach 20 Uhr sturzbetrunken und unterhielt damit die Menge. Die kleinen tanzten mit ihren Luftballons und schmissen das Konfetti, welches sie immer wieder vom Boden aufhoben, in die Luft. Woher sie nur ihre ganze Energie nahmen …
Die Erwachsenen tranken, redeten und Tanzten zu alten und neuen Liedern. Ich fragte mich, warum sie keinen DJ angeheuert hatten, sondern die Musik lediglich von CDs abspielten. Aus großen Lautsprecherboxen drang der Rhythmus von Foxtrott. Meiner Meinung nach hatten sie da an der falschen Stelle gespart, denn bei einem DJ hätte man sich wenigstens beschweren können. Ich beobachtete meine Eltern von der Bar aus. Wie sie eng umschlungen tanzten, als seien sie 16. Ich konnte nicht anders, als sie sehnsüchtig anzublicken. Nicht jeder hatte das Glück, nach so vielen Jahren noch so verliebt zu sein. Erst recht nicht mit zwei Kindern, die sich auf den Tod nicht ausstehen konnten. „Darf ich?“ Diese Frage schien keine zu sein, da Blake im gleichen Zuge, sich bereits auf den Barhocker neben mich setzte und sich einen Drink bestellte. Dieser Mann war einfach mehr als dreist. Diese Veranstaltung hier war seit mehr als 3 Stunden im Gange und dieser Kerl schien mich zu Stalken. Denn überall wo meine Augen landeten, trafen sie auf ihn und das lag nicht an mir, zumindest nicht nur … Ich gab zu, dass ich ihn ab und an ebenfalls in der Masse gesucht hatte und mein Herz sich erneut zu Wort gemeldet hatte, als er sich sein Jackett ausgezogen und die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt hatte. Aber ich war sicher nicht diejenige, die ununterbrochen seine Nähe suchte. Auf ihn konnte ich jetzt gut und gerne verzichten, zumal ich sah, dass Jess uns – oder wohl besser ihn, beobachtete. Ganz ehrlich, in diesem Augenblick genoss ich ihre bösen Blicke. Ich glaubte, es war das erste Mal, dass sie eifersüchtig auf mich zu sein schien.
„Warum sitzt du hier so allein? Keine Lust zu feiern?“ Irgendwie machte seine Anwesenheit mich nervös und ich zupfte an meinem Kleid herum.
„Sieht wohl nicht so aus, oder?“, erwiderte ich schroff. Wann hatte ich ihm das du angeboten? Er sollte spüren, dass er nicht willkommen war, allerdings schien es ihm nichts auszumachen. Er nahm einen kräftigen Schluck seines Whiskys. Ekelhaftes Zeug, wenn man mich fragt. „Wieso? Freust du dich nicht für deine Schwester?“ Ich lachte laut auf. „Sagen wir mal, Jessica und ich haben nicht das beste Verhältnis zueinander.“ Ich spürte, wie seine feurigen Augen auf mir lagen, jeden Zentimeter meines Körpers begutachteten, als hätte er zuvor nicht genug Zeit dafür gehabt. „Weshalb?“, fragte er knapp und strich mit seinen langen grazilen Fingern an seinem Glas auf und ab. Wie in Trance beobachte ich ihn dabei. Ich wollte nichts lieber, als ihm mitzuteilen, was er sich da für einen Teufel in sein Haus holte, aber er wusste es ja bereits am besten – immerhin hatte er ihre Talente ja schon selbst zu Gesicht bekommen und ausgetestet. Außerdem lag mir nichts daran, ihm auch nur irgendetwas über mich zu erzählen. „Jess und ich sind einfach zu unterschiedlich. Das sehen sie doch wohl auch selbst.“
„In der Tat, scheint ihr sehr unterschiedlich zu sein.“ Toll, weil ich bei weitem nicht so Hübsch bin, danke dafür. „Immerhin sind sie kratzbürstiger als sie.“
„Bitte?“
„Jessica ist ein sehr bedachter Mensch, die alles dreimal durchdenkt. In dir spüre ich weitaus mehr … Temperament.“ Was meinte er jetzt wieder damit? Und warum besaß seine Stimme diesen verführerischen Klang? Stirnrunzelnd schaute ich zu ihm auf. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, welches mein Herz hüpfen ließ, egal, wie sehr ich mich auch dagegen wehrte. Verlegen und verärgert über meine eigenen Gefühle, drehte ich mich zur Bar hinüber. Ich brauchte dringend mehr Alkohol und mein Glas war schon seitdem er hier aufgetaucht war leer. Ich nahm seinen Körper wahr, wie er sich zu mir wand. Zum Glück verdeckte ein Schleier aus meinen Haaren mein Gesicht. „Da ist mehr Feuer in deinen Augen. Mehr Gefühl. Mehr Warmherzigkeit.“ Wieder lachte ich laut auf. Wie viele Gläser hatte er schon weg? Ich zuckte zusammen, als er mit seinen Fingern meine Haare beiseite schob. Diese kurze Berührung von ihm ließ meinen Körper erschaudern. Wer hätte gedacht, dass er, der so viel stärke verströmte, zärtlich sein konnte? Ich wollte ihn nicht wieder ansehen. Ich war zu verwirrt darüber, dass ich plötzlich wieder diese Gefühle verspürte. Diese dummen Gefühle, wenn man einen Menschen traf, den man irgendwie anziehend fand.
Aber er war es nicht wert, dass ich zuließ, weiterhin diese Empfindungen zu haben. Er war nur meine Schwester in Form eines Mannes. Vermutlich suchte er den Kick, es mit zwei Schwestern treiben zu können. „Du glaubst mir nicht.“ Blake wickelte eine meiner Locken um seine Finger, als wäre es das natürlichste der Welt für ihn. Fang dich Jane, fang dich und verpass ihm eine. „Scheinbar weißt du sehr wenig über dich selbst.“
„Ich weiß eine Menge über mich“, fauchte ich bissig und endlich konnte ich seine Hand wegschmettern.
Dieser Mann versprühte geradezu eine beherrschende Aura, die wohl selbst die stärkste Domina zu einer gefügigen Katze werden ließ. Sie umgab ihn und ich wusste, dass ich bei weitem nicht die einzige war, die in seiner Nähe weiche Knie bekam. Das war ein ganz normales und primitives Gefühl, rechtfertigte ich mich. Jede Single Frau, wahrscheinlich auch jede vergebene, hätte sich ihm zugewandt. Erst recht, wo er jetzt nur mit seinem Hemd hier saß und ich seine muskulösen Arme bestaunen konnte.
„Wieso lassen sie mich nicht einfach wieder in Ruhe? Oder wollen sie mir noch mehr dinge erzählen, die sie ja besser wissen, als ich?“
„Wieso habe ich nur das Gefühl, dass du mich nicht leiden kannst?“
„Ja, wieso nur? Wo doch jede Frau der Welt ihnen zu Füßen liegen würde, nicht war?“ Er lachte amüsiert. „Du urteilst schnell. Immerhin kennst du mich gar nicht.“
„Das muss ich auch nicht.“ Und will ich auch nicht.
„Weißt du, ich habe gesehen, wie du vorhin sehnsuchtsvoll zur Tanzfläche geblickt hast. Eigentlich hatte ich vor, dir deinen Wunsch nach einem Tanz zu erfüllen.“ Scheinbar hatte er das wohl missverstanden. Blake rutschte von seinem Hocker und reichte mir seine Hand. Ich dachte ja überhaupt nicht daran, meinen sicheren Barhocker zu verlassen. Eigentlich musste ich ihm ja danken, denn immerhin wusste ich jetzt, dass das Thema Liebe für mich nicht ganz so hoffnungslos war, wie ich seit 5 Jahren geglaubt hatte. „Nein, danke“, lehnte ich höflich ab. „Was haben sie zu verlieren?“, erwiderte er schelmisch. Seine Hand näherte sich der meinen und zielsicher ergriff er sie. Seine großen Finger verschmolzen mit den meinen. „Was fällt ihnen ein!“, schrie ich sauer, jedoch wehrte ich mich weniger, als ich es eigentlich sollte. Ich spürte die Blicke der anderen und wollte keine Show abliefern. Oder lag es nicht doch daran, dass ich insgeheim mit ihm tanzen wollte? Wieso nur! Wieso hatte er diese Macht auf mich? Wieso nur leuchteten seine Augen so verlangend, weshalb sprach in seinen Worten ein herrischer Unterton mit, welchem ich mich kaum widersetzen konnte. Gekonnt wirbelte er mich herum und mein Kleid wand sich um mich. Er legte seinen Arm um meine Hüfte, während die andere sich mit meinen Fingern beschäftigte. Ich wollte nicht mit im Tanzen! Er war mir viel zu nahe. VIEL. ZU. NAH! Sein Duft umgab uns und als er sich mit mir drehte, trat ich ihm auf die Füße. „Ich kann nicht tanzen. Glauben Sie mir, dass wollen Sie nicht“, entgegnete ich leicht panisch, als er sich versuchte vor und zurückzubewegen. Ich konnte tatsächlich nicht tanzen, zumindest nicht mit jemandem zusammen. Seine Lippen näherten sich meinem Ohr, während er mich enger an sich drückte. Herrgott, ich spürte seine Muskeln an meinem Körper und alles in mir verkrampfte sich schlagartig. Was für eine Hitze dieser Mann nur ausstrahlte. „Lass mich der sein, der führt. Der, der bestimmt. Dann wird es funktionieren.“ Er drängte mich nach vorn und ich versuchte mit ihm zu gehen. Seine Finger drückten die meine, als würde er mich gefangen nehmen wollen. Ich blickte nach unten, zu unseren Füßen, damit ich ihm nicht erneut auf die Füße trat. Eigentlich sollte es mir ja egal sein, immerhin zwang er mich ja förmlich hier mit ihm zu tanzen. Aber etwas in mir wollte diesen tanz. Wollte weiterhin dieses aufregende kribbeln in meinem Bauch spüren. „Sieh mich an, Jane!“ Dies war mehr ein Befehl, als alles andere. Was fällt ihm nur ein! Ich war nicht seine Marionette, nicht die, die er befehligen konnte. „Es ist ganz einfach, du musst mich nur führen lassen.“ Ich keuchte überrascht, als er sich erneut mit mir Drehte und blickte zu ihm auf, wollte protestieren aber ich konnte nicht. Diese Augen, die mir so unheilvoll erschienen, betrachteten mich, als sei ich etwas Unglaubliches. Noch nie, hatte ein Mann mich so angesehen und in diesem einen Moment, schien sich in mir etwas zu verändern. Unweigerlich wünschte ich mir, er würde mich für immer so anblicken. Da war verlangen, Begierde, Interesse und Neugierde und dann auch noch sein charmantes Lächeln dazu. Wie sollte man da nur stark bleiben? Der Rhythmus der Musik wurde schneller, gerade als es begonnen hatte, tatsächlich zu funktionieren und ich mich an die Bewegungen gewöhnt hatte. „Du hast wunderschöne Augen, Jane.“ Bitte? Ich? Sie waren gewöhnlich, nicht besonders.
Durchschnitt eben.
Wahrscheinlich konnte er meine Gedanken in meinem Gesicht ablesen ohne, dass ich sie aussprach. Schon wieder kam sein Kopf mir gefährlich nah, als er seine Lippen an mein Ohr legte. Wahrscheinlich tat er dies vor allem, weil die Musik und das Gelächter um uns herum ziemlich laut waren und man kaum sein eigenes Wort verstand. „Du siehst so atemberaubend in diesem Kleid aus.“ Dieses Mal berührten seine Lippen mein Ohr und ich spürte seine Zunge. Ich wollte gar nicht wissen, wo diese Zunge schon überall gewesen war, … als ich mich gegen ihn stemmte und stehen blieb, wand er seinem Kopf wieder mir zu. „Lassen Sie mich los!“, zischte ich wütend, da er seinen Griff nicht lockerte. „Oder ich schreie um Hilfe. Das was sie hier machen ist sexuelle Belästigung.“ Er lachte auf, während das Lied gerade zu Ende ging. Endlich! Ein Klavier erklang. Es war die Originalversion von River flows in you. Wie ich dieses Lied liebte. „Ich habe mit ihnen getanzt, also lassen sie mich jetzt bitte gehen“, bat ich, eigentlich viel zu nett für seine Dreistigkeit.
„Ein Song noch“, bestimmte er. „Dann werde ich dich in Ruhe lassen, versprochen.“ Drei Minuten gegenüber noch 2 Stunden? Was konnte schlimmer werden? „Dann hören sie auch auf, mich mit ihren Augen zu stalken?“ Wieder lachte er auf. Meine Güte, gab es auch etwas, was ich an ihm nicht attraktiv fand?
Er nickte. „Na schön.“ Ich horchte auf das Lied und wartete darauf, dass er den ersten Schritt machte. Seine Finger lösten sich von meinen und er legte auch diesen Arm um meine Taille. „Leg deine Hände um meinen Hals oder an meine Brust, aber lass sie nicht einfach da herumhängen.“ Widerwillig legte ich ihm meine Hände um den Hals. „Zufrieden?“ Ich wollte nicht mehr mit ihm tanzen. Bilder von ihm und meiner nackten Schwester blitzten immer wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich würde ihm nicht die Genugtuung geben, es zu genießen. Ganz im Gegenteil, würde ich ihm zeigen, wie abgeneigt ich von ihm war.
Wir bewegten uns langsam und seine Hände strahlten eine Hitze aus, die mir eine Gänsehaut verpasste, trotzdem es in diesem Raum aufgrund der vielen Menschen bereits ziemlich schwül geworden war. Eine Hand löste sich von ihrem Platz und strich über meinen Rücken. Ich sah, wie die Leute uns beobachteten. Na klasse! Als ob ich nicht schon angespannt und nervös genug war. Ich wollte nicht zum Gesprächsthema der Maße werden. Es wäre mir lieber, wenn sie mich einfach nicht beachten würden. Aber bei diesem Mann kein Wunder. „Sie mich an.“ Durch seine sinnliche stimme angelockt, tat ich ihm den Gefallen. Verdammt, ich wollte ihm nicht so gefügig sein. „Hören sie auf, mir befehle zu erteilen. Das können sie mit meiner Schwester machen, aber sicher nicht mit mir“, brachte ich heißer hervor, da mir sein begehrender Blick erneut den Atem raubte. Ich wollte mich nicht mehr von diesem Mann unterkriegen lassen und hielt den Augenkontakt aufrecht, während wir uns bewegten. Er war nicht meine Liga. Und das nicht nur, weil er Reich und gutaussehend war. Ich war ein Mensch, der liebe wollte, er wollte lediglich eine schnelle Nummer schieben. Vielleicht würde man mich ja heutzutage verklemmt oder prüde nennen.
„Ich habe nichts mit deiner Schwester.“
„Wer’s glaubt!“, rief ich ungläubig. „Warum dann dieser ganze Aufwand?“
„Ich verspreche mir viel von ihr. Meinem Onkel gehört die Universität an dem sie studierte und er hat sie mir empfohlen.“
„Es gibt da draußen viele Anwälte. Und sie alle haben bei weitem mehr Erfahrung wie Jess. Halten sie mich nicht für dumm.“ Meine Stimme war feindselig, allerdings schien ihn das kalt zu lassen. „Ich halte dich sicher nicht für dumm. Ich kann kaum glauben, dass du ihre Schwester bist.“
„Warum?“, begann ich wütend. Er konnte ja nicht wissen, dass dies genau mein wunder Punkt war, in dem er nun schon zum zweiten Mal an diesem Abend herumstocherte. „Weil ich mir weniger Make-up ins Gesicht schmiere? Mein Körper nicht so perfekt ist wie ihrer? Ich nicht studiert habe? Warum müssen mich immer alle mit ihr vergleichen!“ Wütend blickte ich zur Seite. Ich wollte weg von ihm. Diesem Mann, der mir all das zeigte, was ich niemals haben konnte. Diese wunderbaren Gefühle in mir waren so verschwendet an diesem Mann. Er spielte mit mir und ich spielte mit, sehr klug von dir Jane! Er hatte meine Schwester flachgelegt! Also hör auf, so auf ihn zu reagieren!, tadelte ich mich selbst. Ich hasste es, dass ich diese Gedanken und wünsche nicht vertreiben konnte, in denen er mich bei weitem mehr berührte, als in diesem Augenblick. Ich brauchte frische Luft, kaltes Wasser, irgendwas, um meinen Körper zu beruhigen. Aber dafür, musste er mich erst einmal loslassen. Dafür, musste dieses Lied endlich ein Ende finden. Ich blickte mich erneut um, um zu sehen, ob die anderen uns noch immer so beobachteten. Jessicas Blick war vernichtend. Oh ja, sie war wütend. Konnte ich denn bitte was dafür? „Also, das war eigentlich nicht das, was ich hatte sagen wollen. Ich für meinen Teil finde dich bei weitem Attraktiver als deine Schwester. Und was deinen Körper angeht …“ Ich konnte nicht lange über diese Attraktivität Lachen, denn ohne Vorwarnung schob er seine Hand nach unten und schmiegte sie an meinen Hintern. Geschockt und zugleich elektrisiert von dieser schamlosen Berührung, schnellten meine Augen wieder zu ihm, wurden von Verlangen verschlungen, die in den seinen loderte. Dieser Mann war auf keinen Fall harmlos und ich glaubte, dass er mich dies auch spüren lassen wollte. Er sprach es nicht aus, sondern zeigte es mir. Mit seinem Blick, seiner Stimme, seiner Haltung und den Dingen, die er tat, um mich wohl zu verführen. Dieser Mann war gefährlich heiß und ich würde mir an ihm die Finger verbrennen, wenn ich noch weiter mit ihm gehen würde. Er war nicht meine Liga. Er war nicht der Mann, den ich wollte.
Der Druck seiner Hand wurde intensiver, als er seinen Satz beendete, den ich schon komplett vergessen hatte. „Finde ich ihn einfach nur perfekt. Nicht jeder Mann steht auf Knochen ohne kurven.“ Ich konnte nicht mehr antworten. Ich spürte jeden Zentimeter seines Körpers an dem meinen. Da war kein Platz mehr zwischen uns, keine Lücke. Alles berührte sich. Was waren das nur für dumme Gefühle, die in mir aufkamen! Warum begannen meine Beine nur so zu zittern! Das durfte einfach nicht sein. Nicht bei ihm. Nicht bei dem Mann, der mit meiner Schwester schlief!
Wann hatte sich das Lied geändert?
„Das müssen sie ja am besten wissen! Immerhin kennen Sie den Körper meiner Schwester wohl besser als ich.“ Ich stieß mich von ihm und stürmte davon. Egal wohin, nur weit, weit weg von diesem Unheilvollen Perversling.