Читать книгу Ramses der Große - Manfred Clauss - Страница 8
Vorbemerkungen
ОглавлениеVielen Darstellungen gilt Ramses II.1 (1279–1213) als „der Große“, ja als Ägyptens größter Pharao und folglich auch größter Feldherr. Ihn selbst würde dies zweifellos freuen, war dies doch genau das Ziel seiner unermüdlichen Selbstdarstellungen, seiner Bilder und seiner Texte, die er wie kein anderer Herrscher vor oder nach ihm über das Land verteilte. Nach der Schlacht von Qadesch, deren Ausgang von Ramses als Sieg dargestellt wurde, hat er zwar praktisch keinen Feldzug mehr persönlich geführt, aber nie aufgehört, sich als Krieger herauszustellen. Sein Erbe besteht vor allem in den zahllosen Bauten, die er in ganz Ägypten hinterlassen hat.
Wenn für die Geschichte einer Region die Biographie als Mittel der historischen Darstellung Bedeutung hat, dann für Ägypten. Wie wohl in keinem anderen antiken Staat ist alles auf eine Person zugespitzt, den Pharao. Dabei stand aber weder seine Rolle als Krieger, Verwalter oder Bauherr im Zentrum – es waren die kultischen Funktionen, die für das Land und die Gesellschaft die größte Bedeutung besaßen. Der Pharao war der Vermittler zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt, er führte die Opfer für die Götter durch, seine erste und wichtigste Funktion war diejenige eines Priesters. Eigentlich war er der einzige Priester seines Landes, alle anderen leiteten ihre Befugnisse aus den seinen ab.
Die Zeugnisse für diese Rolle des Pharaos füllen Bände; Kenneth A. Kitchen hat sie zusammengestellt.2 Doch so umfangreich das Quellenmaterial aus der langen Regierungszeit des Herrschers ist, so einseitig ist es auch. Weder die Inschriften, die Ramses nahezu überall hinterlassen hat, noch die diplomatische Korrespondenz geben etwas über seine Persönlichkeit preis. Dies ist allerdings bei kaum einem Menschen der Vormoderne der Fall, ja ich würde es sogar generell für nahezu unmöglich halten, sich einer Person oder gar ihrem Charakter im Nachhinein anzunähern. Selbst Briefe und Memoiren projizieren letzten Endes ebenso ein Selbstbildnis wie alle öffentlichen Verlautbarungen. Derartige ins Private gehende Zeugnisse haben wir von Ramses nicht. Für einen Herrscher wie den ägyptischen König kommt hinzu, dass wir keinerlei reflektierte zeitgenössische Darstellungen über ihn besitzen. Alle Inschriften und sämtliche Bildnisse sind in hohem Maße durchstrukturiert, fußen weitgehend auf uralten Traditionen und haben nur ein Ziel: den Pharao zu verherrlichen. Überliefert sind uns die offiziellen königlichen Monumente und Dokumente, in denen für Alltägliches kein Raum war.
Alles Persönliche bleibt außen vor. Ramses’ Denken und Fühlen, seine Ängste und Befürchtungen, seine Liebe und sein Hass, seine Wünsche und Pläne sind uns unbekannt – ja es ist schon Spekulation, ob er derartige Kategorien überhaupt kannte. Wichtige Aspekte seines Lebens und Wirkens sind aufgrund der besonderen Quellenlage nicht zu erfassen: Werke antiker Historiker wie eines Thukydides, Tacitus oder Sueton haben wir über Ramses nicht. Selbstzeugnisse wie bei dem spätantiken Kaiser Julian, der mehr von sich preisgegeben hat als jeder andere römische Herrscher, liegen nicht vor. Etwaige Entwicklungen im Lebensweg, Sackgassen oder Umkehrungen, wenn es sie überhaupt bei jemandem gab, der seit seiner Geburt zum Herrn der Welt bestimmt war – wir kennen sie nicht.
Will man Ramses’ Leben beschreiben, kann man also nur seinen eigenen Zeugnissen und damit dem Bild folgen, das er selbst von sich zu Lebzeiten entworfen hat. Gelegentlich versuchen Darstellungen dem zu entkommen, indem sie allgemeine Betrachtungen zu Religion, den ägyptischen Institutionen, zu Kunst und Literatur oder zum Alltag bieten.3 Dies werde ich äußerst knapp halten und stattdessen dem Weg folgen, den Ramses selbst vorgegeben hat.
So steht in diesem Buch die Gestalt des Pharaos ganz im Mittelpunkt. Anhand einer Liste, die Ramses im Tempel von Abydos einmeißeln ließ, werden seine Vorgänger vorgestellt, um damit in die Geschichte des Neuen Reiches seit etwa 1550 bis auf Ramses einzuführen (S. 17–26). Dann gehe ich kurz auf seine Zeit als Kronprinz ein (S. 27–33). Die Aufgaben eines Königs, die Ramses wie zahlreiche Herrscher vor und nach ihm zu erfüllen hatte, beschreibt er selbst im sogenannten Dekret des Schöpfergottes Ptah-Tatenen (S. 35–48). Seine wichtigste Aufgabe war, wie bereits betont, diejenige des Priesters, der, selbst ein Gott, Ägypten und seine Menschen gegenüber den Göttern vertrat (S. 49–52). Die insgesamt 67 Regierungsjahre schildere ich in annalistischer Form, auch wenn nicht für alle Jahre konkrete Ereignisse bekannt sind (S. 53–122). Herausragende Geschehnisse wie die Schlacht bei Qadesch 1275, das Friedensabkommen mit den Hethitern 1259, das erste Erneuerungsfest 1250 oder Ramses’ Heirat mit einer hethitischen Prinzessin 1246 werden ausführlich behandelt. Mit der Formel „Der Pharao lebe, sei heil und gesund!“, die in ägyptischen Texten den Namen des Herrschers begleitet, werden dagegen jene Jahre gekennzeichnet, aus denen uns keine historischen Ereignisse bekannt sind.
Dem chronologischen Abriss folgt ein Kapitel über jene Personen, die zu Ramses’ nächster Umgebung gehörten (S. 123–154): seine „Großen Königlichen Gemahlinnen“, seine Kinder, vor allem seine Söhne, und die höchsten Reichsbeamten und Priester. Bis heute geblieben sind von Ramses vor allem seine über ganz Ägypten verteilten Bauten (S. 155–181). Wenig ist von seiner einstigen Hauptstadt Piramesse erhalten, aber umso mehr von seinen Tempeln in Karnak, Luxor, Abu Simbel, Abydos sowie von seinem Totentempel, dem Ramesseum. Ramses hatte als Pharao in Ägypten niemand, den man ihm, was die Länge der Herrschaft und die daraus resultierenden gewaltigen Bauleistungen betrifft, an die Seite hätte stellen können. So wage ich den Vergleich mit Augustus, dem ersten römischen Kaiser, der in vielem unserem Pharao ähnlich war.
Das Land
Er ist einer der längsten Ströme der Erde und einer der ältesten Wasserwege der Menschheit, und er zählt zu den fruchtbarsten Flüssen überhaupt: der Nil. In jedem Frühjahr zur gleichen Zeit beginnt mit wunderbarer Regelmäßigkeit ein beeindruckendes Schauspiel: die Nilflut. In Khartoum, der heutigen Hauptstadt des Sudan, trifft der „Blaue Nil“ aus dem abessinischen Hochland mit der dreifachen Wassermenge auf den „Weißen Nil“, der im Innersten des afrikanischen Kontinents entspringt. Hier vereinen sich die beiden Arme und fließen als ein einziger gewaltiger Strom gegen Ägypten.
Dieser Strom ist Ägypten, oder um mit Herodot zu sprechen: Ägypten ist ein Geschenk des Nil.4 Der Nil erreicht nach seiner Vereinigung die Landschaft Nubien, das altägyptische Kusch. Seine Wasser graben ein tiefes Bett in den nubischen Sandstein, doch wo sie auf Granit treffen, können sie sich nicht in den Fels einschneiden, so dass sie in Stromschnellen darüber hinwegfließen müssen. Sechs solcher Katarakte erschweren den Lauf. Man zählt sie – der Erschließung des Niltales durch den Menschen folgend – von Assuan an stromaufwärts. Zwischen dem fünften und sechsten Katarakt, 300 Kilometer nördlich von Khartoum, liegt die Mündung des Atbara. Von hier ab, auf einer Strecke von 2.700 Kilometern, gibt es bis zum Mittelmeer keine Zuflüsse – und so gut wie keinen Regen, kein „Wasser des Himmels“ – mehr.
Hat der Nil dann die Sahara, den größten Wüstengürtel der Erde, in ihrem Ostflügel durchquert, mehren sich an den Ufern die Zeugnisse ehemaliger ägyptischer Herrschaft. Unterhalb des vierten Katarakts, an strategisch wichtiger Stelle, lag Napata (Karte S. 10). Reste alter Tempel, einzelne Säulen mit ägyptischen Kapitellen, Statuen ägyptischer Götter und Könige sowie Hieroglyphen erinnern daran, dass der König Thutmosis III. um 1450 seine Herrschaft bis hierher ausdehnte (S. 22). Nubische Sklaven holten für die ägyptischen Könige – insbesondere des Neuen Reiches – Gold aus den Bergen, und lange Zeit beruhte die Macht der Pharaonen zu einem beträchtlichen Teil auf den Minen dieses Landes.
Schon seit jeher gilt der Besitz von Gold als gleichbedeutend mit Reichtum, und darin übertraf Ägypten alle seine Nachbarn bei weitem. Die östliche Wüste war an diesem kostbaren Material so reich, dass man es jahrhundertelang nicht nötig hatte, südlich von Koptos danach zu suchen. Erst als die dortigen Vorkommen allmählich erschöpft waren oder die Erzgewinnung zu schwierig wurde, legte man in Nubien neue Bergwerke an. Das unwegbare Land zwischen dem dritten und zweiten Katarakt ist unbesiedelt und ohne Verkehrswege. Allmählich nähert sich der Nil nun der heutigen ägyptischen Grenze. Auch im Altertum fand ungefähr hier die Herrschaft Ägyptens ihr Ende: Der Pharao Sesostris III. (1878–1841) legte in dieser Gegend Festungen an.
Bis zum Bau des Assuan-Staudamms im Jahre 1971 wiederholte sich zur Zeit der Nilschwemme das immer gleiche Phänomen: Ewigblauer Himmel, kein Regentropfen fiel nieder, und dennoch stieg der Pegel mehr und mehr. Alljährlich warteten die Bewohner des 1.100 Kilometer langen schmalen Niltales voller Sehnsucht auf das Eintreffen der Fluten; denn sie bedeuteten Nahrung und Leben für Mensch, Tier und Pflanze – ohne sie wäre das Tal dem Tod geweiht gewesen. Die Verehrung für den Fluss steigerte sich bis zur religiösen Ekstase; er wurde zu einem heiligen, Segen spendenden höheren Wesen, das den Ägyptern die fruchtbare dunkle Erde brachte, nach der sie ihre Heimat benannten: Kemet, das schwarze Land. Hiervon unterscheiden sich sowohl die Wüstengebiete, deren goldgelbe Sanddünen teilweise bis dicht an das Nilufer heranreichen, als auch die ockerfarbenen und rötlichen Hügelketten auf beiden Seiten des Stromes: das rote Land. Noch heute heißt das Meer, das an das Rotland grenzt, Rotes Meer.
Das Kernland des alten Ägypten umfasste ungefähr dasselbe Gebiet wie das heutige: Auf einer Fläche von beinahe einer Million Quadratkilometern, von denen nur rund 3,5 % bewohnt und landwirtschaftlich nutzbar sind, erstreckt es sich über mehr als siebeneinhalb Breitengrade und ist von alters her in zwei Hälften aufgeteilt: Unterägypten (das 24.000 Quadratkilometer große fruchtbare Marschland des Nildeltas vom heutigen Kairo bis zur Meeresküste) und Oberägypten (das Niltal von Kairo bis Assuan). Im Norden stößt Ägypten ans Mittelmeer, im Osten an das Rote Meer, und im Süden liegt die Grenze auf der Höhe des ersten Katarakts. Im Westen dagegen gibt es – wegen der endlosen unbewohnbaren Wüstenregionen – keine natürlich vorgegebene Trennungslinie zum benachbarten Libyen. Auch hier prägte die Landschaft Grundvorstellungen des altägyptischen Denkens: Die Idee vom Totenreich im Westen hat ihren Ursprung nicht nur in der Analogie zum Untergangspunkt der Sonne, sondern sie findet ihre sinnfällige Bestätigung in der westlichen Wüste mit all ihren Schrecken, die den Ägyptern ein Bild des Unbekannten, Unbegrenzten, gleichsam Chaotischen darbot.
Die Chronologie
Die Chronologie ist nach einem Bonmot des Alttestamentlers Julius Wellhausen „die Grammatik der Geschichte“.5 Eine wichtige Quelle zur Bestimmung der Herrschaftszeiten der ägyptischen Könige stellt der sogenannte Turiner Königspapyrus dar, der aus Ramses’ Zeit stammt, denn mit diesem Herrscher endet die Liste. Es handelt sich dabei um das einzige überlieferte Exemplar einer offiziellen Herrscherliste; es befindet sich heute in Turin. Der Papyrus weist zwar große Lücken auf, aber es ist doch so viel erhalten, dass seine Gesamtanordnung klar ist. Der Verfasser hat die ägyptischen Könige von dem mythischen Herrscher Menes bis auf Ramses zusammengestellt, mit der Angabe der Summe von Jahren, ja sogar von Monaten und Tagen, die jeder Einzelne regiert hat. Darüber hinaus sind die Herrscher zu Gruppen vereinigt, und auch die Gesamtregierungsdauer jeder Gruppe wird zusammengezählt. Diese Gruppen werden später noch von dem ägyptischen Geschichtsschreiber Manetho im 3. Jahrhundert6 in seiner Geschichte Ägyptens verwendet und entsprechen dem, was wir als Dynastien bezeichnen. Der Turiner Königspapyrus gliedert Geschichte also in einen Ablauf von Dynastien.
Nun gilt es, die Angaben dieser und anderer Listen an unsere heutige Chronologie anzuschließen. Was die Datierung der Regierungszeiten der ägyptischen Könige angeht, so ist man in der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum immer mehr bereit, sich dem Ansatz von Jürgen v. Beckerath anzuschließen. Ihm zufolge regierte Ramses von 1279 bis 1213. Wichtig für die Bestimmung von Ramses’ Regierungsantritt ist eine Notiz aus dem Tagebuch eines Nilschiffers, in dem der 27. Tag des 6. Monats des 52. Jahres des Pharaos als Neumond bezeichnet ist. Astronomisch kommen für ein solches Ereignis im 13. Jahrhundert nur drei Jahre in Frage, was den Regierungsantritt Ramses’ auf 1304, 1290 oder 1279 festlegt;7 aus anderen Angaben ergibt sich das Jahr 1279. Das Tagesdatum seiner Thronbesteigung ist bekannt, weil dieser Tag später immer wieder gefeiert wurde. Es war der 27. Tag des 11. Monats, was unserem 31. Mai 1279 entspricht.
Namen und Schreibweisen
Eine Bemerkung zum Gebrauch der Bezeichnung ‚Pharao‘: Seit der Zeit Thutmosis’ III. (1479–1425) übertrug man den Begriff für den Palast des Königs, per-aa, „Großes Haus“, auf den Herrscher selbst; so sprechen auch wir heute beispielsweise vom „Weißen Haus“ oder vom „Kreml“. Das ägyptische Wort ist über das Hebräische in die griechische Übersetzung des Alten Testaments gelangt: Pharao. Als Titel, der vor dem Namen des Königs steht, lässt sich „Pharao“ erst seit König Siamun (978–960), dem vorletzten Herrscher der 21. Dynastie, belegen; seine Übertragung auf einen früheren König wie Ramses ist daher zwar anachronistisch, hat sich aber eingebürgert und erlaubt eine größere sprachliche Vielfalt.
Eine zweite Vorbemerkung gilt der Schreibweise: Bereits in den 1920er Jahren hatte sich der englische Ägyptologe J. B. Hurry einmal die Mühe – oder besser gesagt: den Spaß – gemacht, alle voneinander abweichenden Wiedergaben des Namens Ij-m-htp, Imhoteps, des Baumeisters des Königs Djoser (2624–2605), zu zählen, die sich im modernen Schrifttum finden: Er kam auf 34 verschiedene Variationen.8 Und um die Verwirrung komplett zu machen: Einige Namen ägyptischer Könige sind von griechischen Schriftstellern in anderer Form überliefert. Amenhotep beispielsweise heißt dort Amenophis, und so schreibe ich es auch, darin dem „Lexikon der Ägyptologie“ folgend.9