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3. Kapitel

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Kindheit Jesu

Abstammung

Der Name Jehoschua, der im Griechischen Jesus lautet, war in der damaligen Zeit auch in den Kurzformen Jeschua, Jeschu oder auch Josua sehr gebräuchlich.

In den Evangelien wird mehrmals betont, dass er nach seinem Vater Josef dem Stamm Davids angehörte. Wir können es uns allerdings ersparen, dies anhand der beiden Stammbäume, die bei Matthäus und Lukas angeführt sind, näher zu untersuchen. Beide stimmen nicht überein und sind offensichtlich reine Dichtung.

Nun könnte die Abstammung von König David eine Erfindung der Urgemeinde oder der Evangelisten sein, da nach den Schriften der Messias aus diesem Stamme hervorgehen soll. Es gibt jedoch andere Quellen, nach denen sich Angehörige Jesu als Nachfahren des König David sahen.

Der Kirchenlehrer Eusebius überlieferte ein Zitat des Hegesippus, nach dem Kaiser Domitian bei einer Christenverfolgung um das Jahr 90 die noch lebenden Großneffen Jesu verhaften und verhören ließ. Dabei hätten sie die Frage nach ihrer davidischen Abstammung bejaht, vermutete politische Ambitionen aber verneint und ihre bäuerliche Armut betont. Nachdem sie wieder freigelassen worden waren, sollen sie zu Kirchenführern aufgestiegen sein. 1

Geburt

Nachdem Sie einiges über Exegese gelesen haben, würde ich vorschlagen, dies praktisch anzuwenden. Sehr gut eignen sich hierzu die beiden Geschichten über die Geburt Jesu nach Matthäus und Lukas. Es sind die einzigen unter den kanonischen Schriften, die über Jesu Jahre vor seinem öffentlichen Auftreten berichten.

Vielleicht nehmen Sie sich einmal die beiden Evangelien vor und vergleichen sie miteinander anhand der nachstehenden Tabelle. Ich habe die Unterschiede in den Erzählungen kursiv gesetzt.

MatthäusMaria, Verlobte des JosephEmpfängnis durch den Heiligen GeistWohnort der Eltern ist BethlehemGeburt in den Tagen des Herodes (spätestens 4 v.Chr.)Geburt im eigenen Haus in BethlehemBesuch der Weisen aus dem MorgenlandEifersucht des HerodesTraum des Joseph und Flucht nach ÄgyptenTötung aller Knaben bis zum Alter von zwei Jahren durch HerodesRückkehr nach Herodes´ Tod und Niederlassung in Nazareth LukasMaria, Verlobte des JosephVerkündigung durch den EngelEmpfängnis durch den Heiligen GeistWohnort der Eltern ist NazarethWanderung von Nazareth nach Bethlehem wegen der SteuerschätzungGeburt während der Steuerschätzung) (7 n.Chr.)Geburt auf der Weide, gebettet in eine Futterkrippe in BethlehemEngel erscheinen den Hirten und verkünden die Geburt des Messias (griechisch: Christus)Besuch der Hirten bei dem Neugeborenen

Wie leicht zu ersehen ist, liegt jeder dieser beiden Erzählungen eine andere Handlung zu Grunde. Es könnte also höchstens eine Version historische Wirklichkeit sein. Unter den Exegeten herrscht jedoch weitgehend Einigkeit, dass beide Versionen als Legenden zu werten sind.

Wieso wird dann in beiden Geschichten der Geburtsort Jesu mit Bethlehem und Nazareth als sein Wohnort angegeben?

Der Grund für die Geburt in Bethlehem ist bei Matthäus angegeben, allerdings nicht ganz korrekt, er lautet beim Propheten Micha: „Und du, Bethlehem–Ephrata, du bist zwar klein, um unter den Hauptorten Judas zu sein; aber aus dir soll mir hervorgehen, der Herrscher über Israel werden soll, dessen Ursprung von Anfang, von Ewigkeit her gewesen ist.“ 2

Die Geburt Jesu wurde in beiden Legenden offensichtlich deswegen nach Bethlehem verlegt, um der vorgenannten Prophezeiung zu entsprechen.

Jesus wurde jedoch nie „Herrscher über Israel“. Dies meint einen weltlichen Herrscher oder Messias. Auf Nazareth als Wohnort werde ich weiter unten noch zu sprechen kommen.

Als Geburtsjahr Jesu wird in der Forschung der Zeitraum zwischen 4 – 7 v. Chr. angenommen, da er nach Matthäus noch vor dem Tode des Herodes (4 v. Chr.) geboren worden sein soll. Dem widerspricht jedoch Lukas, der die Geburt mit einer römischen Volkszählung verknüpft. Diese hatte die Eintragung von Grundbesitz in Steuerlisten zum Gegenstand und fand nach römischen Quellen erst 6-7 n. Chr. statt, als der genannte Quirinius Statthalter Roms für Syrien und Judäa wurde.

Dieser Zensus fand jedoch nicht wie Lukas behauptet in aller Welt statt, sondern nur in Judäa, Samarien und Idumäa, nicht jedoch in Galiläa.

Zudem ist die Darstellung des Lukas, aufgrund eines Zensus hätte jeder in seine Vaterstadt bzw. Geburtsstadt reisen müssen, geschichtlich falsch. Gerade über die Steuerschätzungen aus der Römerzeit liegen viele Aufzeichnungen vor. Aber von einem Zensus in der geschilderten Art und Weise ist nichts bekannt. Es ist absurd, anzunehmen, die Menschen wären damals, teilweise über weite Entfernungen, zu ihren Geburtsorten gereist und hätten dort – vielleicht monatelang – auf die Steuerschätzer gewartet. Sie wären ohnehin nicht gereist, da die Menschen seit jeher großen Erfindungsreichtum an den Tag legen, um der Steuerpflicht aus dem Wege zu gehen. Als ehemaliger Finanzbeamter kann ich ein Lied davon singen.

Was hätten die Steuerschätzer gemacht, wenn der Besitzer eines bestimmten Ackers nicht anwesend gewesen wäre? Hätten sie mal gerade 100 km zu seinem Wohnort fahren sollen? Oder sollten sie ihm eine Vorladung schicken? Woher hätten sie gewusst, wo er wohnt? Außerdem gab es damals keine allgemeine Post.

Die Idee des Lukas, die Eltern Jesu aufgrund eines Zensus von Nazareth nach Bethlehem zu lotsen, war recht naiv. Aber es wurde, in Verbindung mit der Geburt auf der Weide, eine der erfolgreichsten und anrührendsten Erzählungen in der Menschheitsgeschichte. Ohne Herbergssuche und Krippe ist für uns Weihnachten nicht vorstellbar. Und ich selbst singe in der Weihnachtsmesse „Stille Nacht, Heilige Nacht“ nicht besonders schön, aber voller Begeisterung mit.

Lukas, der offenbar sehr sozial eingestellt war, wollte darlegen, dass Jesus für die Armen und Außenseiter der Gesellschaft gekommen war. Dies wollte er erreichen, indem er dessen Geburt unter äußerst ärmlichen Verhältnissen schildert. Die Ersten, denen die Botschaft von der Geburt des Messias überbracht wird, sind Hirten, die im Judentum als kulturell unrein angesehen wurden, da sie die allgemeinen Reinheitsvorschriften nicht einhielten bzw. aufgrund ihrer Lebensweise nicht einhalten konnten.

Das Evangelium des Matthäus dagegen war für Judenchristen bestimmt und sollte vor allen Dingen darlegen, Jesus wäre bereits in den alttestamentlichen Schriften angekündigt worden. Er schickt ihn daher nach Ägypten, um die Rückkehr als Erfüllung des Schriftwortes des Propheten Hosea zu verkünden: Als Israel jung war, liebte ich es, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn berufen.3 Dieser Satz bezieht sich jedoch auf den Auszug aus Ägypten. Mit „Sohn" ist das ganze Volk Israel gemeint. Wie bei allen anderen „erfüllten Schriftworten“ hat auch dieses keinen Bezug auf Jesus. So auch der angebliche Kindermord des Herodes, bei dem Matthäus Bezug auf das Buch Jeremia nimmt: Eine Stimme wird auf der Höhe vernommen, bitterliches Klagen und Weinen: Rahel beweint ihre Söhne und will sich nicht trösten lassen wegen ihrer Söhne; denn sie sind nicht mehr! 4

Der Prophet erweckt hier, nach dem Untergangs des assyrischen Reiches, die Hoffnung auf die Wiederherstellung des Nordreiches Israel, indem er anschließend dessen Stammmutter Rahel tröstet, die die einzelnen Stämme des Nordreiches repräsentiert: So spricht der HERR: Wehre deiner Stimme das Weinen und deinen Augen die Tränen! Denn es gibt noch einen Lohn für deine Mühe, spricht der HERR; und sie sollen wiederkommen aus dem Lande des Feindes und es ist Hoffnung vorhanden für deine Zukunft, spricht der HERR, und deine Söhne werden zu ihren Grenzen zurückkehren! 5

Auch hier ist kein Bezug auf einen einige hundert Jahre später (angeblich) erfolgenden Kindermord zu erkennen. Zudem gibt es keine geschichtlichen Belege hierfür.

Um es deutlich zu sagen, sämtliche bei Matthäus angeführten Prophezeiungen, Jesus betreffend, sind an den Haaren herbeigezogen.

Da wir gesehen haben, dass die beiden Evangelisten offenbar keine Ahnung von den Umständen der Geburt Jesu hatten und Legenden niederschrieben, die sie gehört hatten oder selbst erdachten, bin ich der Meinung, dass es nicht möglich ist, daraus einen Zeitpunkt für die Geburt Jesu herzuleiten.

Als Wohnort Jesu wird Nazareth angenommen. Dies könnte auch aus einem Übersetzungsfehler herrühren.

Im griechischen Urtext wird er auch als Nazoraios bezeichnet. So bei Matthäus: Nazoraios klēthēsetai, 6 (Er wird Nazoräer genannt werden). Auch die Schrift auf dem Schild, das Pilatus über dem Haupt Jesu am Kreuz befestigen ließ, wird von Johannes wiedergegeben mit Jesus Nazoraios, König der Juden. Im Neuen Testament kommt der Begriff Nazarener sechsmal und Nazoraios dreizehnmal vor. Im Matthäus- und Johannesevangelium wird nur der Begriff Nazoräer benutzt. Die Bezeichnung Nazarener wird ausschließlich im Markus- und im Lukasevangelium verwendet.

Die Evangelisten deuteten die aramäische Form des Beinamens Jesu jedenfalls in der Weise, Jesus wäre ein Nazarener gewesen; er also aus Nazareth stammen würde.

Manche Forscher sind jedoch der Meinung, Nazoraios könne jemanden bezeichnen, der eine bestimmte Lehrtätigkeit ausübt. Andere wiederum meinen, es wäre eine Abwandlung von Nasir. Dies sind im Judentum Menschen, die einen Eid auf Zeit oder auch lebenslang geleistet haben, auf alkoholische Getränke und auf einzelne Speisen zu verzichten und sich die Haare und den Bart nicht zu schneiden.

Wie wir im Kapitel über das Grabtuch von Turin noch sehen werden, gibt es gewisse Anzeichen dafür, dass Jesus ein Nasiräer gewesen sein könnte.

Ohne hier Einzelheiten etymologischer Untersuchungen anzuführen, spricht einiges vom aramäischen Wortstamm her durchaus auch für Nazareth als Jesu Heimatdorf. Im Judentum werden die Christen zum Beispiel „Nozrim“ genannt, was „Die Nazarener“ bedeutet.

Es kann jedoch nicht mehr geklärt werden, wo Jesus geboren und aufgewachsen ist. Einiges deutet auch auf Kapharnaum, auch Kapernaum geschrieben, hin. Zumindest scheint er schon vor seinem öffentlichen Auftreten dorthin gezogen zu sein. So schreibt beispielsweise Matthäus: Und er verließ Nazareth, und ließ sich zu Kapernaum nieder, das am Meere liegt, im Gebiet von Sebulon und Naphtali; 7

Nach Markus scheint Jesus ebenfalls dort gewohnt zu haben: Und er kam nach Kapernaum; und als er zu Hause angelangt war, … . 8

Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum ; und als man hörte, dass er im Hause wäre, … . 9

Um Nazareth ranken sich allerdings auch einige Geschichten und Aussprüche, so dass wir der Einfachheit halber und da es für unsere Zwecke nicht bedeutsam ist, Jesu Geburtsort und den Wohnort seiner Familie in Nazareth belassen.

Geboren von einer Jungfrau

Der Matthäusevangelist bezieht sich bei seiner These, wonach Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, auf den Propheten Jesaia, den er wie folgt zitiert: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Emmanuel geben; das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ 10

In welchem Zusammenhang steht dieser Satz?

Ahas, der König Israels hat um das Jahr 730 v. Chr. schwere Sorgen, weil Jerusalem von Feinden umzingelt ist. JHWH schickt daraufhin Jesaia an das Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, um Ahas zu treffen. Jesaia beruhigt Ahas mit den Worten: „Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Siehe, die junge Frau (eine junge Frau die gerade vorbeigeht, der Autor) wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“ 11

Der Urtext spricht hier unverkennbar von Alma, einer jungen Frau. Eine Jungfrau würde auf Hebräisch Betula heißen.

Jesaia deutet dem König damit an, dass die junge Frau ihr Kind glücklich zur Welt bringen wird, und weil Jerusalem verschont bleibt, es dafür zum Dank Immanuel (Gott mit uns) nennen wird.

Ein Zusammenhang mit der Geburt Jesu ist völlig ausgeschlossen, wie auch aus der darauf folgenden Warnung des Propheten hervorgeht: „Er wird Butter und Honig essen bis zu der Zeit, in der er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen. Denn noch bevor das Kind versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen, wird das Land verödet sein, vor dessen beiden Königen dich das Grauen packt.“ 12

Das bedeutet, dass es dem Kind und damit auch Israel in den ersten Lebensjahren gut gehen wird. Und noch bevor das Kind Vernunft entwickelt, also nach etwa 6 Jahren, wird das Land der Feinde veröden und damit die Gefahr vorüber sein.

Der Ursprung der falschen Übersetzung (junge Frau zu Jungfrau) begann bereits 250 Jahre v. Chr. mit der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische, der sogenannten Septuaginta. Diese übersetzte das hebräische Wort Alma – eine junge Frau von der Heiratsreife an bis zur Geburt ihres ersten Kindes – mit Parthenos, das Jungfrau bedeutet.

Da der Evangelist Matthäus in Griechisch schrieb, entnahm er die Texte des Alten Testamentes aus der Septuaginta und übernahm damit auch das Wort Parthenos. So wurde aus der jungen Frau eine Jungfrau.

Im Neuen Testament – besonders bei Matthäus – werden immer wieder Passagen der jüdischen Schriften als Prophezeiungen auf das Leben Jesu gedeutet. An dieser Stelle betone ich nochmals, dass es in den vorchristlichen jüdischen Schriften keinerlei Voraussagen in Bezug auf Jesus gibt. Vielleicht verwundert Sie dies, da solche doch immer wieder zitiert werden.

Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, diese Sätze im Zusammenhang zu lesen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass diese sich immer nur auf die damals aktuelle Situation beziehen wie in dem vorstehenden Beispiel mit der Jungfrauengeburt. Für die Menschen damals war nur das Leben im Hier und Jetzt bedeutsam. Sie hatten nur eine sehr diffuse Vorstellung von einem Leben nach dem Tode oder von Reinkarnation und keinerlei Interesse daran, was einige Jahrhunderte später geschehen würde.

Zurück zur Jungfrauengeburt: In der antiken Welt – auch außerhalb des Mittelmeerraumes – war eine überirdische göttliche Abstammung, „ein Muss“ für höher gestellte Persönlichkeiten. Eine Art Adels- oder Doktortitel. So verlief zum Beispiel die Empfängnis Buddhas wie folgt: „Eines Nachts träumte Königin Mayadevi, dass ein weißer Elefant vom Himmel herabstieg und in ihren Schoß eintrat. Der weiße Elefant, der in ihren Schoß eingetreten war, war ein Zeichen dafür, dass sie in eben dieser Nacht ein Kind empfangen hatte, das ein reines und mächtiges Wesen war.“ 13

Auch Zoroaster, die persische Sagengestalt, Krishna, der legendäre indische König und Gott, Quirinus, ein berühmter Römer, Platon, der griechische Philosoph, andere bekannte Griechen wie Empedokles, Pythagoras, Alexander der Große sowie der römische Kaiser Augustus und noch etliche andere wurden von einer Jungfrau geboren – allerdings nur angeblich.

Mit der Geburt der Pharaonin Hatschepsut verhielt es sich wie folgt: „Bald darauf nun ging Gott Amun in den königlichen Palast. Er schlüpfte in die Gestalt des Königs. So konnte er unerkannt durch alle Türen ungehindert bis an das Lager der Königin vordringen. Diese aber erwachte, als sie die kostbaren Düfte und Gerüche wahrnahm, die von dem an ihrem Lager weilenden Gott ausgingen. Sie war entzückt von seinem Anblick und hieß ihn herzlich auf ihrem Lager willkommen. (…). Amun aber verhieß ihr, dass ihre Tochter Hatschepsut, die sie gebären würde, dermaleinst Königin über die beiden Länder Ägyptens sein würde.“ 14

Wir können daher annehmen, dass bereits in der christlichen Urgemeinde Legenden über eine Jungfrauengeburt Jesu erzählt wurden und Matthäus und Lukas diese in ihre Berichte einfügten, um Jesus auf Augenhöhe mit anderen Berühmtheiten der Antike darzustellen. Wollten sie der Botschaft Jesu Gehör verschaffen, mussten sie hier mitziehen. Die Menschen bewegte damals weniger die Realität, sondern viel mehr ein eindrucksvoller Mythos.

Von einer Legende, die sich in der jungen Christengemeinde im Laufe der ersten Jahrzehnte entwickelt hat, geht im Allgemeinen auch die Bibelwissenschaft aus. Paulus wusste noch nichts von einer Jungfrauengeburt. Katholische, kirchenabhängige Theologen, wie etwa Papst Benedikt, würden jedoch Probleme bekommen, wenn sie dieses Dogma leugnen würden. Normalerweise würde es den Verlust der Lehrbefugnis für katholische Theologie nach sich ziehen – so geschehen in 1987 bei Uta Ranke-Heinemann, der Tochter des früheren Bundespräsidenten Heinemann.

Frau Ranke-Heinemann wurde der Lehrstuhl entzogen, obwohl sie sich zu ihrer Verteidigung sogar auf den damals noch mutigen Joseph Ratzinger beziehen konnte, der in seiner „Einführung in das Christentum“ geschrieben hatte: „Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach kirchlichem Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.“ 15

Wenn Benedikt als Papst die Jungfrauengeburt geleugnet hätte, hätte er sich selbst entweder exkommunizieren oder aber dieses Dogma aufheben müssen. Letzteres wäre ein weiteres mutiges Novum neben seinem Rücktritt gewesen. Schade, dass er sich nicht getraut hat!

War Jesus unehelich?

Verschiedene Quellen geben Anlass zu der Theorie, Jesus wäre ein unehelicher Sohn Marias gewesen.

So zitiert zum Beispiel Markus die früheren Nachbarn und Bekannten Jesu, als dieser in seiner „Vaterstadt“ lehrte, wie diese untereinander tuscheln: „Ist er nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria, …“. 16 Matthäus orientiert sich daran, dreht es aber so hin, dass hier niemand auf falsche Gedanken kommt: Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? 17

In Israel wurden die Söhne normalerweise nach dem Vater genannt, wobei dies mit dem Wort bar bezeichnet wird (zum Beispiel: Simon bar Jonas = Sohn des Jonas oder Johannes und Jakobus bar Zebedäus = Söhne des Zebedäus). Wenn die Leute ihn nun als Jeshua bar Myriam (Jesus, Sohn der Maria) bezeichnen, sieht dies so aus, als ob die Unehelichkeit Jesu allgemein bekannt gewesen wäre. Sicher ist dies allerdings nicht, da diese Bezeichnung auch verwandt wurde, wenn die Söhne von einem Vater, aber von verschiedenen Müttern abstammten oder bei Mischehen zwischen Heiden und einer jüdischen Frau. Dies waren allerdings seltene Ausnahmen.

Die Indizien für eine Unehelichkeit Jesu sind jedoch nicht zwingend. Es ist nicht mehr zu klären, wieso Markus ihn als „Sohn der Maria“ bezeichnet. Er war bei dem Auftritt Jesu in dessen „Vaterstadt“ sicher nicht dabei. Und dass die Überlieferung eines Getuschels nicht zuverlässig ist, dürfte selbstverständlich sein. Markus könnte auch eine Sprachformel der Urgemeinde übernommen haben, die damit die Jungfrauengeburt bekräftigen wollte.

Gegen eine Unehelichkeit spricht auch, dass Jesus offenbar in einer Großfamilie aufwuchs, wie weiter unten noch dargelegt wird.

In diesem Zusammenhang darf jedoch ein Gerücht nicht unerwähnt bleiben, das bei den Juden in Umlauf war: Der christliche Theologe und Schriftsteller Origenes (185–254) gibt eine Erzählung wieder, die einige Jahrzehnte vor ihm der alexandrinische Philosoph Celsus/Kelsos überliefert hatte. Kelsos berichtete in seiner heute verlorenen Schrift über Aussagen eines jüdischen Gewährsmannes. In Origenes' Entgegnung wird die Behauptung dieses Gewährsmannes erwähnt, die Jungfrauengeburt sei von Jesus selbst erdichtet worden. In Wahrheit sei er ärmlicher Herkunft gewesen und entstamme einer ehebrecherischen Beziehung seiner Mutter, einer Handarbeiterin, mit einem römischen Legionär namens Panthera.

Im „Toledot Jeschu“ wiederum, einer jüdischen Sagensammlung aus dem achten Jahrhundert, ist geschildert wie ein Josef Pandera, Nachbar der Maria, die mit einem Mann namens Jakobus verlobt war, diese des Nachts aufsuchte und sich als deren Verlobter Jakobus ausgab. Aus dieser Verbindung soll dann Jesus hervorgegangen sein. Als Maria ihren Irrtum erkannte, hätte sie sich einem Rabbi anvertraut, der dies dann später weitererzählt hätte.

Auch unter kritischen Exegeten werden diese Geschichten als jüdische Polemik gegen die Abstammung Jesu angesehen. So meint Augstein: „Je höher diese am Anfang anonyme Frau in der christlichen Lehre betrachtet wird, desto hässlicher und verletzender wird ihre Legende im jüdischen Schrifttum (Liebchen eines römischen Legionärs namens Panthera, darum „Pantherkatze“, „Friseuse“, den unehelichen Sohn hat sie während der Menstruation empfangen, er ist ein Bastard und Sohn der Unreinheit, ein sogenannter Mamser ben Nidda etc.).“ 18 Diese Geschichten sind allerdings ein weiteres Indiz dafür, dass Jesu Vater nicht bekannt war.

Was wissen wir über ihn?

Josef, Vater Jesu?

Die Evangelien schweigen sich über Jesu Vater fast völlig aus. Matthäus und Lukas nennen ihn Josef und geben seinen Beruf in Griechisch als Tekton an, was einen Bauhandwerker bezeichnet. Ansonsten ist über ihn nichts bekannt. Markus und Johannes haben für Jesu Vater überhaupt kein Interesse. Andererseits muss ein Familienvater existiert haben, da, wie wir noch sehen werden, in den Evangelien noch vier namentlich benannte Brüder und einige Schwestern Jesu erwähnt werden.

Kurz gesagt, er bleibt ein Phantom. Wenn in den Evangelien Mitglieder der Familie Jesu in Erscheinung treten, sind dies immer nur seine Mutter, seine Brüder und nebenbei auch mal seine Schwestern. So, in der Episode, als ihn seine Familie nachhause holen wollte, weil sie dachten, er sei übergeschnappt, als er vor allen Leuten predigte.

Und sie sagten zu ihm: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder sind draußen und suchen dich.“ 19

Normalerweise blieben die Aufgaben und der Einfluss der Frauen in der antiken Welt auf den häuslichen Bereich beschränkt.

Solch heikle Angelegenheiten wie einen Sohn, der sich offensichtlich auf unkalkulierbare Abwege begeben hat, wieder nachhause zu holen, wäre auf jeden Fall Sache des Vaters gewesen. Wohl, weil der Vater nicht mehr da war, versuchte dies stattdessen Jesu Mutter. Zur Verstärkung hatte sie ihre anderen Söhne mitgenommen.

Auch auf der Hochzeit zu Kana wird Josef nicht erwähnt. Möglicherweise ließ er sich scheiden oder arbeitete als Bauhandwerker in einer anderen Stadt und kam nur selten nachhause. Unter Fachtheologen neigt man allerdings am ehesten zu der Ansicht, dass er bereits vor Jesu öffentlichem Auftreten verstorben ist.

Familienverhältnisse

Nach Markus und Matthäus hatte Jesus vier Brüder und eine nicht genannte Anzahl von Schwestern: „Ist er nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria, der Bruder des Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns?“ 20

Auch Johannes spricht mehrfach von „Brüdern Jesu“: Nach der Hochzeit zu Kana zog er hinab nach Kapharnaum, er und seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger… . 21

Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn. 22

Nachdem aber seine Brüder zum Fest hinaufgegangen waren … . 23

Ebenfalls sind seine Angehörigen in der Apostelgeschichte erwähnt: Diese alle verharrten einmütig im Gebet, samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. 24

Die „Herrenbrüder“ Jakobus und Judas wurden nach Jesu Tod Mitglieder der christlichen Urgemeinde in Jerusalem. Jakobus leitete diese bis zu seiner Ermordung. Der Jakobus- und der Judasbrief sind nach diesen beiden benannt.

Um die Jungfrauengeburt zu stützen, hatte man schon in der frühen Kirche diese Geschwister zu Cousins und Cousinen umgedeutet, da solche angeblich im damaligen Israel ebenfalls als Brüder und Schwestern bezeichnet wurden. Dagegen wendet sich die jüdisch-schweizerische Philosophin und Schriftstellerin Salcia Landmann: „Dabei sind gerade Orientalen in diesem Punkt sehr pingelig. Speziell die hebräische und aramäische Sprache unterscheidet bei Vettern und Basen sogar ganz genau, ob die betreffenden von einem Bruder oder einer Schwester eines der eigenen Elternpartner stammen!" 25

Ohnehin gibt es keinen logischen Grund, wieso Jesus keine Brüder und Schwestern gehabt haben sollte.

Wie dem auch sei, wir kommen nicht daran vorbei, zu sehen, dass Jesus mit großer Wahrscheinlichkeit in einer normalen Familie mit Brüdern und Schwestern aufgewachsen ist.

Die Benennung der Brüder, nach dem Stammvater Jakob und einigen seiner Söhne, Joses (eine Form von Joseph), Judas und Simon lässt auf eine fromme jüdische Familie schließen.

Nach den Erzählungen über die Kindheit Jesu in den Evangelien von Matthäus und Lukas war Jesus der Erstgeborene der Maria. Dies wird durch die Bedeutung seines Namens – Gott ist Rettung (oder auch Heil) – unterstützt, was möglicherweise andeutet, dass bei den Eltern, vor allem bei der Mutter, über die Geburt eines Knaben große Erleichterung herrschte.

Handelte es sich bei der Erstgeburt um ein Mädchen, hatte sie mit Spott ihrer Umgebung zu kämpfen. Es ist auch denkbar, dass Maria vor Jesus ein oder mehrere Mädchen gebar und dann über den Knaben sehr erleichtert war.

Jakobus könnte der zweitälteste Sohn gewesen sein, da er, seinem Rang entsprechend, nach dem Stammvater Jakob benannt wurde. Die nachfolgenden Brüder erhielten dann Namen von dessen Söhnen, die die zwölf Stämme Israels bildeten. Für den Rang des Jakobus als Zweitgeborener spricht auch, dass er Jesus als Leiter der Urgemeinde in Jerusalem nachfolgte.

Namensgebungen, die die persönliche Bedeutung der Geburt für die Eltern symbolisierten, waren Tradition. So sagte Lea bei der Geburt eines Sohnes: Jetzt endlich wird mein Mann an mir hängen. Darum nannte sie ihn Levi. (Gen 29,34), was soviel wie Anhang bedeutet. Aus Dankbarkeit für ihren nächsten Sohn nannte sie diesen Jehuda, übersetzt, es sei gedankt. (Gen 29,35).

Dann… sprach Rachel: Gott hat mir Recht verschafft und (…) mir einen Sohn gegeben; darum nannte sie ihn Dan (Gen 30,6), was Richter heißt. 26

Die unbekannten Jahre

Wenn wir dem historischen Jesus nachspüren, bleibt uns nichts anderes übrig, als zunächst alles, was wir über seine Kindheit und Jugend in den Evangelien gelesen haben, beiseite zu legen.

Wie wir bereits gesehen haben, ist hierüber nichts Zuverlässiges überliefert. Die Texte in den Evangelien über Jesus vor seinem öffentlichen Auftreten sind keine historischen Aussagen über ihn, sondern geben Glaubensvorstellungen der Gemeinde und den Evangelisten wieder. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Legenden, die keinen historischen Hintergrund haben.

Allerdings gibt es einige Indizien, aus denen wir ein vages Bild von Jesu Kindheit und Jugend rekonstruieren können. So steht zum Beispiel die Frage im Raum, ob er lesen und schreiben konnte und welche Bildung er hatte.

Seine Streitgespräche mit Pharisäern und Schriftgelehrten, die in den Evangelien berichtet werden, lassen auf fundierte Kenntnisse der jüdischen Schriften schließen. Die in den Evangelien wiedergegebene Anrede als Rabbi, weist ihn als Pharisäer aus. Die Rabbinen gingen aus dem Kreis der Pharisäer hervor. Da „Rabbiner“ ein Ehrentitel war, ohne damit verbundene Einkünfte, gingen sie ganz normalen Berufen nach. Jesus hatte offensichtlich damit das Recht, in der Synagoge aus der Schrift zu lesen und zu lehren.

Und als sie ihn jenseits des Meeres fanden, sprachen sie zu ihm: Rabbi, wann bist du hierhergekommen? 27

Und er kam nach Nazareth, wo er erzogen worden war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbattag in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen. 28

Er könnte als Kind dem Dorfrabbiner ob seiner Intelligenz und Frömmigkeit aufgefallen und von diesem zu seinem Nachfolger ausgebildet worden sein. Vermutlich hat er, wie viele andere Jungen auch, eine Thoraschule besucht. In beiden Fällen hätte er gelernt die Schriftrollen zu lesen.

Nur ganz wenige Juden konnten damals schreiben. Möglicherweise beherrschte es Jesus in eingeschränktem Maße. Es gibt jedoch keine näheren Hinweise hierfür.

In diesem Zusammenhang ist vorstellbar, dass der Dorfrabbiner oder ein anderer Mentor die übersinnlichen Fähigkeiten seines Schülers erkannte: seine Hellsichtigkeit, Heilungsgabe etc. Da in dieser Zeit, wie wir gesehen haben, der Messias sehnsüchtig erwartet wurde, um das Volk Israel zu befreien, könnte in seinem Mentor der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein, den „kommenden Messias“ auszubilden. Es ist durchaus möglich, dass Jesus schon von Jugend an mit der Vorstellung, möglicherweise der künftige Messias zu sein, vertraut war.

In diesen alten Kulturen war nicht nur Staat und Kirche hierarchisch gegliedert, auch die „Hackordnung" in der Familie war fest strukturiert. Das Wort des Vaters war Gesetz. Fiel dieser ganz oder zeitweise aus, nahm der älteste Sohn seinen Platz ein. Die jüngeren Geschwister hatten ihm zu gehorchen. War dieser nicht mehr da, übernahm der zweitälteste Sohn dessen Rolle. Mädchen kamen in dieser Rangfolge an das untere Ende.

Die Ehre der Familie war oberstes Prinzip. Dem hatte sich jeder unterzuordnen. Diese Tradition hat sich im arabischen Raum bis heute erhalten. Hin und wieder hören wir von Ehrenmorden, bei denen ein Bruder auf Befehl des Vaters sogar seine Schwester umbringt, um die Familienehre zu retten. Sie hat diese beschmutzt, weil sie in den Augen der Familie einen unsittlichen Lebenswandel führt oder einen Mann heiraten will, der nicht zu den Vorstellungen der Eltern und der Gesellschaft, in der sie leben, passt.

Jesus stellte sich offensichtlich schon früh gegen diese Struktur des Zwanges und der Unterordnung. Nach Matthäus verließ er bei Beginn seines öffentlichen Auftretens seine Familie und zog nach Kapharnaum oder Kapernaum. Und er verließ Nazareth, kam und ließ sich zu Kapernaum nieder, … . 29

Wie wir noch sehen werden, hatte seine Familie ihre liebe Not mit ihm. In ihren Augen nahm die „Familienehre“ Schaden, weil sich die Nachbarn über diesen „Außenseiter“ vermutlich den Mund zerrissen. Aber nicht nur das: Wenn Sie sich in Erinnerung, rufen wie viele weltliche oder religiöse Führer, die eine Anhängerschaft um sich scharten, im damaligen Israel von der Staatsmacht getötet wurden, können Sie sich vorstellen, dass Mutter und Geschwister genau wussten, in welcher Gefahr Jesus schwebte. Jeder, der seinen Kopf etwas höher hinausstreckte als die Allgemeinheit, setzte sich dem Risiko aus, um eben diesen kürzer gemacht zu werden. Sicher hatte seine Familie auch Angst, selbst ins Visier der Obrigkeit zu geraten.

War Jesus vielleicht von Essenern beeinflusst, die ebenfalls ihre Gemeinschaft der Familie vorzogen?

Jesu Familienstand

Diese Frage stellt sich auch im Hinblick auf die völlige Ungewissheit, ob Jesus verheiratet war.

Aus Schriften der Kirchenschriftsteller Clemens von Alexandria und Tertullian geht hervor, dass bereits die frühen Christen über den Familienstand Jesu rätselten. In den damaligen Kulturen wurden die Mädchen spätestens mit 14 und die Jungen mit etwa 16 Jahren von den Eltern verheiratet. Es brauchte einen starken Willen, um sich dem zu widersetzen. Sicher mangelte es Jesus daran nicht. Aber ein unverheirateter Rabbiner war kaum denkbar. Für den Hohen Priester war die Ehe sogar Pflicht. Starb seine Ehefrau, musste er sein Amt aufgeben.

Wie verhält sich das nun bei Jesus? Die Evangelien und der größte Teil der apokryphen Schriften schweigen sich über dieses Thema aus.

Karen King, Professorin an der Harvard Universität, hat vor kurzem das Fragment eines wenige Zentimeter großen Papyrus aus dem 4. Jahrhundert übersetzt, in dem in koptischer Sprache ein Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern wiedergeben ist: „Meine Mutter gab mir Leben ...", heißt es da, und „Maria ist es wert" – oder auch „Maria ist es nicht wert". Dann folgen die spektakulären Worte: „Jesus sagte zu ihnen: ‚Meine Ehefrau ...‘ ‚ worauf folgt: ,... sie wird fähig sein, mein Jünger zu sein ...‘."

Der Papyrus, auf dem dies geschrieben ist, soll nach einer Radiocarbondatierung zwar aus dem vierten bis achten Jahrhundert stammen; Experten vermuten jedoch, dass er erst in jüngster Zeit beschrieben wurde und daher als Fälschung anzusehen ist. Aber selbst wenn der Text aus dem 4. Jahrhundert stammen sollte, würde dies keine Gewähr dafür geben, dass er eine historische Wirklichkeit wiedergibt.

Am 9. November 2014 erschien auf dem Onlineportal der englischen Zeitschrift Daily Mail – Mail Online – ein Bericht über ein Manuskript, datiert auf 570 n. Chr., das seit 1847 im Besitz des British Museum ist und vor rund 20 Jahren an die British Library übergeben wurde. In dieser Zeit wurde das Dokument immer wieder untersucht, doch eigentlich galt es als irrelevant.

Nun hätten ein israelisch-kanadischer Filmemacher namens Jacobovici und der Religionsprofessor Wilson an dem Dokument geforscht und seien sich sicher, ein 5. Evangelium gefunden zu haben. Darin wird geschildert, wie der Pharao von Ägypten ein Paar namens Joseph und Aseneth traut, wobei er zur Braut sagt: „Gesegnet bist du von Josephs Gott, da er der Erstgeborene Gottes ist, und du wirst die Tochter des höchsten Gottes genannt werden und die Braut des Joseph jetzt und für immer."

Jacobovici und Wilson setzen Joseph und Aseneth mit Jesus und Maria Magdalena gleich. Ohne das Buch „The Lost Gospel“, das die beiden über diese Entdeckung geschrieben haben, zu kennen, braucht man nicht viel Fantasie, um vorauszusagen, dass sich dieses gut verkaufen wird. Man muss jedoch sehr viel Fantasie haben, um sich vorzustellen, dass der Pharao von Ägypten, Jesus und Maria Magdalena getraut haben soll.

Offensichtlich liegt diese apokryphe Schrift auf derselben Ebene wie andere unhistorische Dichtungen aus dieser Zeit.

Eine, in der damaligen Zeit übliche Verheiratung durch die Eltern ist möglich, sogar wahrscheinlich, aber eben nicht sicher. Wir müssen ihn daher wohl als ledig, geschieden oder verwitwet betrachten.

Vielleicht besaß Jesus Familie und verließ diese, ähnlich wie Siddhartha Gautama (Buddha), der sich Jahrhunderte vorher von Frau und Kind davonstahl, um sich als Entsagender auf die Suche nach Erlösung von den Leiden dieser Welt zu begeben. Auch im späteren Christentum verließen Menschen „um des Himmelreiches willen“ ihre Familie wie zum Beispiel der Schweizer Nationalheilige, Nikolaus von der Flühe, der seine Frau mit zwölf Kindern – allerdings wohlversorgt – auf seinem Bauernhof zurückließ, und fortan als Einsiedler lebte.

Aber letztlich müssen wir diese Frage offen lassen. Über den Familienstand Jesu gibt es keinerlei zuverlässige Erkenntnisse.

Eine andere Frage ist, ob Jesus eine intime Beziehung zu Maria Magdalena hatte. Man kann mit Büchern zu diesem Thema – wie Dan Brown mit „Sakrileg“ – sehr viel Geld verdienen. Aber belastbare Indizien hierüber gibt es nicht. Bei näherer Überprüfung haben sich alle als Betrug, Spekulation oder unhistorische Legenden herausgestellt.

Das sogenannte Philippus-Evangelium stellt eine Liaison mit Maria Magdalena in den Raum: Die Gefährtin (des Erlösers) ist Maria Magdalena. Der (Erlöser liebte) sie mehr als (alle) Jünger und er küsste sie (oft) auf ihren (Mund).

Nach Meinung von Bibelwissenschaftlern muss dieses Zeichen der Zuneigung nicht unbedingt erotisch gedeutet werden, sondern kann auch als Übertragung der Lehrkompetenz gesehen werden. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber so richtig überzeugend scheint mir diese Interpretation nicht zu sein.

Wie dem auch sei, dieser apokryphe Text entstand vermutlich gegen Ende des dritten Jahrhunderts und ist daher nicht als Bericht eines Zeitgenossen Jesu anzusehen. Folglich fehlt ihm jede Beweiskraft. Wie wir schon gesehen haben, wurde in diesen Zeiten viel in die Welt gesetzt, was nur dem eigenen Kopf entsprungen ist.

Es bleibt daher offen, wie Jesus zu seiner Jüngerin aus dem Orte Magdala stand. Ich hatte während des Schreibens dieses Buches einen in religiösen Dingen sehr beschlagenen jüdischen Bekannten aus Jerusalem gefragt, ob er eine Liaison Jesu mit Maria unter den Augen der Jünger für möglich hielte. Seine knappe Antwort lautete: „In der damaligen Zeit und Gesellschaft undenkbar!" Belassen wir es damit.

Leben und Arbeiten auf dem Dorf

Wie schon erwähnt, ist es nicht sicher, ob Jesus tatsächlich in Nazareth aufgewachsen ist. Seine Predigten und Gleichnisse weisen jedoch darauf hin, dass ihm das Landleben vertraut war: die Lilien auf dem Felde, die Gleichnisse vom Sämann, dessen Saat auf guten und schlechten Boden fällt, vom Senfkorn oder von den Arbeitern im Weinberg. Dies weist sehr darauf hin, dass er im dörflichen Umfeld aufgewachsen ist. So können wir kaum fehl gehen, wenn wir Nazareth oder ein ähnliches Dorf in Galiläa als Stätte der Kindheit und Jugend Jesu annehmen. Die Gleichnisse, die von einem verlorenen Schaf handeln, vom Räuber, der in den Schafstall einbricht, von den Schafen, die die Stimme ihres Hirten kennen, vom Mietling, der die Schafe verlässt, wenn er den Wolf kommen sieht, vom Guten Hirten der sein Leben für seine Schafe gibt, lassen große Vertrautheit mit diesen Tieren erkennen.

Er könnte als Kind mit seiner kleinen Herde in der Nähe des Dorfes über Land gezogen sein, um sie zu Futterplätzen zu führen. Im Schatten eines Baumes ruhend, seinen Gedanken nachhängend oder vielleicht auch mit anderen Hütejungen ins Spiel vertieft, vergaß er, nach seinen Schafen zu sehen. Anschließend musste er die zerstreuten Tiere wieder mühsam zusammentreiben. Fehlt dann ein Tier kommt Panik auf. Es bleibt nichts anderes übrig, als so lange zu rennen und zu suchen bis es gefunden ist. Undenkbar, was geschieht, wenn er ohne dieses nach Hause kommt.

Hat er es gefunden, ist die Freude und Erleichterung groß, so groß wie mehr Freude sein wird … im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, … als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. 30 Manchmal musste er seinen ganzen Mut zusammennehmen und die Schafe gegen Diebe oder Wölfe zu verteidigen. Zu Jesu Zeiten war der Arabische Wolf – die kleinste Unterart der Wölfe – in Palästina noch sehr verbreitet.

Da ich selbst schon im Alter von sieben Jahren zwar keine Schafe, jedoch etwa 20 Kühe zur Weide getrieben und gehütet habe, kann ich dies alles sehr gut nachempfinden. Wölfe gab es allerdings zum Glück keine. Ein Freund erzählte mir kürzlich, dass er beim abendlichen Heimtrieb eine Kuh vermisste. Heulend kam er mit seiner Herde am Bauernhof an, wo ihn die Bauersleute dann aber beruhigten. Die Kuh war am Morgen wegen Krankheit im Stall zurückbehalten worden.

Jesus wird Bauern beim Säen beobachtet haben, wie dann deren Getreide teilweise von Dornen und Disteln erstickt wurde, auf felsigen Boden vertrocknete und nur auf der gut vorbereiteten Erde gedieh. 31 Im Dorf gab es wie überall, Feindschaften, so dass manch einer auf die Idee kam, in der Nacht Unkrautsamen auf den Acker seines Nachbarn zu säen, mit dem er im Streit lebte. 32 Ein besonders Missgünstiger nahm dafür Senfsamen, dessen Büsche den Acker überwucherten. 33

Vor dem Einfall feindlicher Soldaten wurden von den Leuten des Dorfes Geld und Wertgegenstände vergraben, um sie vor Raub zu schützen. Kamen Familien durch die kriegerischen Ereignisse ums Leben, suchten die Nachbarn heimlich nach deren Versteck. Wenn jemand fündig wurde, hielt er Stillschweigen und versuchte unter einem Vorwand, das Grundstück zu erwerben, um in den Besitz des Schatzes zu gelangen. 34

Archäologische Befunde legen nahe, dass die Gegend um das heutige Nazareth im 1. Jahrhundert nur spärlich besiedelt war. Die Einwohnerzahl des damaligen Dorfes wird auf 200–500 Personen geschätzt, die in etwa 50 ärmlichen Häusern lebten. 35 Die Familie Jesu wird wohl in einem kleinen Haus aus Lehmziegeln oder Steinen, mit ein oder zwei Räumen, vielleicht auch unter einem Dach mit Ziegen und Schafen gewohnt haben. Die meisten der Einwohner waren Bauern, einige wie wahrscheinlich auch Josef, Jesu Vater, nur im Nebenerwerb.

Da die Landwirtschaft sie nicht ernähren konnte, verdingten sie sich als Tagelöhner, die Jesus, so ist es seinen Gleichnissen zu entnehmen, ebenfalls vertraut waren.

Wer einen Beruf wie Josef als Bauhandwerker (griech.Tekton) hatte, konnte sich glücklich schätzen. Wie wir gesehen haben, wird Jesus bei Markus ebenfalls als Tekton bezeichnet – übersetzt mit Zimmermann. Diese Übersetzung ist jedoch nicht ganz korrekt. Die Tätigkeit eines Tektons umfasste alle Arbeiten und auch Planungen, die am Bau anfielen.

Die Vergleiche Jesu, vom „Haus, das auf Sand gebaut ist“, vom „Balken im eigenen Auge“, dem „Splitter im Auge des Bruders“ oder dem „Stein, den die Bauleute verworfen haben“, lassen darauf schließen, dass er Bezug zu diesem Beruf hatte. Er wird als Fachmann Bauherren bei der Suche nach einem geeigneten Bauplatz beraten haben. Und jeder, der mit rohem Holz gearbeitet hat, weiß um die Gefahr, wie schnell man sich dabei einen Splitter in die Haut zieht. Steckt dieser gar im Auge, braucht man die Hilfe eines Arbeitskollegen, um ihn zu entfernen.

Was geschah wohl mit Nazareth, als die Römer im Jahre 7 den Aufstand Judas des Galiläers niederschlugen und das von Nazareth nur etwa 6 km entfernte Sepphoris dem Erdboden gleich machten?

2009 entdeckten israelische Archäologen in Nazareth die Reste eines kleinen Privathauses, das aus der Zeit Jesu stammte. Daneben fanden sie einen Schacht, der den Bewohnern während des jüdischen Aufstands gegen die Römer als Versteck gedient haben könnte. Solche Verstecke fanden sich auch in anderen Gebäuden aus jener Zeit. Maria, Josef und die Kinder könnten sich öfter dorthin geflüchtet haben, wenn plündernde Soldaten ins Dorf einfielen. Da diese jedoch in Sepphoris reiche Beute gemacht hatten, werden sie das armselige Dorf wohl eher links liegen gelassen haben.

Als die Zeiten wieder ruhiger wurden, wird Josef seinen Sohn mit zur Arbeit genommen haben. Beim Wiederaufbau des nahen Sepphoris gab es sicher gute Verdienstmöglichkeiten. Herodes Antipas ließ es nach der Zerstörung durch die Römer in griechischem Stil in solcher Schönheit wieder aufbauen, dass Josephus es als „Das Ornament von Galiläa“ bezeichnete.

Bis Herodes im Jahre 19 in die ebenfalls neu errichtete Stadt Tiberias, am See Genezareth, übersiedelte, war Sepphoris die Hauptstadt Galiläas. Beim Aufbau Tiberias' boten sich Josef mit seinen Söhnen ebenfalls Arbeitsmöglichkeiten.

Allerdings war dies etwa 30 km entfernt, so dass sie nur zum Sabbat nachhause gehen konnten.

Beim Bau der palastähnlichen Häuser für die jüdische, römische und griechische Aristokratie wird in Jesus das soziale Bewusstsein entstanden sein, das in seinen späteren Gleichnissen wie dem „Reichen Prasser“ und dem „Armen Lazarus“, zum Ausdruck kommt. 36

Was veranlasste Jesus, nach Kapharnaum umzusiedeln? War es eine Eheschließung oder Scheidung, ein Zerwürfnis mit der Familie, schloss er sich einer Essenergemeinde an? Wir haben keinerlei Informationen darüber. Kapharnaum war um die Zeitenwende ein größeres Dorf mit etwa 1000 Einwohnern. Die Gebäude aus grob behauenen Feldsteinen, Ställe, Wohn- und Lagerräume gruppierten sich um kleine Höfe, von rechtwinkligen Gassen in regelmäßige Straßenblöcke zerteilt. Familien mehrerer Generationen lebten mit ihren Bediensteten und den Tieren unter einem Dach. Es gab keine großen sozialen Unterschiede. Nahe der Grenze zu Gaulanitis, östlich des Sees, war der Ort Zollstation mit entsprechend viel Durchgangsverkehr.

Wie wohnte Jesus hier? War er verheiratet und wohnte mit den Schwiegereltern unter einem Dach? Wenn er allein lebte, konnte er kein ganzes Gehöft bewohnen. Möglicherweise hatte er sich einer Essener–Gemeinschaft angeschlossen. Ihre tiefe Religiosität dürfte ihn sicher beeindruckt haben.

Gibt es Anzeichen für eine Verbindung Jesu zu dieser Gemeinschaft?

Jesus und die Essener

„Es ist höchst erstaunlich, dass die Essener in Neuen Testament nicht namentlich vorkommen. Ich kenne keine völlig zufriedenstellende Erklärung dieses Umstandes. Sicherlich ist es nicht auf ihre Unbekanntheit zurückzuführen." 37 Frank Moore Cross spricht hier ein, für die meisten Bibelwissenschaftler, ungelöstes Rätsel an.

Wie wir bei Josephus Flavius gesehen haben, waren die Essener eine allgemein bekannte und geachtete Gemeinschaft. Wieso nehmen die Evangelisten keine Notiz von ihnen, obwohl deren Gedankengut sich in allen vier Evangelien und einzelnen Paulusbriefen wiederfindet?

So, wie der Gegensatz zwischen Wegen des Lichts und Wegen der Finsternis, der Glaube, dass das irdische Leben nichts ist im Vergleich zur jenseitigen Herrlichkeit, die Verdammung der Ungläubigen, das Lob der Armut, Ablehnung der Tieropfer und auch des Schwörens etc. .

Der jüdische Bibelwissenschaftler Pinchas Lapide glaubt, in den Evangelien Spuren gefunden zu haben, die Verbindungen Jesu zu den Essenern nahelegen. In Markus 14,3 und Matthäus 26,6 ist die Rede davon wie Jesus mit seinen Jüngern … zu Bethanien im Hause Simons des „Aussätzigen“ … zu Besuch war. Dies ist unmöglich. Ein Aussätziger verunreinigt nach rabbinischem Recht – mehr im kultischen Sinne als durch die Gefahr der Ansteckung – nicht nur alles, was er berührt; schon seine Anwesenheit in einem Haus verunreinigte dieses.

Lapide schreibt: „Denn im Aussatz sah man eine Plage, die unmittelbar von Gott als Strafe für Verleumdung, Hochmut, Blutvergießen, Meineid oder Unzucht verhängt wurde." Und weiter: „Simon, der Gastgeber Jesu, konnte daher als Aussätziger unmöglich in Bethanien … gewohnt haben, noch konnte er ein vom Aussatz Geheilter gewesen sein, der den Beinamen ,Aussätziger‘ trug, da es nach rabbinischem Ethos als schwere Sünde galt, jemandem sein Gebrechen … vorzuhalten ... .“

Er schließt daraus: „Eine Rückhebraisierung ermöglicht die Annahme, dass die Urschrift von einem ,Schim´on ha–Zanua´ sprach, was nur allzu leicht als ,Schim´on ha–Zarua´ verschrieben oder fälschlich entziffert werden konnte – umso mehr, als sich die Buchstaben Nun und Resch in der qumranischen Paläographie ähneln.

Das Letztere aber heißt ‚Simon der Aussätzige‘ ... während das Erstere ,Simon der Essener‘ bedeuten würde." 38

Auch im folgenden Abschnitt sieht Lapide einen Hinweis auf die Essener: Und er sendet zwei seiner Jünger und spricht zu ihnen: „Gehet in die Stadt; da wird euch ein Mensch begegnen, der einen Wasserkrug trägt; dem folget, und wo er hineingeht, da sprechet zum Hausherrn: Der Meister lässt fragen: Wo ist meine Herberge, in der ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann?“ 39 Im Orient sind es die Frauen, die Wasserkrüge auf ihrem Kopf tragen. Ein Junggeselle hat dies selbst zu besorgen und fällt dabei natürlich auf. Dies spricht ebenfalls dafür, dass es sich hier um einen Essener handelte, da die meisten unverheiratet waren. 40

Auch der Umstand, dass Jesus so ohne weiteres ein Gemach beanspruchen konnte, spricht dafür, dass er Verbindung zu ihnen hatte. Josephus schildert dies anschaulich:

„Essener, die anderswoher kommen, können über den ganzen Besitz der betreffenden örtlichen Gemeinschaft verfügen wie über ihren eigenen Besitz, und bei Leuten, die ihnen früher völlig unbekannt waren, gehen sie aus und ein wie bei alten Bekannten. Deshalb reisen sie auch ohne jedes Gepäck … . In jeder Stadt, wo sie wohnen, ist einer von ihnen beauftragt, sich um Gäste zu kümmern, um sie mit Speise und allem Notwendigen zu versorgen." 41

Es ist aber klar ersichtlich, dass der Freiheitsdrang Jesu verhinderte, sich vollständig in die Essenergemeinschaft einzugliedern. Seine individuelle, dem Menschen zugewandte Schriftauslegung, über die er sich des Öfteren mit auf den Buchstaben des Gesetzes fixierten Pharisäerkollegen anlegte, ließ sich auch mit den starren Lebensgewohnheiten und Vorstellungen der Essener nicht vereinen.

Wenn er zum Beispiel sagt: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbats willen,“ 42 bezieht er sich auf eine Auslegung gemäßigter Pharisäer im Babylonischen Talmud: „Siehe, der Sabbat ist euch übergeben, nicht ihr seid dem Sabbat übergeben.“ 43

Die Essener ließen dagegen am Sabbat keine Notlage gelten und erlaubten sogar bei Lebensgefahr keine Ausnahmen.

Zwar können wir aus diesen Gründen mit großer Sicherheit annehmen, dass Jesus kein Essener war. Für lose Verbindungen zu ihnen spricht einiges.

Spirituelle Entwicklung und Ausbildung Jesu

In den Evangelien taucht Jesus, nach der Taufe am Jordan durch Johannes den Täufer und einen darauf folgenden vierzigtägigen Aufenthalt in der Wüste, wie aus dem Nichts, als Prediger und Wundertäter auf.

Bei der Beurteilung der in den Evangelien geschilderten übersinnlichen Fähigkeiten Jesu gehen die Ansichten der Exegeten weit auseinander. Die einen halten alles ohne Einschränkung für wahr, eine große Gruppe ist der Meinung, die Heilungen hätten nur Krankheiten mit psychosomatischem Hintergrund betroffen und wären, ähnlich wie beim Placebo-Effekt, durch den Glauben, den Jesus in dem Patienten erweckte, verschwunden. Die eher atheistisch angehauchten sehen in den geschilderten Wundern lediglich aus antiken Mythen entlehnte Legenden, die die Gemeinde und später die Evangelisten übernahmen, um Jesus als Messias darzustellen.

Voraussagen Jesu über seinen Tod und Auferstehung oder die Zerstörung Jerusalems sind für sie nachträgliche Zuschreibungen der Evangelisten.

Da ich der Meinung bin, dass die Wundertätigkeit und die sonstigen übernatürlichen Fähigkeiten wesentlich für das Verständnis der Person Jesu sind, habe ich der Beurteilung dieser Phänomene im Folgenden einen größeren Platz eingeräumt.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir auf mein Buch: Quantenphysik und die Frage nach Gott, hinzuweisen, in dem ich im 3. Kapitel die Prinzipien des Wunders und im 6. Kapitel Besessenheit und Dämonenaustreibungen erläutere.

Hatte Jesus diese Fähigkeiten? Wenn ja, wie hat er sie erlangt? Wurde er dafür ausgebildet, erlangte er sie autodidaktisch oder werden dem Menschen solche Gaben in die Wiege gelegt?

Der Verfasser des bereits erwähnten „Kindheitsevangelium nach Thomas“ schildert Jesus als einen Jungen, der sich seiner Macht über andere bewusst ist und diese willkürlich ausübt. Seine Umwelt ist seinem Treiben hilflos ausgeliefert. Erst im Laufe der Zeit wendet er seine Gaben zum Wohle der Mitmenschen an.

Der Autor geht offensichtlich davon aus, diese Fähigkeiten wären Jesus angeboren gewesen, und stellt dar, wie ein junger Mensch wohl damit umgehen mag. Trifft dies auf die Psyche eines jungen Menschen zu, der mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet ist?

Wir wollen uns einmal zum Vergleich die Kindheit eines Menschen mit solchen Begabungen ansehen, über dessen Leben wir gut Bescheid wissen.

Vielleicht haben Sie schon einmal von dem Wunderheiler Bruno Gröning (1906–1959) gehört, der vor allem in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts für großes Aufsehen sorgte.

Er betrachtete sich als von Gott gesandt und rief die Menschen zur „Großen Umkehr“ auf. Die Heilungen führte er auf eine durch ihn strömende göttliche Kraft zurück, von ihm Heilstrom genannt.

Zu manchen Zeiten versammelten sich bis zu 30.000 Menschen am Tag vor seinem Haus und hofften auf Heilung. Ich möchte hier nicht auf all die Widerstände und Widersprüche eingehen, die mit seiner Tätigkeit verbunden waren, da dies den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Die Ärzteschaft überzog ihn mit Gerichtsverfahren, bis ihm die Heiltätigkeit verboten wurde. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die von der Illustrierten „Revue" in Auftrag gegeben wurde, stellte fest:

„Bruno Gröning ist kein Scharlatan, kein Hypnotiseur, kein Wunderdoktor, sondern ein begabter, nichtärztlicher Psychotherapeut (Seelenarzt). Er bemüht sich, aus kindlich-naturhaftem und auch religiös begründetem Mitgefühl heraus, den Menschen in ihren seelisch bedingten Leiden zu helfen (…). Er maßt sich nicht an, ein Prophet oder Messias zu sein. Er hat aber ein gläubiges Sendungsbewusstsein." 44

Der evangelische Bischof Dr. Hermann Kunst äußerte sich damals zum Phänomen Gröning: „Tatsache ist, dass Menschen, die mir bekannt sind, seit ihrem Besuch bei Herrn Gröning ihre alten Beschwerden los sind und ein neues Lebensgefühl haben." 45 Gröning war ein einfacher Mensch, ohne besondere Schulbildung. Seine Lebenseinstellung oder Lehre drückte er unter anderem wie folgt aus: „Ich bin kein studierter Mensch, ich bin weder belesen noch habe ich eine menschliche Lehre angenommen (…) und habe mich nicht verbilden lassen wie die Menschen verbildet sind. (…) Ich bin und bleibe gotthörig!" 46

Wie verlief nun seine Kindheit und Jugend?

Schon als Kind sollen kranke Menschen in seinem Beisein von ihren Beschwerden frei geworden sein. Im Elternhaus brachte man seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten allerdings wenig Verständnis entgegen: „Hier erhielt ich sehr viel grobe Schläge und wurde zu alledem in einem Zimmer eingesperrt. (…). Jedenfalls dauerte die Gefangenschaft im Elternhaus nicht lange, da ich mich sehr schnell und oft aus dieser befreite." 47

Er hielt sich gerne im Wald auf: „Hier erlebte ich Gott. In jedem Strauch, in jedem Baum, in jedem Tier, ja selbst in den Steinen. Überall konnte ich stundenlang – es gab eigentlich keinen Zeitbegriff – stehen und sinnen, und immer war es mir, als weitete sich mein ganzes inneres Leben bis in die Unendlichkeit hinein.“ 48 „Vor meinem inneren Auge sehe ich zu jeder Tages– und Nachtzeit Dinge, die sonst kein Mensch sieht." Und weiter: „Ich sehe nicht nur den Menschen; ich sehe auch, was weiter zurückliegt, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, alles was um und an ihm ist." 49

Ich denke, diese Sätze könnte man auch auf Jesus übertragen. Die Stille, die diesen in der freien Natur umgab, wenn er beim Hüten der Schafe stundenlang, um der flirrenden Hitze zu entgehen, im Schatten eines Baumes lag, könnte den Raum in seinem Inneren erweitert und seine übersinnlichen Fähigkeiten vertieft haben wie auch seine innige Verbindung zu Gott, den er seinen Vater nannte. Auch heute noch sagt man Schäfern nach, sie hätten den „Sechsten Sinn“.

Als Kind wurde Gröning als Spinner angesehen, wenn er über das sprach, was er sah und empfand.

Normalerweise wirken sich die ablehnenden Reaktionen der Erwachsenen auf hellsichtig begabte Kinder sehr verwirrend aus. So hörte ich in einem Vortrag von einer Frau, die als Medium Verstorbene persönlich wahrnimmt und Kontakte zu ihnen herstellt, über ihre Erfahrungen in der Kindheit: „Als mich im Kindergarten meine Betreuerin ausschimpfte, sah ich deren verstorbenen Großvater hinter ihr stehen. Er missbilligte ihr Verhalten. Sie können sich vorstellen, dass sie sehr ablehnend reagierte, als ich ihr dies sagte. Ich verstand nicht, dass sie ihren Opa nicht auch sehen konnte. Erst im Laufe der Zeit merkte ich, dass andere Leute diese Fähigkeiten nicht haben und sie als unnormal ansehen. Da ich aber normal sein wollte, tat ich alles, um meine Hellsichtigkeit zu unterdrücken. Ich trieb viel Sport und brachte es sogar bis ins Olympiakader. Als ich über zwanzig war, verstärkten sich diese Wahrnehmungen jedoch wieder, so dass ich meiner Begabung nicht mehr ausweichen konnte."

Erst als Gröning bereits über 40 Jahre alt war, bekannte sich sein Vater zu seinen Fähigkeiten. In einer eidesstattlichen Erklärung schrieb er, sein Sohn hätte schon als Kind besondere Ereignisse voraussehen können wie zum Beispiel Beginn und Ende des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Auch konnte er Menschen von ihren Krankheiten und Leiden heilen.

Ähnlich wie Jesus begann Gröning eine Lehre als Schreiner. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation in den zwanziger Jahren schlug er sich vor allem mit Gelegenheitsarbeiten durch. Seine Ehefrau verließ ihn nach dem Krieg, da sie mit seiner Heiltätigkeit, die immer mehr sein Leben bestimmte, nicht einverstanden war. Beide Söhne verstarben jeweils im Alter von neun Jahren.

Es geht mir hier nicht darum, Bruno Gröning mit Jesus gleichzustellen, sondern aufzuzeigen, dass es Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten gibt und sie denselben Problemen gegenüberstehen wie jeder Normalbürger. Genauer betrachtet kämpfen sie mit größeren Schwierigkeiten, da ihnen oft nicht geglaubt wird und sie daher als Außenseiter angesehen werden. Auch Jesus war in seiner Kindheit und Jugend sicher nicht auf Rosen gebettet. Er wird wohl ebenfalls unter der Verständnislosigkeit seiner Umgebung gelitten haben.

Darauf weist auch die Erfahrung bei seinem Besuch in Nazareth hin: Ein Prophet ist nirgends verachtet außer in seiner Vaterstadt und bei seinen Verwandten und in seinem Hause. 50

Jesus in Indien?

Im 19. Jahrhundert berichteten Reisende von Schriften in indischen oder nepalesischen Klöstern, die belegen würden, dass Jesus in der Zeit vor seinem öffentlichen Auftreten und/oder nach der Kreuzigung, die er überlebt haben soll, sich in Indien aufgehalten hätte. Diese Gerüchte hielten sich hartnäckig bis heute. Das Buch „Jesus lebte in Indien“ von Holger Kersten über dieses Thema hatte großes Interesse hervorgerufen. In einem späteren Kapitel werden wir noch näher untersuchen, wie realistisch diese These ist.

Zunächst wollen wir aber Jesus beim Beginn seines öffentlichen Auftretens über die Schulter schauen und begleiten.

Jesus in Neuem Licht

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