Читать книгу Die verschleppte Prinzessin - Mandy Hopka - Страница 4

Kapitel 1

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„Du siehst so wunderschön darin aus“, rief meine Mutter stolz und begutachtete mich mit leuchtenden Augen. „Es sieht doch fast genauso aus wie das Kleid von Prada Mutter!“, maulte ich und verdrehte die Augen. Das war nun schon das fünfte Kleid an diesem Abend, in welches ich mich quetschen musste. Ich hasste dieses riesige, pompöse Ballkleid, in dem ich mich fühlte wie Cinderella. Mit 10 hätte ich das vielleicht noch schön gefunden aber nicht mit 22! „Wir brauchen noch Schuhe für dich, ach du lieber Himmel, eine Tasche hast du auch noch nicht.“ Ganz dem Aufbruchsstress verfallen verschwand sie in dem riesigen, fast schon endlosen Ankleideraum. Gott war ich froh, wenn ich diesen Abend hinter mich gebracht hatte. Ich drehte mich mit diesem riesigen Kostüm und fragte mich wirklich, wie ich durch die Türen kommen sollte, so groß, wie dieser Reifrock war. Als ich die Schuhe sah, die meine Mutter anschleppte, müsste ich wohl eher froh darüber sein, wenn ich diesen Abend überhaupt überlebte. „Schau mal, die sind von Valentino. Die passen farblich perfekt zu dem blau deines Kleides.“ Lächelnd hielt sie mir die Schuhe vor die Nase. „Muss das denn wirklich sein?“, fragte ich sie flehend. „Du bist die Tochter des Präsidenten, du musst schön an diesem Abend aussehen. Viele hochrangige Gäste werden da sein. Auch jüngere“, meinte sie mit einem Augenzwinkern. Ehe ich so einen aufgeblasenen, verweichlichten Snob heiraten würde, würde eher die Hölle zufrieren, dachte ich, behielt meine Worte aber für mich. Widerwillig nahm ich die Schuhe entgegen und schlüpfte hinein, ließ mein Kleid wieder sinken und riss meiner Mutter die Clutch aus der Hand. Höchstwahrscheinlich war auch diese von Valentino oder Stella McCartney oder von wem auch immer. Alles nur Namen von unbedeutenden Personen. Von dem ganzen Geld, welches ich an mir trug, könnte man ein Jahr lang eine sechsköpfige Familie ernähren! Oder alle afrikanischen Kinder impfen.

„Na da sind ja meine beiden Lieblingsfrauen.“ Mein Vater kam durch die Tür geschlüpft und umarmte meine Mutter herzlich. „Mister President“, rief ich und machte einen vornehmen Knicks. Seitdem er gewählt worden war, nannte ich ihn öfters so. Ich war stolz auf ihn. Ja, ich hasste mein neues Leben als Präsidententochter, aber ich war stolz auf meinen Vater. Er hatte jahrelang um diesen Posten gekämpft und meine Mutter und ich hatten ihn immer unterstützt. Zu schade, dass das ganze Geld meiner Mutter langsam aber sicher zu Kopf stieg. Früher hatte sie sich so wie ich nichts aus diesen Namen und Marken gemacht. Aber heute würde sie wohl nie wieder einen H&M oder C&A betreten. Aber man konnte seine Eltern eben nur lieben. Erst recht, wenn man 21 Jahre lang ein normales Leben geführt hatte.

„22 Jahre und du wirst immer noch von Tag zu Tag schöner.“ Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und legte seine Arme um mich. „Kommt jetzt, der Wagen wartet.“ Wenn er doch nur wüsste, dass ich bei diesem ganzen Theater nur seinetwegen mitspielte …

Wie jedes Mal musste ich erst einmal tief durchatmen, bevor ich aus diesem Wagen stieg und das grelle Blitzlichtgewitter folgte. Mein Vater reichte mir seine Hand und ich hakte mich bei ihm ein. Zu dritt liefen wir über den roten Teppich des Opernballs. Ich lächelte, so gut ich eben konnte, während meine Mutter diese Aufmerksamkeit sichtlich genoss und mein Vater herzlich lächelnd den Fotografen zuwinkte. Dies war eines der Gründe, weshalb er gewällt worden war. Er zeigte seine herzliche Seite auch den normalen Bürgern. Er war ein guter Mensch, nicht abgehoben oder egoistisch. Er setzte sich für die Schwachen ein und bemühte sich darum, gerecht zu handeln.

Ich musste mich anstrengen, um nicht zu blinzeln. Immer nett lächeln, einen Fuß vor den anderen setzen und hoffen, dass alles schnell vorbei ging. Das waren die Überlebenstaktiken einer Präsidententochter.

Wie so oft gab es teuren Champagner, die Reichen Gäste unterhielten sich in gekünstelten und unechten Diskussionen über Gott, Geld und die Welt. Es dauerte Stunden, bis ich mich aus diesem Meer von unechten Gefühlen und Gerede loseisen konnte und auf den Balkon flüchtete. Ich schloss die großen Flügeltüren, hinter dem die Musik fast verstummte. „Meine Güte!“, fluchte ich und atmete tief die abendliche Sommerluft ein. Manchmal wünschte ich mir wirklich mein altes Leben zurück. Erst recht, wenn ich hinter mich blickte und sah, dass meine beiden besten Freunde wieder hinter der Balkontür standen und sie streng bewachten. Ich hatte sie liebevoll Tom und Jerry getauft. Seit dem Vater zum Präsidenten gewählt worden war, waren diese beiden Muskelmänner meine ständigen Begleiter. Ein Wunder, dass sie mir nicht auf die Toilette folgten und vor meinem Bett wachten, während ich schlief. Vielleicht war Vater auch nur so überfürsorglich nach dem Tod von Karin und Lena Ahrens, der Familie seines Konkurrenten. Aber der tot lauerte an jeder Ecke. Ich konnte selbst an meinem Handy sterben, welches ich nun aus meiner Tasche zog, um meinen Freunden mitzuteilen, dass der Plan ohne Probleme ablief. Wenigstens zur Uni konnte ich normal gehen. Auch, wenn Tom und Jerry selbst vor dem Gebäude auf mich warteten. Natürlich mit einem schicken schwarzen Angeberwagen. Glücklicherweise wurde ich nicht als Präsidententochter geboren und hatte so zum Glück gute Freunde, die sich mit meinem neuen Leben arrangiert hatten. Natürlich studierte ich Politikwissenschaften. Leider hatte ich darauf so überhaupt keinen Bock. Allerdings war die Angst davor, meine Eltern zu enttäuschen, zu groß. Ich war ein Einzelkind. Ihr Lieblingskind. Ihr kleines Mädchen. Ich konnte sie einfach nicht enttäuschen. Ich blickte auf die Uhr meines Handys. Noch etwa eine halbe Stunde und dann könnte ich von hier verschwinden. Ich verstaute mein Handy wieder in der Tasche, da ich Vater nicht in ein schlechtes Licht rücken wollte, indem ich wie eine abhängige hier draußen vor meinem Smartphone hing. Okay, ehrlich gesagt hatte ich mehr Angst auf dem Titelbild einer Klatschzeitschrift zu landen als alles andere. „Auf in die Hölle“, sagte ich zu mir selbst und ließ Jerry mir die Tür öffnen.

Meine Mutter stand bei irgendeinem Mann, den ich nicht kannte. Neben ihm höchstwahrscheinlich sein Sohn. Als ich zu ihr trat, erkannte ich Erik Langenhorn. Er war ein ausgezeichneter Polospieler, auch wenn ich mich dafür ebenfalls überhaupt nicht interessierte. Dann war das also sein Vater, von dem er mir schon so viel berichtet hatte. Er konnte ihn tatsächlich nicht verleugnen, so ähnlich wie die beiden sich sahen. „Isabella, ich habe gehofft dich hier zu treffen“, begrüßte er mich und … gab er mir tatsächlich gerade einen Kuss auf meinen Handrücken?

„Hallo Erik“, brachte ich heraus und hoffte, dass meine, zu einem Lächeln verzogenen Lippen, noch mehr Wörter formen konnten. „Ich habe dich beim letzten Spiel vermisst.“

„Ja ich war leider verhindert.“ Leider war ich mit meinen Freunden unterwegs gewesen. „Lassen wir doch unsere Kinder allein.“ Meine Mutter lächelte mich zuckersüß an, während ich sie in meinem Kopf anschrie, dass sie mir das nicht antun konnte. Erik nahm einen Schluck aus seinem kunstvoll verzierten Champagnerglas und redete minutenlang vom Polo, seinem stolzen 50.000 € Pferd und natürlich dem preisgekrönten Gestüt seines Vaters. Da lag unsere einzige Gemeinsamkeit. Ich wollte keine Politikerin werden und Erik das Gestüt nicht leiten, sondern in einer entfernten Zukunft ein erfolgreicher Polospieler sein. Ich hörte ihm gar nicht wirklich zu und gab mein Bestes, irgendwie interessiert zu wirken. Nicht mehr lang, dann konnte ich gehen ... Bald hatte ich das ganze Theater hier hinter mir. Gedanklich schon bei dem Konzert, auf dem ich später sein würde, ließ ich meine Blicke über den Saal schweifen. Die Klänge von Violinen und einem Piano tauchten den Raum in eine märchenhafte Atmosphäre. Natürlich im Zusammenspiel mit dem kunstvollen und altertümlichen Innenleben dieses Saales und den Frauen in ihren pompösen Kleidern. Die Pärchen tanzten auf der großen Tanzfläche, während ihre Kleider umher wirbelten. Hoffentlich kam Erik nicht auf die Idee, mit mir tanzen zu wollen! Als ich mich wieder Erik zuwandte, damit er ja nicht auf dumme Ideen kam, erblickte ich ihn.

„Würden Sie mir Ihre Begleitung für einen Tanz ausleihen?“ Ich wand mich zu dieser männlichen Stimme und erblickte dunkle Augen. Wahnsinnige dunkle Augen. Ich spürte, dass dieser Mann anders war. Seine dunkelblonden Haare hatte er sich zwar elegant gestylt und auch sein dunkler, blauer Anzug umrahmte seinen muskulösen Körper perfekt aber etwas an ihm, war mir unheimlich. Seine Lippen waren zu einem schmalen Lächeln verformt, als er mir seine Hand reichte. Sie war mit kleinen Narben und Wunden versehen, fast so, als würde er tatsächlich hart arbeiten. Als ich seine Hand entgegennahm, kam mir nicht nur sein Körper riesig vor. „Ich bin nicht seine Begleitung“, stellte ich klar, warum auch immer ich das Gefühl verspürte, ihm sagen zu müssen, dass ich nicht zu Erik gehörte. Das ich niemandem gehörte. „Umso besser.“ Mit einer Leichtigkeit zog er mich näher zu sich, betrachtete mich, so wie ich auch ihn musterte. Er hatte einen leichten Bartansatz, was ihn älter aber nicht unattraktiver wirken ließ. Nervös schob ich mir eine gelockte Strähne hinter mein Ohr, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatte. Seit wann wurde Isabella Jansen denn nervös? Ich wurde nicht nervös, wenn tausend Augen auf mich gerichtet waren, wenn Fotografen und Journalisten mich Interviewten aber jetzt wurde mir mulmig? Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als er mich zur Tanzfläche führte. „Wer sind sie?“, fragte ich ihn, als er seine Hand an meine Hüfte legte und die andere mit meiner verschmelzen ließ. „Dave.“ Eine knappe Antwort. Scheinbar war er wohl nicht der Gesprächigste. „Da Sie nicht nach meinem Namen fragen, wissen Sie wohl, wer ich bin.“ Versuchte ich ihn irgendwie zum Reden zu bewegen. Selbst wenn er stumm wie ein Fisch sein sollte, lieber war ich bei ihm als bei Erik, der uns entgeistert beobachtete. Vielleicht ließ er mich ja jetzt endlich in Ruhe?

„Wer würde sie nicht kennen.“ Wir drehten uns und ich spürte, dass er nicht der beste Tänzer war. Er wollte führen, tat dies jedoch nicht wirklich gut. „Sie sind keiner von denen, habe ich recht?“ Ich erhaschte für den Moment eine gewisse Neugier in seinen Augen. Da war tatsächlich ein Gefühl in seinem Gesicht! Vielleicht war er doch nicht der Eisberg, der die Titanic sinken ließ.

„Denen?“

„Sie wissen schon, was ich meine. Sie sind kein reicher Mann.“

„Wie haben sie das erraten?“ Ich lächelte verschmitzt. „Sie tanzen schrecklich, tragen kein Parfüm und sie haben keinen teuren Anzug mit keiner teuren Uhr.“

„Und dennoch tanzen sie mit mir.“ Er hatte mir ja nicht einmal eine Wahl gelassen … Ich konnte aus seiner Stimme keine Gefühle erkennen. Was dachte er wohl gerade? Dave schien ein einziges Geheimnis zu sein. Etwas, was mich neugierig machte. „Glauben Sie mir, wahrscheinlich sind Sie die angenehmste Person hier in diesem Raum.“ Scheinbar hatte er mit dieser Antwort nicht gerechnet. „Und das, obwohl ich ihnen ständig auf die Füße trete?“

„Sie haben mich vor diesem aufgeblasenen Papa Söhnchen gerettet. Damit haben sie viele Pluspunkte gesammelt.“ Dave musterte mich und unsere Augen trafen erneut aufeinander. Die Luft wich aus meinen Lungen, als er mich enger an sich schob. Ich spürte jeden seiner Finger an meinem Rücken. Ein Schauder jagte durch meinen Körper. „Du bist wirklich nicht so, wie ich angenommen hatte“, gestand er. Das war kein Wunder. Wahrscheinlich dachten sie alle, ich sei eine arrogante, reiche Präsidententochter, die stolz auf ihre Markenklamotten, dem ganzen Luxus und dem Geld war. Ganz im Gegenteil würde ich alles dafür geben, wieder ein normales Leben zu haben. Durch die Straßen gehen zu können, ohne, dass ein Paparazzi mich erkennt und ein Foto schießen will, wäre wirklich wie ein wahrgewordener Traum für mich. „Das haben schon viele zu mir gesagt.“ Ich war noch nie jemanden begegnet, der so eine abgrundtiefe Dunkelheit in seinen Augen besaß. Wer war dieser Dave nur? Wer war er, dass sich mein Puls beschleunigte und mein Herz in meiner Brust wild klopfte. „Gehen Sie mit mir nach draußen? Die Abendluft ist heute sehr angenehm, zumindest angenehmer als die hier drin.“ Wir blieben stehen. Dieses Angebot war zu verlockend, jedoch traute ich diesem Mann nicht. Er war attraktiv, keine Frage aber etwas an ihm ließ mich misstrauisch bleiben. War es seine einschüchternde Haltung? Sein undurchdringbares Pokerface? Oder doch die Dunkelheit in seinen Augen? Für mich war er ein unberechenbarer Mann, den ich nicht wirklich einschätzen konnte.

„Ich gehe mal davon aus, dass sie ein Mann aus der Mittelschicht sind. Wie haben Sie es hier rein geschafft?“, fragte ich ihn misstrauisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich habe die Eintrittskarten gewonnen.“

„Sie wirken nicht wie ein Mann, der sich gern auf Opernbällen herumtreibt.“ Außerdem fragte ich mich, ob man tatsächlich die Karten gewinnen konnte? Ich hatte gedacht, dies hier war nur für Hochrangige, geladene Gäste? Vielleicht war es ja auch meine weibliche Intuition, die mich davon abhielt, mit ihm einen Spaziergang zu tätigen. Ich fühlte es geradezu, wie seine Augen mich verschlangen. Daves blicke verloren sich hinter mir. Vermutlich entdeckte er Tom und Jerry. „Das bin ich auch nicht, da haben sie recht. Meine Welt ist eine vollkommen andere als die ihre. Ich interessiere mich nicht für diesen Wahnsinn hier.“

„Warum sind sie denn hier?“ Mein Misstrauen war kaum zu überhören. Er sah wieder zu mir hinunter und ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen. „Der Champagner und das Essen sind gut. So was bekommt man nicht alle Tage.“ Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Sie können mir nicht erzählen, dass sie dieses widerliche Blubberzeug hier mögen. Sie wirken eher wie der typische Bierliebhaber.“ Während dieser Dave wohl erneut nach einer neuen Lüge suchte, wurde mir bewusst, dass die halbe Stunde schon längst rum war und ich mich jetzt verspäten würde. „Hören Sie. Sie sind mit ihrem undurchdringbaren Pokerface vielleicht ein ganz guter Lügner, aber ich bin ihnen meilenweit voraus was lügen und Schauspielern angeht. Ich weiß nicht, wer Sie sind und es ist mir auch egal. Ich muss jetzt gehen. Lassen Sie sich den Champagner schmecken“, stichelte ich belustigt, ließ ihn stehen und drehte mich auch nicht mehr zu ihm um. Nicht, dass ich stolz darauf wäre, eine gute Lügnerin geworden zu sein aber um als Tochter des Präsidenten überleben zu können, sind Notlügen unabdingbar.

Meine Mutter fand ich nicht jedoch meinen Vater und das reichte mir.

„Ist schon gut meine Kleine. Ruhe dich aus. Arnold wird ich nach Hause fahren.“

„Danke Vati.“ Ich ließ mich auf seine Umarmung ein und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ich war seine kleine Prinzessin, deshalb liebte er mich auf seine ganz besondere Weise. Wann würde er wohl endlich sehen, dass ich nicht mehr seine Kleine war? Dass ich eine Frau geworden bin, die mehr im Leben wollte, als gut auszusehen und auf Bällen und Events Champagner zu trinken.

Gespielt kränklich ließ ich mich von Tom und Jerry nach draußen zu unserer Limousine begleiten. Ich hatte wahnsinnige Kopfschmerzen, vermutlich von zu viel Alkohol bekommen. Natürlich war das nur gespielt. Ich mochte dieses Zeug nicht und hatte nur ein paar Mal daran genippt und den Rest bei der erstbesten Gelegenheit weggekippt.

Zu Hause angekommen, verabschiedete ich mich von Tom und Jerry, die sich wohl wie gewohnt hinter meiner Tür positionierten, und schlüpfte endlich aus diesen Schuhen und diesem grauenvollen Kleid. Es dauerte keine halbe Stunde, bis ich in einem engen schwarzen Neckholder Top, engen kurzen Shorts und meinen Lieblings Converse aus dem Fenster kletterte. Im letzten Jahr hatte ich meine ganz spezielle Technik entwickelt, unbemerkt aus dem zweiten Stock nach unten zu gelangen. Es gab hier eine Menge Bewegungsmelder, Kameras, Security und sogar einen Wachhund, der mich allerdings so sehr liebte, dass er aufs Wort hörte. Ich fragte mich wirklich, weshalb Vater so einen Aufwand machte. Wir waren nur eine Präsidenten Familie und nicht die Könige der Welt!

Ich kletterte auf das Vordach und von dort an dem Efeu hinunter bis zur ersten Etage, wo ich das Fensterbrett eines unserer Badezimmer betreten und von dort auf den Rasen springen konnte. Von da aus waren es nur ein paar Meter bis zur Hecke und wenn man den richtigen Moment abpasste, konnten die Kameras mich auch nicht sehen.

Ich wusste jetzt, wie sich James Bond fühlte.

Durch die Hecke geschlüpft, erkannte ich, dass meine Freunde mir bereits das Seil über die Steinmauer geworfen hatten. Ich zog ein paar Mal daran, bis ich einen Widerstand spürte und gekonnt hangelte ich mich nach oben und schwang mich auf die andere Seite. Die Seite der Freiheit!

„Na Prinzessin, wie war der Ball?“, fragte Sven und wickelte das Seil auf. „Hast du einen Prinzen getroffen?“

„Da waren viele Prinzen aber leider alles nur Frösche“.

„Dann tut es mir schrecklich leid, dass die Hoheit ihren Abend mit unserer Wenigkeit verbringen muss.“ Dies kam von Cloe. Sie trat zu mir und umarmte mich. „Ja und dann muss ich auch noch mit euch auf ein Konzert in dieser Spelunke gehen! Wie schrecklich!“ Ich verdrehte die Augen und tat genervt, innerlich jedoch stieg meine Stimmung von Sekunde zu Sekunde. Ich hasste es, die kleine Prinzessin zu spielen. Das war es, was meine Eltern wollten. Ich war schon lange nicht mehr ihr kleines Mädchen, welches immer zu lächelte, nett und höflich war und es kaum abwarten konnte, zu ihrem Ballettunterricht zu hüpfen. Aber immerhin konnte ich mich dank des Balletts von damals gut bewegen, sonst würde ich wohl jetzt nicht hier unten bei meinen Freunden stehen.

„Lass das nicht meinen Bruder hören. Sonst bekommst du den Rest deines Lebens Hausverbot“, rief Sven belustigt, der soeben das Seil im Kofferraum seines Autos verstaute. Ich setzte mich zu Natalie und Robert auf die Rückbank, während sich Cloe bei ihrem heimlichen Verehrer in den Beifahrersitz sinken ließ. Warum nur brauchten manche Menschen gefühlt Jahrhunderte um sich ihre Liebe zu gestehen? Ich war zwar keine Expertin in Liebesdingen, aber dieser Eiertanz der liebenden war doch total bescheuert! Ich würde das Ganze viel lockerer angehen.

Die Musik unserer Lieblingsband drang lautstark aus den Lautsprecherboxen des Autos. Scheint so, als würde dieser Abend doch noch gut werden.

Die harten Klänge der E-Gitarre und die Stimme von Jamie Campbell Bower ließen uns schon lange nicht mehr an der Bar sitzen. Das Konzert der eher mittelmäßigen Band war schon längst vorbei und glücklicherweise war Svens Bruder der Besitzer des Clubs, sodass nun die Lieder von Counterfeit durch die Lautsprecher drangen. Wir sprangen, sangen und tanzten so, wie man eben zu Rockmusik tanzen konnte.

Das war das Leben.

Hier fühlte ich mich frei und ungebunden.

Das Adrenalin schoss durch meine Venen und belebte mich, wie es kein Alkohol der Welt jemals konnte.

Das war Musik.

Sie belebte und veränderte uns.

Sie war der Herrscher unserer Gefühle.

Die Masse wippte ihm Laserstrahl und ich sah ihre Augen, wie sie mich beobachteten, mich mit Haut und Haar verschlangen, aber mich niemals ansprechen würden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand ein Foto schießen würde und ich in den Medien landen würde. Die brave Präsidententochter war gar nicht so brav, wie sie immer tat.

Und wenn schon, ich fühlte mich wie die Herrscherin der Welt. Wir grölten der Musik entgegen, während ich wusste, dass es längst Zeit war, nach Hause zu gehen. Meine Eltern wären schon längst zurück und wenn ich morgen bis nachmittags im Bett liegen oder total durchzecht vor ihnen stehen würde, würden sie merken, dass ich nicht schlafen gegangen war. Aber momentan hatte ich das Gefühl, dass mir alles egal war. Sicherlich lag das nicht nur an der Musik, sondern auch an dem Alkohol. Ich fühlte mich, als würde ich morgen meinen Eltern sagen, wer ich wirklich war. Das ich lieber durch die Welt reisen würde und mein Geld mit kleineren Nebenjobs verdienen würde, je nachdem, wohin mich diese Welt führte. Ich würde ihnen erklären, dass ich eben nicht mehr ihre kleine Prinzessin war, dass ich eine junge, Erwachsene Frau geworden bin, die ihr Leben sicherlich nicht als Politikerin vergeuden würde. Das ich nie wieder auf diese lästigen Veranstaltungen gehen würde, nie wieder eines dieser Kleider von Valentino, Prada oder Gucci anziehen würde. Ich fühlte mich, als könnte ich alles sein, was immer ich auch sein wollte. Als wäre mein goldener Käfig, in dem ich lebte, nicht mehr vorhanden.

Ich war frei.

Glücklich.

Ich war ich.

„Isa. Wir müssen gehen.“ Robert riss mich aus meiner Hypnose und legte seinen Arm um meine Schultern. „Ich beneide euch alle. Niemand kann euch sagen, was ihr zu tun und zu lassen habt. Ihr wohnt in WGs und habt euren Spaß. Ihr könnt in den Tag hineinleben, während ich wohl für immer als die kleine Prinzessin bei meinem Vater wohnen werde.“

„Woher kommt das jetzt so plötzlich?“

„Na ist doch so. Eure Eltern interessieren sich einen Scheiß dafür, was ihr am Wochenende macht, mit wem ihr abhängt oder welche Klamotten ihr tragt! Aber nein, dass Prinzesschen muss ja um 12 Uhr zu Hause sein, denn dann ist der ganze Zauber wieder vorbei.“

„Prinzessin, es ist 3 Uhr morgens und ich will penn.“ Ich stöhnte missmutig. Wieso verging die Zeit nur so schnell, wenn man Spaß hatte? „Ich komm ja schon!“ Ich umarmte Natalie und verabschiedete mich von Sven und Cloe die schon gefühlt seit Stunden miteinander tanzten. Vielleicht würde ich ja schon Morgen eine Wahtsapp bekommen mit: Endlich gehört er mir oder so was. Dann war dieses ewige hin und her der beiden auch endlich vorbei.

Gemeinsam mit Robert machte ich mich auf den Weg nach Hause, während die Musik noch immer in meinen Ohren dröhnte. Wir mussten mit der U-Bahn fahren, da Sven und die anderen erst später nach Hause wollten.

Als wir in die U-Bahn einstiegen, summte ich noch immer die Lieder vor mich her. Nur ein paar einzelne junge Leute, die wohl ebenfalls von einer Party auf dem Weg nach Hause waren, leisteten uns im sonst leeren Abteil Gesellschaft. Nach wenigen Minuten schloss Robert seine Augen. Er war wirklich müde. Ich jedoch war von dem ganzen Adrenalin noch immer voller Energie. Wie sollte ich heute jemals einschlafen können? Ich ließ den Tag Revue passieren. Sah diesen geheimnisvollen Fremden noch immer vor mir. Was wohl aus ihm geworden war?

„Deine Haltestelle“, erinnerte ich Sven, der erschrocken aus seinem Sitz hochfuhr. „Keine Panik, du hast noch ein paar Minuten“, erklärte ich ihm lachend, während er sich müde durch seine langen braunen Haare fuhr. „Wie kannst du nur so wach sein?“

„Keine Ahnung.“ Ich zuckte mit den Achseln und winkte ihm zum Abschied hinterher. Ein Pärchen stieg ein und setzte sich fast mir gegenüber. Das Mädchen sah genauso fertig aus wie Robert und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Freundes. Sanft strich er ihr über den Kopf.

Würde ich jemals eine Beziehung führen? Jeder normale Mann rannte vor mir weg. Nein, er rannte vor meinem Vater davon. Vor diesem Leben, welches ich nun führte. Ob dieser Dave wirklich gewusst hatte, wer ich war? Außer ihm hatte mich keiner der jungen Reichen zum Tanz aufgefordert. Erstrecht in den Clubs nicht. Ich seufzte schwer und ließ meine Gedanken schweifen, während die Haltestellen an mir vorbei flogen und das Abteil immer leerer wurde. Ich beneidete meine Freunde wirklich um ihr so normales Leben.

Ich stellte mir vor, wie mein Vater reagieren würde, wenn er erfahren würde, dass ich um 4 Uhr morgens aus der U-Bahn stieg, die leeren Straßen nach Hause lief und das Ganze ohne Tom und Jerry.

Väter! Sie machten sich einfach viel zu viele Sorgen um ihre Töchter.

Der kühle aber angenehme Sommerwind wehte mir durch meine Haare und ich inhalierte den frischen Sauerstoff nach den Minuten im stickigen Untergrund. Von der U-Bahn Station bis zu unserem Haus waren es nur wenige Meter. Aus dem Käfig raus zu kommen war einfach, rein hingegen schon etwas schwieriger. Ich kramte in meiner Tasche und suchte nach meinem Schlüssel, während ich noch immer die Lieder summte. Was für eine angenehme Nacht. Der Mond schien halbrund am Himmel und mit den Sternen und Laternen erhellten Sie die Straßen.

„Was zum!“ Ich wollte schreien aber wurde daran gehindert. Ein Arm packte mich, presste mich gegen den Körper eines Mannes, der gut zwei Meter groß war. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen aber blickte in dunkle Augen, dessen Farbe ich nicht erkennen konnte. Alles ging so verdammt schnell und ehe ich mich versah, verfiel ich in eine tiefe Dunkelheit.

Die verschleppte Prinzessin

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