Читать книгу Ramses der Große - Manfred Clauss - Страница 10
Der Kronprinz
ОглавлениеBei der Behandlung seiner Vorgänger, in deren Tradition Ramses sich stellte, ist im vorigen Abschnitt die wichtigste Person noch nicht zur Sprache gekommen: Ramses’ Vater, Sethos I. (1293–1279). Sethos I., der wie wiederum sein Vater eine militärische Karriere durchlaufen hatte, die ihn zum Festungskommandanten und zum Chef der Streitwagentruppe führte, trägt seinen Namen, wie sein Großvater, nach dem Gott Seth, dem Gott des Kampfes und der Stärke. Der Pharao fühlte sich als Begründer einer neuen Ära, einer „Wiederholung der Geburten (Schöpfung)“ – Amenemhet I. (1991–1962) hatte diesen Namen getragen. Sethos I. brachte damit zum Ausdruck, dass eine erloschene Familie ohne männlichen Erben nun von einer neuen, kraftvollen mit großer Zukunft abgelöst worden sei. Seine Frau gebar ihm wenigstens fünf Kinder; der zweite Sohn, Ramses, sollte sein Nachfolger werden.
Im Laufe seiner Regierung verschob Sethos I. das Verwaltungszentrum des Reiches weiter in das östliche Delta hinein. In der Nähe der längst untergegangenen Hyksos-Stadt Auaris errichtete der König eine Palastanlage. Doch nicht allein die Verlagerung des politischen Schwerpunktes knüpfte an die Zeiten der Hyksos und deren enge Kontakte zu Syrien-Palästina an. Auch der ehemals von den Hyksos verehrte Gott Seth, der zeitweise mit der Erinnerung an diese Könige verdrängt worden war, erfuhr eine wahre Renaissance. Schon als Kronprinz war Sethos Hohepriester dieser Gottheit gewesen, die in Auaris im Delta, der Heimat der Familie, verehrt wurde. Fortan gehörte Seth neben den Schöpfer- und Sonnengöttern Amun, Re und Ptah zu den großen Göttern Ägyptens. Dies kommt augenfällig darin zum Ausdruck, dass jetzt die vier Abteilungen des ägyptischen Heeres nach diesen benannt wurden.
Die angedeutete Orientierung an den Traditionen der Hyksos wurde bereits im ersten Regierungsjahr Sethos’ I. augenfällig, als er von der Grenzfestung im Osten des Deltas aus, die den römischen Namen Sile trägt, auf der alten Heerstraße nach Gasa marschierte. Dann besetzte er die in die Hände der Beduinen gefallenen Stützpunkte und kämpfte sich bis zum Libanon vor. Die Grenze des ägyptischen Reiches lag damals auf der Höhe von Tyros (Abb. 22, S. 80). Sethos I. dehnte die Feldzüge nach Syrien weiter aus und brachte den nördlichen Stützpunkt Qadesch am Orontes, der unter seinem Sohn eine zeitlose Berühmtheit erlangen sollte (S. 62), unter seine Kontrolle.
In dieser Zeit erwuchs den Ägyptern im Westen des Deltas ein neuer Gegner; libysche Stämme erschienen als Vorboten einer neuen Völkerbewegung – noch konnte Sethos I. sie zurückschlagen. Auch in Nubien kam es zu bewaffneten Konflikten; etwa in der Mitte zwischen der zweiten und dritten Stromschnelle gründete der König bei Amara eine große befestigte Stadt. Am Ende seiner Regierungszeit waren dann die außenpolitischen Probleme der Zeit Echnatons endgültig überwunden.
Da aber das Unrecht, das Echnaton und seine Anhänger nach Ansicht Sethos’ I. den Göttern des Landes zugefügt hatten, noch nicht völlig wiedergutgemacht war, sah der König hier eine Gelegenheit, sich weiter zu profilieren und das Land zu konsolidieren. Er begann mit der Restauration der beschädigten Inschriften und ließ in Abydos, der berühmten Heimstätte des Osiris, einen Tempel bauen, der es an Größe mit den prachtvollsten seiner Vorgänger aufnehmen konnte. Schon immer hatten die Pharaonen in Abydos eine rege Bautätigkeit entfaltet, aber niemand hat den Ort so geehrt wie Sethos I. Vielleicht steckte auch der Gedanke dahinter, Osiris, der bereits durch die einseitige Theologie Echnatons an Einfluss eingebüßt hatte, zu besänftigen. Nicht nur in Abydos sollte Ramses später das Bauprogramm seines Vaters fortführen (S. 156).
Bei der Neugründung oder Wiedereinweihung eines Tempels war mit der Beendigung der Bauarbeiten noch längst nicht alles getan. Priester der verschiedensten Stufen mussten ernannt und Personal zur Verrichtung der niederen Dienste wie der Instandhaltung und Lebensmittelversorgung eingestellt werden. Ferner waren die Ländereien auszusuchen, welche die für den Unterhalt erforderlichen Einkünfte erwirtschaften sollten. Zu diesem Zweck erging in der Regel ein königliches Dekret, in dem die Rechte der heiligen Stätte und ihres Personals festgelegt waren.
Über das Privileg, das Sethos I. seinem großen neuen Heiligtum in Abydos erteilte, gibt uns eine Inschrift Auskunft. Sie findet sich auf einem hohen Felsen bei Nauri, ein Stück nördlich des dritten Katarakts. In diesem Dekret folgen einem langen poetischen Vorspruch, der den Reichtum und die Schönheit des über 950 Kilometer entfernten Tempels preist, die jeweiligen Anweisungen an „den Wesir, die Beamten, die Hofbeamten, die Gerichtshöfe, den Königssohn von Kusch (Nubien), die Truppenhauptleute, die Oberaufseher des Goldes, die Bürgermeister (der Städte) und Oberhäupter der Dörfer Ober- und Unterägyptens, die Wagenlenker, die Stallmeister, die Standartenträger, einen jeden Vertreter des Königshauses und eine jede Person, die in einer Mission nach Kusch geschickt ist“.1 Sie hatten eine ganze Fülle von Bestimmungen zu beachten; die Privilegien der Tempelangehörigen waren etwa dann verletzt – um nur einige Beispiele zu nennen –, wenn sie persönlich festgenommen oder von einem Bezirk in einen anderen verbracht wurden, wenn man sie zum Pflügen oder Mähen abkommandierte, am Fischen oder Vogelfangen hinderte oder ihnen ihr Vieh wegnahm und so fort. Und jeder Beamte, der eine Verletzung dieser Vorschriften nicht verfolgte, war selbst streng zu bestrafen.
Ein weiteres Bauwerk dieses Pharaos verdient Erwähnung: sein Grab im Tal der Könige, die größte aller dort gebauten Anlagen (S. 39). In einem anderen abgelegenen Wüstental erhielt die Mutter Sethos’ I. ihr Felsengrab. Dieses „Tal der Königinnen“ wurde zum Begräbnisplatz für die Königinnen der Ramessiden-Zeit.
Sethos I. hatte zwei Töchter und einen Sohn, der, wie zu allen Zeiten üblich, seinerseits den Namen des Großvaters – Ramses – erhielt. Das genaue Geburtsjahr dieses Ramses, unseres Ramses, kennen wir nicht, können es aber wohl auf die Zeit zwischen 1305 und 1300 festlegen.2
Über Ramses’ Jugend wissen wir nichts, dürfen aber annehmen, dass zu seinem Ausbildungsprogramm die Kunst des Streitwagenfahrens und des Bogenschießens gehörte. Eine Stele aus der nubischen Festung Qubân berichtet von der erfolgreichen Ausschachtung eines Brunnens in seinem dritten Regierungsjahr (S. 59). Dort heißt es unter anderem, Ramses habe „gedient als Hauptmann des Heeres, als er ein Junge war in seinem zehnten Jahr“.3 Zusammen mit erfahrenen Offizieren hatte er das Land kennengelernt und Erfahrungen bei militärischen Unternehmungen sammeln können.
Für den Beginn seiner Herrschaft bildet eine recht umfangreiche Inschrift – sie nimmt im Tempel Sethos’ I. in Abydos eine ganze Wand ein – die Hauptquelle. Darin wird Ramses in hochtönenden Worten dafür gepriesen, dass er das Heiligtum seines Vaters vollendet habe. Auf bestimmte historische Ereignisse geht der Text nur am Rande ein; immerhin beschreibt ein wichtiger Abschnitt Ramses’ Ernennung zum Kronprinzen und seine Zeit als Mitregent:
„Der Herr der Welt (Sethos I.) selbst machte mich groß, als ich noch ein Kind war, bis ich Herrscher wurde. Er gab mir das Land, während ich in dem Ei war; die Großen berochen die Erde vor meinem Angesicht, als ich als der älteste Sohn zum Erbprinzen auf dem Thron eingesetzt wurde. Ich berichtete als Befehlshaber der Fußtruppe und der Wagentruppe. Wenn mein Vater in der Öffentlichkeit auftrat und ich noch ein Kind auf seinen Armen war, sagte er über mich: ‚Krönt ihn zum König, damit ich seine Schönheit sehe, solange ich mit ihm zusammen lebe!‘ Hofbeamte erschienen, um die Doppelkrone auf mein Haupt zu setzen. ‚Setzt ihm die Große (Uräus-Schlange) auf sein Haupt‘, sagte er über mich, während er auf Erden weilte.“4
Wir besitzen eine Statuengruppe, fast drei Meter hoch, die Ramses als Kind darstellt, wie er von dem riesigen Falkengott Hauron beschützt wird (Abb. 2). Das Gesicht des Gottes war möglicherweise beim Transport der Kolossalstatue beschädigt und aus lokalem Kalkstein ersetzt worden. Ramses ist als Kind der Darstellungstradition entsprechend nackt, er trägt die Knabenlocke, bei der das Haar auf der rechten Seite in einer Flechte zusammengefasst wird, und hält den Finger an den Mund. Seinen Kopf bedeckt eine Haube mit der Uräus und der Sonnenscheibe. Da Ramses in der linken Hand eine Papyrusbinse trägt, symbolisiert seine Statue in monumentaler Weise jene Hieroglyphen, aus denen sein Name gebildet wird: Ra (Sonnenscheibe) mes (Kind) su (Binse): Ra-mes-su.
Abb. 2: Ramses als Kind
So jung, wie es hier – traditioneller Topik jugendlicher Herrschaft verpflichtet – unterstellt wird, war Ramses allerdings bei seiner Inthronisation nicht mehr.5 Er schildert dieses Verfahren wohl deshalb sehr ausführlich, weil er offensichtlich nicht von Anfang an als Nachfolger vorgesehen war. 1295, als er höchstens zehn Jahre alt war, hatte sein Großvater Ramses I. den Thron bestiegen und Sethos zum Kronprinzen eingesetzt. Dieser Regelung entsprechend wurde Ramses’ Vater als Sethos I. 1293 König. Da Ramses zu dieser Zeit allenfalls knapp über zehn Jahre alt war, hat Sethos offenbar einen deutlich Älteren als Kronprinzen bestimmt, einen Offizier namens Mehi, über den wir allerdings außer dieser Tatsache kaum etwas wissen.6 Er ist in den Feldzugsdarstellungen Sethos’ I. an der nördlichen Außenmauer des Säulensaales von Karnak unmittelbar neben dem König dargestellt, an einem Platz, den stets der Kronprinz einnimmt. Mehi war „Truppenkommandant und Standartenträger“. Ferner erscheint sein Name in einigen Liebesliedern der Zeit im Vorgriff auf seine spätere Würde in einen Königsring eingeschlossen. Möglicherweise starb er, so dass Sethos I. seinen Sohn Ramses in die Rolle des Kronprinzen einsetzen konnte, als dieser im richtigen Alter war. Später ließ Ramses Mehis Bild durch sein eigenes ersetzen und seine Rolle als Kronprinz zeitlich vorverlegen, was allerdings auch der gängigen Königsideologie entsprach.
Der König ist dazu ausersehen, an der Seite des Sonnengottes das Geschick der Welt in Gang zu halten. Seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend kennt Ägypten die frühkindliche Erwählung des Königs durch die Gottheit; sie gehört zu seiner „vorgeburtlichen Grundausstattung“.7 Der ägyptische König ist nicht erst seit seinem Regierungsantritt mit göttlicher Autorität versehen, sondern schon immer.
Die Qubân-Stele (S. 59) verdeutlicht, wie weit man in der Erwählung des Königs zu gehen bereit war. Zu Beginn wird das Kind Ramses mit Re verglichen8:
„Du bist Re in allem, was du getan hast,
was dein Herz wünscht, das geschieht.
Wenn du in der Nacht einen Wunsch planst,
am Morgen bereits ist er verwirklicht.“
Anschließend wird die Erwählung des Herrschers in dessen früheste Anfänge verlegt:
Abb. 3: Ramses mit zwei Prinzen
„Du hast Pläne gemacht,
als du noch im Ei warst,
in deinem Amt eines kronprinzlichen Kindes.
Die Angelegenheiten der Beiden Ufer wurden dir erzählt,
als du noch ein Kind mit der Jugendlocke warst.
Kein Bauwerk wurde errichtet wenn nicht auf deinen Wink,
keine Entscheidung gefällt ohne dein Wissen.
Du warst ‚oberster Mund‘ der Armee,
als du ein Knabe von zehn Jahren warst.
Jede Arbeit, die ausgeführt wurde –
es war deine Hand,
die das Fundament legte.“
In alldem drückt sich der Glaube an die göttliche Herkunft des Herrschers aus.
Ramses tritt für uns als designierter Nachfolger erst ab dem neunten Regierungsjahr Sethos’ I., 1282, in Erscheinung; er dürfte damals um die zwanzig gewesen sein. Zu dieser Zeit zog der Kronprinz erstmals als Oberkommandierender aus, um einen kleineren Aufstand in Nubien niederzuschlagen. Bereits diesen Erfolg verewigte er auf einer Tempelwand: Er leitete den Angriff der Streitwagen persönlich und zwang so die – von seiner Warte so bezeichneten – Rebellen zur Aufgabe. Bei diesem Feldzug lernten zwei seiner Söhne, vier- und fünfjährig, ein militärisches Unternehmen kennen. Es waren die jeweils ersten Söhne seiner beiden Hauptgemahlinnen Nefertari und Isisnefret. Das Relief (Abb. 3) zeigt oben Amenherchopeschef und unten Chaemwese, jeweils in ihrem eigenen Streitwagen hinter Ramses, der die feindlichen Nubier niederreitet. Zur Sicherung der Kontinuität der Herrschaft war es nicht nur wichtig, dass Ramses als Kronprinz eingesetzt, sondern auch die nächste Generation gesichert war.9