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An jedem Märchen ist was wahres dran
ОглавлениеEs war einmal ein bezauberndes Märchenreich, das lag in den nordosthessischen Landen zwischen dem mächtigen Herkules, der über der Stadt Kassel thront und der altehrwürdigen Wartburg, die auf Eisenach herab blickt. In der wunderschönen Landschaft mit den lieblichen Tälern und luftigen Bergeshöhen ruhten kleine Städtchen und entzückende Dörfchen inmitten von weiten Feldern und umgeben von großen Waldungen. Leider war das Märchenreich ein wenig abgelegen und entsprechend zurückgezogen lebten seine Bewohner in dieser einsamen Gegend.
Die anderen Menschen der großen weiten Welt interessierten sich lange Zeit fast gar nicht für diesen stillen Landstrich in den randlichen Provinzen des Reiches und umgekehrt interessierten sich dessen Einwohner nur wenig für sie. Unter ihnen gab es etliche Naturliebhaber, die am liebsten weiterhin recht ungestört vor sich hin leben wollten.
Die Abgeschiedenheit war der Grund dafür, dass in jenen Wäldern die sieben Zwerge ihre Heimstatt gefunden hatten. Überdies betrieben hier auch noch einige andere Gnome ihre verschiedenen Handwerke. Die einen offen auf den Marktplätzen der Ansiedlungen, die anderen heimlich in den dunklen Wäldern. Einst gab es in dieser stillen Gegend so merkwürdige Begebenheiten, dass sich die Märchenerzähler noch heute mit einem gewissen Grimm daran erinnern. Die seltsamen Geschehnisse nahmen ihren Lauf vor langer Zeit - es war noch im letzten Jahrtausend.
In diesem gar zauberhaften Lande war das Netz der Pfade und Wege schon lange mehr schlecht als recht. Als eines schönen Tages unerwartet die Ostgrenze des Reiches durchlässig wurde und fortan ganz plötzlich viele fremde Reisende in langen Karawanen die einst undurchlässige Reichsgrenze überschritten, verstopften die vielen Wagen die engen Gassen beiderseits der nun plötzlich hochgezogenen Schlagbäume.
Als dies die hiesigen Könige und Minister höchstpersönlich in Augenschein nehmen wollten, blieben auch sie mit ihren Staatskarossen darin stecken. Obwohl sie teilweise kräftige Maulesel und Hornochsen vorgespannt hatten. Darob erschraken sie erstmal sehr. Dann berieten sie lange, was denn nun zu tun sei. In der Folgezeit wechselten die hochwohlgeborenen Fürsten und Prinzen die bequem gewordenen Throne und die hohen Rosse. Wobei sie stets ein zahlreiches Gesinde mitnahmen.
Ein Jahrzehnt nach dem anderen ging ins weite Land. Das aber überforderte bald die Geduld der sich überrannt fühlenden Ureinwohner im Grenzlande. Die zuvor als stoisch bekannten Nordosthessen waren nun - nach längerer Bedenkzeit - nicht mehr so gleichmütig. Bessere und schnellere Lösungen wurden gefordert. Man wollte keine Volksreden mehr auf den Marktplätzen hören, sondern draußen nutzbare Ergebnisse sehen.
Da begab es sich, dass ein paar tapfere Gesellen sich erdreisteten, statt einer Märchenstraße für Reisegruppen mit romantischer Gemütslage, einen richtigen Verkehrsweg bauen zu wollen. Dies voller Übermut in einem vorher von überregionalen Fernpfaden weitestgehend verschonten Landschaftsraum. Damit begann nun eine lange Fehde zwischen den auf Krawall gebürsteten Rittern mit den sehr unterschiedlichen Gemütern.
Bei dem beschriebenen Märchenreich handelte es sich zwar um ein recht liebreizendes, aber von jeher nur dünn besiedeltes Gebiet im Herzen der deutschen Lande. Doch immerhin, neben dem zahlreichen Getier des Waldes und des Feldes lebte dort auch ein tüchtiger Menschenschlag. Die Bewohner existierten allda vergleichsweise bescheiden, wenn man die örtlichen Verhältnisse mit denen in benachbarten Fürstentümern verglich.
Doch waren die oft etwas verschlossenen und manchmal eigenbrötlerischen Untertanen meist genügsam und zufrieden mit sich selbst. Bemerkenswert ist, dass es unter ihnen auch ein paar Tagträumer gab, die lange Zeit betulich vor sich hin gedämmert hatten und sich ihrer märchenhaften Ruhe ungestört haben erfreuen können. Genau diese, sich siebengescheit wähnenden Leute wurden nun durch die kühnen Wegeplaner aufgeschreckt.
Nichtsdestoweniger, die obersten Majestäten zwang das, über Problemlösungen nun mal etwas ernsthafter nachdenken. Aus taktischen Gründen wollten sie aber nicht, dass die aus den geänderten Verkehrsverhältnissen erwachsenden Erfordernisse, zwischen den regionalen Landgrafen und den einfachen Untertanen allzu früh und allzu offen auf den Marktplätzen beschwatzt werden. Daher versuchten die Mäzene der schönen Wald-, Feld und Wiesengeister ihre wirklichen Absichten möglichst lange zu verbergen.
Besonders all das, was die Eigennützigkeit an ihrem heimlichen Wirken verraten könnte. Immer dann, wenn zweckdienliche Lösungsansätze nicht in ihr persönliches Herrschaftsbild passten, schoben sie als Ablehnungsgründe scheinbar gemeinnützige Argumente vor und umgaben sich mit dem Odium von Seelsorgern der Heilsarmee. So blieb das eigentliche Ansinnen dieser Geister über eine lange Zeit unentdeckt. Manche gutgläubige Ureinwohner sind noch heute nicht dahinter gekommen, wes Geistes Kind die grün gewandeten Märchenerzähler dieser unseligen Zeit wirklich waren.
In dem geheimnisvollen Märchenreich soll es übrigens auch vorgekommen sein, dass einige Kobolde, die der Kleinkindphase eigentlich schon entwachsen waren, es den Lausbuben von Hameln nachzumachen versuchten. Diese streunten damals als Tagediebe in der Gegend herum und einige von ihnen folgten Rattenfängern. Dem Vernehmen nach sollen diese ja einst auch ein lupenrein gemeinnütziges Ziel gehabt haben. Sie hatten vorgegeben, eine Ungezieferplage beseitigen zu wollen.
Doch der allgemeine Fortschritt ließ sich auch in dem lange Zeit rückständigen Märchenlande nicht ewig aufhalten. Irgendwann sind auch hier modernere Denkweisen angehört worden. Die von anderen Geistern. Nun konnte das einfache Volk nicht nur vom Berg der Frau Holle - vom Meißner aus - mit bloßen Augen in alle Richtungen "fernsehen", sondern auch mit den neumodischen Glotzkisten, die anderswo Fernsehgeräte genannt wurden.
Natürlich waren das Importe aus wirtschaftlich besser prosperierenden Regionen. Aber immerhin, langsam kamen fortschrittlich denkende Menschen in Hessens wildem Osten dahinter, dass man diese neue Technik als Informationsquelle über den Rest der Welt nutzen konnte. Leider gab es hier auch Menschen, die auf den unbedingten Erhalt der bisherigen Urgemütlichkeit bestanden. Das waren die grünen Zugereisten und ihre Apostel. Die hatten keinen Fernseher und wollten auch gar keinen haben, weil diese neumodischen Dinger womöglich neue Ideen aus anderen Weltteilen in ihre Hütten aus Naturholz, Ökolehm und Biostroh getragen hätten. Womit ihre bisher unerschütterlich fest zementierten Gedankengerüste hätten durcheinander gebracht werden können.
Als den notorischen Grundsatzbedenkenträgern aus den Kreisen der Grünwichtel die fixe Idee der Wegeplaner im Märchenwald bekannt wurde, rotteten sie sich mit einigen Gauklern, Fabulierern, Zauberlehrlingen, Verhexern und Narren zusammen, um Strategien zu erkunden, mit denen man das angedachte Wegeprojekt und die aufkeimende Zustimmung dazu möglichst unauffällig gleich im Keime ersticken konnte. Einige Grünwichtel hatten inzwischen einflussreiche Positionen als Vasallen in den höher gelegenen Schlössern erklommen. Als solche ließen sie landgräfliche Erlasse an die Kirchentüren anschlagen, die da lauteten: "Es ist den Untertanen untersagt, den Maßstab ihrer begrenzten Einsicht an die Obrigkeit anzulegen".
Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass die Ruhigstellung der Betroffenen nicht so recht gelingen wollte. Nun wurde versucht, die Pläne zum Wegebau mit fleißigen Wühlmausgruppen auf möglichst vielen Ebenen zu untergraben. Doch mit ihren nur halboffenen Visieren gelang es den autoritären Vordenkern aus den verdörnerten Dornröschenschlössern nicht, die meist als dumm eingeschätzten Untertanen zu übertölpeln und für ihre eigenen Ziele einzuspannen. Diese sagten, dass sie keine Leibeigenen mehr seien. So bissen die kleineren Möchtegern-Gebieter immer öfter auf Granit. Das aber leider zu spät. Da waren schon einige Wegeteile, die an die Form von Schlangenspuren gemahnten, so festgeklopft, wie einst die Packlagen der alten Römerstraßen. Die Herolde auf den hohen Rossen nannten das geheimnisvoll "die Pläne seien nun planfestgestellt und nicht mehr anrührbar", man solle sich gefälligst darein ergeben.
Zunehmend besorgniserrregend erschien es den hochwohlgeborenen Fürsten und Baronen, dass nicht mehr alle Günstlinge mit gesenkten Häuptern brav hinter ihnen standen. Es zeigte sich, dass ein Teil der oft immer noch nicht ganz freien Lakaien, Bücklinge, Kammerdiener, Nachbeter, Knechte und Mägde nicht mehr so lammfromm spuren wollte, wie das ihre Urgroßeltern taten, die noch richtige Leibeigene waren. Außerdem wollten auch viele Nachbarfürsten, jedenfalls die weitsichtigeren unter ihnen, den grünen Vortänzern nicht so ohne weiteres folgen, wie dem Rattenfänger von Hameln. Leider gab es aber auch einige Würdenträger, die nur vortäuschten, den neuen Weg (später sagte man Autobahn dazu) akzeptieren zu wollen. Tatsächlich halfen sie klammheimlich den Wühlmäusen beim Untergraben des Projektes.
Da es also eine gewisse Diskrepanz gab zwischen den Wünschen des Fußvolkes und den damals rot-grün gesprenkelten Wühlmäusen, versuchten letztere, die Könige anderer Länder vor ihren Karren zu spannen. Das gelang ihnen auch tatsächlich, denn aus der Ferne gesehen, schien die vorgegaukelte Argumentation der blinden Untertage-Mäuse nachvollziehbar. In Brüssel wurden grüne Gummiparagraphen beschlossen, die vorgeblich für andere Zwecke gedacht waren, nämlich um gedankenlose Mitmenschen einschüchtern zu können.
Wenn diese zum Beispiel die Lebensräume von Reineke Fuchs, Grimbart Dachs, Wolf Isegrimm und anderen Tieren aus Wald und Feld ankratzten. Was mit den Interessen der normalen Waldmännlein und Waldweiblein geschehen würde, interessierte die hohen Herrschaften nicht wirklich. Davon redeten sie nur. Aber nur manchmal - und nur ganz am Rande. Außerdem nur auf Nachfrage und auch dann nur mit den gewundenen Sätzen, wie sie Rosstäuscher auf dem Pferdemarkt von Cassel verwenden.
Jedenfalls waren die im fernen Brüssel zusammengesponnenen speziellen Gesetze so hintersinnig formuliert, dass der vorgegebene Schutz einfacher Höriger darin bestenfalls mal im übertragenen Sinne vorkam. Aber wenn jemand einmal etwas mutiger war wie das tapfere Schneiderlein und er etwas beharrlicher nachfragte, konnte man diese Nebenaspekte notfalls an den Haaren herbeiziehen. Hartnäckig nachhakende Untertanen brauchten dafür allerdings einen festen Schopf wie Rapunzel, die dem Ersehnten ihr Haar herunterließ. Sehr wohl aber konnten mit diesen besonderen landesherrlichen Befehlen, Erlassen und Verordnungen (nach entsprechendem Hinbiegen) ganz prima Wald-, Feld- und Wiesenwege liquidiert werden. Später sogar Autobahnen.
Schon bald wurde im waldhessischen „Radio FFH“ verkündet: Das ist hier alles FFH-Gebiet (man verstand darunter Flora-Fauna-Habitat)! Leider wurde der Satz von der Hörerschaft verschieden verstanden. Vor allem die rotgrünen Querdenker aus den Hinterwaldregionen, aber auch einige Bedienstete von Forstgütern und anderen hohen Häusern, erhoben es zur Maxime "... und wenn sich die Autobahnplaner auf den Kopf stellen: Hier darf keine neue Straße gebaut werden"! Höchstens vielleicht eine Achterbahn mit vielen Spitzkehren zum Ergötzen der grünen Wichtel mit den roten Mützen. Ausreichend für ein Seifenkistenrennen vom Wichtelberg herunter, der neben der Spitzkehre liegt. Oder eine Geisterbahn zum Erschrecken jener ungebetenen Verkehrsteilnehmer mit dem kecken Ansinnen, einfach so mir nichts dir nichts durch das verschlafene Märchenreich reisen zu wollen.
Einziger Vorschlag zur Güte: Allenfalls könnte die Planung eines Kutschenweges geduldet werden, aber höchstens auf Linien ehemaliger Trampelpfade für Maulesel. Damit käme der lokale Landgraf etwas bequemer zu seinem landesherrlichen Fürsten, seine Durchlaucht zu Ihro Gnaden, der adlige Gutsherr von Kappel zum herrschaftlichen Baron von Hohenhausen, der Doktor Eisenbart zum Pfarrer Frommanskirch, vielleicht noch der Stachelbeerförster Baumhör zum Schulmeister Lämpel.
Aber für die Masse des einfachen Volkes wurde beschlossen und verkündet, dass für sie eine bessere Verkehrsverbindung überhaupt nicht in Frage kommt. Jedenfalls nicht, wenn sie relativ kurvenarm zwischen größeren Ansiedlungen geplant wird. So etwas darf hier nicht so ohne weiteres realisiert werden. Was den Wald- und Feldherren aber keine Ruhe ließ, war die dräuende Gefahr, dass ihrer unter Naturschutz stehenden Ideologie, allen Widerständen zum Trotz, das Projekt vielleicht irgendwann doch noch aufgedrückt werden könnte.
Daher beschlossen die getreuen Knappen, das Projekt vorsorglich gleich vom ersten Anfangskonzept her so teuer planen zu lassen, dass es eine gute „Chance“ bekommt, vorzeitig beerdigt zu werden. Und zwar möglichst noch von einem der (scheinbaren) Befürworter der Wegeplanung selbst. Einem hochrangigen Vertreter der politischen Gilde, dessen Fahnen ihm mit den Wechselwinden eine andere Marschrichtung empfahlen. Oder eben, wenn nach Unterwanderung seiner Zunft ein geistiger Strömungswechsel der Anhängerschaft erfolgt ist.
Till Eulenspiegel plaudert aus
Die Spatzen pfiffen von allen Dächern, dass es für den landschafts- und strukturangepassten Regionalweg zwischen dem Kasseler Herkules und der Eisenacher Wartburg tatsächlich einige klammheimliche, aber ruchbar gewordene Versuche dieser Art gab. Der pfiffige Till Eulenspiegel und die umherziehenden Trobadoure, die wandelnden Tageszeitungen der damaligen Zeit, sangen davon. Allerdings nicht öffentlich vor dem einfachen Volke. Sondern verblümt. Womöglich hätte man sie sonst gerädert und gevierteilt.
Die verbissensten Grünwichtel sahen Wegeplaner schon immer als Ignoranten des lupenreinen Naturschutzes und darum musste diesen unbotmäßigen Betonköpfen vor allem das Wichtigste mal so richtig erklärt werden, das was sie in der frühesten Planungsphase offenbar nicht richtig verstanden hatten, nämlich wer hier der große Kurfürst ist und wer der Gehorsamspflichtige zu sein hat. Manche betriebsblinde Planer hatten dämlicherweise allzu lange gedacht, dass hier das Volk als Souverän mittels seiner gewählten Vertreter herrschen würde. Und dass diese einen Planungsauftrag an die untergeordneten Ämter geben würden.
Für manchen damals arglos denkenden Knecht ist es heute gar nicht mehr vorstellbar, dass er anfangs tatsächlich so naiv gedacht hatte, dass die Zeiten vorbei seien, in denen die Gebrüder Grimm aus Kassel die Märchen erklärten und auch, dass nicht mehr deren Fürsten mit ein paar Gleichgeschalteten die Geschicke der Untertanen allein lenkten. Das war aber ein fataler Irrtum, eine Fehleinschätzung der an die Vernunft glaubenden Planer. Dass es heute vielleicht doch noch nicht so viel anders ist als im finsteren Mittelalter, haben die Treuherzigen nur langsam begriffen.
Der Wegebau ist immer Sache der obersten Landesfürsten, hier also jener der Herren von Weisebade im Rheingau. Somit wechseln die Richtlinien für den Wegebau jedesmal, wenn auf dem höchsten Turm der Burg, die Fahnen der Herrschenden wechseln. Also alle paar Jahre.
Hüh oder hott im steten Wechsel
Natürlich durfte damals wie heute niemand solche Dinge offen beim Namen nennen. Vorsichtig und verblümt musste das geschehen. Daher wurden die wirklichen Herrschaftsverhältnisse den allzu Blauäugigen so lange auf indirekte Weise eingebläut, bis sie kapiert wurden. Immer wenn sich ein leiser Widerspruch andeutete, wurde mit dem Holzhammer gedroht und wenn es sein musste auch (verbal) zugeschlagen. Die konspirative Präambel des ungeschriebenen Gesetzes lautete: Etablierung einer Ökodemokratur. Jedoch verborgen unter einem freiheitlich-demokratischen Deckmäntelchen. Das bestand natürlich feudal aus reiner Naturseide.
Es wäre zwecklos, diese Form der Staatslenkung, die sich heimlich eingeschlichen und nun längst manifestiert hat, nicht als entscheidende Macht anzuerkennen. Nachdem sie über Jahre hinweg vertrauensselig der Sukzession überlassen worden war, steht sie nun in voller Blüte. Aber Pssst! Das ist streng geheim! Von diesem vollständig verdeckt gehaltenem Staatsgeheimnis ahnen nur ganz wenige Untertanen etwas.
Ein wenig naiv fragt der arme Landarbeiter auf den Gütern des Grafen den vorbeikommenden Troubadour "Wie sieht eigentlich eine Ökodemokratur aus"? Der weitgereiste Barde weiß das und versucht es ihm diskret unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu erklären. Allerdings stellt er es erstmal ebenso mystisch dar, wie die vorgenannte Herrschaft ausgeübt wird. Sein vom Lautenschlag begleiteter Gesang würde in heutiges Deutsch übertragen ungefähr so klingen: "Die Straßenplaner haben bis dato dem Wachtelkönig noch nicht gehuldigt - Simsalabim - in dessen Königreich zu planen, sie sich so frech erdreisteten! Trallali! Die versäumte Huldigung ist als unverzeihliche Majestätsbeleidigung ausgelegt worden. Trallala! Daher mussten die Könige einschneidende Edikte zur Zähmung der Widerspenstigen erlassen. Dideldei und Dideldum!"
Nachdem der Troubadour von dem Landarbeiter einen Becher Wasser bekommen hatte, beugte sich der Sänger zu dem Frondienstleistenden hin und flüstert ihm zu, dass die Majestätsbeleidigung als Verfahrensfehler nach EU-Recht gälte, das habe er offiziell gerade bei seiner Europatournee in Brüssel erfahren. Und inoffiziell habe man dort ebenso leise hinzugefügt, dass es eigentlich doch ein Fauxpas war, den rotgrüne Könige dereinst in Waldhessen speziell für sich als Waldhessenrecht erschaffen haben, die Lex Hassia. Im Nachbarreich Thuringia sei das EU-Recht damals anders - und wie er findet - viel vernünftiger ausgelegt worden. Bei seinem Auftritt auf der Sängerwiese nahe der Wartburg habe er das gehört und am dortigen Wegezustand auch selbst gesehen.
Danach sei er auf schlechten Wegen mit Polen, Russen, Chinesen und Mongolen nach Cassel weitergereist, wo er bei einigen Hinterwaldkönigen aufgetreten sei. Dort stand ein wunderschönes "Tischlein deck dich". Nach dem anschließenden Festschmaus habe er zufällig gehört, dass einige hessische Grünschnäbel die Majestätsbeleidigung durch die Wegeplaner damals eigentlich gleich mit dem Urteil „Auf die Guillotine und Rübe runter!“ hatten belegen wollen. Wie kann sich ein Staatsdiener erdreisten, die Anordnungen des großen Kurfürsten in Frage zu stellen? Seine Anordnungen hätten mindestens soviel zu gelten wie jene 10 Gebote, die Moses einst auf dem Berg Sinai von Gott empfangen habe.
Aber der Vollstreckung des strengen Urteils sei vorerst Einhalt geboten worden, weil dieses Strafmaß noch nicht ganz vom momentanen Gesetzgebungsstand der Ökodemokratur gedeckt gewesen war. Daraufhin habe der Vize des grünen Kurhessenkönigs zum roten Landgrafen gesagt, er solle sich für seine Untertanen noch nicht zu früh freuen, es sei noch nicht aller Tage Abend. Dann griff er zum edlen Weine im glitzernen Kristallglaspokal und sagte "Prost"!
Am Ende des finsteren Mittelalters ist von Napoleon Bonaparte der Code Civil verabschiedet worden (genau am 21.3.1804). Damit war erstmals ein Gesetzestext nicht parteilich von einem Monarchen einseitig vefügt worden, sondern von einer Republik nach relativ demokratischen Prinzipien. Darin wurden die Grundrechte Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit für das ganze Volk festgeschrieben. Es entstand das erste demokratische Gesetzbuch der Neuzeit, das Vorbild für nahezu alle späteren Gesetzbücher des Abendlandes. Anderswo wurde ähnliches erst nach dem Kommen und Gehen vieler Generationen eingeführt. Dort behielten vorerst noch lange Zeit mehr oder weniger absolutistische Herrschaftsformen die Oberhand. Hauptsächlich in den deutschen Obrigkeitsstaaten.
Zurück zu den deutschen Wegeplanern. Die haben sich so manche Missachtung zuschulden kommen lassen. Unter anderem würdigten sie nicht ausreichend das hochsensible Unkenrufgebiet, den schutzwürdigen Gesangsbaum der Spottdrossel, das Wolkenkuckucksheim der rotgrünen Waldwichtel, den Pfad zum Stechmückenmorast, auf dem aufgeblasene Ochsenfrösche den Hochzeitsmarsch blasen und vieles mehr. Neben dem Morast haben nämlich Molche mit und ohne Kamm ihr Refugium, Wildschweine haben da ihre Suhle im Schlamm, rotgrüne Wanderheuschrecken ihren Tanzplatz, Wiedehopfe ihr Biotop und Schlingelnattern einen Platz an der Sonne. Wenigstens die haben einen ....
Gerne würden die künstlich veredelten Grünfürsten und ihre Kronprinzen den ignoranten Wegeplanern ein paar Daumenschrauben anlegen, oder sie auf dem Marktplatz mit Halskrausen dem zuvor aufgewiegelten Pöbel überantworten. Aber der Schuss könnte nach hinten losgehen, denn es hat sich unter den noch nicht ganz gleichgeschalteten Bürgern herumgesprochen, dass die Gescholtenen eigentlich weit sinnvolleres für die Interessen der normalen Leute planen, als ihre Schergen. Es kommt nämlich nicht von ungefähr, dass in dieser Gegend, wo sich lange Zeit Fuchs und Hase gute Nacht sagten, dies auch die Menschen taten. Sie verließen das Märchenland, die ach so wunderschöne Gegend. Denn hier gab es zu wenig Beschäftigungsplätze in Wald und Feld. Sie sagten, dass sie allein von der schönen Landschaft nicht leben können.
Die legitimen Mobilitätsansprüche sind den Ureinwohnern in dem verzauberten Fabelreich der Waldhessen inzwischen aberkannt worden. Zwar fahren die grünen Pharisäer selbst nicht mehr mit der ordinären Postkutsche, sondern mit schönen Luxuslimousinen mit Chaffeur, aber dass für diese Vehikel bedarfsgerechte Straßen benötigt werden, braucht nicht beachtet zu werden, denn wenn die einfachen Untertanen künftig wieder auf Eselskarren verbannt werden, gibt es Platz. Dann reichen für die edlen Fürsten, Grafen und Eminenzen die jetzigen Wege vollständig aus. Allerhöchstens und nur vielleicht irgendwann mal, könnte sich eine vielfach gewundene, mächtig verdrehte und total verbogene Zickzacklinie um den Flickenteppich der vielen Tabuflächen herumschlängeln. Also um die Sümpfe für Grashüpfer herum, die Schlammlöcher für Molche, die Weiden für Pfingstochsen, die Nester für den Osterhasen, die Tannenbäume für den Weihnachtsmann etc.pp.
Die Untertanen müssen lernen, dass eine Straße, die breiter als ein Wildwechsel werden soll, sowieso nicht im selben Jahrtausend gebaut werden kann, in dem sich deren Notwendigkeit ergeben hatte. Mitnichten! Solches muss in Generationen gaaaanz langsam heranreifen. Ungefähr so wie beim schimmelnden Rommadurkäse aus Limburg. Nur noch viel länger. Bis es zum Himmel stinkt.
Bevor ein Straßenplanungskonzept tatsächlich mal den Weg in die Öffentlichkeit findet, müssen erst mal die Vorgaukler recht lange daran herumgedoktert haben, es verwässern, entstellen, verhackstücken, verunstalten, ruinieren. Wenn das Primärziel, es im Vorfeld ganz heimlich still und leise zu ermorden und dann möglichst unspektakulär zu entsorgen, dennoch nicht erreicht werden sollte, muss trotzdem kontinuierlich weiter versucht werden, es nachträglich zu beseitigen.
Märchen sind manchmal erschütternd brutal. Das mindert aber ihre Faszination nicht, sie werden immer wieder gern gelesen. Bis in unsere Tage. Es scheint sogar so, dass manche der gutgläubigen Menschen bestimmten Geschichten immer noch so viel Glauben schenken, wie einst, als sie auf Großmütterchens Schoß sitzend andächtig den Märchen der Brüder Grimm lauschten. Darf man daher vielleicht fragen, ob die hier geschilderten verheerenden Verhältnisse aus einem despotischen Sagenreich berichtet wurden und ob dieses untergegangen ist, wie viele andere Großreiche auch, die ihre fortschreitende Dekadenz nicht rechtzeitig bemerkt haben? Nun, so richtig vergleichen lassen sich die verschiedenen Staats- und Gesellschaftsformen alle nicht und so könnte es sein, dass es chimärenhafte Spätformen ähnlicher Reiche noch heute gibt.
So entstehen Märchenstraßen
Unter den besonderen Bedingungen des letzten Jahrtausends mussten im nordhessischen Märchenwald die anfangs euphorischen Wegeplaner wie Rumpelstilzchen ungeduldig von einem Bein aufs andere hüpfen. Sie führten ein recht wechselhaftes Leben zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Zuversicht und Skepsis, zwischen Optimismus und Pessimismus. Aus den vielen Possen entstand langsam eine Zwischenform, die man nach Auslaufen des Humanismus und des Realismus, den Possimismus nannte.
Beim Prozess der kontrollierten Bewegung (Vortrabhüpfer, Seitensprung, viele Arten von Rücksprüngen) waren stets auch mehrere Kutschenlenker beteiligt. Das sind wichtige Befehlsempfänger und Weitergeber von Parolen. Meist rief der Fürst nur knapp „Kutscher, beeil er sich“. Der musste das natürlich noch in operable Sprungbefehle für die Pferde umsetzen. Normalerweise hießen die nur hüh oder hott, links oder rechts, je nach Kurvenführung. Die hiesigen Kutscher und Kutschpferde haben aber noch einige mehr lernen müssen, z.B. hottehüh und hühott. Zudem versuchte der Mann auf dem Kutschbock manchmal mit Peitschenknallen und Einprügeln auf die armen Pferde eine Beschleunigung des trägen Karrens zu erreichen. Ganz oft kam es vor, dass er nicht gleich bemerkt hatte, dass der grüne Bremser hinten auf der Kutsche heimlich die Bremsbacken angezogen hatte.
Wenn nach bisweilen bürgerkriegsähnlichen Ereignissen (später nannte man das Wahlkämpfe) mal wieder andere Feudalherren in die Schlösser einzogen und daraufhin viele der vorher geltenden Zielvorstellungen urplötzlich und abrupt gewechselt wurden, gab es oft heftige Richtungsdiskussionen. Wie schon angerissen, wurden dabei die beiden Befehle hüh und hott fast gleichzeitig von den Kutschböcken herunter gerufen. Daraufhin wussten die irritierten Pferde natürlich nicht, auf welchem Wege sie dem eigentlich gut sichtbaren Ziel entgegen rennen sollten. So wie es in der Antike hieß „Viele Wege führen nach Rom“, so galt das auch für Kassel und Eisenach. Man konnte über Göttingen oder Hersfeld nach Eisenach fahren. Natürlich auch über Buxtehude oder Oberpfaffenhofen, wenn irgendjemand nicht wollte, dass der Insasse nach halbwegs angemessener Reisezeit ankommen sollte.
Auf den Kutschböcken saßen manchmal auch zwei Leute zusammen, die verschiedene Vorstellungen vom Ziel hatten. Das kommt auch heute noch vor und irritiert natürlich die Kutschpferde immens. Sie wurden und werden von den Peitschenknallern dauernd hin und her gerissen. Auf einen Zuruf ziehen Sie den schweren Wagen nach links, beim nächsten nach rechts. Dabei brechen sich die armen Tiere fast die Knochen.
Natürlich resultierten aus dieser merkwürdigen Kutscherei auch heftige Zeitplanprobleme. Wenn der eine Fürst "hüh" rief (er also nach links wollte), beobachtete dass der Landgraf vom anderen Schloss hämisch so lange, bis der Karren tief genug in den Dreck hinein gefahren war. Dann rief er plötzlich "hott hott hott!!!" und tat scheinbar überrascht, wenn der Befehl zum Richtungswechsel nun nicht so schnell ausgeführt werden konnte.
So weit erinnern sich ältere Mitbürger an die vergangenen Zeiten mit den wundersamen Ereignissen in diesem märchenhaften Hessenlande. Es gab damals wie heute viele Irrungen und Wirrungen, Holzwege und Irrwege, Umwege und Abwege, Scheidewege und Sackgassen. Bekanntlich haben sich Hänsel und Gretel kleinerheit mal im Walde verlaufen, aber auch in unserer Zeit kommt das noch vor. Die Trobadoure berichten des öfteren davon, wie rot und grün gewandete Truppen vor den Schlössern mit den schwarz-gelben Fahnen randalierten und rüde Einlass verlangten. Später war es dann umgekehrt. Schwarze und gelbe Banner- und Schwertträger rannten gegen die Tore, wo auf der Brüstung noch die roten und grünen Tücher wild im Winde herum flatterten. Ist ja auch egal. Der Bauer auf dem Felde sagte dazu, die Ställe bleiben sowieso dieselben, nur die Schweine darin wechseln ab und zu.
Und wenn die Hauptdarsteller mit ihren Fehleinschätzungen und Falschgängen nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Natürlich auch die von ihnen maßgeblich mitgestalteten Verhältnisse.
Nun aber wollen wir mal sehen, wie sich die Dinge aus Sicht der heutigen Bürger, Steuerzahler, Umweltplaner und Verkehrsplaner weiter entwickelt haben.
Der Volksmund sagt, an jedem Märchen ist was Wahres dran
Bekanntlich gibt es an alten Märchen keinen Nachschub mehr, denn die einst in Kassel wirkenden Brüder Grimm sind schon lange tot. Aber es gibt neue Märchenerzähler in riesengroßer Zahl. Welche, die mit gedrechselten Geschichten das Volk ruhig stimmen wollen, wenn es die fürstlichen Edikte hinterfragt und einige wenige, die sich auf wahre Hintergründe stützen. Quasi die Gegenspieler der Ausrufer im fürstlichen Auftrag.
Letztere fabulieren von den heutigen Märchenstraßen so klug und schlitzohrig wie einst der gestiefelte Kater auf den vormaligen Königsstraßen. Damit könnten die alten Geschichten eigentlich fast nahtlos fortgesetzt werden, aber auch die modernen Storys bedürfen der Übersetzung in ein verständliches Deutsch. Außerdem müssen viele der nachfolgend eingefügten Fachbeiträge in einigen wichtigen Punkten erklärt und öfter auch berichtigt werden. Nicht nur die des Barons von Münchhausen, der ja für die ulkige, aber nicht ganz wahrheitsliebende Klitterung seiner Geschichten bekannt ist.
So wie das hier von einem mystischen Beobachter, dem später noch öfter zitierten Observer, aus der Vogelperspektive gesehen wurde, scheinen sich die Dinge in dem fabelhaften Waldhessen tatsächlich zugetragen zu haben. Jedenfalls hat sich das unzähligen Menschen so ähnlich dargestellt. Aber das sind ja allesamt bloß dumme Laien. Die Experten der angedeuteten Institutionen sehen das alles natürlich völlig anders. Lassen wir sie mal der Reihe nach zu Wort kommen.
Auf die einst im Frühstadium der Planung vom Rumpelstilzchen untertänigst gestellte Frage, wie es denn eigentlich zu den merkwürdig gestalteten Wegeplanungen gekommen sei, fühlte sich Herr Oberschlaumeier vom Amt für Dingsbums und Sonstwas auf dem falschen Pferdefuss erwischt und ätzte darum zynisch, dass er seine Anordnungen zum Hüh und Hott natürlich stets aufgrund neuester wissenschaftlicher Forschungen befohlen habe. Das angeraunzte Rumpelstilzchen duckte sich unter den verbalen Peitschenschlägen und dachte bei sich, dass die Überstudierten vor lauter Bildung und Einbildung offenbar eher immer dümmer geworden zu sein scheinen. Bevor er aber von dem übermächtigen Herrn seines Waldes vertrieben wurde, stellte er dann lieber keine weiteren Fragen mehr.
Einigen der heutigen mittelgroßen Zampanos ward die vom fürstlichen Geheiß abweichende Sicht zeitweilig übel genommen. Aber zu Unrecht, denn die Ärmsten waren ja ihrerseits in den unterschiedlichsten Gestrüppen gefangen. In diese sind sie teils von den erzürnten Fürsten hineingescheucht worden, teils haben sie sich auch selbst hineinmanövriert, nachdem sie falschen Anstiftern gefolgt sind. Von den Hauptakteuren sind einige maßgebliche inzwischen pensioniert, anderen gelang es, sich dem Schlammassel zu entziehen, indem sie sich auf weniger verschleißende Stellen versetzen ließen oder sich sonstwie anderen Beschäftigungen zuwandten.
Aber was hören wir denn hier? Der gewitzte Chronist erinnert daran, dass es diese Leute eigentlich gar nicht gibt. Hier würde doch nur aus einem Märchen vorgelesen, dass im letzten Jahrtausend spielt. Es ist noch nicht zu Ende. Die Geschichte geht weiter und dabei bleiben die Schauplätze und sogar einige Figuren darin, die gleichen.
Ursprünglich sollte die Romankulisse in so etwas ähnlichem wie der Fantasywelt Mittelerde spielen, um sie im Mystischen zu verstecken. Zum Beispiel beim Herrn der Ringe im Ringgau oder dem Herrn der Finsternis in einem dunklen Wald westlich davon. Aber das hieße, die spannenden Handlungsstränge zu verkennen bzw. zu unterschlagen, die es hierzulande ganz real gibt. In der bekannten Saga "Herr der Ringe" von Tolkien kämpfen Frodo und seine Hobbits auf Mittelerde heroisch gegen die dunkle Macht des bösen Herrschers Sauron. Insofern unterscheiden sich die Sorgen der zwergenhaften Hobbits ziemlich von denen der hiesigen sieben Zwerge in heutiger Zeit.
Weitaus besser könnte sich ein Romanautor aus dem Gau der Ringe von der heimischen Märchenwelt inspirieren lassen. Damit käme Lokalkolorit in die Geschichte. Diese wäre dann allerdings keine fremdartige Mythologie mehr, sondern eine bodenständige Handlung in einem hier bekannten Märchenlande. Wenn damit die Handlungsstränge gewisse Ähnlichkeiten mit dem tatsächlich existenten Hindernisparcour von Straßenplanern an der Autobahn A44 gewinnen würden, wäre das natürlich rein zufällig.
Märchen, Roman, Fiction oder Dokumentation?
Für die in Deutschland spielende Nachfolgeerzählung wurden umfangreiche literarische Umarbeitungen und Kürzungen des vorhandenen, gewaltig umfangreichen Stoffes erforderlich. Des Stoffs, aus dem (außerhalb von Hollywood) nicht die Träume sind, sondern eher die Alpträume. Jene von einigen Märchenerzählern des letzten Jahrtausends, die sich damals auf ihren hohen Rossen schwer vergallopiert haben, als es um eine wichtige Richtungsentscheidung ging. Und darum, ob man seinem Reich eher mit Linksabbiegen, Bremsen oder Rechtsabbiegen dient.
Der Aufgabe, den schier unübersichtlichen Berg von Unterlagen zu sichten und daraus mal ein verständliches Konglomerat zur Gesamtbeurteilung zu erschaffen, hat sich dankenswerterweise der Observer angenommen. Der über allem schwebende, zeit- und wesenlose Beobachter, der hier schon einmal vorgestellt wurde. Er nahm die historischen Bewertungen vor und ließ darüberhinaus viele fachliche Expertisen aus anderen Gauen in das vorliegende Werk einfließen. Das Kompendium erscheint nun in der modernen Form eines Romans. Gegenüber dem vorherigen märchenhaften Kapitel ändert sich dabei nicht viel, denn die in den folgenden Teilen des Romans auftretenden Figuren sind ebenfalls nur fiktiv. Sagt jedenfalls der Autor dieses Romans.
Mit der Verklausulierung ersparen es sich die Romanfiguren, die hier als Berichterstatter einer unendlichen Geschichte auftreten, die wiedergegebenen Einzelheiten mit doppelt beglaubigten Urkunden zu belegen. Ungern sollen die erwähnten Zitate, Protokolle, Vermerke und seine zeitgenössischen Originalnotizen mit veröffentlicht werden. Andernfalls könnten sich daraus kleinliche Kontroversen über einzelne Buchstaben, zuviel gesetzte i-Pünktchen oder hinein interpretierte Untertöne entspinnen. Womöglich in allen Details mit Debatten über kleinste Spielräume in der Ausdrucksweise, die Betonungsvarianten einzelner Vokale oder gar Umdeutungen dessen, was von den zitierten Personen tatsächlich gesagt und was angeblich nur gemeint war. Sie würden eventuell versuchen, die wirklichen Grundaussagen nachträglich zu verschleiern oder inhaltlich nachzufärben. Unter Umständen würden auch Nebenkriegsschauplätze eröffnet, die nur den einen Sinn hätten, von der Hauptsache abzulenken.
Aber - wie bei vielen Historienromanen auch - die beschriebenen Grundströmungen, Denkweisen, verordneten Dogmen, befohlenen Marschrichtungen usw. beruhen auf realen Vorkommnissen. Natürlich auch die ausführliche Benennung der verschiedenen Widerstände gegen die großen Infrastrukturprojekte und die Gegenargumente der Befürworter. Weil davon nichts frei erfunden ist, kann es sich der Autor auch erlauben, diesen Roman wie eine wissenschaftliche Arbeit aufzubauen. Mit Hilfe des ausführlichen Quellenverzeichnisses findet der Leser über Fuß-/Endnoten viele Aspekte belegt, die ihm sonst vielleicht unglaublich erscheinen könnten. Oder die er nie gehört oder wieder vergessen hat.
Das Projekt A44, die geplante Autobahn zwischen Kassel und Eisenach, durchzieht das vorliegende Buch wie ein roter Faden. Aber auch viele andere Großprojekte werden immer wieder zum Vergleich mit einbezogen. Damit spannt sich der Bogen über ein weites Feld, nicht nur über Nordhessen, sondern auch über Deutschland, Europa und die Welt. Im Vergleich zeigt sich, dass gerade die nordhessischen Infrastrukturdramen zu den ärgsten Negativbeispielen dieses Genres zählen.
Wo die akzentuierte Schilderung absehbar zu Konfrontationen mit Planungsbeteiligten führen könnte, stützt sich der Berichterstatter, unser Observer, auf bereits veröffentlichte Berichte aus Zeitungen, Magazinen, Funk und Fernsehen. Die auf Zitaten gegründeten Reportagen sind dann vollständig real. Darüber hinaus bewertet und vergleicht der Observer alle Meldungen. Vor allem verquickt er sie, der besseren Lesbarkeit halber, mit verbindenden Texten.
Sollten einige der weniger exponiert auftretenden Romanfiguren irgendwelchen tatsächlich Beteiligten an der realen A44-Planung ähnlich sehen, kann das folglich nur zufällig sein. Wer sich daran trotzdem noch stoßen sollte oder möchte, hat dafür mehrere Möglichkeiten. Die beste wäre allerdings, die zitierten Ereignisse für sich persönlich als Possen abzutun, was bei Betrachtung aus einiger Entfernung leicht fallen dürfte. Gegebenenfalls auch jene Ereignisse, die tatsächlich genau so passiert und in der Presse dokumentiert sind. Die dürfen natürlich nicht als Possen angesehen werden. Die wirklichen Akteure der unteren und mittleren Führungsebenen, sowie die Beamten der oberen und obersten Ebenen werden nicht namentlich genannt. Eine Ausnahme bilden politisch handelnde Personen der Zeitgeschichte. Die müssen es ertragen können, dass ihr Handeln kritisch beobachtet wird.
Ob der vom Observer intensiv beobachtete A44-Planer Mandamo Adler irgendwas mit dem Romanautor zu tun hat, ist vielleicht möglich, soll aber bzw. darf nicht wahr sein. Sonst könnte man der Romanfigur Mandamo unterstellen, vielleicht einiges aus seiner 43-jährigen Berufserfahrung imaginär einbezogen zu haben. Dabei müsste man dann außer Acht lassen, dass es hier nur um eine fingierte Romanhandlung geht.
Ohnehin geht es hier nicht nur um die A44. Der Leser durchwandert mit dem Observer nicht nur die nordhessischen Märchenlande. Inzwischen werden in anderen Teilen unseres deutschen Vaterlands Stücke aufgeführt, die noch mehr Potential zu Besorgnis, Unterhaltung und Erheiterung bieten. Zum Beispiel dort, wo einst so mutige Figuren wie die sieben Schwaben einem Scheusal nachjagten, das eigentlich nur ein harmloser Feldhase war. Heute hat man dort Angst vor Tsunamis und wandelt vorsorglich den Schwarzwald in einen Grünwald um. Die bizarren Vorgänge im vormals tüchtigen Schwabenländle lieferten weltweit Schlagzeilen und sind mit ihrer Dramatik natürlich geeignet, dem Stammland der Gebrüder Grimm den Rang abzulaufen. Insofern finden sie auch hier Erwähnung.
Zur mentalen Erholung und als Kontrast zu den seltsamen Vorgängen im Lande der Dichter und Denker werden in diesem Kompendium auch noch Gegenbeispiele betrachtet, die weniger absonderlich sind. Wir durchwandern dabei exotische Kulissen und sehen, dass es anderswo viele sinnvoll realisierte Großprojekte gibt, die sehr wohl einen guten Kompromiss zwischen Ökologie und Ökonomie aufzeigen.
Als besonders aufmerksamer Beobachter mit bestem Zugang zu vielen Originalquellen inspiziert der Observer die Fakten stets sehr genau. Zusammen mit Mandamo werden die bisherigen Ereignisse zusammengefasst und bewertet. Darüber hinaus auch die Wünsche und Ziele der Regierenden, der Projektbefürworter und Kritiker, sowie der betroffenen Bürger. Der Autor hat einen hohen Eigenanspruch, will aber mit der akribischen Aufzählung von Daten und Fakten dem Leser selbstverständlich nicht die eigene Bewertung vorweg nehmen. Vielleicht jedoch erleichtert es diesem die Strukturierung der sonst nahezu unübersichtlichen Konstellationen und trägt somit zur Entwirrung der oft widersprüchlichen Tagesmeldungen bei.
Der Observer bezieht auch Presseberichte zum Thema mit ein und sehr viele andere Publikationen zu verwandten Randthemen. Er beschreibt viele Handlungen der Hauptakteure, die Reflektionen von Zeitgenossen, die Argumente der Betroffenen, der Kritiker und der Zustimmenden, der Zaungäste und der bestens Involvierten.
Doch tut er das im vorliegenden Falle nicht in der spröden Form eines Fachbuches für Experten, sondern in der unterhaltsamen, viel leichter lesbaren Form eines Romans, also mehr für den durchschnittlich interessierten Leserkreis. Dennoch ist die Erzählung in weiten Teilen zeitgeschichtlich und halbdokumentarisch. Romane sehen zwar für Außenstehende wie reine Fiktion aus, sehr viele davon sind es aber nicht. Namhafte Verleger bestätigten dem Autor dieses Buches vor der schriftstellerischen Ausarbeitung, dass sich unzählige Romane in weiten Teilen auf tatsächliche Begebenheiten stützen und insofern die Rahmenhandlung im Kern sehr nahe an der Wirklichkeit bleibt. Auf diese besondere Weise können bestimmte Fehlsichtigkeiten von Handlungsbeteiligten besser parodiert werden.
Insbesondere Autoren, die aus den sprichwörtlich „gut unterrichteten Kreisen“ kommen und unter einem Pseudonym schreiben, verwenden die literarische Form der Belletristik. Da derartige Bücher nicht als Fachbücher gelesen werden, dürfen sie auch witzig sein, ohne dem Ernst der Lage und bestimmten Verantwortungsträgern zu schaden. Das vorliegende Buch ist einem Genremix zuzuordnen. Es ist in erster Linie ein Tatsachenroman und muss daher auch nicht fachtechnisch verfasst sein.
Aus dem gleichen Grunde werden auch Ereignisse aus vielen Studienreisen des Planers Mandamo rund um den Globus eingeflochten. Natürlich nur soweit sie gewisse Bezüge zum Hauptthema haben, nämlich dem staatlichen Handeln im Allgemeinen und der Autobahnplanung im Besonderen. Damit wird das Thema auf abwechslungsreiche Weise auch mit einem Hauch von Exotik verwoben.
Wie in jedem Roman könnten auch die in diesem Buch handelnden Personen glauben, sich selbst wieder zu erkennen. Aber sie müssen es nicht. Selbsterkenntnis ist auch ohne Namensschilder oder vorgehaltene Spiegel möglich. Nur in reinen Geschichts- oder Fachbüchern müssten oder sollten Ross und Reiter auch namentlich genannt werden. Hier verkniff sich das der Autor. Es gibt nur wenige Ausnahmen, denn in manchen Fällen wäre eine Metapher allzu theoretisch und vielleicht sogar missverständlich. Z.B. wenn der Planer da, wo er von seinem Kampf gegen die Windmühlenflügel berichtet, den Kämpfer und sein Ross nur als Don Quijote auf Rosinante bezeichnen würde.
Bei Zitaten aus offiziellen schriftlichen Publikationen hält sich zwar der Autor genau an die ihm bestens bekannten Originalquellen und er benennt sie explizit. Aber da er reale Hintergründe zu besonders kritischen Aspekten nur aus bereits veröffentlichten Texten zitiert und er dafür per Fußnote die Quellen nennt, sind keinerlei Copyrights zu beachten. Geheimnisse werden schon gar keine verraten. Allerdings treten Romanfiguren auf, die so mutig sind, Notwendiges wenigstens grob anzureißen.
Der Observer berichtet von seinen übergeordneten Beobachtungen ebenso frei wie der fiktive Planer Mandamo mit seinen jahrzehntelangen und entsprechend tiefen Einblicken in die Problematik. Letzterer gibt allerdings manchmal Einschätzungen und Kommentare zu kritischen Vorgängen ab, die sein Pendant in Amt und Würden zurückzuhalten hätte. Aus Loyalität und einem vernünftigen Maß an Staatsräson. Nicht aus der Angst, die im ersten Kapitel über die Hörigen der Fürsten im Märchenlande beschrieben wurde.
Es ist bestimmt eine weithin unbestrittene Tatsache, dass große Teile der Öffentlichkeit über die hier behandelten Probleme total desinformiert sind. Daraus resultieren gewaltige Fehleinschätzungen mit sehr großen Auswirkungen. Liegt das am fehlenden Mut einiger Beteiligter? Haben sie aufgegeben, wollten sie sich aus Bequemlichkeit nicht öffentlich äußern oder durften sie das nicht? Wir kommen später darauf zurück.
Die hier und heute genannten Daten und Fakten stützen sich teilweise auf bereits Veröffentlichtes. Hinzu kommt allerdings eine hoch engagierte und teils ausgesprochen kritische Kommentierung. Nicht selten spitzt sie das zu, was bisher so schwer durchschaubar war. Selbstredend hat der Romanautor dafür eigene Copyrights, weil sie ausschließlich seiner Feder entstammen. Nur in den seltenen Ausnahmefällen, wo fremde Texte zitiert werden, wird das im Index angegeben. Das gebietet die Fairness und Pflichttreue, obwohl der nicht promovierte Vater der zugespitzten Gedanken in diesem Buch, der Freie Herr von und zu Ringgau am Gutten Berg, mit seinem Gesamtwerk keine Dissertation vorlegt.
Das Zentrum der Romankulisse liegt hauptsächlich in Nordhessen. Darin wird das zögerliche Vorankommen einiger großer Infrastrukturprojekte betrachtet. Die Handlung lehnt sich beispielhaft an die Autobahnplanung A44 an, weil diese zu einem Musterbeispiel für monströse Verzögerungen geworden ist. Ebenso wie bei der A49 südlich von Kassel, Richtung Marburg.
Das Autobahnbauvorhaben „A44 zwischen Kassel und Eisenach“ ist für Nordosthessen das mit Abstand größte Infrastrukturprojekt nach dem Bau der ersten Autobahnen vor 80 Jahren und der ersten Eisenbahnlinien vor mehr als 150 Jahren. Nach seiner Fertigstellung wird die A44 ein bedeutender Markstein in der Geschichte Nordhessens werden. Als Lückenschluss zwischen den schon vorhandenen Ost-West-Autobahnen sollte dieser Autobahnabschnitt eigentlich einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Verflechtung der neuen Bundesländer mit den alten leisten.
Aber das Projekt entwickelte sich nicht so, um dieser Aufgabe rechtzeitig gerecht werden zu können. Um 1990 war das Thema für jeden Bürger im grenznahen Raum ein wichtiges. Heute scheint das nicht mehr ganz so zu sein. Im Osten Deutschlands hat sich die Wirtschaft rasend schnell entwickelt, doch die Zonenrandgebiete im Westen haben von der Wiedervereinigung kaum profitiert. Die wirtschaftlich "blühenden Landschaften" sind im Osten sehr schnell entstanden, wenngleich das bestimmte Kreise aus bestimmten Gründen gerne abstreiten.
Sollte man das inzwischen leicht angestaubte Fragenpaket noch mal aufmachen? Vielleicht aus einem anderen Blickwinkel heraus? Dann sollte der Fokus mal nicht so stark überhöht und isoliert auf die Beeinträchtigungen von Naturräumen gerichtet werden, sondern mal etwas mehr auf die verkehrlichen Anforderungen im geeinten Europa. Schließen wir uns dafür mal dem Pfadfinder Mandamo an, der für den Ausflug durch die Kulturlandschaften in der Mitte Deutschlands einst einen anders gearteten Wanderplan aufgestellt hatte.
So ein Theater!
Eigentlich wäre ein dickes Sachbuch vonnöten, um die vielerlei Verzögerungen der A44-Planung lückenlos und sachgerecht für die Zukunft zu dokumentieren. Aber das würde zwangsläufig vor fachchinesischen Ausführungen strotzen und noch dazu in vielerlei schwer verständlichen Dialekten. Die immanente Tragik würde ein wenig an die altgriechischen Tragödien von Sokrates im Amphitheater unter der Akropolis erinnern. Daher könnte man das Thema vielleicht einmal für eine Aufführung auf heutigen Theaterbühnen umschreiben.
Heute sind die Dramen ohnehin meist anders geartet als in den klassischen Zeiten von Sokrates, Seneca, Schiller oder Goethe. Auf den Theaterbühnen sind heute actionreichere Stücke gefragt. Denken wir in einem ersten Ansatz mal darüber nach, wie unser Thema auf den Brettern aussehen könnte, welche die Welt bedeuten. Hier ist das erste Manuskript für eine Bühnendramaturgie.
Im ersten Akt würden vom rechten Bühneneingang die Experten mit der Planrolle „Pro A44“ hereinstürmen und vom linken Bühneneingang die Gegner mit Plakaten „Kontra A44“. In der Mitte würden die beiden Heere aufeinander prallen, welche bis auf die Zähne mit Tabellen und Grafiken bewaffnet sind. Dabei würden sie sich die Zahlen und Fakten sozusagen um die Ohren schlagen. Stundenlang, bis der letzte der aufgeregt gestikulierenden Akteure herausgetragen wird.
Das ist Schauspielerrisiko, aber es könnte gut sein, dass dabei auch die gespannt herbeigeströmten Theaterbesucher nicht ganz ungeschoren bleiben. Die Querschläger aus den aufgefahrenen Geschützen könnten derartig massiv auf sie einprasseln, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Es wäre nicht auszuschließen, dass im Auditorium größere Kollateralschäden auftreten. Bei dieser Tragödieninszenierung wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die auf den bequemen Theatersesseln hockenden Hörer, die zumeist von vertiefter Fachkenntnis unbelastet sind, dem Intendanten zurufen, es würde ihnen langsam zu bunt. Die mit der Projektabwicklung Betrauten bräuchten gar nicht so heftig mit ihren kunterbunten Unterlagen herumzufuchteln, man traue ihnen sowieso nicht weiter, als bis um die nächste Ecke.
Was wäre also mit solch einem Schauspiel gewonnen? Immerhin käme man den Wortführern wie bei der komischen Oper entgegen. Nutzen wir doch mal die Erfahrungen aus einem bereits aufgeführten Bühnenstück mit ähnlicher Handlung. In Stuttgart verlangten die Kritiker beim heftigen Streit um das Bahnhofsprojekt eine „transparente“ öffentliche Diskussion. Die erfolgte auch, doch lief sie sich bald fest, weil es dabei viel mehr Regisseure als aktive Schauspieler und Komparsen gab. Eigentlich waren es sogar fast nur Intendanten, Regieführer, Spielleiter und Kulissenschieber. Würde das Drama im wilden Westen spielen, könnte man sagen, dass auf der Bühne lauter Oberhäuptlinge herumtobten, aber keine Indianer. Trotzdem (oder deshalb?) zeigte sich schnell, dass bei den meisten Beteiligten die mindesten Grundkenntnisse zur Bahntechnik, zum Status Quo, den Prognosen, den bautechnischen Details, dem tatsächlichen Grad irgendwelcher Risiken und den Randbedingungen für die verschiedenen Varianten gefehlt haben.
Schon eine halbe Stunde nach Beginn des ersten Aktes rief die besonders vorlaut auftretende Variantenstrickerin, Frau Müller-Gießübel, aus dem Auditorium entnervt zur Bühne hinauf, dass Ihre mit Strichen und Punkten kreuz und quer übersäten Strickmusterbögen weit übersichtlicher seien, als die hier präsentierten Baupläne. Das mag sein, dafür würden die Planer wiederum aus ihren Strickmusterbögen nichts Vernünftiges entnehmen können. Allerdings würden sie das sicher auch nicht behaupten. Aber umgekehrt erwartete die Strickerin platt „lesbare Unterlagen“.
Dass ihr die vorgestellten Pläne unverständlich vorkamen, war eigentlich keine Überraschung für die Fachleute auf dem Podium. Aber disqualifiziert sich die mit Strickstöcken gefährlich herumfuchtelnde Frau nicht von vornherein selbst für ein fundiertes und halbwegs fachkompetentes Mitreden? Geschweige denn ein sachlich begründetes Mitentscheiden? Jedoch, wer sollte ihr das sagen? Wo sie doch gar so gerne über alles mitdiskutieren möchte. Können Baupläne für hochkomplizierte Bauwerke überhaupt so einfach gemacht werden, wie einst beim Trixbaukasten?
Ganz sicher nicht. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sie von Baufirmen falsch interpretiert würden. Wenn die Skizzen für den Tiefbahnhof allzu stark vereinfacht würden, könnte die eine Firma danach einen Staudamm bauen, die andere einen Fernsehturm und wieder eine andere womöglich ein Atomkraftwerk. Damit hätten die mehrheitlich grünen Einwender ja ein Eigentor geschossen. Lassen wir also besser den Experten ihre spezifizierten Plandarstellungen. Bekanntlich haben ja auch die Webmusterbögen für einen einfachen Kartoffelsack einen anderen Schwierigkeitsgrad als die Strickmuster für einen Norwegerpullover mit aufwändiger Ornamentik an Brust und Rücken.
Bei der Moderation um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 erlebte der Schlichter Heiner Geissler den sperrangelweit aufgerissenen Spagat beinahe schmerzlich. Als jeden Tag mehrere neue Riesenfragezeichen auf die Bühne hinauf geworfen wurden, entgleisten seine Gesichtszüge noch mehr als je zuvor und die Sorgenfalten vervielfältigten sich auf seiner Stirn wie bei einem Plisseerock. Er plagte sich, ebenso wie die meisten Zuschauer, mit ganzen Güterzugladungen voller Fragezeichen herum und verstand doch nur Bahnhof. Aber den von Stuttgart verstand er nicht mehr.
Am Schluss des vorletzten Aktes der Tragödie warfen einige Zuschauer verbale Affronts auf das Podium. So wie anderswo faule Tomaten auf die Bühne geworfen werden, wenn die Mimen nicht überzeugen, oder die Handlung eine unerwünschte Wendung zu nehmen droht. Andere der als Beiräte beteiligten Bürger räsonierten, der Moderator solle doch das Ganze am Besten mit sich selbst ausmachen. Toll! Zuvor hatten sie zwar heftig darauf gedrungen, dass die Moderation „transparent“ abläuft, haben dann aber die unvermeidliche Spezialistensprache nicht verstanden. Natürlich kann man das auch nicht von jedem Bürger erwarten. Aber ebenso wie bei der Theaterkritik im Feuilleton, ist es auch bei der Bewertung strittiger Projekte zu billig, einfach „nur dagegen“ zu sein.
Andererseits soll natürlich jeder Bürger immer bestmöglich über alles informiert sein, was seinen Lebensraum und seine unmittelbaren Interessen, sozusagen sein Biotop, betrifft. Keine Frage! Aber ihn mit allzu Speziellem zu überfordern, hat auch keinen Zweck, wenn damit Fehlinterpretationen heraufbeschworen werden. Womöglich welche, die im Weiteren zu schlimmen Nach- und Nebenwirkungen führen können.
Zurück zum vorliegenden Buch. In diesem Roman wird dem interessierten Leser nichts Unverständliches zugemutet. Ohnehin könnte weder ein streng fachbezogenes Sachbuch mit allen relevanten Aspekten, noch eine populär aufgemachte Bühnenaufführung die Kenntnis aller notwendigen Fakten und Zusammenhänge richtig rüberbringen. Bleiben wir also bei der Form der humorvollen Belletristik mit populärwissenschaftlichen Passagen und sind wir uns bewusst, dass sich dabei ein Spannungsbogen ungeahnter Vielfarbigkeit ergibt.
Bücher gibt es bereits in großer Zahl. Darunter befinden sich Romane über mutige Auswanderer zum Stern Alpha Centauri. Oder nach Australien. Andere schreiben über die Abenteuer von Fantasyhelden im Land Mittelerde, wieder andere über edle Ritter an brechend vollen Tafelrunden. Oder über Mordgeschichten, über spektakuläre Gerichtsprozesse, schwere Justizirrtümer allüberall usw.. Sollte dem Riesenstapel noch ein weiteres Buch hinzugefügt werden, wo es um braunen Erdboden, grauen Beton und schwarzen Teer geht? Es gibt übrigens auch noch gar keine Romane, die in dunklen Amtsstuben spielen.
Bitte weiterlesen! All das wird im Folgenden nicht vorkommen. Vielmehr befassen wir uns viel mit schönen Blumen, lieblich zwitschernden Vögeln und herrlichen Landschaften im Sonnenschein. Also mit lauter Dingen, die im irdischen Leben positiv besetzt sind.
Ein Schlichter zwischen den Fronten
Der nüchtern betrachtende Observer hatte nach den heißen Debatten der beiden letzten A44-Planungsjahrzehnte oft gedacht, dass eine neutrale Instanz fehlte. Es hätte so etwas wie eine planungsbegleitende Mediation ins Leben gerufen werden müssen. Notfalls auch eine nicht öffentliche. In dieser müsste ein bisher unbeteiligter Experte als Moderator auftreten. Ein sachlich-nüchterner Betrachter, der das Für und Wider erst mal unbeeinflusst aufnimmt und abwägt. Er sollte auch auf Volkes Stimme hören und dabei nicht nur auf die frechesten und lautesten darunter. Sonst würde die Gruppe der Angehörten keine repräsentative sein.
Denn jeder aufmerksame Beobachter weiß, wie es bei solchen Schlichtungen zugeht. Nicht nur bei der TV-Diskussion „HR-Stadtgespräch“ zur A44 in Hessisch-Lichtenau am 23.11.10 zeigte es sich, dass sich unter denen, die sich am meisten und lautesten bemerkbar machten, die meisten einseitig ökologisch Orientierten befanden. Damit wurde der Eindruck zu erwecken versucht, dass "die Menschen der Region" mehrheitlich gegen die Autobahn seien. Leider wird mit solch unlauteren Methoden oft Stimmung gegen Großprojekte gemacht.
Soweit das Ansinnen zur Mediation in der Theorie. In der Realität gab es kein umfassendes und ergebnisoffenes Vermittlungsverfahren dieser Art. In diesem Roman wird das trotzdem versucht. Dabei übernimmt der bereits vorgestellte Observer die Aufgabe der neutralen Beobachtung. Es fehlt aber noch ein gewisser Gegenpart zu den vielen "Umweltbewegten". In der Realität wird die (O-Ton Observer) künstlich aufgeschaukelte Umweltproblematik stets von vielen Institutionen mit ganz vielen Beteiligten vertreten. Bei der A44-Planung haben sich mindestens fünfzig an der Zahl irgendwie eingebracht (aus mehreren Naturschutzbehörden, Abteilungen beim Regierungspräsidium, aus Landes- und Bundesregierung, sowie beim Landkreis, aus Verbänden und halbgrünen Trägern öffentlicher Belange).
Im Detail stemmte sich dem nur ein winzig kleiner Bruchteil von Einzelkämpfern entgegen. Von den obersten Verantwortlichen fand leider nie einer was dabei, dass die Projektgegner so stark überrepräsentiert waren und dass sie noch dazu mit solch einer großen Übermacht ausgestattet worden sind. Ebenso fiel wohl nie jemandem auf, dass auch bei vielen Konferenzen die Planer und Befürworter der A44 im Ringen um den Projektfortschritt so hoffnungslos unterrepräsentiert waren. Der Projektleiter Mandamo hatte manchmal den Eindruck, dass es einigen Kreisen ganz recht war, wenn er sich gegen die vielen Gegner öfter den Kopf einrannte.
In dieser fiktiven Geschichte meint der Observer, dass den vielen Beschützern der Natur (bzw. einigen Segmenten daraus) auch mal einige Beschützer der Menschheit hätten gegenübergestellt werden müssen. Ein Verkehrsplaner in Amt und Würden traute es sich kaum zu sagen, dass der Mensch mal an vorderster Stelle hätte stehen sollen und nicht nur mit dem ebenso plakativen wie pauschalen Nebeneffekt „was der Natur dient, nützt auch dem Menschen“. Das sind im Grunde genommen nur ablenkende Schlagworte. Deshalb wollte der Observer in seiner Mediation einen unbeirrbaren Anwalt für die Menschen einsetzen. Einen Anwalt der Besinnung auf die normale Logik, einen Advokaten, der alles vertritt, was vorzugsweise im Allgemeininteresse der Menschen ist, was aus Sicht der Steuerzahler vertretbar ist, was der wirtschaftlichen Entwicklung dient und was auch mit dem gesunden Menschenverstand vereinbar ist.
Der Observer schaltete Stellenanzeigen auf europaweit agierenden Stellenbörsen und wählte aus den Bewerbern Herrn Justus Klarmann aus. Dieses Allroundgenie hat nicht Musik, Kunst oder Soziologie zu studieren versucht und alles abgebrochen, sondern Ökonomie, Ingenieurwissenschaften und Finanzwesen mit gutem Abschluss. Dass er außerdem und nur nebenbei noch Keyboard spielt, künstlerisch als Maler tätig ist und sich ehrenamtlich für soziologische und pädagogische Projekte engagiert, ist für den bescheidenen Mann nur ein Nebenaspekt.
Von Belang sind nur die hier nutzbringenden Fähigkeiten. Natürlich war von vornherein absehbar bzw. es war unvermeidlich, dass er in dieser Geschichte zwangsläufig zum Gegenpol der Grünen und Alternativen im weitesten Sinne werden würde. Jedenfalls in den Punkten, wo diese allzu weit und unbekümmert über ihre ach so hehren Ziele hinausschießen.
Warum schien es in der Realität keinen solchen Anwalt für die ureigensten Interessen der Menschen gegeben zu haben, bzw. warum hat man nie von einem solchen gehört? Weil sich die Politiker den Part der öffentlichkeitswirksamen Aussagen zu wichtigen Planungsmerkmalen für ihresgleichen vorbehalten haben. Doch wurden sie dieser Aufgabe nur selten gerecht. Bei allem gebotenen Respekt, liebe Mitglieder der Landes- und Bundesregierung, dort war dieser Part sowieso nicht gut aufgehoben. Erstens weil Regierungen und Minister häufig wechseln und zweitens, weil sie allzu oft Rücksichten nehmen, die nur parteipolitisch, aber nicht sachlich begründet sind.
Ein prägnantes Beispiel dafür ist der Umgang aller Parteien mit den Bündnisgrünen. Auch viele konservative Politiker griffen die grünen Fehlsichtigkeiten nur halbherzig an, weil sie stets die Möglichkeit bedachten, eines Tages mit dieser Protestpartei koalieren zu müssen. Die Ärmsten! Dafür verbogen sie sich bis zur Unkenntlichkeit. Benötigt wurde aber im gesamtstaatlichen Interesse ein engagierter Anwalt mit Biss.
Diverse Diskussionsforen suggerierten gerne, dass die Umweltprobleme durch eine Autobahn in diesem Raume nicht lösbar seien. Aber was ist da dran? Unser Observer plappert nicht nach, was ihm grün kostümierte Theatersouffleusen in den Mund zu legen versuchen. Er argumentiert auch nicht aus dem Bauche heraus, sondern analysiert fachkundig. Anschließend teilt er uns die Resultate aus seiner Sicht mit, wobei er bemüht ist, dies zwar in verständlichem Klartext zu formulieren, aber doch noch in einer moderateren Tonart als es ihm eigentlich notwendig erscheint. Denn Romane wollen leicht lesbar sein und nicht wie Reportagen aus Kriegs- und Katastrophengebieten klingen.
Leider ist das vorgenannte nordhessische Großprojekt bei weitem nicht so stark vorangekommen, wie es notwendig war, anfangs gut machbar erschien und von unzähligen lärmgeplagten Bürgern, einigen Politikern und vielen Institutionen auch erwartet wurde. So wie es eigentlich aufgrund der durchschnittlichen topografischen Verhältnisse im Planungsraum auch hätte vorankommen können. Warum ist das Projekt eigentlich so lange hängen geblieben?
Der Observer sieht, dass es für neutrale Beobachter bereits während der heißen Planungsphase schwierig war, den Überblick zu behalten über die vielen Umstände, die über Jahrzehnte hinweg die Realisierung der Autobahn verzögerten. Als in den Diskussionsforen die sich widersprechenden Aspekte immer unübersichtlicher wurden, ging bei vielen Interessenten das Begreifen verloren, ob der vorgeblich unlösbaren Problematik. Mit der Zeit wurde das diffuse Bild von der Planung, das beim konsternierten Bürger zwangsläufig auftreten musste, immer verwirrter.
Es ist daher bereits heute absehbar, dass dereinst Legenden entstehen werden, weil das in weiten Teilen der Bevölkerung ohnehin nur fragmentarisch vorhandene Wissen zunehmend weiter in Vergessenheit geraten wird. Irgendwann wird dazu ein Mythos entstehen, wie es in unseliger Zeit vor acht Jahrzehnten zu dem damals schnell voranschreitenden Autobahnbau schon einmal einen gegeben hat.
Was hat eigentlich den klaren Durchblick verschleiert?
Bei der A44 handelt es sich zwar um ein großes, aber aus rein straßenplanerischer Sicht nicht besonders schwieriges Projekt. Es war und ist gut beherrschbar. Auch naturschutzfachlich hätte es nicht zwingend ein besonders schwieriges sein müssen. Dazu wurde es erst gemacht, sagt der Observer als nüchterner Betrachter nach Vergleichen mit anderen Projekten. Das Projekt als anspruchsvoll darzustellen, wäre noch angemessen, es aber als nahezu unlösbare Aufgabe darzustellen, wie es Naturschützer vielfach tun, ist einfach nicht richtig!
Das entspringt lediglich einem bestimmten Kalkül. Wir werden noch sehen, wie die Verzögerungstaktik nach diesem Rezept im Einzelnen funktioniert hat.
Aber beginnen wir mit dem Projektstart im Jahre 1990. Der ist schon grandios missglückt. Vergleichen wir das mit einem Wettrennen. Wenn es Unklarheiten über das Ziel gibt (hier die vielen Betrachtungsweisen für und wider das Projekt), rennen einige gar nicht erst los, sie bleiben gleich in den Startlöchern sitzen. Und nicht nur das - sie versuchen noch die anderen am Spurten zu hindern. Bei der A44 standen sich viele der unterschiedlichen Rennpferde und Blickwinkel so diametral gegenüber, wie divergierende Weltreligionen. Was die Planungen gleich zu Beginn aufhielt, waren die völlig gegensätzlichen Ansichten, Haupt- und Nebenaspekte. Das Projekt wurde zerrieben zwischen den Fronten der vielen Experten, Halbexperten und Scheinexperten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen.
Der Observer beobachtete das alles und berichtet, was eigentlich gar kein Geheimnis ist. Während sich ganz Deutschland und die halbe Welt über den Fall der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze freute, begann hinter den Kulissen schon das Zerreden dessen, was daraus folgen müsste. Nämlich der Bau von Verkehrswegen für die neu ausgerichteten Verkehrslawinen. Darunter auch der Autobahn A44, der als "Projekt Deutsche Einheit" bald eine große Bedeutung zuerkannt werden sollte.
Daran beteiligten sich zuerst und vordergründig Politiker aus parteistrategischer Sicht. Nicht aus Sorge um das Wohlergehen seiner Bürger. Da steckt noch viel mehr dahinter, als nur die grundsätzliche Straßenbauablehnung. Manchen Politikern ging es gleich um die gesamtpolitische Neuausrichtung Links oder Rechts, also mehr Anpassung an die Ex-DDR oder die BRD. Mehr Konzentration auf den Wirtschaftsaufschwung im Osten oder bleibt es dort etwa bei dem, was schon lange praktiziert wurde? Anfang der 90er war noch vieles offen. Anfang der 90er war noch viel mehr offen, als Otto Normalverbraucher ahnt.
In einem Staat mit repräsentativer Demokratie ist es die Bestimmung der Bundesregierung, die übergeordneten Grundsatzentscheidungen zu fällen. Offenbar geschieht das aber nicht immer sachgerecht. Fehlentscheidungen bestätigen und beschädigen die Regel. Jedoch was richtige und was falsche Entscheidungen sind, ist eine Frage des Standpunktes. In jedem Falle muss aber gelten, dass auch ein freiheitlicher Rechtsstaat in der Lage sein muss, ein demokratisch beschlossenes Vorhaben durchzusetzen.
Über die politischen Querelen hinaus beteiligten sich an den Attacken auf das Großprojekt vielerlei Fachleute aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Berufene und unberufene. Leider auch manche selbsternannte „Experten“. Einige beriefen sich zu ihrer eigenen Entlastung auf "die Wissenschaft". Darunter auf ausgewiesene Koryphäen, aber auch auf „Spezialisten“, die sich selbst dazu ernannt haben und sich ständig gegenseitig als Experten zitieren. Unter letzteren hatten die Agitatoren, die einseitig gegen die A44 ausgerichteten waren, in der Öffentlichkeit leider meist die Oberhoheit. Denn sie sind „mitteilsamer“. Leider ist die öffentliche Meinung zuweilen ebenso ungerecht wie die Obrigkeit. In dem zur Weltliteratur zählenden Kollossalwerk Simplicissimus schrieb H.J. von Grimmelshausen schon im Jahre 1669, dass auch damals nicht das Interesse der Allgemeinheit im Vordergrund stand, sondern „ein jeder tat was er wollte und nicht, was er tun sollte“ (damals ging es um den Wiederaufbau nach dem zuvor beendeten 30-jährigen Krieg).
Heute erscheinen einige Gegner der A44 unwillkürlich als weltfremde Theoretiker. Andere (wenn man ihnen noch etwas Positives zugestehen will) als praxisferne Idealisten, die bei der Abwägung zwischen ihrem persönlichen Wunschdenken und dem für die Allgemeinheit Notwendigen allzu einseitig denken. In der Mehrzahl sind es aber offensichtlich eher Sektierer. Den Harmloseren davon ist es vielleicht nicht bewusst, aber bei vielen ist es sicherlich schon Absicht und Ziel, bei jenen Bürgern für Verwirrung zu sorgen, die sich in der Flut der Aspekte Für und Wider nicht mehr zurechtfinden. Diese unsicheren Kantonisten werden mit oft grundfalschen Argumenten immer wieder so durcheinander gebracht, dass sie es einfach aufgegeben haben, dem auch noch eine eigene Meinung hinzuzufügen. Bequemer ist es, eine andere zu verinnerlichen, eine die von begabten Propagandisten gut vorgekaut angeboten wurde.
The same procedure as every year
Um diese rechtzeitig erkennbare Entwicklung zu vermeiden, hätte das Feld besser nicht nur den Wechselwinden der Politik und den folgsamen örtlichen Anhängern überlassen werden dürfen. Man hätte anfangs auch kompetente Verkehrsplaner mit einer entsprechenden Authorisierung zur technischen Begründung der Autobahn ausstatten sollen, damit die öffentliche Meinung einen gut fundierten Gegenpol zu den lautstarken Kritikern gefunden hätte. Lassen wir das den Observer in aller Bescheidenheit sagen.
Heute sind die Probleme nun auch für diejenigen Politiker sichtbar, die seinerzeit die Augen davor verschlossen haben. Wie gehen sie mit dem unendlich langen Dilemma um? Viele dieser Zunft aus dem rot-grünen Lager versuchen jetzt in unredlicher Manier, die Verzögerungen auf ominöse Fehler zu schieben und diese denen anzulasten, die sich am meisten um sachgerechte Lösungen bemüht haben, die aber das absehbare Desaster beim besten Willen nicht verhindern konnten. Auch jenen, auf die man in internen Konferenzen vor 20 Jahren partout nicht hören wollte.
Jetzt wo die Mittel für den Straßenbau knapp geworden sind, lässt es sich nicht mehr verheimlichen, dass Fehler gemacht worden sind. Es muss nur deutlich gemacht werden, wann und von wem. Wo also der Hase im Pfeffer liegt. Am deutlichsten wurde das im Herbst 2011, wo die Bürger erfuhren, dass für ihre Ortsumfahrungen kein Geld mehr verfügbar ist. Obwohl die Entwürfe dafür oft schon seit Jahrzehnten fertig waren (näheres im Anhang).
Wie bereits erwähnt, war und ist für richtungweisende Weichenstellungen nur das oberste Management autorisiert und das ist sehr parteiisch, da an die gerade herrschenden Regierungsparteien gebunden. Damals Rot-Grün. So ist das nicht, Herr Klarmann, schimpft da ein sich getroffen fühlender Politiker! Nicht? Dann ziehe ich die Aussage zurück, entgegnet der Bürgervertreter. Wir wollen nicht vom Kern ablenken.
In einer parlamentarischen Demokratie ist die Parteilichkeit prinzipiell ja in Ordnung. Man muss das aber öffentlich aufrichtig zugeben. Und man darf nicht klammheimlich den Eindruck erwecken, als hätten die nachgeordneten Planer 1 plus 1 nicht richtig zusammengezählt und dass angeblich wegen derartigen „Planungsfehlern“ das Baurecht verzögert worden ist.
Eigentlich sollte das alles im Grundsatz vielen Bürgern entlang der überlasteten Straßen schon klar sein. Aber tatsächlich wussten das die allermeisten Schimpfenden an den Stammtischen nicht. Und auch manchen, die es eigentlich hätten wissen können, ist der Überblick über die tatsächlichen Steuerungskompetenzen und Verantwortlichkeiten verloren gegangen.
Zwar haben die regionalen Zeitungen die wichtigsten Fakten zeitnah und weitgehend neutral berichtet, doch ist ein Zeitungsbericht meist schnell vergessen und sein Inhalt wird bald nach dem Lesen zum Altpapier abgelegt. Ferner haben nur wenige lärmgeplagte Anwohner an den überlasteten Bundesstraßen und noch weniger Autofahrer, die in den Staus genervt werden, eine Zeitung abonniert, die darüber informiert. Schon gar nicht die ortsfremden Fernfahrer, die von den Anwohnern so gern von der Straße verbannt würden und die ihrerseits nicht verstehen, dass es 30 Jahre dauert, bis ihnen geeignetere Verkehrswege angeboten werden. Solche die dem offenkundigen Verkehrsnotstand wirksam abhelfen.
Aber auch bei regelmäßigen Zeitungslesern ist man erstaunt über den oft nur rudimentären Informationsstand. Offenbar lesen nur Wenige die vertiefenden Berichte aufmerksam, vollständig oder überhaupt. Und letztendlich haben viele Leser die häufig widersprüchlichen Nachrichten kaum halbwegs nachvollziehbar werten und einordnen können. Wenn an einem Tage der BUND die A44 in Grund und Boden verdammt, weil nicht alle Frösche standesgemäß wie küssbare Prinzen behandelt worden sind und am nächsten Tage die Information zu lesen ist, dass nach umfangreichen Forschungen schon längst unzählige Unterführungsbauwerke speziell für eben diese Frösche eingeplant worden waren, dann wird es für Lieschen und Hänschen Müller recht schwierig, den Überblick zu behalten. In späteren Kapiteln werden diese etwas saloppen Vorabaussagen untermauert.
Fehlinformationen haben sich schon etabliert
Jedenfalls haben sich im Laufe der Zeit an den Stammtischen der Region viele Gerüchte mehr oder weniger fest etabliert. Das zu vermeiden, wäre eigentlich eine wichtige Aufgabe im Rahmen der zu Planungsbeginn gerne und oft propagierten offenen Planungskultur gewesen. Doch - wie der Observer schon sagte - Verkehrsplaner in staatlichen Diensten sind zur Information über richtungweisende Entscheidungen nicht autorisiert. Weder dürfen sie sich in den frühesten Planungsphasen öffentlich äußern, als die Weichen für die Linienführung gestellt worden sind, noch danach, als es zum korrigieren der falschen Weichenstellungen noch Zeit gewesen wäre. Dass sie falsch waren, ist heute eine der nettesten Umschreibungen dessen, was sich längst als Riesenproblem erwiesen hat.
Was Planer aber immer durften und noch heute dürfen, ist das Hinhalten des Kopfes, wenn sich jemand beschwert, dass die Trassenführung ungünstig ist, dass die ortsnahe Führung zu keiner wirklichen Lärmentlastung führen wird, dass die Kosten für die gewählte Variante unnötig hoch sind, dass landwirtschaftliche Flächen in viel zu hohem Maße beansprucht werden, dass die Planung zu lange gedauert hat, dass sie zu teuer geworden ist, dass den unsinnig hohen Naturschutzanforderungen nicht (ausreichend) widersprochen wurde und so weiter und so fort.
Bei einem Großprojekt dieser Art, das über Jahrzehnte hinweg die Gemüter zum Teil heftig erregt hat, sollte wenigstens im Nachhinein eine zusammenfassende Gesamtdarstellung für die Regionalgeschichte geschaffen und erhalten werden. Der Observer würde dafür gern einen Beitrag erstellen. Manch Planungsbeteiligter aus einer bestimmten Fachrichtung wird damit nicht einverstanden sein. Die Gefährten von Brutus hätten der Geschichte um die Ermordung Cäsars auch gern eine andere Färbung gegeben, wenn es nicht die zeitnah und authentisch aufgezeichnete Historie gäbe, die das exakt dokumentiert hätte. So konnte die Mordsstory nicht per Mundpropaganda über die „stille Post“ von Jahr zu Jahr mehr umgedeutet werden.
Auch die Umdeutung der Planungsgeschichte A44 zeichnet sich schon ab. Das sollte eigentlich unterbunden werden. Eine objektive Information kann z.B. geschehen durch das Lesen der diesbezüglichen Zeitungsberichte zum Thema, allerdings sind es unzählige. Ein Kommentator der örtlichen Regionalzeitung Werra-Rundschau hat einmal geschrieben, dass die Presseberichte zur A44 schon mehr Fläche bedecken würden, als irgendwann die Autobahn selbst beanspruchen wird. Außerdem kommen die Zeitungsmeldungen dazu unregelmäßig und manchmal für den Konsumenten zeitlich so unpassend wie ein Regenschauer beim Strandurlaub. Bisher hat die vielen Artikel noch niemand chronologisch so zusammengestellt oder gar in Zusammenhängen aufbereitet, dass sie übersichtlich und leicht lesbar sind.
Der vom Observer oft zitierte Planer Mandamo hat sie seit 1990 vollständig gesammelt. Irgendwie sind dann die wichtigsten Hauptaussagen auszugsweise in diesen Roman geraten (weil die Zitierung von Presseartikeln nicht als freie Erfindung bezeichnet werden kann). Noch schwieriger zu beschaffen ist ein objektiver Gesamtüberblick aus den an die Hunderttausende umfassenden Seiten von Planungsbeiträgen. Denn die gehen so sehr ins Detail, dass sie völlig unübersichtlich sind. Auch davon gerieten Teile in die Handlungsgeschichte dieses Romans, wahrscheinlich weil das Hirn des Autors davon überquillt. So entstand hier als Kompromiss ein halbdokumentarischer Roman, der in einer zusammenfassenden Darstellung die Gesamtproblematik A44 im Kontext mit relevanten Auszügen aus den maßgeblichen Unterlagen verarbeitet.
Der Observer analysierte als politischer Beobachter mit weltweitem Überblick die in diesen Zusammenhängen bedeutsamsten Sachverhalte und stellte beizeiten fest, dass es leider auch und gerade in unserer „aufgeklärten Zeit“ so ist, dass die öffentliche Meinung zielgerichtet manipuliert wird. Ganz besonders effektiv gelingt das den Grün-Alternativen im weitesten Sinne, nicht nur denen der grünen Partei. Viele davon tragen zwar die hehren Werte von Demokratie und Selbstbestimmung wie eine Monstranz vor sich her, aber die darin garantierte Meinungsfreiheit mahnen die Manipulierer der öffentlichen Meinung nur dann an, wenn es ihren eigenen Zwecken dienlich ist. Dabei bleiben ihre hintergründigen strategischen Zielsetzungen voll im Dunkeln.
Verschleierung der grünen Primärziele
Es wäre ehrlicher, wenn die grünen Antagonisten offen bekunden würden, was sie eigentlich wollen, nämlich die strengstmögliche Behinderung des Individualverkehrs, wo es nur irgend geht. Würden sie das so offen bekunden, verlören sie viel Rückhalt und dann auch sehr viele Wählerstimmen. Daher unterlassen sie das. Es ist tragisch, geschieht aber dennoch häufig - und leider fast unbemerkt - dass auch in einer Demokratie manche Fehlentwicklungen von bestimmten Meinungsführern über willfährige Cliquen indirekt, aber sehr effektvoll gesteuert werden.
Der Planer Mandamo äußerte sich schon um 1991 in einer kleinen und internen Runde frustriert über die Machenschaften bestimmter gesellschaftlich einflussreicher Gruppen. Er beklagte, dass eine Desillusionierung eingeleitet würde, die sich später ungeahnt verstärken könnte. Was ihm seinerzeit gleichsam wie ein Menetekel vorkam, hat er in der folgenden Notiz festgehalten: „Bei großen staatlichen Aufgaben, wie auch der Autobahnplanung, glaubte ich anfangs, dass in einer Demokratie das Volk der Souverän sei. Seine gewählten Vertreter würden sach- und zweckdienlich darüber entscheiden und nur nach rationaler, ideologiefreier Abwägung das Notwendige vorantreiben. Dabei müssten gesamtgesellschaftlich sinnvolle Werte im Vordergrund stehen. Aber da hatte ich wohl eine allzu arglose Vorstellung“.
Zuhause las Mandamo gerade zum zweiten Male in dem Weltbestseller „Farm der Tiere“ von George Orwell. In dieser Story hatten die Tiere einer englischen Farm eine Revolution zur Erlangung einer Selbstverwaltung angezettelt. Doch bald nachdem dort ein Rat der Tiere die Herrschaft übernommen hatte, begann in einem schleichenden Prozess der Übergang in die alte Unfreiheit. Nur herrschte jetzt statt des Farmers mit einem Hund, eine Clique von Schweinen mit mehreren Hunden über die anderen Tiere. Bald wurde das einfache Vieh radikaler denn je ausgebeutet und es merkte das nicht einmal, denn es geschah nun noch hinterlistiger und perfekter als je zuvor. Die niederen Tiere dienten den oberen mit Überzeugung und großer Inbrunst, denn die schlauen Schweine hatten ein scheinbar segensreiches Regierungsprogramm proklamiert. Tatsächlich hatten sie längst eine Diktatur eingeführt.
Die öffentliche Meinung wurde von den Schweinen perfekt gelenkt und dabei hielten sie sogar noch die Illusion von Demokratie und Selbstbestimmung ihres Volkes aufrecht. Dass dies nur in einer höchst verlogenen Form möglich war, entging den niederen Tieren total. Denn sie waren recht gutgläubig und vertrauten auf die ausgegebenen Parolen. Nur selten blitzte beim einfachen Vieh mal der Gedanke kurz auf, dass es unter der früheren Herrschaft des Farmers doch besser dran gewesen war als unter den vielen Schweinen und dass es sich jetzt nur noch für deren Interessen ausnutzen lassen musste. Noch seltener wurde das offen angedeutet. Aber für die Schweinepropaganda war das sowieso kein Problem, entweder brachte sie die dummen Gänse, Schafe, Kühe und alle Genossen schnell wieder auf den vorgegebenen Kurs zurück Kurs zurück. Aufmüpfiges Vieh ließ man einfach verschwinden.
Dabei geschahen die immer diktatorischer werdenden Aktionen alle auf dem Boden der geltenden Gesetze, die sich die Tiere nach der Befreiung von den Menschen selbst gegeben hatten. Das ursprüngliche Grundgesetz der Tiere war einst wirklich demokratisch beschlossen und auf eine Scheunenwand geschrieben worden. Für jedermann offen sichtbar. Aber die raffinierten Schweine wussten ganz genau, dass es von ihren lesefaulen Untertanen niemand merken würde, wenn sie die unpassenden Gesetze nach den eigenen Wünschen änderten. Das geschah dann auch oft und einseitig zweckdienlich. Die "Verfassungsänderungen" gipfelten darin, dass die ursprüngliche Präambel „Alle Tiere sind gleich“ mit dem nützlichen Zusatz ergänzt wurde „aber einige sind gleicher als die anderen“.
Die Organisation der Herrschaft auf der Farm der Tiere war perfekt eingefädelt worden und hatte so gut funktioniert, dass sie den Leser und Autor des vorliegenden „Berichtes“ darüber nachts im Traum verfolgte. Nach dem schweißgebadeten Aufwachen freute er sich dann, dass der Traum von den sich gefährlich zuspitzenden Verhältnissen im Staat der hinterhältig wühlenden Schweine mit den heutigen Verhältnissen nicht vergleichbar ist. Nicht direkt. Noch nicht direkt. Bisher noch nicht allzu direkt.
Obwohl …. wenn die moderne Obrigkeit in deutschen Farmlanden heutiger Zeit etwas partout nicht will, bereitet auch sie Gesetzesänderungen erst mal heimlich vor, unauffällig, z.B. in Brüssel, beschließt sie unauffällig, verpackt sie dann in harmlos erscheinende kleine Büchlein mit grünen Schleifchen und verkauft ihren Inhalt pauschal als gemeinnützig. Lesen tut das sowieso kaum einer. Wer es wagt, Teile Ihres Inhaltes in Frage zu stellen, wird verdächtigt, nicht auf dem Boden des Gesetzes zu stehen. Ganz pauschal und tunlichst nicht konkret im Detail, es soll ja möglichst nach konspirativen Aktionen von Staatsfeinden aussehen. Schaute man genauer hin, würde die Zielrichtung auffallen, die nämlich bei den Gesetzeshütern viel undemokratischer ist, als beim Frager. Aber Pssst, hier wird der Finger auf einen wunden Punkt gelegt!
Ist so etwas Ähnliches wie auf der Farm der Tiere auch unter den menschlichen Gesellschaften heutiger Zeit denkbar? In dem TV-Film "Die Welle" wird in einem Experiment aufgezeigt, wie schnell einem eigentlich antiautoritär eingestellten Lehrer die Gruppendynamik entgleiten kann. Wenn jemand bestimmte Urinstinkte zu wecken imstande ist - und sei es nur unbeabsichtigt - kann das leicht zum Aufflammen von faschistoiden Verhaltensweisen führen. Im Film bedurfte es dazu nicht einmal eines bösen Despoten. Was so harmlos mit Begriffen wie Gemeinschaft, Gesellschaft und Freundschaft begann, führte bald zur Drangsalierung Andersdenkender.
Die bundesdeutsche Wirklichkeit ist vor derartigen Gefahren wohl auch nicht gefeit, dachte der welterfahrene Mandamo, der gerade von einer Reise aus einem Land mit nur scheinbar freiheitlicher Grundordnung nachhause kam. Es gibt noch eine Menge Staaten dieser Art, die sich zwar demokratisch nennen, wo aber nur eine Einheitsmeinung geduldet wird.
Ist es bei uns wirklich viel anders? Der hier so hoch geschätzte Pluralismus der Informationen ist auch bei uns nur Makulatur. Wer hier z.B. infrage stellt, ob der momentane Klimawandel auf lange Sicht gesehen wirklich was ungewöhnliches ist und - vor allem - ob er menschengemacht ist, der wird hier verunglimpft. Die freie Meinungsäußerung wird hier auf andere Weise behindert.
Wird das in künftigen Geschichtsbüchern nur als unwichtige Fußnote einzustufen sein? Nein! Die öffentliche Meinung zu dieser gewaltig hochgeputschten Klimafrage ist wichtig. Denn sie prägt den Zeitgeist unserer Tag und ist Treiber vieler falscher Denkrichtungen und Fehlentscheidungen. Falsche Berater zimmern daraus falsche Empfehlungen. Und diesen folgt die Politik mit Überreaktionen. Dass nahezu alle anderen Staaten der Welt unserer deutschen Klimahysterie nicht folgen wollen, ist keineswegs Egoismus, sondern Realismus.
Als Mandamo in Berlin von der S-Bahn auf den ICE umstieg und zwischenzeitlich noch etwas Zeit hatte, sah er vor dem Kanzleramt eine Demo gegen Atomkraftwerke. Deren Ziel war es angeblich, friedlich und rein menschenfreundlich für "Interessen des Volkes" zu "kämpfen". Auf den Transparenten standen aber spezielle ideologisch motivierte Ziele, welche "das Volk" nur zu kleinen Teilen richtig findet. Das intolerante und militante Diskutieren und Auftreten einiger Demonstranten verriet vor allem radikal-fanatische Sonderinteressen. Also etwas ganz anderes. Dabei war ein bedrohliches Glimmen zu sehen, das nur mühsam versteckt wurde. Bei unzähligen anderen Demos dieser Art über viele Jahre hinweg war es ebenso und oft noch schlimmer. Aus diesem gefährlichen Dunstkreis kamen fanatisierte Terroristen, die Anschläge auf Bahngleise verübten, wo später Castorbehälter drüber rollen sollten. Das Volk war den Übeltätern so was von egal.
Die Autobahn A44 - ein Drama in tausend Akten
Sofort nach Öffnung der innerdeutschen Grenze erkannte jeder - so gut wie jeder - dass ein neuer Verkehrsweg zwischen Kassel und Eisenach dringend notwendig war und er eilig auf den Weg gebracht werden müsste.
Liebe Leser, zur Beschreibung der folgenden brisanten Dinge muss der Autor nochmal markant in die literarische Form der Grimmschen Märchen wechseln. Denn auch fast drei Jahrzehnte später, könnten es manche der nach Grenzöffnung regierenden Gottkönige noch fatal finden, wenn bekannt würde, wie holprig seinerzeit der Start der A44-Planung anlief. Einige würden sich nur ungern an ihre eigenen schweren Versäumnisse erinnern lassen. Besonders die zwischen grün und rot schwankenden Lenker könnten vielleicht ihren Groll nur mit Mühe beherrschen, wenn sie darüber Berichte lesen würden, die nicht ausdrücklich als Märchen bezeichnet werden.
Es gab sich zu der Zeit, als Eichels Hans Statthalter und Fischers Joschka Landpfleger in Hassia waren, dass ein Untertan dieser obersten Kameltreiber, so unbotmäßig war, ohne Abwarten besonderer Befehle seiner Karawanenführung, damit zu beginnen, erste Linienkonzepte für einen neuen Verkehrsweg zwischen zwei großen Oasen zu konzipieren und auf Pergament festzuhalten. Gleich nachdem sich der Sandsturm gelegt hatte, der nach dem Fall langer Mauern am Ostrande des Reiches aufgewirbelt war und plötzlich viele Karawanen durch die nun offene Grenze hindurchbrachen, hatte er damit begonnen. Wenngleich auch erst mal außerhalb der Zelte seiner Scheichs, nämlich direkt an den neu geöffneten Durchgangswegen.
Trotzdem waren die Konzepte schon Anfang 1991 fertig und wurden intern nach oben weitergeleitet. Natürlich erst mal inoffiziell und sehr vorsichtig. Weil Dienstwege oft mit vielen Minen gespickt und ziemlich gefährlich sind. Brisante Botschaften laufen stets über unsichere Wege. Sie müssen sich durch die Amtsstuben von vielen Abschreibern, Umdeutern und Bücklingen in verschiedenfarbigen Uniformen hindurch und hinauf schlingeln wie eine Efeuranke am Wiesbadener Schloß. Ob sie jemals oben ankommen, ist trotz aller Bemühungen immer ungewiss.
Nun, wie kann ein untertäniger Erfüllungsgehilfe überhaupt davon berichten, ohne hernach ins dunkelste Burgverlies zu kommen? Eigentlich gar nicht! Aber ein Mäuschen, das davon aus sicherer Quelle gehört hat, kann davon was weiterpiepsen. Wie ein investigativer Journalist, der davon Wind bekam, dass die Geschichten und vor allem deren Hintergründe von vielem, was hier noch erzählt wird, veröffentlicht gehören. Zunächst im Mäusekino, ins große TV kam das nie.
Dem Vernehmen nach haben die Konzepte damals erst mal weniger zur Ermunterung geführt, um so mehr zu Entgeisterung und einem gewissen Erschrecken. Die oberen Fürsten sollen angeblich ausweichend reagiert haben ... Mit verunsichertem Seitenblick auf die befreundeten Fürsten der gerade angeheirateten Fraktion Bündnis-Dingsbumsa-90 sagten sie "sooo einfach und sooo schnell kann man solch eine Jahrhundertaufgabe nicht angehen".
Jedenfalls zeichnete sich alsbald erstaunliches ab. Nachdem alle Ritter der Tafelrunde kontrovers und heftig diskutiert hatten, dankten sie dem Knappen ohne Pferd für das schon recht detaillierte Konzept und wiesen dann darauf hin, dass nun aber noch viele Verfahrensschritte folgen müssten. Dem knight rider war das zwar bekannt, aber dafür gab es ja viele Möglichkeiten. Schnelle und langsame. Für ihn deutete sich hier schon an, dass die Dinge erst mal auf landespolitischen Widerstand stoßen und damit auf die lange Bank geschoben würden.
Nach fast 30 Jahren rückwirkender Betrachtung muss konstatiert werden, dass es nicht nur so gekommen ist, sondern noch schlimmer. Damit war der erste Grundstein gelegt für den späteren Vorwurf, hier sei etwas von Anfang an verschlafen worden. Zu all dem näheres an anderer Stelle, sagt der Autor. Wie ungern ich doch recht behalten habe, denkt heute der damals mit großem Elan und Idealismus eingestiegene Planer Mandamo.
In Hessen regierte nach der Grenzöffnung während des allgemein euphorischen Freudentaumels gerade noch eine schwarzgelbe Koalition unter Walter Wallmann. Ab März 1991 herrschte dann wieder eine rotgrüne Koalition, jetzt unter Hans Eichel und Joschka Fischer. Auch letztere erkannten sicher die Zeichen der Zeit, daher wollten sie nicht unbedingt die Euphorie nach der deutschen Wiedervereinigung öffentlich dämpfen, doch bezüglich der A44-Planung ... wie soll man das sagen ... manch einer würde es heute am liebsten der Vergessenheit überantworten ... eigentlich sollte Gras darüber wachsen. Da käme es ungelegen, wenn nun ein Kamel daher kommt und das Gras abzufressen beginnt.
Na ja, jedenfalls ließ es sich aus manchen Verlautbarungen bald zwischen den Zeilen heraushören und nachher auch direkt lesen, dass hinter den Kulissen auf verschiedenen Ebenen Strategien zur Verhinderung einer Autobahn ersonnen wurden. Pssst fragt da jemand den Observer, ist das aus einer Büttenrede zitiert oder Geheimnisverrat aus einem Hinterstübchen? Der aber flüstert, dass diese brisante Aussage natürlich nie so klar als beschlossene Quintessenz in Gesprächsprotokollen geschrieben wurde. Dennoch geht sie aus mehreren Unterlagen indirekt hervor, man muss das nur erkennen. Selbstverständlich sind die Primärquellen weggeschlossen - bis zum Sankt Nimmerleinstag.
Wie gesagt, alle Politiker waren prinzipiell noch in Aufbruchstimmung und verkündeten vor dem Volk nur eitel Freud und Sonnenschein. Jedenfalls in ihren Sonntagsreden. Die einen konzipierten im Geiste bereits neu aufblühende (Industrie-)Landschaften im Osten und die anderen träumten insgeheim von ganz anderen Gesellschaftsmodellen. Sie meinten, dass jetzt die Gelegenheit sei, ihre lange gehegten politischen Träume in sozialistisch-ökologische Bündnisse zu verschweißen. Linke und Grüne sahen die Chance, jetzt einen solchen breit angelegten Umschwenk für die ganze Republik auf den Weg zu bringen. Da würde es die Protagonisten dieser Denkrichtung stören, wenn der westlichen Wirtschaftsweise mit Autoindustrie, guten Verkehrswegen und einer Gesellschaft nach bisherigem Mustervorher noch etwas bauliches aus Beton spendiert würde. Glauben Sie nicht lieber Leser? Das ist real so gewesen und auch heute noch nachlesbar.
In den nächsten Monaten bemerkte Mandamo Erstaunliches, wenn auch nur im Rahmen seiner informellen Einbindung in Beschlüsse zur kurz- und mittelfristigen Umsetzung. Nicht nur aus den verkehrspolitischen Grundsatzbesprechungen ließ sich erkennen, dass sich der Wind langsam drehte. Als immer deutlicher zu erahnen war, dass es in Sachen A44 wohl doch ein längeres Drama geben könnte, beschloss er, in einer Chronologie festzuhalten, wie sich die Planung weiter entwickelte.
Dazu gehörte es vor allem, auch scheinbar nebensächliche Begebenheiten zu notieren und so den jeweiligen Zeitgeist von der frühesten Planungsphase an authentisch zu dokumentieren. Jene vorherrschende Denkweise, die jeweils parallel zu der unendlichen Diskussion um die Autobahnplanung waltete und auch erhebliche Einflüsse ausübte. Dies für die Nachwelt zu erhalten, ist schon deshalb wichtig, weil der vorherrschende Geist der Zeit mehrfach gewechselt hat. Zwar im Verlaufe des langen Planungsprozesses so langsam, dass es weniger aufmerksamen Beobachtern von außen wohl gar nicht auffiel, aber manchen an der Projektleitung Beteiligten sehr wohl.
Fast eine Menschengeneration nach Beginn der verkehrlichen Kollabierung erinnerte sich Mandamo an eine seltsame Begebenheit. Als es unübersehbar geworden war, wohin die rotgrünen Experimente mit dem Leiden des Volkes geführt haben und die Krisensitzungen in immer dichterer Folge anberaumt wurden, gab es mal eine herausragende Konferenz, wo die Mitwisser der ersten Stunde neu eingenordet werden sollten.
Mitten im nordhessischen Märchenland stand dereinst auf einem grünen Hügel das rote Schloss Verwaltstein. Dort walteten in seiner Herrlichkeit der erlauchte Froschkönig und seine holde Gemahlin, die ihn einst als Prinzessin wachgeküsst hatte (dachte sie jedenfalls). Eines schönen Tages im letzten Jahrtausend wurde dort zu einem feudalen Reichstag eingeladen. Als illustre Gäste erschienen in noblen Karossen der Wachtelkönig aus dem Nachbarreich, einige grüne Spinatwachteln und mehrere andere Majestäten des nordhessischen Märchenwaldes.
Fernerhin hatte man auch einige höhere Sachwalter der Reichsentwicklung beigeladen. Nach einem ersten Umtrunk im Empfangssalon des edlen Schlosses wurden allerlei Köstlichkeiten serviert. Es gab zarten Wildschweinbraten, deftige Gänsekeulen und feine Taubenbrüstchen. Die Wachteleier hatte man diesmal weggelassen, um den Wachtelkönig nicht zu brüskieren. Nach dem Mahl floss der Wein in Strömen.
Bald erhob sich der König und erklärte mit nun etwas finsterer Miene seinen Reichsverwesern zum wiederholten Male die königlichen Direktriven zum eingeschränkten Wegebau in seinem Reiche. Davon dürfe man nicht abschweifen. Das Volk und die Landesfürsten sollten doch bitteschön den Vorzug würdigen, in diesem herrlichen Reiche unter seiner Regentschaft dienen zu dürfen.
Einige der Gäste waren aber nicht mehr ganz davon überzeugt, dass die eingeschlagene Richtung des Königs und seiner oberen Getreuen noch ganz richtig ist. Der Wein hatte ihre Zunge gelockert und sie wurden so mutig, die offenkundigen Missstände anzusprechen. Dem mächtigen Monarchen gefiel das natürlich nicht, aber es schien ihn auch nicht zu überraschen. Er schnippte kurz mit dem Finger zu den Lakaien hin, worauf die einige grünfarbene Cocktails kredenzten. Die schmeckten so bitter wie die Zukunftsaussichten seines Reiches aussahen, aber sie gingen runter wie der Schierlingsbecher bei Sokrates. Kurz danach wurden die renitenten Trinker wohlig müde und sie schliefen sanft ein.
Am nächsten Morgen wachten alle Konferenzteilnehmer in ihren eigenen Betten zuhause auf, als sei nichts gewesen. Ungläubig riss ein Jeder die Vorhänge auf und rieb sich die Augen. Allen tat der Kopf weh und sie glaubten, in den vergangenen Stunden einige Albträume gehabt zu haben. Aber die Erinnerung daran war nur schwach und sie verblasste zusehends. Der verhexte Zaubertrank wirkte noch nach. Manche Reichsverweser fragten sich, ob sie das alles wirklich nur geträumt hatten. Das konnte doch nicht wahr sein. Versuchte jemand, die Erinnerung an unliebsame Vorgänge bei denen zu löschen, die besonders tief involviert waren in die Fehlsteuerung der Reichsentwicklung?
Mandamo, der es gewöhnt war, immer wieder ins kalte Wasser zu springen, wusste um dessen heilsame Wirkung. Er hielt den Kopf unter die kalte Brause und kämpfte gegen das Vergessen an. Bald tauchten die früheren Ereignisse in seinem Erinnerungsspeicher wieder auf. Nun fragte er sich, ob er wirklich der einzige Konferenzteilnehmer vom Schloss Verwaltstein sei, der die Erinnerung wiedergewonnen hatte. Er begab sich zu anderen Teilnehmern und stellte mit ungläubigem Erstaunen fest, dass die von der ganzen Sache nichts mehr wissen wollten. War es wirklich Vergessen, Bequemlichkeit oder Bangigkeit vor der nächsten Einnordnung und dem nächsten Becher? Die Frage stand bei vielen im Raum, ob sie für diese Risiken überhaupt bezahlt werden.
Exkurs in Randthemen
Hier unterbricht der Romanautor mal kurz den Verlauf der tolldreisten Geschichten im Lande der Gebrüder Grimm, um noch eine ergänzende Allgemeinaussage zur Grundstruktur der vorliegenden neuen Erzählung zu machen. Der Anwalt Justus Klarmann hat ihn in einer Rechtsauskunft dazu ermutigt.
In diesem Buch soll nicht eine nüchterne Darstellung technischer Daten oder verwaltungsmäßiger Vorgänge aneinander gereiht werden. Das wäre erstens nicht für jedermann interessant genug und zweitens ist es ja erklärtes Ziel dieses Buchkonzeptes, die großen Infrastrukturplanungen (auch die neben der A44) im jeweiligen Zeitgeist des Märchenlandes darzustellen. Und zwar nicht für die Experten der betroffenen Disziplinen, die im Dschungel der Notwendigkeiten so gefangen und betriebsblind sind, dass sie total übersehen, was eigentlich wirklich der Sache dient.
Würde man sie fragen, würden sie weiterhin auf die Gesetze und Verordnungen verweisen, die jahrzehntelang das so erfolgreich verhinderten, was der ganz normale Erdenbürger wünscht. Für seine Steuermittel hat er demokratisch über sein Parlament die Planung einer Autobahn beauftragt. Und nicht die Ausweisung und perfekte Organisation eines riesigen Naturschutzgebietes.
Der über den Dingen stehende Observer bemüht sich dennoch, das Thema neutral zu betrachten. Weil es hier nicht staubtrocken-verwaltungstechnisch abgehandelt werden soll, wurden auch verschiedene „Ausflüge“ zu diversen Nebenthemen eingefügt, wo es Berührungspunkte gibt. Und seien es auf den ersten Blick sachlich noch so entfernt erscheinende. Wie in der Einleitung schon mal vorangekündigt, werden hier einige Exkursionen unternommen. Unter anderem zu den Einsichten von Konfuzius im fernen China zu Baumaßnahmen seines Großkaisers, zu den Ansichten Goethes über das Wegenetz seiner Zeit, zu den Autobahnplanern im sogenannten dritten Reich und zu den neuzeitlichen Planungen in den prosperierenden Regionen heutiger Länder.
Es werden aber auch viele Bezüge hergestellt zu anderen großen Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland und zwar mit ihren vielen Facetten und mit Blicken hinter die Vorhänge. Dabei kommen die Einlassungen der Umweltverbände, insbesondere der Klimakatastrophentheoretiker zu Wort, welche sich anmaßen, Gott ins Handwerk pfuschen zu dürfen und sich zum Retter der Welt aufzuspielen. Währenddessen sie tatsächlich zuerst Verhinderer wichtiger Infrastrukturprojekte geworden sind. Die im Interesse der Menschen.
Gesamtgesellschaftlich gesehen sind es keine Retter, sondern Bremser, die unserem Lande volkswirtschaftliche Schäden in immenser Höhe zufügen. Sie reden so eindringlich von der Zukunft unserer Kinder und Enkel, doch in Wirklichkeit verbauen diese unseligen Heilsprediger genau dieser nachwachsenden Generation die Zukunft.
Den zeitgleich laufenden großen Planungen, besonders zu anderen Projekten, zu Flughäfen und sonstigen Großprojekten unserer Zeit wird sowieso ein breiter Raum gegeben. Zusätzlich ist vergleichbares aus ausländischen Großprojekten eingefügt, soweit es in diesem Zusammenhang interessant erscheint. Dabei hört der Autor schon im Vorhinein, wie die Scheuklappenträger genauso wie in Sachen Atomkraft sagen "es ist mir egal, wie das Ausland handelt und erst recht, wie es über unser deutsches Handeln denkt". Darf so etwas den Bürgern eines stark exportabhängigen Industrieland wirklich egal sein?
Erst im Kontext mit den parallel laufenden Begebenheiten rundet sich das Bild ab, lässt sich das verwaltungstechnische Handeln verstehen und die politischen Entscheidungen in der jeweiligen zeitlichen Epoche. Späteren Generationen fiel es bekanntlich immer schwer, Vergangenes im Kontext ihrer Zeit richtig einzuordnen und zu bewerten.
Das Problem beginnt damit, dass unrühmlich gelaufene Ereignisse bereits von den ersten Chronisten gefälscht überliefert werden. Um sich nicht den Zorn ihrer Herrscher zuzuziehen, konstruieren sie Geflechte zur Irreführung. Damit machen sie es späteren Historikern schwer, die tatsächlichen Abläufe richtig zu erkennen. Nur ein Forscher, der auch in die kleinen Randerscheinungen vertieft einsteigt und die damaligen Denkweisen der betrachteten Epoche erkundet, versteht nach und nach die kausalen Zusammenhänge. Dem folgt dann ein Aha-Erlebnis.
Dieses Buch nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise zu einigen Highlights der Technikgeschichte und den zeitgleich laufenden, teilweise richtig infamen Strategien zur Verhinderung der technischen Weiterentwicklung. Die aufgelockerte Form der Darstellung, ohne überwiegende Konzentration auf trockene Daten, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier um eine hochernste Problematik geht, die für die Gesellschaft der Zukunft von geradezu schicksalhafter Bedeutung ist. Die manchmal ironischen und bisweilen sarkastischen Anmerkungen zeigen einen gewissen Galgenhumor. Dieser hatte es dem Planer Mandamo im Laufrad der Ereignisse etwas erleichtert, die so unerfreulich laufenden Dinge auch mental zu überstehen.
Hat bei der Autobahnplanung auch die Chaostheorie Pate gestanden?
Chaotische Entwicklungen gibt es überall auf der Welt. Der kosmopolitische Observer hat das einerseits als schwachen Trost gesehen, andererseits aber auch analysiert, wo die Fehlentwicklungen vergleichbare Ursachen aufweisen. Das fällt nicht ohne weiteres jedem auf. Selbstverständlich nahmen fachfremde chaotische Handlungsstränge nicht unmittelbar Einfluss auf wichtige Entscheidungen, schon gar nicht direkt sichtbare zu Projektentwicklungen wie z.B. der A44-Planung in Nordhessen. Aber indirekt schon. In den neunziger Jahren kursierte das geflügelte Wort „wenn in China ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, ändert sich in Europa das Wetter“.
Das scheint im doppelten Sinne weit hergeholt, ist aber durchaus nicht ganz aus der Luft gegriffen. Dem liegen nämlich Thesen der Chaostheorie zugrunde. Danach können schon winzige Ursachen tatsächlich zu großen Wirkungen führen. Nicht nur bei so etwas unberechenbarem wie dem Wetter. Gerade in der Gesellschaftsentwicklung und der Weltgeschichte gibt es dazu sehr viele Beispiele.
In einigen Extremfällen haben sich schon aus recht nichtigen Anlässen Massenpsychosen entwickelt. Eine größere Aufzählung passt hier nicht hin (würde auch Widerspruch bei denen auslösen, die den Gedanken der prinzipiellen Vergleichbarkeit nicht verstanden haben), aber kurze Ausflüge in Nebenthemen seien dem Führer durch diese Geschichte aus den vorgenannten Gründen hin und wieder gestattet.
In dem zur Weltliteratur zählenden Werk Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ ist an vielen Beispielen dargelegt, wie zunächst unwesentlich erscheinende Begebenheiten die Weltgeschichte förmlich umgelenkt und damit für Jahrzehnte und manchmal sogar Jahrhunderte bestimmt haben. Ein typisches Beispiel ist die vom Scheitern Napoleons am 18.6.1815 bei Waterloo. Als dort die gigantische Entscheidungsschlacht begann, befand sich Napoleons Marschall Grouchy mit immerhin einem Viertel des Heeres in nur 3 Marschstunden Entfernung vom Schlachtfeld, denn er hatte Befehl, den preußischen General Blücher zu verfolgen.
Dessen Spur hatte Grouchy aber noch nicht gefunden, als er in einiger Entfernung beginnenden Kanonendonner hörte. Dennoch entschloss sich der brave Reiterführer in der „Weltminute von Waterloo“ dazu, nicht von seinem Auftrag abzuweichen. Er ahnte nicht, wie schicksalhaft sich seine Entscheidung für die Grande Nation auswirken würde. Auch dem Drängen seiner Offiziere, augenblicklich zum Schlachtfeld zu eilen, folgte der brave Franzose nicht. Blücher hingegen disponierte sofort um, als er den Schlachtenlärm hörte. Auch er befand sich einige Stunden entfernt vom Kampfplatz, doch eilte er sogleich dem englischen Heer zu Hilfe, das unter dem Feldherrn Wellington inzwischen arg dezimiert worden war. So wurde mit Blüchers frischen Truppen die Schlacht zu seinen Gunsten entschieden. Die Entwicklung Europas nahm danach eine völlig andere Richtung.
Damals wie heute fielen und fallen ständig Entscheidungen im militärischen und zivilen Bereich nach bestimmten Einschätzungen. Allerdings sollten in den heutigen Demokratien die großen Richtungsentscheidungen den gewählten Institutionen vorbehalten bleiben. Es geht jedenfalls nicht an, dass sich ständig irgendwo irgendwann irgendwer anmaßt, die Heere nach eigener Laune mal in diese, mal in jene Marschrichtung jagen zu dürfen. Sie würden sich dabei aufreiben.
Auf die A44-Planung bezogen, gab es berufene Entscheidergremien, die das Für und Wider frühzeitig aus einer gesamthaften Sicht abzuwägen beauftragt waren und zwar verkehrs- und bautechnisch, umweltfachlich, wirtschaftlich und juristisch (Reihung ohne Wertung). Darüber gab es aber noch politische Einflussnahmen, die erst recht „Gehorsam“ verlangten. Das macht die Sache besonders schwierig. Denn die politischen Ziele zwischen Bund und Land standen sich oft diametral gegenüber. Zudem wechselten sie auch des öfteren innerhalb kurzer Zeit. Das berechtigt aber dennoch nicht Unbefugte, Außenstehende oder einzelne Planer der unteren Ebenen, Blücher oder Grouchy zu spielen.
Eine wichtige Voraussetzung für das Vermeiden langjähriger Verzögerungen bei der Autobahnplanung wäre es im Frühstadium gewesen, dass die Grundsatzentscheidungen pro A44 konsequent weiter verfolgt worden wären. Dann wären gewisse Widerstände nicht so groß geworden. Vor allem bezüglich der Linienführungen, aber auch die Kosten wären nicht so immens gestiegen. Und die Zeitpläne wären nicht so extrem überzogen worden.
Beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 wurde von den meisten Demonstranten anfangs hauptsächlich wegen umweltfachlicher Aspekte opponiert (Baumabholzung, Juchtenkäfer u.a.), aber als sie merkten, dass dies zu wenig Substanz hatte und nicht ausreichend Zustimmung in der Bevölkerung fand, verlegten sich Teile der Gegner interessanterweise auf die Projektablehnung wegen dessen Kosten. Sehr geschickt, aber extrem unehrlich. Denn ihnen ging es um ganz was anderes.
Auf die A44 umgemünzt, hätten auch hier die viel kostengünstigeren Linienführungen gewählt werden müssen. Und zwar schon im Raumordnungsverfahren, dessen letzter Teil 1998 abgeschlossen wurde. Der Observer hat über den gesamten Planungszeitraum hinweg beobachtet, dass bei der A44-Planung die Kostenbegrenzung immer nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt hat. Darüber mögen sich im Nachhinein viele Steuerzahler aufregen, manche werden auch ausrufen „das darf doch nicht wahr sein“, aber lassen Sie sich das mal mit den dafür unvermeidlichen Einzelheiten darlegen.
Bevor wir uns in die ernstere Strenge heutiger Sachthemen begeben und dabei hier und da womöglich auch unfreundliche Emotionen auslösen, wollen wir erst noch ein wenig im Unterhaltsamen bleiben. Und uns auch noch ein paar Prisen Humor gönnen. Wir - der Observer und der Planer Mandamo - verpacken das schwer Verdauliche portionsweise in Metaphern, so ist es besser zu vertragen und zu ertragen.
Unzählige Widerstände führten zu langen Verzögerungen
Mit der breiten Variantendiskussion begannen die endlosen Debatten. Sie zogen sich über Jahrzehnte hin. Dennoch sei hier aus dem allerersten Zeitplan zitiert, dem von Mandamo aus dem Jahre 1990. Unter realistischer Berücksichtigung der Zeitbedarfe für Planungen, Ausschreibungen, Vergabeverfahren und einer maximal 4 jährigen Bauzeit (wenn alle Abschnitte gleichzeitig begonnen und keine Tunnel im Streckenzug enthalten sind) kam dieser Zeitplan zu einer Verkehrsübergabe spätestens im Jahre 2000! Politiker sprachen sogar von einer noch früheren Verkehrsübergabe. Manche sogar von 1995. Die hatten noch nichts von den vielen Fallstricken gehört, die Mandamo inzwischen schon am Horizont herannahen sahen.
Das Jahr 2000 war aber für die vollständige Fertigstellung einst wirklich realistisch! Der Netzplan enthielt sogar einige Puffer für Unvorhersehbares. So unglaublich das heute auch klingen mag. Lassen Sie uns nun mal gemeinsam die Unterschiede zwischen Anspruch und Ausführung zerpflücken.
Viele Köche verderben den Brei, sagt der Volksmund. Inzwischen ist das eine Metapher für viele missratene Vorgänge des täglichen Lebens. Nicht nur in der Küche, auch bezüglich der langwierigen A44-Planung drängte sich manchen Beobachtern und erst recht manchem Akteur im Planungsprozess der Eindruck auf, dass hier allzu viele Köche falsch geköchelt haben und dass deshalb das gute Gelingen so lange verhindert wurde.
Aber niemand sollte diese Aussage missdeuten. Es geht nicht darum, dass über Großprojekte nur ein einziger König hätte entscheiden sollen. Auch im sogenannten tausendjährigen Reich hat dessen Insignienträger, der österreichische Gefreite, beileibe nicht allein entschieden, direkt wahrscheinlich sogar überhaupt nichts. Zur Beplanung seines beeindruckenden Verkehrswegenetzes hat auch er eine "Projektgruppe" gehabt und darin befanden mehrere Fachleute über die Hauptmerkmale der Planung. Zu den heutigen Projektgruppen besteht allerdings der ganz wesentliche Unterschied, dass damals alle Beteiligten das gleiche Ziel ernsthaft verfolgten, nämlich dass am Ende ein verkehrlich sinnvolles, wirtschaftlich vertretbares und für Mensch und Natur akzeptables Autobahnnetz herauskommen muss.
Heute ist das leider anders. Heute mischen viele Köche mehr als Breiverderber mit, statt als nutzbringende Küchenhelfer. Bleiben wir beim Gleichnis. Es geht hier keineswegs nur darum, dass die „Geschmäcker verschieden“ sind. Altbundeskanzler Kohl mochte zwar Kohl, aber weder Grünkohl noch Rotkohl (in der Bundestagskantine). Diese Sorten stießen ihm immer sauer auf. Edmund Stoiber mochte außer den grünen Gemüsen auch die gelblichen nicht. Anders die Politiker mit den knallroten Krawatten, die mochten keine Schwarzwurzeln, auch nicht in gelber Soße. Die grünen Sonnenblumenträger waren ebenfalls allergisch gegen schwarzgelben Blumensträuße (z.B. mit Thunbergia alata) auf den Esstischen. Vor Wahlen wurden bisweilen diverse Farballergien bekundet. Hinterher wurde aber manchmal festgestellt, dass Aversionen auch relativierbar sind, wenn die Wahlergebnisse überraschenderweise dazu drängten.
Aber Geschmäcker und Farbkombinationen sind nicht nur ein politisches Problem. Nach jahrzehntelanger Erfahrung mit dem Metier der Autobahnplanung ist der Observer hin und her gerissen zwischen der Feststellung, dass allzu viele Köche den Brei verdorben haben und einer etwas differenzierteren Betrachtung dieser Aussage. Könnte man es in diesem Zusammenhang vielleicht etwas weniger drastisch ausdrücken? Immerhin ist es heutzutage nun mal gesetzlich so festgelegt, dass viele Köche am Brei mit herumrühren dürfen.
Die Bei- und Nebenköche üben also nur etwas aus, was ihr gutes Recht ist. Dass manche Köche besonders gern an besonders vielen Dingen zugleich herumrühren wollen, zeugt von deren Engagement und ist eigentlich - je nach Blickwinkel - nicht von vornherein etwas negatives. Jedenfalls wenn es nicht mit einer undemokratischen Absicht geschieht, also einem verdeckten Bestreben, mit Übereifer Dinge aufzuhalten, auszubremsen oder zu verhindern, die aus gesamtstaatlicher Sicht in einem demokratischen Prozess beschlossen worden sind.
Soll man jemandem, der ja „auch nur seine Arbeit macht“, seinen Übereifer mit anderem Vorzeichen, ankreiden? Manche Kritiker aus den Umweltverbänden machen diese Arbeit sogar ehrenamtlich. Das muss man doch im Prinzip eher loben. Zum Beispiel engagieren sich die Vertreter einiger Naturschutzinstitutionen so stark, dass aufgrund der fließenden Grenze zwischen Eifer und Übereifer, der Wendepunkt für Kritik nur schwerlich zu definieren ist.
Die engagierte Arbeit von Wissenschaftlern und Spezialisten aller Gebiete wird meistens honoriert. Manchmal sogar mit dem Nobelpreis. Wer aber wollte Alfred Nobel wegen seiner Erfindung des Dynamits kritisieren, womit z.B. Eisenbahntunnel durch Berge hindurch gesprengt werden konnten, mit dem man aber später auch Kanonen geladen hat. Und wer wollte die Flugpioniere verurteilen, wie z.B. Otto Lilienthal, der Grundlagen für den Flugzeugbau erforschte? Mit den danach weiterentwickelten Flugzeugen wurden später Bomben auf Menschen geworfen und heute fliegen mit dieser Erfindung sogar Umweltminister nach Mallorca zur Erholung, können dann innerhalb kürzester Zeit mal in Berlin zu einer Sitzung (vorbei-) kommen und dann gleich darauf wieder nach Mallorca zurückfliegen. Dass dies zur Umweltverschmutzung beiträgt, kümmerte ja lange Zeit kaum jemanden. Richtig heftig erst, seitdem die angeblich drohende Klimakatastrophe das neue Steckenpferd der Grünen wurde.
Und hat schon jemals ein Zeitgenosse die Konstrukteure Daimler und Benz dafür kritisiert, dass sie das Auto erfanden? Mit dessen weiterentwickelten Karossen (der Deutschen liebstem Kind) fahren heute selbst die Grünen gern und viel spazieren. Manche sogar in großen schwarzen Limousinen mit Chauffeur. Für eine sinnvolle und umfeldgerechte Nutzung der nach Zahl und Größe immens zunehmenden Fahrzeuge wurden außer den Zufahrtsstraßen zu ihren Garagen, auch Autobahnen gebaut. Und es sind immer noch welche zu bauen, weil die Verkehrsbelastung auf einzelnen Zubringerstraßen sonst für die betroffenen Anlieger unerträglich würde. Alle Medaillen haben also zwei Seiten.
Und ganz so überflüssig können ja die angeblich ignoranten Techniker gar nicht sein. Der populärste Grüne, der ehemalige grüne hessische Umweltminister und spätere Bundesaußenminister Joschka Fischer hat sich immerhin bei der Autofirma BMW, dem Energiekonzern RWE und dem Elektrokonzern Siemens, als Berater anstellen lassen. Siemens baute (auch) Atomkraftwerke und RWE betreibt sie. BMW pflegt das Image von besonders sportlichen Autos, die nicht gerade als umweltfreundlichste gelten. Wie passt das alles zu seinen vorherigen Verkündungen? Heute nennen die Ökoutopisten ihren einst dominanten Oberhirten spöttisch Gottvater.
Fliegen tun die lieben Grünen auch gern. Besonders wenn es auf Staatskosten geht. Und nicht nur wenn sie gerade Bundesaußenminister sind, wie einst Joschka. Auch andere Grüne finden durchaus viele Anlässe für In- und Auslandsreisen. Klar, auch die Abgeordneten anderen Parteien fliegen auf Staatskosten, aber die widersprechen sich nicht selbst, da sie die Fliegerei nicht so verteufeln wie die gelernten Ökos der unteren Ebenen.
Was sind gelernte Ökos? Jene engelsgleichen Gutmenschen mit mehr oder weniger ungewissen Fragmenten von Teilkenntnissen zu nichtkausalen Zusammenhängen. Der frühere innenpolitische Sprecher der Grünen in Berlin, Vorzeige-Multikulti und Vielflieger Cem Özdemir, hat im Jahre 2002 die dienstlich erworbenen Bonusmeilen privat genutzt. Die „Bild am Sonntag“ berichtete damals dazu, der geldwerte Vorteil habe mehrere tausend Euro betragen. Cem räumte den Missbrauch der Bonusmeilen ein und trat von seinen Ämtern zurück. Zuvor hatte er auch einen günstigen Großkredit vom PR-Berater Hunzinger angenommen, den seine Partei vorher als Finanzhai kritisiert hatte. Zu diesem hatte auch schon der damalige Bundesverteidigungsminister Scharping/SPD unklare finanzielle Beziehungen und war deshalb entlassen worden. Özdemir blieb. Erwähnenswert ist die Konzentration auf die grünen Fehlleistungen ja auch nur im Zusammenhang mit dem Anspruch der Grünen auf eine höhere politische Moral.
Nach zwei Jahren Erholung und Runderneuerung wurde Özdemir schon in 2004 wieder als Parlamentarier aktiv, er wurde in das Europäische Parlament nach Straßburg gewählt. Seit 2008 ist er Bundesvorsitzender von „Bündnis 90/Die Grünen“. Ob der Vielflieger Cem auch gegen Autobahnplanungen stimmen würde, hat er damals nicht direkt gesagt, ist aber wahrscheinlich.
Viele Köche verderben den Brei
Zurück zu der Metapher von den vielen breiverderbenden Köchen. Mit diesem Gleichnis aus dem neuesten Testament der Köchebibel hatte Mandamo schon vor 2000 erstmals die Grundstruktur der grünen Verzögerungstaktiken gegen große Infrastrukturprojekte karikiert. Anfangs für einen ganz kleinen Diskussionskreis, doch genau aus diesem Grundstock entwickelte sich der vorliegende Roman.
Interessant ist der Vergleich mit den Superköchen aus dem folgenden Grund: Früher galt in den feinsten Restaurants die Regel, dass ein Koch, der eine Suppe versalzte oder ein Gericht anbrennen ließ, dieses anschließend selbst essen musste. Auch heute gibt es noch mindestens ein Restaurant in dem das weiterhin üblich ist, nämlich das des weltberühmten Spitzenkochs Paul Bocuse in Paris. Als Chef begründet er das damit, dass ein Koch, der Misslungenes selbst essen muss, sich das besser merkt. O, lá lá! Ansonsten beklagen die internationalen Tester, dass gerade so manche Hohepriester der Spitzenrestaurants in Arroganz erstarrt seien. Aber normale Durchschnittsgourmets haben als Zuschauer von außen Verständnis für die armen "Köche" bei Mac Donalds, Burger King, Subway und anderen Restaurants. Man kann heute nicht mehr jedem Koch/jeder Köchin das Missratene zum selber essen vorsetzen. So groß sind deren Mägen gar nicht und soviel Zeit haben sie auch nicht - und schließlich sollen sie ja auch nicht zu fett werden hinter den schmalen Tresen.
Leider ist es auch bei anderen Vermanschungen heute nur noch selten so, dass die eigene "Suppe" bei Ungenießbarkeit selbst ausgelöffelt werden muss. Für Fehlversuche aller Art übernehmen Experimentierer die Verantwortung dafür heute nicht mehr selbst. Vorbei die Zeiten, wo ein Baron von Münchhausen sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpfe ziehen musste, wenn er selbst hineingetappt war. Früher galt noch "selbst ist der Mann". Und wie ist das bei hausgemachter Schweinskopfsülze, die im Biohof von Bauer Obergrün schlecht geworden ist? Da soll es einen Knecht gegeben haben, der gepetzt hat, dass man ja den grünen Schimmel abkratzen und das Produkt aufkochen kann. Dann sieht es aus wie neu und kann serviert werden. Es ist doch Bioware von einem freiheitlich gehaltenen Schwein!
Am Breitopf ist das Problem die unterschiedliche Zielsetzung der vielen Köche. Bei allen Vorgängen mit gewisser gesellschaftlicher Relevanz herrscht vorgeblich Demokratie in Reinkultur. Das heißt, dass bereits lange bevor etwas in den Topf hinein kommt, in dem es gekocht werden soll, heiße Diskussionen darüber beginnen. Da sich daran die kommunikationsfreudigsten der Köche besonders beteiligen, dauern bereits die ersten Grundsatzdiskussionen unendlich lange. Zumal die in sehr geschickter Weise agierenden Unter-, Neben- und Hilfsköche erst mal lange um den heißen Brei herumreden, um dabei auszuloten, wie, wo und wann sie ihren eigenen Einfluss auf die Breikocherei möglichst unauffällig, aber nachhaltig einbringen können. Nachhaltig ist das Zauberwort unserer Zeit. In diesem Planungsstadium spucken sich die grünen Köche ständig gegenseitig in die Suppe, meist heimlich, manchmal aber auch offen. Richtig gelesen, die grünen Köche untereinander! Zu dieser Zeit waren die andersfarbigen Köche noch kaum im Geschäft. Die werden erst in einem späteren Stadium an die Gemüsebreie gelassen.
Diskutieren kann man eigentlich nur in Gruppen mit mehr als einer Person, aber uneigentlich wollen die Grünlinge doch nur ihr eigenes Süppchen ungestört kochen. Da hindern Mitköche, die darauf hinweisen könnten, dass es noch keineswegs heraus ist, dass nur ein grüner Erbsenbrei bestellt werden wird. Dabei hat die Diskussion gerade erst begonnen. Zuerst sind die tiefschürfendsten Betrachtungen darüber anzustellen, welche Art Brei wollen wir denn dem Kochtopf überhaupt zumuten? Können wir nicht doch noch mal versuchen, statt des Breis ein anderes Süppchen zu kochen? Und zwar jeder sein eigenes? So wie Autofahrer ja auch wählen können zwischen Autobahnen und Feldwegen. Was, das hat uns die demokratisch gewählte Regierung nach Parlamentsbeschluss bereits fest vorgegeben, es soll eine Autobahn werden? Das ändert doch nichts daran, dass sich damit die Bei- und Nebenköche in handverlesenen Zirkeln trotzdem noch mal sehr kritisch auseinandersetzen. Aber nur in kleinem Kreise und darüber wird auch keinerlei Protokoll geschrieben und nichts posaunt. Wehe wenn doch ….
Die Bürger, die den Brei letztendlich bezahlen sollen und die verständlicherweise während der langen Diskussionen auch langsam Hunger bekommen, beginnen langsam ungeduldig mit den Füßen unter dem Tisch zu scharren. In Phase II wird feste darüber gestritten, welche Zutaten zum Brei zwingend erforderlich sind, welche wahlweise beigemischt werden können, was am gesündesten ist, was am besten schmecken und was am schnellsten fertig würde. Was der Brei am Ende kosten wird, interessiert dabei die akademischen Wissenschaftler der Biologie überhaupt nicht. Mit derartigen Niederungen der Planung sollen sich irgendwann andere Leute auseinandersetzen. Dass die dafür dann gar keinen Spielraum mehr haben, wenn das Rezept schon sooo weit vorgekocht ist, interessiert die hoch Gelehrten persönlich gar nicht. Das ist unter ihrer Würde, hat der Kochlehrling mal gehört.
Erhitzte Diskussionen um den heißen Brei herum
In dieser ersten Planungsphase gibt es also schon erste Konflikte zwischen den vielen Köchen. Denn jeder hat eine andere Geschmacksrichtung und er legt allergrößten Wert darauf, dass vor allem seine Ansicht auf das breiteste diskutiert und vor allem gewürdigt wird. In unserer grunddemokratischen Gesellschaft ist es erstes Bürgerrecht, ja geradezu eine Bürgerpflicht, sich in Diskussionen recht rege an allem zu beteiligen. Jeder muss zu jedem Aspekt irgendetwas sagen. Egal was - und auch wenn es nicht fundiert ist, von keiner Sachkenntnis getragen wird und auch wenn es mit dem Thema eigentlich gar nichts zu tun hat. Hauptsache reden. Am besten hinter verschlossenen Türen. Beton- und Ashaltplaner dürfen davon natürlich nichts hören,
Otto Normalverbraucher schon gar nicht. Gerade er würde allzu viele der sogenannten Fachbeiträge als kontraproduktiv für das übergeordnete Ziel ansehen. Dieser ungelehrte Laie. Schade, denkt der Observer, der zu den konspirativen Sitzungen keine fremden Kleinbürger hinzuladen durfte. Sie hätten dann wenigstens mal einen groben Begriff davon bekommen können, was die Planer viele Jahrzehnte lang so überaus intensiv beschäftigt hat.
Dass die hungrigen Breiesser nun immer öfter an die Tür der Küche klopfen, wird von den Köchen als ungemein störend empfunden. Schließlich ist man ja im Interesse der Esser tätig. Sind die vielleicht einfach zu dumm? Dann müssen die schlauen Köche für sie mitdenken, sprich diskutieren. Worüber ist fast nebensächlich. Beinahe vergessen. Ach ja – es ging um irgendeinen Brei. Was für einen wollen wir anrühren, wann wird was, wie, warum untergerührt? Wie lange darf, soll, muss der Brei kochen? Wie oft ist er umzurühren? Wer will, darf, soll, muss das tun?
Richtig misslich wird der Vorgang, wenn angesichts der bereits erfolgten und misslungenen Breikochversuche ein Produkt nach dem anderen in die Tonne geschüttet, gekratzt oder geklopft werden muss, weil es so ungenießbar ist, dass es die Breiesser zum Kotzen fanden.
Sekt oder Selters
Noch schlimmer wird es dann, wenn nach langer Zeit erfolgloser Diskussionen aus der großen Runde der Superspezialisten einige der Fünfsterneköche und vielleicht sogar ein paar (selbst ernannte) Sechs- oder Siebensterneköche plötzlich die Grundsatzfrage in den Raum stellen, ob überhaupt ein Brei gebraucht wird, ob nicht auch eine schlichte Suppe, ein kalter Kaffee oder ein Schluck Wasser ausreicht. Dies nachdem die Riege der Köche im Verlaufe von vielen Jahren schon Unsummen für die edelsten Zutaten und feinsten Gewürze vermanscht hat – und bei den Breiessern die Auszehrung langsam dramatische Formen annimmt. Bei denen knurren nicht mehr nur die Mägen.
Aber da gibt es doch noch einen Oberkoch, der letztlich verantwortlich ist oder gemacht werden kann!? Die Möchtegern-Breiesser schimpfen mit ihm, weil er keinen Brei zustande bringt und die Nebenköche verweisen darauf, dass sie doch immerhin ständig mit Engagement tätig waren (wenn es auch jeweils ein einseitiges mit engen Scheuklappen ist). So rauft sich der Oberkoch die letzten Haare aus und fragt sich insgeheim, ob er es wirklich dem Salzkoch verübeln kann, dass der nichts anderes als Salz im Kopf hat. Schließlich kämpft der für seinen möglichst großzügigen Salzeinsatz mit ebensolchem Engagement wie der Zuckerkoch für seine Süßigkeiten. Dass beides im Übermaß ungesund ist, spielt dabei keine Rolle. Erstmal versalzen wir denen die Suppe, die ständig nach Süßem gieren.
Spezialisierungen sind in unserer immer komplizierter werdenden Welt unvermeidlich. Da gibt es Milchbreiköche, die ihren Job so spezialisiert sehen, dass sie nur Milch im Kopf haben. Sie machen überhaupt nichts anderes als Milch kochen, Milch kochen, Milch kochen …. und sie übersehen es dabei völlig, wenn die Milch dauernd überkocht und dann auf der Platte anbrennt. Aber was ein spezialisierter Milchexperte ist, der sieht darin überhaupt kein Problem, denn er hat ja seinen Auftrag voll erfüllt – die Milchkocherei!
Aufgrund seiner eng anliegenden Scheuklappen sieht er die von ihm ausgelösten Probleme nicht. Er hat besondere Superkenntnisse über die Milch (er kennt sogar den lateinischen Namen dafür) und ist wegen seiner ausgesprochen selbstherrlichen Veranlagung fest überzeugt davon, dass er seinen Auftrag perfekt übererfüllt hat. In der Ex-DDR hätte man aus ihm einen Helden der Arbeit gemacht. Und wo steht denn geschrieben, dass der zu schwarzer Kohle verbrannte, ehemalige Milchbrei auch noch irgendwem zu schmecken hat? Hauptsache er ist gekocht und wird bezahlt.
Kompetenzgerangel unter den Superköchen
Bei dem internen Kompetenzgerangel streiten die Experten heftig. Der Lactose-Allergiker lamentiert, dass Milch doch nur was für Kleinkinder sei, der Kardiologe erklärt, wie ungesund das Salz für den Blutdruck ist und der Dentist wie ungesund der Zucker für die Zähne ist. Damit haben sicher alle irgendwie und irgendwo recht. Aber wo die Grenzen der Dosierung sind, bleibt offen. Ab wann ist denn der Brei versalzen, ab wann ist er widerlich süß? Die Geschmäcker sind eben verschieden. Dass sich außerdem immer und überall einer aufdringlich einbringt, der ungefragt auch noch seinen Senf dazugeben will, ist immer wieder lästig, kommt aber bekanntlich nicht nur an billigen Frittenbuden vor, sondern auch in den feinsten Konferenzsälen der Ministerien.
Aber haben wir doch Verständnis. Der eine Koch ist nun mal hierfür zuständig und der andere dafür. Manche fühlen sich auch für alles zuständig, sind es aber eigentlich für gar nichts. Und keiner der Experten möchte überhört werden. Das ist ganz wichtig, denn schließlich geht es um nicht weniger als den Menschen! Sagen die Köche jedenfalls. Von allen Zutaten muss was rein. Ohne Salz funktioniert der menschliche Organismus nicht richtig, ohne Zucker schmeckt das Gericht nicht, ohne Senf bleibt es nicht geschmeidig, ohne Honig ist es ungesund, ohne Ketchup kriegt das Zeug keine gescheite Farbe, ohne Schnaps wirkt es nicht auf den Geist, ohne Sud aus dem Fliegenpilz bekommt es keine Wirkung auf das Gemüt usw.usf. Leider können wir den Druiden Miraculix nicht mehr fragen, der konnte nämlich mit geheimnisvollen Kräutern sogar Zaubergebräue mixen, die noch tollere Wirkungen hatten.
Zauberer sind auch die heutigen Fast-Food-Designer, welche aus einfachem Sägemehl und gefärbtem Wasser mit Aromen und Geschmacksverstärkern erstaunliche Speisen zustande bringen. Nun ja, Fast Food heißt ja übersetzt auch nur „Fast wie Futter“, nicht etwa „kulinarische Schlemmerei“. Komm Herr Jesus und sei unser Gast, wenn Du mal Lust auf Fertigfutter hast.
Was mosert da der Oberkoch? Mit so vielen Zutaten wird nichts aus dem Gesamtwerk? Der soll erst mal in die vielen Kochbücher reingucken. Die sind doch Gesetz und legen fest, dass alles rein muss in den Brei, was in der roten Liste Gruppe 3 und im Anhang IV der Zutatenliste (streng geschützte EU-Richtlinie) steht. Der erste Koch hat nach Buch A/Rezept 5 angerührt, der zweite Koch nach Buch B/Rezept 50, der dritte nach Buch C/Rezept 500 usw. (davon gibt es übrigens noch viel mehr – die Gesetz- und Verordnungsblätter quellen förmlich über davon).
Aber irgendwie schmeckten die angerührten Breie bisher alle nicht. Die Frage bleibt dabei „wer leidet hier eigentlich an Geschmacksverirrung“? Die renommierten Fachköche, oder diejenigen, die einen missratenen Brei nach dem anderen vorgesetzt bekamen und ihn partout nicht runterschlingen wollten? Sollte man nun den ungezogenen Schlingeln mal richtig auf die Finger klopfen, wie den kleinen Kindern beim Struwwelpeter, oder sollte man für die Köche mal gescheitere Rezepte zulassen?