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Kapitel 5

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Der Mann erreichte den großen Bauernhof am Ortsrand im Laufschritt. Das flüchtig hineingestopfte Hemd hing ihm teilweise aus der Hose. Die Jahreszahl 1511 war über dem alten verwitterten Türrahmen des Hauses eingekerbt. Doch Kapellmeister Christoph Hornklang hatte keinen Blick dafür. Er riss das Haustor auf und hastete ins Innere des Gebäudes. Rechter Hand war die Stube, die Tür stand offen. Fast hätte er die Schüssel mit Obst von der Anrichte gefegt, als er in den Raum stürmte.

Bürgermeister Gottfried Erlinger saß am Tisch und hob überrascht den schweren verkaterten Kopf.

»Bist du jetzt völlig deppert geworden? Was soll der Aufstand?«

Die Augen des Ortsvorstehers waren blutunterlaufen, die Tränensäcke über den Wangen schwer wie vollgefressene Regenwürmer.

»Warum gehst du nicht an dein Handy?«, rief Christoph Hornklang. »Hast du schon gehört, was passiert ist?«

Der Mann am Tisch tat sich schwer, dem Geschehen zu folgen. Die drei Kopfwehtabletten, die er vorhin genommen hatte, zeigten immer noch keine Wirkung. Er griff zitternd nach der Kaffeetasse.

»Mir ist wurscht, was passiert ist! Lass mich in Ruh. Mir ist nicht gut!«

Der Kapellmeister trat mit einem raschen Schritt näher, riss dem Bürgermeister die Tasse aus der Hand und knallte sie zurück auf den Tisch.

»Die Lena ist tot!«

Der Bürgermeister starrte sein Gegenüber an. »Spinnst du jetzt komplett? Hau ab, pflanz einen anderen!«

»Es ist aber so!«, brüllte der Musiker.

»Hör auf zu schreien, mir platzt eh schon der Schädel!« Das Geschrei des Kapellmeisters schnitt dem Bürgermeister durch den Kopf wie eine frisch gedengelte Sense. Wann würden diese blöden Tabletten endlich wirken?

»Sie liegt drüben am Wasserfall! Erschlagen, sagen die Leute im Ort.«

»Erschlagen?« Dieses Wort sickerte allmählich in das schmerzende Bewusstsein des immer noch benommenen Ortsvorstehers.

»Aber das kann ja gar nicht sein! Was wird dann aus dem Wettbewerb?«

»Du und dein saublöder Wettbewerb!« Das Organ des Kapellmeisters überschlug sich. »Diese Castingshow ist alles, was du im Schädel hast! Die Lena ist tot! Geht das endlich rein in dein Hirn?«

Hinter ihnen war das Knarren von Dielen zu hören. Jemand trampelte über die Holztreppe im Vorraum nach unten.

»Was soll dieser Lärm?«

Ein junger Mann stand im Türrahmen, Anfang 20, barfuß. Joachim Erlinger, genannt Jock, der Sohn des Bürgermeisters. Er wirkte verschlafen, seine Shorts waren verknittert.

»Ich habe nur Lena verstanden. Was ist los?«

»Sie ist tot«, brüllte der Kapellmeister erneut, »umgebracht! Drüben am Wasserfall. Die Kripo aus Salzburg ist auch schon eingetroffen.«

Dem jungen Mann in der Tür blieb der Mund offen. »Umgebracht?«

Mit einem Ruck schoss der Bürgermeister in die Höhe, stieß dabei gegen den Tisch. Das kostete die Kaffeetasse ihr porzellanenes Leben. Mit dumpfem Knall prallte sie auf die Jahrhunderte alten Bretter des Stubenbodens und brach entzwei.

»Los, Bua, zieh dich an! Und ich brauche jetzt dringend eine Zigarette!«

»Hast für mich auch eine, Papa?«

»Später. Verschwind jetzt nach oben!« Der Sohn machte mürrisch kehrt und latschte über die Treppe nach oben. Erlinger öffnete eine der Schubladen der Anrichte und holte eine noch ungeöffnete Schachtel Zigaretten heraus. Er gab sich Mühe, mit zitternden Fingern die Packung zu öffnen, was ihm erst beim dritten Versuch und unter Hervorstoßen übelster Flüche gelang. Er zündete sich eine der Zigaretten an, machte drei tiefe Züge. Dann wurde er ruhiger. Er drehte sich zum Kapellmeister und tippte diesem mit dem Finger hart gegen die Brust. »Und du wartest auf uns!« Dann schlurfte er aus dem Zimmer. Die Kopfschmerzen waren nicht weniger geworden.

erste nachbarin: hochmütig ist sie. sie will am sonntag als erste voran in die kirche schreiten, als wäre sie eine gräfin!

zweite nachbarin: wollüstig ist sie. ihr blick, den sie den männern zuwirft, jungen wie alten, ist schandträchtig. kein mann weitum in unserem tal, der nicht verrückt wäre nach ihr!

dritte nachbarin: sittenlos ist sie. sie hebt sich empor über das eherne gesetz unserer väter!

jungfrau: was ist, verehrte nachbarinnen? zerreißt ihr euch wieder das maul über mich?

was hab ich euch leids getan? für euch ist schon übel genug, dass ich bin, wie ich bin, so wie gott mich gemacht.

mutter: kind, schweig still. deine hoffart bereitet mir schmerz. deine vermaledeite schönheit bringt nur unglück. aus deiner keckheit wächst sünde.

jungfrau: oh frau mutter, ihr kennt nicht mein herz. warum darf ich mich nicht glücklich wähnen,

wenn ich mein bild im spiegel der quelle betrachte? warum darf nicht freude mein innerstes rühren, wenn die söhne des nachbarn mein lachen erwidern?

vierte nachbarin: schamlos ist sie. doch die strafe wird kommen. denn strafe kommt immer!

(›Die Drachenjungfrau von Krimml‹, nach einer alten Handschrift.

Szene am Kirchplatz)

Drachenjungfrau

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