Читать книгу Schwesterkomplex - Mandy Hopka - Страница 6

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„Sag mal, geht’s noch?“ Missmutig verzog ich das Gesicht. Eine halbe Stunde war ich draußen im Schein der Laternen umhergelaufen, bis sich mein Körper beruhigt hatte und mir kalt geworden war, da ich meine Jacke oben liegengelassen hatte. Ich war so verdammt wütend auf ihn, hatte vor mich hin geflucht und mich gefragt, wie man nur so dreist sein konnte. So anmaßend ohne dabei schmierig oder widerlich rüber zu kommen. Jetzt, keine 3 Minuten nachdem ich das Gebäude wieder betreten hatte, baute sich meine Schwester in der Eingangshalle vor mir auf, als wäre sie Hulk. Wenn sie mit mir kämpfen würde, könnte ich mit Leichtigkeit ihren zierlichen Körper zu Boden werfen. Immerhin arbeitete ich schwer und trug schweres Zeug durch die Gegend, während sie… Na ja, ihren Stift in der Hand halten konnte. Im Gegensatz zu mir, war sie schwach und das wusste sie auch, immerhin war sie nicht dumm. Aber aus diesem Alter waren wir heraus. Heutzutage lieferten wir uns Wortgefechte.

„Was habe ich denn nun schon wieder gemacht?“, fragte ich sie und warf kapitulierend die Hände in die Luft.

„Was du gemacht hast? Ist er nicht eine Nummer zu groß für dich?“ Ach, es ging um ihren Chef. Hätte ich mir denken können.

„Was willst du, Jess? Ich habe sicher nicht mit ihm Tanzen wollen. Er war derjenige, der zu mir kam, klar. Vielleicht solltest du ihn enger an die Leine nehmen.“ Wirklich, ihre Eifersucht war mir sowas von egal. Und vor allem lächerlich! Als würde dieser Kerl mich auch nur im Geringsten tatsächlich begehren. Keine Ahnung was mit dem nicht stimmte. Vielleicht hatte er sich einen Witz daraus gemacht oder einfach nur zu viel getrunken. Zumindest war das die einzige Erklärung, die mir draußen eingefallen war.

„Du hast also auch nicht gewollt, dass er deinen fetten Arsch begrapscht? Lass die Finger von ihm. Du hättest bei ihm ohnehin nie eine Chance.“ Überheblichkeit spiegelte sich in diesen kalten und düsteren Augen wieder. „Wenn das einzige, was du mir zu sagen hast, Beleidigungen sind, Jess, dann beeil dich, ich würde nämlich gern wieder an meinen Platz zurück.“ Im Nachhinein gesehen, hatte ich vielleicht doch etwas überreagiert. Ich hätte cooler bleiben, ihm eine Ohrfeige verpassen sollen oder ähnliches aber nein! Ich musste ja wieder eine Szene machen und wie Cinderella bei Mitternacht aus dem Saal stürmen! „Herr Blake ist ein Edelmann. Ein Geschäftsmann, der weiß, was er will. Er ist vielleicht erst 30, aber das zeigt nur, wie kämpferisch er ist. Er ist ehrgeizig und eine unglaublich, inspirierende Person für mich. In so jungen Jahren schon so viel erreicht zu haben, ist unglaublich und beeindruckend, oder nicht?“ Da hatte sie recht, dies beeindruckte auch mich. Ich musste gestehen, ihn für älter gehalten zuhaben. Nicht viel aber jedenfalls über 30 nicht Anfang. „Du bist nur halb so engagiert wie er. Nur halb so entschlossen und energisch, etwas aus deinem Leben zu machen. Wahrscheinlich wirst du immer nur eine Kleinstadtfrau bleiben ohne Ziele im Leben. Grau und leicht zu übersehen.“ Stolz hob sie ihr Kinn und streifte sich eine Strähne aus ihrem Gesicht, welche sich scheinbar aus ihrer Frisur gelöst hatte.

„Du kannst mich mal, Jess. Und er im Übrigen auch! Von mir aus, könnt ihr beide machen, was immer ihr wollt. Aber immer schön Verhüten große Schwester, nicht das du noch Schwanger von ihm wirst. Wobei … so kommst du schneller an seine Kohle.“ Empört blickte sie auf mich, da sie dank ihrer High Heels – die locker 20 Zentimeter überschritten, ein wenig größer war als ich. Ich lachte belustigt. Vielleicht auch ein klein wenig böse. „Komm schon“, ich machte einen Schritt auf sie zu, stellte mich neben sie und legte ihr meine Hand auf die Schulter. Dachte sie wirklich, sie könnte mich einschüchtern? „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du sein Geld nicht willst und keine Schlampe bist. Glaub mir, ich habe dich 20 Jahre ertragen müssen und seitdem ich ausgezogen bin, habe ich bei weitem weniger Männer um mich. Das mag was heißen, wenn man in der Produktion arbeitet, wo die Belegschaft zum größten Teil aus Männern besteht. Du solltest dich nicht selbst belügen, Schwesterchen.“ Triumphierend ließ ich sie stehen. Ich konnte sie wütend fluchen hören, was mich grinsen ließ. Dann öffnete ich die Badezimmertür der unteren Etage. Es war unglaublich luxuriös, so wie wohl jedes hier. Allein die Waschbecken waren in einer schwarzen Granitplatte eingelassen und die Wasserhähne glänzten im Lichtschein golden. Ich öffnete eine der Türen und bestaunte selbst diese Toilette, die mir viel zu schade dafür erschien, für was sie gemacht worden war. Ich verschloss die Kabine und währenddessen vernahm ich, dass noch jemand das Bad betrat. Bitte nicht noch einmal, Jess. Ich hatte heute wirklich keine Lust mehr auf ihre Spielchen und immerhin war es jetzt fast schon Mitternacht. Ich beeilte mich, um schneller zu sein als sie oder wer auch immer es war.

Allerdings staunte ich nicht schlecht, als Damien Blake, sich gelassen gegen die Granitplatte lehnte. Ich ersparte mir die Frage, was er hier in der Damentoilette zu suchen hatte und versuchte desinteressiert ihn einfach zu ignorieren, während ich mir am zweiten Waschbecken die Hände wusch.

Hatte ich wirklich geglaubt, das würde funktionieren? „Deine arme Schwester. Ich glaube, du hast sie tief getroffen.“ Überrascht blickte ich in den Spiegel und richtete ein paar Strähnen meines Haarponys. Scheinbar hatte er das Gespräch belauscht. „Wow, Sie halten wohl jedes Versprechen, was?“ Ich hatte mit ihm getanzt, seinetwegen hatte ich Mal wieder eine Konfrontation mit meiner Schwester. Er schuldete mir diese letzten eineinhalbstunden Ruhe!

Ich sah, wie sich seine Lippen zu einem schelmischen Lächeln formten. „Ich halte meine versprechen, aber ich dachte, du brauchst vielleicht etwas Trost.“ Ich schnaufte belustigt. Das war wirklich zu komisch. „Weshalb? Glauben Sie mir, das war zwischen uns schon immer so. Sie hasst mich und ich hasse sie. Da gibt es keine Geschwisterliebe zwischen uns, die ihretwegen zerbrochen ist“, erklärte ich ihm. „Warum duzen wir uns nicht?“ Tat er das den nicht schon die ganze Zeit?

„Warum? Ich bin noch höchsten zwei Stunden hier. Dann werden wir uns hoffentlich nie wieder über den Weg laufen“, sagte ich entschlossen und wand mich zum Gehen. Blake ergriff meinen Arm, zog mich zu sich und nahm mich zwischen sich und der Granitplatte gefangen. Das Blut schoss in meinen Kopf und mein Magen rebellierte. „Verlieren sie jetzt völlig den Verstand!“, schrie ich, aber es half nichts. Dieser Mann war stärker, überlegender. Niemals hatte ich eine Chance, selbst wenn ich mich mit aller Kraft wehren würde. Ich presste meine Hände an seine Brust und fühlte seinen Herzschlag. So ruhig wie er mich anblickte, war er bei weitem nicht. „Ich bin dir nicht egal, Jane.“ Wie konnte man einen Namen nur so lustvoll aussprechen? Ihn mit seinen Augen noch intensiver erscheinen lassen. „Du kennst mich nicht und ich kenne dich nicht, aber etwas liegt zwischen uns. Du kannst es nicht leugnen, nicht als du mich so angesehen hast. Du begehrst auch mich.“

„Sie sind mir so egal wie der Ex meiner Schwester und glauben Sie mir, davon gibt es jede Menge!“, meinte ich bissig, was ihn jedoch nur zu belustigen schien. „Dann beweise es mir.“ Er drückte seine Lippen auf die meine und unweigerlich stöhnte ich auf. Sie waren hart, unnachgiebig und verlangend. Da war keine Liebe, das war einzig sein Verlangen nach Sex. Ich versuchte, seine Zunge nicht in mich zu lassen. Versuchte mich seinen Lippen zu entziehen, aber es gelang mir nicht. Seine Macht umfing mich und diese Hitze, die zwischen uns aufloderte, vernebelte mir meinen Verstand. Ich gab diesen gierenden Lippen nach. Schob meine Hände um seinen Hals und fuhr ihm durch seine Haare. Gott, wie gut sich das anfühlte. Mit einer schnellen Bewegung schob er mein Kleid nach oben und über meinen Hintern, hievte mich auf die Platte und trat zwischen meine Beine. Das alles überforderte mich und es geschah schneller als erwartet. Schneller, als ich es gewollt hatte. Da waren zu viele Erinnerungen. Zu viele Bilder, die vor mir aufflackerten.

Nein!

Nein!

Nicht schon wieder!

„Hör auf!“, schrie ich entsetzt. Nicht noch einmal würde ich so stumm bleiben. Damien blickte mich an, dieses Mal mit Entsetzen in seinem Gesicht. „Jane, es … ich wollte nicht …“, begann er reuevoll, aber es war zu spät. Ich schluckte den Klos aus Erinnerungen herunter, zwang diese beschissenen Tränen zurück. Als er mit seinem Finger eine Träne auffing, schlug ich ihn. Fest, so fest, dass sich meine Hand auf seiner Wange abdrückte. „Jane, es tut mir leid.“ Ich vernahm die reue in seiner Stimme und sah seinen verlorenen Blick, aber es interessierte mich nicht, was er fühlte.

„Ich bin kein billiges Flittchen und erst recht keine schnelle Nummer. Mir ist egal, wie gut du aussiehst, oder wie viel Geld du hast. Du kannst dir vielleicht alles erkaufen, aber Würde oder gar Liebe, werden für dich immer unerreichbar sein!“ Entschlossen rutschte ich von der Platte, richtete mein Kleid und nahm die Klinke in die Hand. Doch sie öffnete sich nicht. Ich blickte auf den Schlüssel, der zum Glück noch immer im Schloss steckte und drehte ihn herum. Dieses perverse Schwein hatte mich von Anfang an Flachlegen wollen.

So wie damals.

Blake war nicht anders als er.

Ich ging, ohne ihn noch einmal anzusehen. Ließ ihn zurück als einen weiteren Fehler in meinem Leben.

Den Rest meines Wochenendes, welcher ja nur noch aus dem Sonntag bestand, verbrachte ich auf meinem Sofa. Ich wollte nichts mehr, als diese merkwürdige Begegnung vergessen! Ich wollte diesen so lächerlichen Abend aus meinem Gedächtnis streichen. Darin war ich mittlerweile ziemlich gut geworden. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto merkwürdiger und unlogischer erschien mir Blakes handeln. Weshalb sollte er so einen teuren Saal mieten, mit unseren Verwandten Sekt trinken oder sich noch dazu an die Schwester seiner neuen Anwältin ranmachen? War ihm tatsächlich so langweilig, dass er einfach nur nach Abwechslung gesucht hatte? Er hatte Geld, keine Frage, aber hatten diese Menschen nicht andere Probleme oder sorgen? Gab es denn nichts anderes, mit dem sie ihre Freizeit verbringen konnten, als irgendwelche Feiern zu organisieren? Oder war Jess tatsächlich so gut im Bett? Aber selbst dies erschien mir mittlerweile ziemlich fragwürdig. Ich meine, es wäre logisch, wenn er etwas von ihr wollen würde und damit meinte ich keine Affäre. Wenn er echte Gefühle für sie haben würde, dann hätte man verstehen können, dass er damit bei ihr Eindruck schinden wollte, aber so wie er sich mir gegenüber verhalten hatte, war das ausgeschlossen. Dieser Mann war in der Tat ein Womanizer. Ein Aufreißer, ein Playboy, ein Arschloch durch und durch. Und ich hasste es, dass ich mich an meinem letzten freien Tag noch immer mit ihm herumschlug. Hasste es, das meine Gedanken um ihn kreisten, als wäre er die Erde und ich der Mond. Ich bekam die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf. Wie er Jess geküsst haben musste. Sie an stellen berührte, wo er auch mich berührt hatte. Ich hatte noch in derselben Nacht ein Bad genommen und meine Haut mit Zitronen duftendem Duschgel mehr als sauber gewaschen. Mein Gesicht mehr als nur abgeschminkt und mit einem Waschlappen sauber gerieben, bis ich ganz rot war. Ich hatte diese Berührungen abwaschen wollen, wollte seinen Duft vergessen, der noch immer in meiner Nase zu sein schien. Ich hatte diese Gedanken und Gefühle damit loswerden wollen, als klebten sie an meinem Körper und nicht in meinem Kopf, meinem Herz oder meiner Seele. Wie konnte eine einzige Begegnung, ein einziger Tanz und dieser eine Moment im Bad nur so einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben? Vielleicht waren Jess und ich dann doch nicht so verschieden. Ich hatte mich benommen, als wäre ich total bedürftig! Heftig schüttelte ich den Kopf und stellte die Lautstärke meines Fernsehers lauter, damit sie meine Gedanken übertönten. Ich war nicht wie sie! Und ich würde mich auch nicht noch einmal so mitreißen lassen, nur um am Ende wieder denselben quälenden Gefühlen ausgesetzt zu sein. Nicht noch einmal würde ich das durchmachen. Der Mensch musste doch aus seinen Fehlern lernen!

Ich blickte auf die zwei Gestalten im Bildschirm und fragte mich, weshalb sie noch einmal auf ihrem Bett herummachten … verdammt, ich konzentrierte mich einfach zu wenig. Ihre beste Freundin bog gerade um die Ecke und entdeckte die beiden in ihrem eigenen Zimmer, dessen Tür natürlich nur angelehnt war. Wirklich dramatisch! Nun begann der Zickenkrieg. Kein Wunder, wenn man mit dem Freund der besten Freundin schlief. Meine Schwester und ich könnten wohl auch unsere eigene Soap drehen … Mein Handy vibrierte und ich blickte auf den Bildschirm, der mir meine Nachricht bereits anzeigte. Es war Anna.

Anna - Und wie war dein Abend?

Könnte besser gewesen sein, aber hast du etwas anderes erwartet?

Und bei dir?

Anna - Erinnere mich daran, Tommy niemals den Film aussuchen zu lassen. Bin eingeschlafen.

Wie kann man bei Transformer einschlafen???

Bei mir wäre es witziger gewesen.

Anna - Ist eben nicht mein Ding.

& das glaube ich dir gleich ;)

Ich unterließ es, Anna von Blake zu erzählen. Was hätte ich ihr auch sagen sollen? Das sich nach 5 Jahren der Abstinenz meiner Gefühle gegenüber Männern wieder etwas in mir regte? Und das ausgerechnet bei dem lebenden Sexspielzeug meiner Schwester? Wobei ich eher glaubte, dass Jess sein Spielzeug war, so bestimmend wie er wirkte. Dieser Mann hatte den Eindruck erweckt, dass er sich nahm, was er wollte, aber geben würde er niemals etwas. Auch wenn mich seine Bestürztheit in seinen Augen, als ich angefangen hatte aufgrund der Erinnerung zu heulen, irritierte. Diese reue in ihm zu sehen, hatte nicht zu ihm gepasst. Wie hatte ich bei ihm auch nur so die Kontrolle über mich verlieren können? Jetzt dachte er, ich bin ein kleines verweichlichtes Ding. War ich das nicht auch? Ach was soll’s, ich würde ihn ohnehin nie wieder sehen.

Was machst du heute?

Fragte ich sie, da ich glaubte, mich heute ohnehin auf nichts anderes konzentrieren zu können, als auf Damien Blake und mein dummes Verhalten ihm gegenüber. Ihre Antwort ließ auf sich warten.

Anna - Sorry, dieses Wochenende ist Tommy dran. Das nächste gehört wieder uns :)

Na klasse. Immer wenn man jemanden brauchte, hatte er keine Zeit. So war das halt, wenn alle um einen in glücklichen Beziehungen lebten. Ich hasste dieses bittere Gefühl in mir, welches aufkam, wenn ich mich mit allen traf. Ich hasste mich dafür, dass ich vor Neid selbst meinen eigenen Freunden das Glück nicht gönnte. Ich hasste diese Blicke, diese kitschigen Wörter, die sie wechselten, diese Küsse, die wahrscheinlich bereits vollkommen normal für sie waren. Dabei sind sie die wichtigsten Menschen, in meinem Leben. Menschen, mit denen ich noch lachen konnte, die mich akzeptierten. Die mir halt gaben, in jedem glücklichen Moment, den wir miteinander verbrachten. Aber gleichzeitig nagte diese blinde Eifersucht an mir und trieb mich von ihnen weg. An jedem Tag, in dem ich glücklich mit ihnen gelacht hatte, kehrte abends die Einsamkeit doppelt so heftig zu mir zurück. Als würde ich durch sie alle sehen, was mir seit 24 Jahren verwehrt blieb.

Ich war wirklich eine beschießende Freundin …


Voller Euphorie kroch ich am Montagmorgen aus meinem Bett. Vergessen war Blake, vergessen waren alle dunklen Erinnerungen. Das Leben ging wie so oft unaufhaltsam seinen eigenen Weg.

Nur leider machte mir das Schicksal wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Meine Mom lud mich am Mittwoch zum Abendessen ein. Warum auch immer … Vielleicht hatte sich Jess ja bei ihr ausgekotzt? Na wenigstens hatte ich die Ausrede, durch meine Frühschicht eher gehen zu können.

Aber genau bei diesem Essen stellte sich heraus, dass der Name Blake wohl in Zukunft noch öfter in meinem Leben zuhören sein würde. Jess schwärmte ja geradezu von ihrem Chef. Ich hörte nur zur Hälfte hin, da ich einfach keine Lust auf ihre Angebereien hatte. Das wichtigste, wie die Tatsache, dass sie wohl viel Reisen musste, dass es um irgendwelche Verträge ging und das Blake ja so toll war, vernahm ich jedoch trotzdem. Warum hatte ich eigentlich nochmal zugesagt? Immerhin war ich wie Luft an diesem Tisch. Da gab es kein: Wie geht es dir Jane; oder: Wie war dein Tag? Jess plapperte und plapperte wie ein Wasserfall. Aber eines musste ich ihr lassen, so aufgeregt hatte ich sie noch nie erlebt. Da lag ein Glänzen in ihren Augen, welches noch nie dort gelegen hatte. Fast schon hätten es wahre Gefühle sein können. Aber das einzige, was sie so ausflippen ließ, war die Aussicht auf richtig viel Kohle. „Es freut mich, dass du einen guten Arbeitgeber gefunden hast“, entgegnete unsere Mutter und reichte mir die Schüssel mit den Kartoffeln. Oh, scheinbar war ich doch nicht ganz so unscheinbar für sie. „Ja, diese Firma ist gigantisch. Allein diese Export- und Import zahlen! Und was für Kunden er beliefert. Kein Wunder, dass die Firma so gut läuft.“

„Reist er denn mit dir?“, fragte ich, und versuchte so Desinteressiert wie nur möglich zu klingen. Für Jess reichte diese Frage dennoch aus, um mich missbilligend anzublicken. Warum mischte ich mich auch überhaupt ein?

„Eifersüchtig?“

„Worauf? Dass du dich an ihn verkaufst? Geschäftsreisen können ja so praktisch sein, was?“ Nun richteten sich alle Augen auf mich. Mist, wieso konnte ich auch nie meine Klappe halten, und stattdessen immer das sagen, was ich dachte? Nun war ich wieder einmal die böse.

„Ich bin nicht diese Schlampe, für die du mich hältst, Jane“, rief sie wütend, während meine Mutter noch immer ziemlich schockiert wirkte. Mein Dad räusperte sich nur. „Sicher“, sagte ich ruhig, um die Situation zu beruhigen.

„Du bist nur neidisch, weil ich schon immer beliebter war als du. Beliebter, hübscher und klüger.“

„Oh ja, die gute Jessica. Wahrscheinlich bist du auch die beste im Bett.“

„Mädels“, unterbrach uns unser Vater. „Bitte, könntet ihr wenigstens bei diesem Essen freundlich miteinander umgehen.“ Zwischen unseren Blicken flogen Funken, aber niemand sagte mehr etwas. Sie wollte eben die liebe Tochter bleiben und ich hatte keine Lust mich weiter in die scheiße zu reiten. „Na jedenfalls, werde ich jetzt öfters mal nicht zu Hause sein. Ich werde mir auch noch andere Kunden suchen müssen, auch wenn der Job bei Blakeshire wirklich eine Menge Geld abwirft und vor allem Zeit frisst, da er mich ja als Firmen eigene Anwältin möchte. Aber von nichts kommt nichts.“

„Darfst du dann überhaupt auch andere Kunden anwerben?“, fragte ich unwissend. Mittlerweile war ich pappsatt und hatte eben nichts mehr zu tun. Also was soll’s, zeigte ich eben auch mal Interesse an dem Leben meiner Schwester. Konnte meinem Image in der Familie ja nicht schaden. „Ich werde mit ihm verhandeln, bis jetzt war er davon eher nicht so begeistert.“ Und ich wusste auch schon, wie diese Verhandlung aussehen würde…

„Sag mal, was macht Blakeshire eigentlich? Mit was verdient dieser Mann sein Geld?“ Wieder dieser missbilligende Ausdruck in ihrem Gesicht. Ich war eben neugierig. Dieser Mann interessierte mich kein bisschen, ich war einfach nur neugierig…

„Blakeshire entwickelt, baut und verkauft Geräte für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen.“ Ich verdrehte die Augen, als sie mich Arrogant anlächelte. Dieser Blick rief mir zu, dass ich ohnehin zu dumm war, um dies zu verstehen. Das tat Jess nur zu gern. Mit ihrem Wissen prahlen und mich dumm dastehen lassen. „Im Grunde heißt das, dass sie für Krankenhäuser und für private Ärzte die Geräte entwickeln und Produzieren.“

„Also sowas wie der Stuhl beim Zahnarzt“, sagte ich lachend, damit konnte man doch niemals so reich werden oder? Obwohl, am Ende war er gar nicht Reich und lebte wie Jess nur über seinen Verhältnissen?

Und schon wieder tat sie so, als wäre ich die dümmste auf der Welt. Warum redete ich überhaupt mit ihr? „Auch, aber ich meine eher so etwas wie Röntgengeräte. Diese werden zum Beispiel immer wieder verbessert und effizienter gestaltet. Da liegt die Preisspanne zwischen 40.000 Euro und 1. Million pro Exemplar.“ Ich nickte anerkennend mit dem Kopf. Gut, das waren wirklich ausschlaggebende Zahlen. „Und wie gesagt, Blakeshire exportiert Weltweit. Sie haben sogar ein eigenes Labor in Bonn, mit Wissenschaftlern, die diese Geräte quasi verbessern und neue erfinden.“

„Also ist er ein Millionär, ja?“, fragte ich ungläubig. Hatte ich tatsächlich fast Sex mit einem Millionär gehabt? Nicht das es einen Unterschied gemacht hätte, aber das so ein Mann überhaupt in meine Reichweite kam. Damit rückte Damien Blake immer weiter, in weite Ferne. Vielleicht hatte er auch wirklich einfach zu viel Alkohol getrunken. Ich hatte uns wohl beide einen Gefallen getan. „Was denkst du denn?“, sagte sie, als würde sie mich auslachen. Ja, ich hatte schon verstanden!

„Na dann Schwesterherz, immer ran an den Mann.“ Meine Mutter blickte mich an und dieser Ausdruck sollte mir sagen, dass ich aufhören sollte, sie zu Necken. „Mein Gott, das war jetzt überhaupt nicht böse gemeint!“, beschwichtigte ich sie. „Ich meinte das ernst. Jess ist doch eine bildhübsche Frau.“ Achselzuckend und liebevoll lächelnd, mimte ich die unschuldige. Wenn Jess den Engel spielen konnte, konnte ich das auch, wenn auch nicht ganz so überzeugend wie sie. Wahrscheinlich fehlte mir dafür diese liebliche Ausstrahlung. Dieses leuchten in meinen Augen und dieses Engels-goldene Haar.


Auch in den nächsten Wochen wurde ich diesen schrecklichen Namen einfach nicht mehr los. Als gäbe es keinen anderen Mann mehr in ihrem oder meinem Leben! Ich konnte es wirklich nicht mehr hören. Selbst bei Facebook las ich unter jedem ihrer Fotos oder Selfies, wie toll doch ihr neuer Boss war. Eigentlich müsste sie sich auf ihrer Schleimspur schon längst das Genick gebrochen haben. Selbst bei weiteren Familien Zusammenführungen sprach sie die ganze Zeit von nichts anderem mehr. Ich vermisste schon jetzt ihre Studienzeit. Da empfand ich das Gejammer, wie kräftezehrend die Vorlesungen und das Lernen doch waren, bei weitem unterhaltsamer. Selbst nachdem drei Monate vergangen waren und der Sommer den Frühling abgelöst hatte, wohnte sie noch immer bei Mom und Dad – wohlgemerkt für lau. Ich fragte mich, was sie mit diesem ganzen Geld anstellte, was sie von diesem Kerl bekam. Jess hatte tatsächlich nicht mal übertrieben. Ich hatte im Internet den Firmennamen nachgeschlagen und mir die Zahlen bei Wikipedia genauer angesehen. Natürlich konnte er weder mit Apple noch mit Volkswagen konkurrieren, aber diese Zahlen sprachen Bände. Ich hatte herausgefunden, dass seine Eltern beide bereits verstorben waren. Hatte auf sein Bild gestarrt. Hatte dieses unglaubliche, sexy lächeln wieder erkannt und in seine dunklen Augen geblickt. Glücklicherweise hatte er auf diesen Bildern nicht diese fesselnde Ausstrahlung, die er in der Realität besaß. Ganz im Gegenteil, wirkte er zwar recht ansehnlich aber bei weitem nicht mehr ganz so atemberaubend, als er in Fleisch und Blut vor mir gestanden hatte. Wahrscheinlich fanden viele auch seine Augen zu dunkel. Seine Haare zu wenig gestylt oder fanden es als ein Fauxpas, dass seine Augenbrauen nicht perfekt gezupft waren. Für mich war er einfach nur Adonis, der Muskelprolet, der beim genaueren betrachten gar nicht so perfekt war. Erstaunlich, dass ich bis jetzt noch nichts von dieser Firma gehört hatte, aber immerhin gab es in Deutschland über 1 Million Millionäre. Welch witziger Zufall. Von denen kannte man ja auch nicht jeden.

Diese Tatsache erleichterte es mir ungemein, Jess ständiges Gerede von ihm zu ertragen. Sollte sie jemals herausfinden, was da zwischen uns gelaufen war, würde sie mir eindeutig die Augen auskratzen – selbst, wenn er nur betrunken gewesen war. Ich wusste mittlerweile wirklich nicht mehr, ob ihr Interesse nur seinem Geld galt oder ob sie es tatsächlich ernst mit ihm meinte. Denn etwas an ihr veränderte sich. Dieses Dauer-grinsen in ihrem Gesicht war ein anderes. Neu und irgendwie … Befremdlich. Ich hatte sie in all den Jahren noch nie so von einem Mann reden hören. Sie war Feuer und Flamme für ihn. Kurzweilig dachte ich daran, was passieren würde, wenn die beiden tatsächlich zusammenkämen. Dann hätte ich diesen Kerl mein Leben lang vor meiner Nase …

Lieber nicht darüber nachdenken, Jane.


Die Zeit verstrich unbarmherzig. In meinem Leben schien sich mit jedem aus und einatmen kein bisschen was zu verändern. Ich spürte es in mir. Wie dieser Wunsch nach Veränderung schon seit Jahren in mir heranwuchs. Mich an manchen Nächten zur Verzweiflung trieb und sich einfach nicht aufhalten ließ. Aber was sollte sich denn auch so dringend ändern? Alles schien sich immer im selben Takt zu bewegen. Ab wann merkte man, dass sich im Leben etwas veränderte? Ab wann würde sich denn im Leben etwas verändern? Alles lief wie all die Jahre zuvor auch ab. Aber jetzt schien diese eine Sehnsucht – die schon seit Jahren in mir reglos verharrte, immer größer zu werden. Selbst Jess war scheinbar fähig zu lieben und das nagte an mir. Nein, es hatte sich etwas verändert und das lag an Blake. Es lag daran, dass ich gespürt hatte, wie es war, etwas für einen Mann zu empfinden – außer Hass natürlich. Komplimente zu bekommen, gewollt zu werden. Begehrt. Ich war bereits so lang allein, dass ich gar nicht mehr wusste, wie sich so etwas anfühlte. Selbst damals, waren all diese Gefühle nur von kurzer Dauer gewesen und danach hatte ich einfach nicht mehr dort herausgefunden.

Ich hatte damals nicht mehr allein sein wollen, hatte die kraft nicht, ihn zu verlassen und danach hatte mich genau dieses Erlebnis einsamer gemacht, als all die Jahre vor ihm. Bis Blake kam. Blake hatte mir etwas bewiesen und ja, ich hatte versucht es zu ändern. In den letzten 3 Monaten traf ich auf so viele Menschen. Ich machte meinen Sommer Urlaub, wie all die Jahre zuvor auch mit meinen Freunden auf den Kanaren. Diese zwei Wochen waren doch schon immer voll von Sonne, Meer, Cocktails und guter Laune gewesen. Aber dieses Jahr schien plötzlich alles anders zu sein. Als hätte er mich geprägt, nahm ich die Männer um mich herum wahr, die mich in Klubs oder Bars antanzten. Doch niemand vermochte mir dieses Gefühl zu geben, welches ich so dringend brauchte, um mich auf etwas einzulassen, was vermutlich genauso aufregend sein würde, wie alles, was dieser Mann mit mir hätte machen können.

Kein Mann, der mir in den letzten Monaten begegnet war, hatte mir diese Gefühle beschert, wie es Blake getan hatte. Ich hatte Hoffnungen gehabt – wieder einmal, die allerdings nun zerschlagen auf dem Friedhof meiner Erinnerungen lagen. Oh ja, es hatte sich etwas verändert! Er hatte diesen innigen Wunsch, meine Sehnsucht nach dieser Erfüllung, vergrößert. Er hatte Öl in die Glut geschüttet, die daraufhin zu einem lodernden Feuer entfacht war.

Vermutlich wusste Damien Blake nicht einmal mehr meinen Namen und doch befand ich mich vollkommen in seinem Bann. Vollkommen unter seiner Kontrolle. Was sollte ich nur machen, um mich jemals wieder normal verhalten zu können? Ich wollte doch nur, das diese verzweifle Sehnsucht, wieder in mein innerstes zurückwich und mich in Ruhe ließ. Genau wie diese Einsamkeit, dieses verdammte Gefühl, allein auf dieser Welt zu sein. Umgeben von liebeshungrigen Menschen, glücklichen Paaren, Romantik und Leidenschaft. Vielleicht sollte ich es wirklich langsam einsehen. Diese Hölle in der Schulzeit, diese Zeit mit diesem Mann, denn ich verzweifelt zu lieben versucht hatte, dass alles war nichts im Gegensatz zu dieser darauffolgenden unendlichen Einsamkeit. Mein Herz sehnte sich nach Liebe und Zärtlichkeit. Sehnte sich nach Zuneigung und Zweisamkeit. Dennoch wusste ich, dass ich es niemals bekommen würde. Das mein Schicksal einfach ein anderes war. Ungeliebt von jedem Menschen, der mir etwas bedeutete. Die Liebe eines Freundes war wichtig, aber lange nicht so wunderschön wie die wahre Liebe zweier Menschen. Sie war nicht so wichtig, wie die Liebe und der stolz seiner Eltern, die ich wohl nie spüren würde.

Wieso hatte ich es nur nicht verdient geliebt zu werden? War das denn nicht zu grausam? War dieser Wunsch wirklich zu viel verlangt?

Schwesterkomplex

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