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Zur Einführung Mitra und Mithras
ОглавлениеMitra, so nenne ich den persisch-hellenistischen Gott zur Unterscheidung vom Gott des römischen Mysterienkultes, ist eine alte Figur des indo-europäischen Götterpantheons, das man in Nordindien und im iranischen Bereich antrifft. Die frühesten Zeugnisse gehen ins 2. vorchristliche Jahrtausend zurück; die bislang älteste Erwähnung stammt von einer Tontafel aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert aus Boghaz-Köy in der heutigen Türkei, der einstigen Hauptstadt des Hethiterreiches: Hier wird in einem Vertrag Mitra als Garant einer Vereinbarung zwischen den Hethitern und einem Nachbarvolk angerufen. Aber Mitra ist nicht nur der Gott des Vertrages, der Gott eines Bundes, er ist die Personifikation des Vertrages; im Persischen bedeutet Mitra = ‚Vertrag‘.23
Besser informiert sind wir über den persischen Mitra. Für uns fassbare Anfänge einer Gleichsetzung dieses Gottes mit der Sonne liegen im 5. oder 4. vorchristlichen Jahrhundert.24 Damals muss der große Mitra-Hymnus gedichtet worden sein, der in der Sammlung des Yasht steht. Der Hymnus rühmt in schwungvollen Versen Mitra, „den Held mit zehntausend Speeren (= Augen), den Untrüglichen, der alles weiß“ (10, 27). Weiße Rosse ziehen seinen Wagen mit einem goldenen Rad (10, 136) – ein klares Bild des Sonnenwagens. Mitra war demnach der Sonnengott, der alles sieht. Und es heißt weiter, dass der Gott morgens die vielen Erscheinungen hervorbringt, sobald er seinen Leib leuchten lässt (10, 142). Im Videvdat (19, 28–29), geschrieben von einem medischen Magier im Zeitalter des Hellenismus, heißt es: „Dann sprach Ahura Mazda: ‚Nachdem ein Mensch gestorben ist, nachdem ein Mensch zu einem Ende gekommen ist, nachdem die Dämonen, die Anhänger der Lüge, die Bösartigen, ihn vollständig aufgeteilt haben, dann erscheint am dritten Tag nach dem Tod mit der Morgenröte die strahlende Göttin und leuchtet, und Mitra erhebt sich, dessen Waffen gut sind, leuchtend wie die Sonne, und ersteigt die Berge.‘“ Im dualistischen System Zoroasters ist Mitra das heilkräftige Licht, das stets im Kampf mit der Finsternis liegt, ist es Mitra, der die bösen Geister bekämpft und in die Flucht schlägt; hier erinnert manches an den Beinamen des späteren römischen Mithras: Invictus, „der Unbesiegte“. In diesen Texten lernen wir Mitra kennen, der mit der Sonne identifiziert wird. Dabei werden wir an das Zeugnis Strabos erinnert (15, 3, 13), dass die Perser die Sonne, im Griechischen ῞Ηλιος, Mitra nennen.
Mitra war der Gott des Eides, er schützte den Eid. Er war ein Gott der Treue, der Verträge, der Loyalität. Plutarch berichtet in einer Anekdote, wie der Perserkönig einen seiner Diener daran erinnerte, dass dieser sich durch Handschlag und Eid bei Mitra zur Treue verpflichtet habe: „Sage mir (die Wahrheit)! In Ehrfurcht vor dem großen Licht des Mitra und der königlichen Rechten“ (Alexander 30, 8). Noch am Ende des 4. nachchristlichen Jahrhunderts wurde Mitra, der Sonnengott, bei den Persern als Schwurzeuge angerufen. Der römische Kaiser Theodosius schickte 383 den damals noch jungen Stilicho an den Hof des Perserkönigs, um dort einen Vertrag abzuschließen. Die Zeremonie beschreibt der Dichter Claudian (de consulatu Stilichonis 1, 58–63): Man brachte zunächst auf den Altären ein Weihrauchopfer dar, holte aus dem Innern des Tempels das heilige Feuer, und dann opferten die Magier junge Stiere. Der Perserkönig selbst spendete mit der Rechten aus schimmernder Schale und rief als Eideszeugen Baal mit seinen Geheimnissen an und Mitra, der als Sonne die Planetenbahnen bestimmt.
Nach der Zerstörung des persischen Achaimenidenreiches durch Alexander und die Diadochen behielt der Mitra-Kult in einigen hellenistischen Nachfolgestaaten, die sich auf dem Boden der heutigen Türkei befinden, seine Bedeutung.25 In dem an der Nordküste Kleinasiens gelegenen Königreich Pontos haben sechs Könige mit dem Namen Mitradates regiert, Herrscher also, die sich als ‚Gabe des Mitra‘ bezeichneten. Ihr letzter war zugleich der berühmteste: Mitridates Eupator (120–63 v. Chr.), der bedeutende Gegenspieler der Römer.
Während der Kaiserzeit hat die Stadt Trapezunt Münzen mit Darstellungen des römischen Mithras herausgegeben, der als der traditionelle Gott der Stadt galt.26
Auch in Kilikien prägte die Metropolis Tarsos in der Mitte des 3. Jahrhunderts der Kaiserzeit Münzen mit dem kanonischen Motiv der Tötung des Stieres durch Mithras (CIMRM 27; Abb. 1). Diese Darstellung des Gottes weicht von derjenigen in den Mithräen ab; der Gott trägt hier eine Strahlenkrone und ist bis auf einen Schurz nackt. Plutarch berichtet über diese Region, dass die aus der Gegend stammenden berühmten kilikischen Seeräuber als erste geheime Mitra-Zeremonien eingeführt hätten (Pompeius 24, 5); dies mag sein, doch beweist es für die Entstehung des römischen Mysterien-Kultes nichts.
Abb. 1: Münze des Kaisers Gordian III. (238–244). Mithras als Stiertöter
Aus Kappadokien sind bislang lediglich zwei Inschriften bekannt geworden, die den Gott Mitra preisen; in diesem Zusammenhang ist auch von persischen Magiern die Rede (CIMRM 19). Die wichtige Stellung des Mitra in Armenien wird allein daran sichtbar, dass der armenische Begriff für Tempel wörtlich übertragen ‚Mitratempel‘ bedeutet. Noch im 4. nachchristlichen Jahrhundert gab es hier Heiligtümer für diesen Gott. Seine Bedeutung verrät auch jene Szene, die der Historiker Cassius Dio überliefert hat.27 Er schildert die Belehnung des Tiridates mit dem Königreich Armenien durch den römischen Kaiser Nero (54–68). Während dieser Zeremonie spricht Tiridates vor Nero kniend: „Mein Herr! Ich … bin dein Knecht; ich kam zu dir als meinem Gott, um dich ebenso anzubeten wie den Mitra.“
Wie in dem Königreich Pontos gab es auch in Kommagene Regenten mit dem Namen Mitradates. Hier sei ferner an die Identifikation des Mitra mit dem griechischen Sonnengott erinnert, für welche die Zeugnisse des Antiochos I. von Kommagene auf dem höchsten Berg des Landes, dem 2000 m hohen Nemrud Dagh, den locus classicus darstellen. Es handelt sich um jene Grab- und Kultanlage, die der christliche Theologe und Dichter Gregor von Nazianz gegen Ende des 4. nachchristlichen Jahrhunderts mit lokalpatriotischem Stolz als das achte Weltwunder bezeichnete (Anthologia Palatina 8, 177). Antiochos regierte von 70 bis 35 v. Chr., sein Vater und später auch sein Sohn führten den Namen Mitradates.
Antiochos I. hat innerhalb des kommagenischen Götterpantheons, das die Inschriften aufführt und die Plastiken und Reliefs zeigt, der Figur des Mitra besondere Verehrung eingeräumt. Mitra ist der einzige dieser Götter, der einen eigenen Priester erhält.28 Der König führt den Titel ‚gerechter Gott‘, der Beiname ist auch für Mitra bezeugt. Antiochos I. feierte seinen Geburtstag als regelmäßigen Festtag am 16. jedes Monats, an jenem Tag der Monatsmitte, der Mitra gewidmet war. Wenn feststünde, dass Antiochos tatsächlich an einem 16. geboren wurde, wäre dies ein zufälliges Zusammentreffen. Aber es dürfte wahrscheinlicher sein, dass das Datum für die Feier des Königsgeburtstages mit Blick auf Mitra festgelegt wurde. Unter den sogenannten Dexiosis-Szenen, Reliefs, die den Herrscher im Handschlag mit jeweils einem Gott zeigen, ist auch eine mit Mitra erhalten (Abb. 2). Dabei trägt Mitra, rechts mit dem Strahlenkranz, die Kleidung, wie sie sonst nur Mitgliedern des Herrscherhauses in Kommagene zukommt, was bei keinem der anderen Götter zu beobachten ist. Die sich dahinter verbergende Vorstellung war in persischer Zeit längst vorbereitet gewesen. Mitra war der Gott der iranischen Könige, ein Gott der Herrscher sowie der ihnen ergebenen Gefolgsleute.29 Aber in allen Darstellungen in Kommagene ist es nicht Mitra allein, der dort gezeigt wird, sondern eine synkretistische Vereinigung von mehreren Gottheiten, deren Namen in wechselnder Reihenfolge in den Inschriften genannt werden, von denen diejenige in Nemrud Dagh lautet: Apollo – Mitra – Helios.30 Die Verbindung von Mitra mit Apollo und Helios ist evident: Alle sind sie solare Gottheiten.
Abb. 2: Mithras (rechts) und Antiochus I. von Kommagene (70–35 v. Chr.) im Handschlag
Es geht bei dieser knappen Darlegung nicht, dies sei ausdrücklich betont, um den Nachweis direkter Übernahme solcher Vorstellungen in den römischen Mysterienkult. Vielmehr ist eine direkte Kontinuität von persisch-hellenistischem Mitra-Kult zu den römischen Mithras-Mysterien sowohl generell wie in einzelnen Details nicht zu beweisen. Die häufig durchgeführten Untersuchungen, die den Mithras-Kult vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert verfolgen, taugen lediglich dazu, uns über die relative Stabilität beziehungsweise Flexibilität religiöser Vorstellungen im Allgemeinen zu informieren, und sind ungeeignet, Erscheinungsformen des römischen Mithras aus denjenigen des persischen Mitra zu erklären.31
Weil solche Kontinuitätslinien nicht zu beweisen sind, hat es auch keinen Sinn, die geringe Verbreitung der Mithras-Mysterien im griechischen Raum, sowohl im Mutterland wie in Kleinasien, mit anti-persischen Ressentiments zu erklären, die sich gegen einen angeblich ‚persischen‘ Kult wandten.32 Es gab solche Vorurteile nicht, wie uns zwei Beispiele lehren können. In Dura-Europos (Syrien) sicherten Truppen das Römische Reich gegen die Bedrohung durch die Neuperser, die Sasaniden. Die Soldaten sahen keinerlei Probleme, sich in den Mithras-Kult einweihen zu lassen. Zweifellos gab es anti-persische Ressentiments, wie sie etwa in der Gesetzgebung Diokletians gegen die Manichäer deutlich wurden. Nachdem der Kaiser im Jahre 297 persönlich eine Revolte in Ägypten niedergeschlagen hatte, publizierte er dort ein Edikt gegen den Manichäismus, die er als Sekte ausgehend von „den uns feindlichen Persern“ brandmarkte (Codex Gregorianus 14, 4, 4–7). Es war aber eben jener Diokletian, der wenig später dem Mithras einen Altar weihen und ihn als „Schutzgott des Reiches“ bezeichnen sollte (S. 32). Er opferte einem römischen Gott.
Es macht auch aus einem anderen Grund wenig Sinn, die Mithras-Mysterien als eine Etappe auf dem Weg von einem Irgendwoher zu einem Irgendwohin zu sehen. Weder ihre Herleitung aus persischen Kultvorstellungen,33 noch ihre Interpretation als Vorstufe des Christentums 34 sind folgerichtig. Beides verkennt das Schöpferische der einmaligen Leistung und den Eigenwert dieses Mysterienkultes auf dem Hintergrund einer bestimmten historischen, spezifisch römischen Situation.
Der Mithras-Kult ist in Rom oder Ostia entstanden. Es mag dahingestellt bleiben, ob wir dabei von einem Erfinder ausgehen können, dem „unbekannten religiösen Genie“, wie ihn der Religionswissenschaftler Martin P. Nilsson35 bezeichnet hat; manches spricht allerdings für die Richtigkeit dieser Annahme. Alexander von Abonuteichos in Paphlagonia bewies im 2. Jahrhundert, wie leicht es war, mit einem neuen Orakel und einem völlig neuen Gott, wenn auch in Anlehnung an einen bereits bestehenden Kult, ganz von vorn zu beginnen. Selbstverständlich verbindet der Mithras-Kult Neues mit Altem; er ist mit hellenistisch-orientalischen Mysterienelementen angereichert worden, in ihn flossen astrologische Erkenntnisse ein sowie schließlich einige persische Namen und technische Begriffe, wie nama = „Heil! Zum Heil des …“. Als persisch-iranische Worte haben sie keine Bedeutung außerhalb des Kultes, was nicht besagt, dass die Mysterien-Angehörigen ihren ursprünglichen Sinn verstanden. Für die Gemeinschaft besaßen solche Formulierungen ihren Stellenwert innerhalb der Welt ihrer Mysterien, wobei sie gleichzeitig eine willkommene sprachliche Distanz zur äußeren Welt schufen. Es ist aber zuzugestehen, dass trotz zahlreicher Kongresse und Tagungen und einer fast unübersehbaren Flut von Aufsätzen die zentrale Frage der Entstehung des Mithras-Kultes umstritten bleibt.