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Vorwort Lasset die Kinder zu mir kommen …1
Оглавление›Im Dunkeln saß verlassen ein Kind und weinte hinaus in Nacht und Wind. Und streckte empor die zitternde Hand, das blaue Auge gen Himmel gewandt.‹ Derart beklemmend beschrieb der deutsche Dramatiker und Schriftsteller Christian Friedrich Hebbel (1813–1863) in einem seiner Gedichte zum Thema ›Das Kind‹ jenes, das verzweifelt nach der ausgebliebenen Liebe und Geborgenheit der verblichenen Mutter fleht. Wie tief muss eine zarte Kinderseele in ähnlicher Weise verletzt worden sein, wenn sie sich körperlich malträtiert und voller Scham wegen eines von einer anderen Person ihr zugefügten Sexualgewaltaktes hilflos und allein gelassen fühlt? Aber nicht nur dies: Kinderschändung hat fatale Folgen für die Entwicklung und die weitere Existenz des Opfers. Medizinredakteurin Christiane Fux 2 beschreibt in einem Fachbericht umfassend die dadurch verursachten emotionalen, psychischen und körperlichen Folgen, die letztlich zu pathologischen Angstzuständen, Wachstums-, sozialen und geistigen Entwicklungsmängeln, zutiefst gestörten Beziehungen einer ebensolchen und Sexualität und nicht zuletzt zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen führen.
Zu diesem an sich schon bangen Sachverhalt gesellt sich die bohrende Frage der Ethik: Wie kann es sein, dass sich die Gattung Mensch derart brutal und gnadenlos an ihrer – zum Teil sogar eigenen! – Nachkommenschaft vergeht? Wo liegen die Ursachen für ein derart übles Fehlverhalten? Etwa in zügellosen Machtgelüsten von durch Minderwertigkeitsgefühlen Belasteten, in einem ungehemmten Sexualtrieb oder in grenzenlosen, von wem auch immer verursachten Rachegefühlen, die an Wehrlosen geahndet werden sollen? Zahlreiche Thesen und Lehrmeinungen finden wir in Literatur, Medienberichten und wissenschaftlichen Abhandlungen, die dieser kaum an Widerlichkeit zu übertreffenden Irrung unserer Gesellschaft anhaften.
Bigott ist, dass nach den Folgezeiten der griechischen Antike, während der institutionalisierte Knaben- und Mädchenliebe gang und gäbe war, ein solches Geschlechtsfehlverhalten von Erwachsenen gegenüber Minderjährigen und Schutzbefohlenen zwar allgemein bekannt war, in der Öffentlichkeit jedoch beflissentlich totgeschwiegen wurde, war es doch ein ›unanständiges‹ Thema, das, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand Erwähnung fand – denn »darüber spricht man nicht!«. Heute hingegen übertreffen sich Tageszeitungen und Boulevardpresse, aber nicht nur diese, in ihrer Berichterstattung über aktuelle Fälle von Sexualschändung Minderjähriger, über aufgeflogene Ringe von Kinderpornodealern, aber auch endlich und ausführlich über die üblen Praktiken, die von zölibatären, vermeintlichen ›Hirten‹, aber dergleichen von verehelichten Kirchenpriestern aller Ränge seit ehedem an ihren ›Schäflein‹ hemmungslos – und leider zumeist ungeahndet – begangen wurden.
Dennoch bleibt zunächst einmal grundsätzlich festzuhalten, dass jene unsittlichen Taten, die an Kindern verübt und im heutigen Sprachgebrauch mit der leidigen Bezeichnung ›Kindesmissbrauch‹3 benannt werden, keineswegs mit Pädophilie gleichzusetzen sind.4 Viele Journalisten setzen fälschlicherweise in ihrer Berichterstattung Pädophilie mit Vergewaltigung von Minderjährigen gleich: ein Irrtum, der fatale Folgen haben kann. Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei dem Begriff ›Pädophilie‹ – gegenwärtig bevorzugen Fachleute anstatt diesem die angemessenere Bezeichnung ›Pädosexualität‹ – um das betonte sexuelle Interesse eines oder einer Erwachsenen an Kindern vor deren Pubertät. Medizinisch wird es eher als eine psychische Störung der Sexualpräferenz diagnostiziert. Diese Erscheinung wird von Sexualpsychologen und Medizinern als Schicksal beurteilt, nicht als freie Wahl.5 Die Wissenschaft weiß bisher nicht, woher eine solche Sexualpräferenz kommt und was sie verursacht. Sie ereilt die Betroffenen wie jede andere Vorliebe auch, nur kann man diese nicht ändern. Bestenfalls können die Betroffenen lernen, sie zu zügeln und mit ihr umzugehen. Nur gezielte psychiatrische Behandlung kann jenen von dieser Neigung betroffenen Personen dazu verhelfen, ihre folgewidrige Pädosexualpräferenz beherrschbar zu machen.
Bedauerlicherweise verschließt sich manchem Pädosexuellen diese wichtige Erkenntnis – zumeist aus Unwissenheit, unterdrückter Scham oder Schuldgefühlen – und verführt diesen sogar zu kriminellen Handlungen wie beispielsweise der Generierung, Verbreitung und dem Dealen von kinderpornografischen Fotos, Videos und Schriften. Unter diese Tätergruppe fallen jene üblen Subjekte, die unschuldige Kinder in ihrer desolaten Nacktheit benutzen, um Aktfotos oder Videos ins Netz zu stellen. Damit beabsichtigen sie entweder Profit zu machen, Gleichgesinnte zu beglücken, indem sie deren niedere Instinkte befriedigen, oder sogar beides. Hierfür bietet ihnen leider das Internet unbegrenzte Möglichkeiten, verbreitet es doch sekundenschnell und grenzenlos ungehemmt jede noch so abstruse Information ebenso wie jedes unsittliche Angebot in alle Winkel des Globus.
Erst seit dem Jahr 2015 reagiert der deutsche Gesetzgeber mit mehr Strenge, indem er zunehmend die Gesetze und Befugnisse zur erweiterten Netzüberwachung durch speziell geschulte IT-Ermittler bei Bundes- und Länderkriminalamt verschärft. Neben der Aufdeckung von Dealern kinderpornografischer Werke und Konsorten sollten Kinder vor den Betreibern zunehmender Cyber-Grooming-Net-Adressen besser geschützt werden. Hierbei handelt es sich um anfänglich harmlos erscheinende Chat-Sites, mit denen sich bösartige und meist als Jugendliche getarnte Erwachsene das Vertrauen von Minderjährigen erschleichen, um sie später mit den unredlich ergatterten Informationen unter Druck zu setzen, zu mobben und zu erpressen. Infamer geht’s wohl nicht!
Inzwischen gilt allerdings als klinisch erwiesen, dass der überwiegende Anteil von Kinderschändern nicht ›pädophil‹ ist, und ebenso, dass kein anerkannter Pädosexueller unbedingt ein derart möglicher Täter ist. Für das abartige Geschlechtsagieren von Menschen, die, wie auch immer, Kinder lediglich als Sexualobjekte benutzen, ohne unbedingt einer pädosexuellen Neigung zu unterliegen – oder ebenso die oben beschriebenen unflätigen Aktivitäten im Netz betreiben –, wäre deswegen die Bezeichnung ›pädokriminell‹ eher angebracht.
Zusammenfassend bleibt uns daher lediglich die bittere Erkenntnis, dass unsere Welt wegen dieser schändlichen menschlichen Defizite kein Garten Eden ist. Wieder habe ich ein solch schauriges Leitmotiv für diesen Roman gewählt, erscheint es mir doch unerträglich brisant: Wie zuletzt die schier unglaubliche und für Behörden und Jugendamt unverzeihliche Tatenreihe von Lügde, Münster und Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen häufen sich notorisch die pädokriminellen Skandale, die ans Licht kommen und unsere Gesellschaft zunehmend belasten. Dennoch sind wie in den vorangegangenen acht Nili-Masal-Ermittlungsfolgen auch die nachstehend geschilderten Geschehnisse sowie sämtliche darin vorkommende Namen und Positionen rein fiktiv und von mir frei erfunden. Eine etwaige Übereinstimmung mit real existierenden Personen, deren Berufen und Dienstgraden oder den geschilderten Begebenheiten wäre rein zufällig.
Manfred Eisner, im Winter 2020/21