Читать книгу Im Januar trug Natasha Rot - Manfred Eisner - Страница 8
2. Spurensuche
Оглавление„Hat jemand irgendeine Ahnung, wo Thomas steckt?“ Heinz Westphal posaunt die Frage in das Großraumbüro seiner Kanzlei. Die Köpfe der Angestellten richten sich automatisch auf den unbesetzten Schreibtisch. „Es ist schon elf Uhr und er ist immer noch nicht erschienen.“
„Ich rufe bei ihm zu Hause an, Papa“, volontiert Melanie.
„Das habe ich schon mehrmals versucht, auch auf seinem Handy antwortet nur die lapidare Mailboxstimme, der Teilnehmer sei zurzeit nicht erreichbar.“
„Es wird ihm doch nichts passiert sein?“ Melanie geht an Thomas’ Schreibtisch und sieht in seinem Terminkalender nach. Unter dem bereits abgelaufenen Jahresplaner findet sie den für das neu angefangene Jahr. Nur eine Eintragung befindet sich auf dem Blatt für die erste Kalenderwoche: „Termin mit N. M.“ Dies erinnert Melanie an ihr Gespräch mit Thomas von vor etwa zwei Wochen. Sie nimmt den Kalender mit ins Büro des Vaters und schließt die Tür hinter sich. Dann berichtet sie ihm über das Gespräch.
„Eigenartig, mir gegenüber hat er nichts von etwaigen Zweifeln in Bezug auf die Tiedemann Gruppe erwähnt“, wundert sich Ernst Westphal.
„Na ja, er wollte wohl erst Gewissheit haben, bevor er dich in Alarm versetzt, Papa.“
„Hat er dir gegenüber verlauten lassen, um was es sich genau handelt?“, will er wissen.
„Nein, er nannte keine Details, nur dass ihm einige Geldbewegungen mit gewissen Partnern nicht ganz koscher vorkämen. Ich riet ihm, Nili ins Vertrauen zu ziehen und mit ihr zu bereden, ob sie beim LKA vielleicht etwas Näheres wissen.“
„Das war ein bisschen naiv von dir, meine Liebe. Selbst wenn, dürften sie es doch gar nicht an Dritte preisgeben. Und übrigens weißt du doch genau, dass wir über alles, was unsere Mandanten betrifft, absolute Schweigepflicht zu wahren haben, auch gegenüber den Behörden. Selbst wenn darunter irgendetwas Illegales wäre, dürften wir dies nur auf richterliche Anordnung preisgeben. Also, was sollte das Ganze?“
„Offensichtlich hat Thomas vorgehabt, Nili zu kontaktieren, so interpretiere ich wenigstens diese Notiz in seinem Kalender.“ Sie deutet auf den Termin. „Ich könnte sie heute Abend mal fragen, wenn sie nach Hause kommt, was meinst du?“
„In Ordnung, Melanie, versuch dein Glück, aber sei bitte sehr vorsichtig mit dem, was du ihr erzählst. Sie ist immerhin Polizistin, vergiss das nicht!“
Nilis direkter Vorgesetzter, Kriminaloberrat Andreas Heidenreich, Leiter des Dezernats 21 des LKA und zuständig für Bekämpfung der Organisierten und Rauschgiftkriminalität, hält mit seinen Mitarbeitern das erste Jahresgespräch in seinem Arbeitszimmer ab. Er lobt die gesamte Abteilung für die im letzten Jahr erzielten Erfolge und verliest eine Belobigungsliste jener Mitarbeiter, die sich dabei besonders verdient gemacht haben. Dann gibt er bekannt, dass Hauptkommissar Dr. Walter Mohr zum Vize-Dezernatsleiter ernannt und gleichzeitig zum Ersten Kriminalhauptkommissar befördert wird, wobei er zunächst die Leitung der Kieler Drogenfahndung weiterführen soll, bis ein geeigneter Nachfolger aus seiner Truppe diese Stelle übernimmt. Diese Ankündigung wird von der gesamten Mannschaft mit begeisterter Ovation aufgenommen, denn Waldi ist ein rundum hoch angesehener und beliebter Kollege im Dezernat, der seine besonderen Führungsqualitäten bereits des Öfteren unter Beweis gestellt hat. Dennoch, niemand in der Gruppe freut sich insgeheim über die Beförderung des Geliebten mehr als Nili, deren Gefühle sie jedoch bisweilen für sich behalten muss. Beide haben vereinbart, vorerst niemanden im LKA über ihre neue und enge Beziehung ins Vertrauen zu ziehen. Sie ist auch schon deshalb keineswegs enttäuscht oder gar missgelaunt, als der Chef – nach besonderer Eloge ihrer bisherigen erfolgreichen Tätigkeit im Dezernat und ihres fabelhaften Einsatzes in Sachen Nachforschung des Kokainschmuggels – ihr mitteilt, dass sie aus organisatorischen Gründen bis auf Weiteres in das benachbarte Dezernat 22 versetzt wird, um sich dort vorwiegend um die Wirtschaftskriminalität zu kümmern. Diese Ankündigung mindert ihre Freude über Waldis Beförderung nicht im Geringsten. Ist eigentlich ganz recht so, denkt sie im Stillen. Enge Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sind zumeist unpassend und verursachen nur Neid und Missverständnisse unter den Kollegen. Als wenig später Waldis und ihr Blick sich begegnen, nickt sie ihm, von den anderen völlig unbemerkt, nur kurz zu. Als die Sitzung beendet ist, geht Nili zu Kriminaloberrat Heidenreich, um zu fragen, wie es nun mit ihr weitergehen soll.
„Ja, liebe Frau Masal, tut mir leid, dass wir Ihre Angelegenheit nicht vorab persönlich besprechen konnten, ich hoffe, ich habe Sie damit nicht überrumpelt. Mein Kollege, Kriminaloberrat Friedrichs, bat mich eindringlich um diese ‚Leihgabe‘, er benötigt dringend Personalverstärkung, denn die zu bearbeitenden Fälle türmen sich dort angeblich bereits in bedenklicher Höhe und an neue Planstellen, na Sie wissen ja, ist zurzeit überhaupt nicht zu denken. Ich hoffe sehr, Sie nehmen mir das nicht übel, liebe Kollegin Masal.“
„Keineswegs, Herr Kriminaloberrat. Obwohl ich wirklich gern in Ihrem Dezernat tätig war, habe ich für diese Maßnahme Verständnis. Nur bitte ich Sie, dass sie tatsächlich vorübergehend ist, denn eine Arbeit nur am Schreibtisch ist nicht das, was ich mir beim LKA erträumt hatte.“
„Weiß ich doch, Frau Masal, weiß ich doch! Haben Sie ja während der letzten Monate eindeutig bewiesen!“
Zurück im bisherigen Arbeitszimmer, packt Nili ihre persönliche Habe in eine Plastik-Obststeige und winkt ihren Kollegen beim Hinausgehen ein wenig wehmütig zu.
„Hals- und Beinbruch, Nili, wir werden dich vermissen!“, ruft ihr Hannes Paulsen zu.
„Wird schon schiefgehen, Hannes, bin ja auch nicht aus dieser Welt, oder?“ Als sie durch die Tür gehen will, begegnet sie Waldi. „Herzlichen Glückwunsch zur wohlverdienten Beförderung, Herr Erster Kriminalkommissar. Ziehst du auch um, Waldi?“
„Nein, Nili, vorerst bleibe ich noch im Drogendezernat. Wünsch dir alles Gute bei der 22. Hoffentlich knackst du ebenso viele Wirtschaftsdelinquenten wie hier Drogenmafiosi!“
„Danke, Waldi!“
Draußen vor der Tür murmelt er leise: „Heute Abend bei dir?“
Nili nickt und wirft ihm ein Küsschen in der Luft zu. Dann geht sie mit gemischten Gefühlen hinüber zu ihrem neuen Arbeitsgebiet.
Mit Neugier mustert Nili ihren neuen Vorgesetzten. Kriminaloberrat Hajo Friedrichs ist ein etwas blasser und asketisch wirkender Fünfziger, gut gekleidet mit blauweiß gestreiftem Hemd, blauer DGzRS-Krawatte, Jeans und Blazer. Sein etwas schütteres, ergrautes Haar ist von einem akkurat auf der linken Seite des Schädels gezogenen Scheitel durchtrennt. Mit den stahlgrauen Augen erforscht auch er durch seine Nickelbrille seine neue Mitarbeiterin. „Na denn, herzlich willkommen bei uns, Frau Hauptkommissarin Masal. Die Berichte über Ihre Tüchtigkeit und Einsatzfreude eilen Ihnen voraus, also bin ich mir sicher, dass ich auch hier auf Ihren vollen Einsatz hoffen darf.“
„Selbstverständlich, Herr Kriminaloberrat. Ich muss mich natürlich erst einmal in diese für mich ganz neue Materie einarbeiten. Mit Wirtschaft hatte ich bisher wenig oder besser gesagt gar nichts zu tun.“
„Ich zweifle nicht daran, dass Ihre Intelligenz und Ihr besonders ausgeprägtes Einfühlungsvermögen Ihnen dabei eine wertvolle Hilfe sein werden. Ich begleite Sie also jetzt zu Ihrem neuen Arbeitsplatz.“
Sie gehen den langen Gang entlang. Dann öffnet Friedrichs eine Tür und lässt Nili den Vortritt. „Guten Morgen!“, grüßt er in den Raum hinein. „Darf ich vorstellen? Dies ist unsere neue Mitarbeiterin, Hauptkommissarin Nili Masal.“ Zu Nili gewandt fährt er fort: „Sie arbeiten hier erst einmal mit Oberkommissarin Anne Engel zusammen. Sie verfügt über große Erfahrung auf diesem Gebiet und wird Sie einweisen. Ihr bisheriger Partner, Oberkommissar Wenzel, verstarb leider vor zwei Monaten an einem Krebsleiden. Also, an die Arbeit, meine Damen, und viel Erfolg!“
Nili geht auf die neue Kollegin zu und sie begrüßen einander. Anne Engel ist eine hübsche junge blonde und blauäugige Frau, mittelgroß, schlank und mit rosa Pulli und blauem Faltenrock gekleidet. „Na denn, herzlich willkommen, Frau Hauptkommissarin!“
„Ich bin Nili, okay? Oder ist man bei euch immer so förmlich?“
„Nee, Nili, keineswegs.“ Anne Engel grient belustigt. „Und ich bin Anne. Freue mich auf die Zusammenarbeit! Trinkst du auch gern einen Kaffee? Oder lieber Tee?“
„Das ist mir ziemlich gleich. Hauptsache heiß, denn mir ist kalt.“
Nili stellt ihren Cross Polo neben Melanies VW-Cabrio in der Tiefgarage ihrer Zweitbleibe im Wohnhaus der Familie Westphal ab. Sie geht hinauf in das Erdgeschoss und läutet an der Wohnungstür der Westphals. Nichts rührt sich. Melanie ist wohl mit ihrem Hund spazieren gegangen, denkt sie. Dann steigt sie eine Treppe höher und betritt ihr jetziges Einzimmerapartment. Nach der Rückkehr von ihrem Südamerikaabenteuer war sie von dem vormaligen Zimmer des verstorbenen Ralph in diese plötzlich frei gewordene möblierte Wohnung im Hause der Westphals umgezogen. Der 18 Quadratmeter große Wohnraum ist behaglich und hell, grenzt an eine winzige Küche und an das schöne Badezimmer mit Duschbad sowie ein separates WC. Die Möbel sind modern, das Bett breit und mollig. Sie öffnet die Balkontür, um etwas frische Luft hereinzulassen. Vor allem im Frühjahr und Sommer ist der Blick vom kleinen Balkon erfreulich, er geht auf den sehr gepflegten Garten an der nach Westen gerichteten Rückseite des dreistöckigen Gebäudes. Jetzt zeigt er sich allerdings saisonbedingt ziemlich trist. Nili schließt die Tür wieder und stellt den Heizungs-Thermostaten höher, denn ein Blick auf das Thermometer zeigt magere 15 Grad Celsius. Sie legt ihren Laptop auf den Schreibtisch und schließt ihn an die Steckdose an. Da sie das Gerät während der letzten Tage nicht benutzt hat, ist der Akku leer und das Hochfahren dauert etwas länger als üblich.
Plötzlich klopft es an ihrer Tür. „Komm rein, Melanie, ich hatte schon bei euch geläutet. Erst einmal ein glückliches und gutes neues Jahr, meine Liebe!“
Beide Frauen umarmen sich. Sie kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit am Hamburger Heilweg-Gymnasium, wo sie beide das Abitur gemacht haben und auch danach stets in Kontakt geblieben sind.
„Hattest du ein schönes Neujahrfest?“, fragt Nili.
„Na ja, wie man’s nimmt. Zu Hause ist die Stimmung wegen Ralphs Tod noch immer sehr betrübt. Also haben wir, wie schon an Heiligabend, sehr ruhig und besinnlich und mit vielen Tränen in den Augen das neue Jahr in Empfang genommen. Du hattest sicher wieder ’ne tolle Silvesterfeier in Oldenmoor, nicht wahr?“
Nili seufzt. „Stell dir vor, ich bin erst am Sonnabendnachmittag von hier losgekommen, hatte noch sehr viel zu erledigen. Es regnete Hunde und Katzen und es war ein richtiges Sauwetter zum Fahren. Als ich endlich abends zu Hause ankam, saßen alle schon inmitten ‚Dinner for One‘.“
„Das war auch das einzig Lustige für uns an diesem Silvesterabend“, bemerkt Melanie.
„Na ja“, führt Nili fort, „wir hatten den alljährlichen Trubel. Die ganze Familie, Freunde und Nachbarn, sogar meine Cousine Annette aus Berlin ist gekommen. Und dann, plötzlich, als Oma, Mutti und ich in der Küche unsere traditionellen Salteñas aus dem Backofen holten, standen plötzlich Kitt Harmsen und mein Kollege Waldi da. Das war aber eine Riesenüberraschung!“
„Dein Waldi macht dir ja offensichtlich den Hof, brauchst gar nicht zu erröten, Nili. Dass da was zwischen euch läuft, ist mir schon längst aufgefallen!“, belächelt Melanie ihre Freundin.
„Ach, Melanie, ich bin wirklich ganz toll verknallt in Waldi! Wir verstehen uns sehr gut und haben eine wunderbare Zeit miteinander. Übrigens, er wurde heute befördert und zum Stellvertretenden Dezernatsleiter ernannt. Er kommt nachher auch noch vorbei, wenn er es irgendwie schafft.“ Mit etwas weniger Begeisterung setzt sie hinzu: „Und auch ich hab eine neue Aufgabe. Ab heute arbeite ich vorübergehend im Dezernat für Wirtschaftskriminalität. Meine Begeisterung hält sich allerdings in Grenzen.“
„Mensch, Nili, das trifft sich wirklich wunderbar!“, ruft Melanie aus.
Nili sieht ihre Freundin verwundert an.
Dann erzählt Melanie von dem Verdacht, den Thomas Greve ihr gegenüber geäußert hat, sowie von seinem mysteriösen Wegbleiben.
„Klingt in der Tat eigenartig“, sagt Nili. „Jetzt, wo du mir das erzählst, erinnere ich, dass mich vor etwa zwei Wochen Thomas Greve auf dem Handy angerufen und um ein privates Gespräch gebeten hat. Ich war zu der Zeit noch sehr mit der Aufarbeitung der Reise beschäftigt und wir verabredeten, dass er mich Anfang Januar wieder anrufen sollte, um einen festen Termin zu vereinbaren.“
„Hat er sich also doch bei dir gemeldet!“ Melanie erzählt von Thomas’ Vermerk in seinem Terminkalender.
„Habt ihr es schon bei ihm zu Hause versucht?“, will Nili wissen.
„Wir haben wiederholt bei ihm angerufen, doch er geht nicht ran. Und sein Handy ist ausgeschaltet.“
„Vermisstenanzeige erstattet?“
„Nein, wieso denn?“
„Nun ja, man weiß nie. Thomas und ich kennen uns schon seit unserer gemeinsamen Grundschulzeit. Ich rufe erst einmal bei seinen Eltern an. Die wohnen in Sankt Margarethen, seit Thomas’ Schwester Swantje die Tierarztpraxis des Vaters in Oldenmoor übernommen hat.“ Nili greift zum Handy und wählt die 11833. Eine freundliche weibliche Stimme gibt ihr die gewünschte Nummer und verbindet sie auch gleich mit Thomas’ Eltern. „Hallo, Herr Doktor Greve, hier spricht Nili Masal aus Oldenmoor. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an mich?“
Als sie das Handy nach dem Gespräch wieder weglegt, sieht sie Melanie besorgt an. „Keine Spur von Thomas, auch die Eltern sind sehr beunruhigt und haben schon überall herumtelefoniert. Sie haben inzwischen mit deinem Vater gesprochen. Es scheint, Thomas ist wie vom Erdboden verschwunden.“ Dann klingelt ihr Handy und sie nimmt Waldis Anruf entgegen.
„Hallo, meine liebe Schnuggelfrau, ist’s noch okay, wenn ich vorbeischaue?“
„Sicher, Waldi, komm schnell. Melanie ist bei mir, sie scheint ein Problem zu haben.“
Eine halbe Stunde später sitzen die drei zusammen bei Georgios Taverna Sirtaki, ihrem Griechen um die Ecke. „Also, Mädels, heute bitte, bitte keinerlei Beschränkungen bei der Bestellung“, kündigt Waldi an. „Ihr seid selbstverständlich Gäste des frischgebackenen Ersten Kriminalhauptkommissars Mohr!“
„Auf dich, lieber Waldi, und herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg!“, zwitschert Melanie.
Nili erhebt sich, geht um den Tisch herum, zieht Waldi am Revers seines Sakkos hoch und die beiden geben sich einen langen – einen sehr langen – Kuss. „Alles, alles Gute, mein Liebster!“, flüstert sie ihm ins Ohr. Dann holt sie ein kleines Päckchen aus der Tasche und überreicht es ihm. Neugierig öffnet er es und ist begeistert von der hübsch ziselierten, silbernen Krawattenklammer mit dem Relief der beiden Llamatiere. „Ich habe sie in La Paz für dich gekauft, Waldi, und heute ist wohl die richtige Gelegenheit, um sie dir zu überreichen. Der Juwelier schwor mir, er habe sie aus einem von ihm selbst aus Spanien zurückgekauften Barren jenes Silbers gefertigt, das ehemals die von den spanischen Conquistadores gepeinigten Indios mit bloßen Händen aus dem ‚Reichen Berg‘ in Potosí herausgekratzt hatten. Trage sie mit Gesundheit, Waldi!“
Dieser erwidert sehr gerührt: „Und wie antworten die alten Juden auf diesen guten Wunsch? ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen.‘“
„Wo hast du das nun wieder her?“, fragt Melanie. „Es klingt wunderschön.“
„Eine lange Geschichte“, antwortet Waldi. „Ende 1944 kamen die beiden Familien meiner damals gerade fünf- und zweijährigen Eltern mit einem Flüchtlingstreck aus Oberschlesien nach Schleswig-Holstein und wurden hier, zusammen mit einigen anderen Aussiedlern, auf einem größeren Bauernhof untergebracht. Erst nach der Kapitulation bekam man zu wissen, dass einer der Hofbewohner, den sie nur ‚Jupp‘ nannten, weil er aus Köln stammte, ein bei diesem Bauern versteckter Jude gewesen war. Als die Flüchtlinge auf den Hof gekommen waren, konnte er endlich unentdeckt auftauchen, niemand fragte jetzt noch danach. Seine ganze Familie war nach und nach in verschiedene KZs gesteckt worden und dort umgekommen, nur er hatte überlebt. Er kannte den Bauern, weil er und die Seinen vor der Machtergreifung der Nazis hier alljährlich ihre Sommerferien verbracht hatten. Als Jupp, mit eigentlichem Namen Josef Manasse, im Jahr 1941 über Nacht hierher flüchten konnte, nahm ihn der Bauer auf und versteckte ihn während der verbliebenen Nazizeit auf dem Heuboden in der Scheune. Meine Eltern zogen danach nach Kiel, wo sie aufwuchsen und später heirateten. Auch ich wurde hier geboren. Mein Opa erzählte mir mehrmals die Geschichte von Jupp. Opa und seine Familie hatten nur sehr wenig Kleidung aus Oberschlesien mitgebracht, denn während eines Fliegerangriffs der Russen war einer ihrer Treckwagen getroffen worden und verloren gegangen. Er besaß deswegen nur die Kleidung, die er gerade trug. Eines Tages erschien Jupp und schenkte ihm Hemd, Stiefel, eine Hose und eine warme Jacke. Weiß der Teufel, woher er sie hatte, jedenfalls war Opa ihm sehr dankbar. Jupp bemerkte nur, wie eben Nili: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Etwas später – Opa war Sattler, fand rasch Arbeit und verdiente sein Brot im benachbarten Dorf – revanchierte er sich bei Jupp und schenkte ihm neue Kleidung. Als Jupp ihm um den Hals fiel und sich bedankte, erinnerte sich Opa an damals und wiederholte seinen Satz: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Jupps Antwort war eben: ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen!‘“
Als Georgios ihnen die Karaffe mit dem köstlichen roten Kamares, den Korb mit dem gegrilltem Skordropsomo – Knobibrot – und ein Schälchen Tsatsiki an den Tisch bringt, füllt Waldi die Gläser und sie prosten sich mit dem hier angebrachten „Yamas“ zu. „Was muss heute unbedingt weg, Georgios?“, fragt Melanie mit einem Lächeln.
Der antwortet: „Meine Frau Marita kann für euch unsere spezielle Piatella Syrtaki vorbereiten.“
„Erzähl, Georgios, was kommt da alles auf uns zu?“
„Also, da wären Lammkoteletts, gebratene Putenleber, Suvlaki, knuspriges Gyros und Souzuki, dazu Tomatenreis, Tsatsiki und Bauernsalat.“
„Mann, das ist ja viel zu üppig“, stöhnt Nili.
„Ich mach euch nur zwei Portionen, die teilt ihr drei euch dann, endaksie?“
„Warum müsst ihr Griechen immer im Taxi herumfahren?“, kolportiert Waldi grinsend.
„Dummkopf!“, witzelt Nili. „Das heißt ‚in Ordnung‘ auf Griechisch. Stimmt’s, Georgios?“
„Ne!“, antwortet dieser wieder grinsend.
„Wieso nicht?“, fragt Nili pikiert.
„Weil auf Griechisch ‚ne‘ wiederum ‚ja‘ bedeutet!“, triumphiert Waldi.
Während sie sich die schmackhaften Zutaten des Haustellers schmecken lassen, fragt Waldi: „Also nun mal im Ernst. Wo drückt der Schuh, Melanie?“
Abwechselnd erzählen Melanie und Nili von Thomas Greve, seinem Melanie gegenüber geäußerten Verdacht – allerdings ohne Erwähnung des betroffenen Firmennamens – und seinem plötzlichen und eigenartigen Verschwinden. Waldi hört geduldig zu. Dann folgt eine kurze Stille.
Nachdem sie aufgegessen haben, fragt Waldi plötzlich: „Melanie, weißt du, wo dieser Thomas wohnt?“
„Also nicht auswendig, aber wir haben natürlich seine Anschrift im Büro.“
„Was haltet ihr davon, wenn wir mal hinfahren, um zu sehen, ob wir Näheres erfahren?“
Nachdem Waldi die Rechnung beglichen hat, steigen sie in seinen Passat und fahren zuerst in die Steuerkanzlei. Melanie kommt bald mit der Adresse wieder. „Es ist in der Hofstraße, in Gaarden Süd. Er hat eine Wohnung im ersten Stock.“
Obwohl der Stadtteil nicht den besten Ruf genießt, ist es in der Hofstraße auffallend ruhig, als sie vor dem hellen Klinkergebäude ankommen. Waldi findet eine Parklücke und sie steigen aus. An der Klingeltafel werden sie sofort fündig: „T. Greve“. Niemand reagiert auf das wiederholte Läuten. Sie haben Glück, weil gerade eine ältere Frau mit ihrem kleinen Pudel aus der Haustür kommt. Sie blickt das Trio misstrauisch an, als sie das Gebäude betreten wollen, ist aber beruhigt, als Nili ihren Ausweis zeigt. „Zu wem wollen Sie?“, fragt sie neugierig.
„Ist alles in Ordnung, liebe Frau, gehen Sie nur ruhig spazieren. Guten Abend!“, entgegnet Waldi kurz angebunden.
Sie gehen die Treppe hinauf in den ersten Stock. Nili, die als Erste da ist, stutzt, weil sie, gerade als sie an die Wohnungstür klopfen will, bemerkt, dass diese nur angelehnt ist. Mit fragendem Blick wendet sie sich an Waldi, der bereits das Einbruchsdezernat auf seinem Handy herbeiruft. „Warten oder hineingehen?“, fragt sie.
„Besser nicht hineingehen. Wir warten lieber, bis die KTU die Spuren gesichert hat.“
Es dauert nicht lange, bis zwei Polizeiwagen eintreffen. „Hallo, herzlichen Glückwunsch zum Vize-Dezernatsleiter, geschätzter Herr Erster Kriminalhauptkommissar Mohr!“ Oberkommissar Richard Lattermann vom Einbruchsdezernat in der Blumenstraße begrüßt Waldi.
Dieser bedankt sich, stellt Nili und Melanie vor und erklärt dann nur kurz, weshalb sie hier sind. „Hat sich ja schnell rumgesprochen, das von meiner Beförderung“, sinniert er.
Lindemann grient. „Wir sind ja die Polizei, wir wissen alles!“
Es dauert eine Weile, bis die KTU-Beamtin ihnen signalisiert, dass sie eintreten dürfen. Sie reicht ihnen blaue Plastiküberzüge für die Schuhe und Handschuhe. Thomas ist in der Zweizimmerwohnung nicht zu sehen, aber alles ist durchwühlt worden, sämtlich Schränke, die Kommode und der Küchenschrank sind geöffnet und der Inhalt liegt verstreut auf dem Fußboden. Daunenbettdecke, Kissen und Matratze wurden aufgeschlitzt. „Die Burschen müssen einen Schlüssel gehabt haben oder Greve hat ihnen selbst die Tür geöffnet. Von ihm aber oder von einem Kampf keine Spur. Danach haben sie jedoch ganze Arbeit geleistet. Die Festplatte des PCs neben dem Schreibtisch haben sie offensichtlich ausgebaut und mitgehen lassen. Was mögen die Einbrecher wohl noch gesucht haben?“, fragt OK Lattermann. „Reichtümer waren hier wohl kaum zu finden!“
„Wissen wir leider nicht, wir waren nur wegen der unentschuldigten Abwesenheit meines Mitarbeiters Thomas beunruhigt“, erklärt Melanie, „und meine beiden Freunde waren so nett, mich hierher zu begleiten, um nachzusehen.“
„Ist er das?“, fragt Lattermann und zeigt auf ein Familienfoto, das in einem Rahmen mit zertrümmertem Glas auf dem Boden liegt.
„Ja“, bestätigt Nili, „das ist Thomas Greve mit seinen Eltern und seiner Schwester Swantje. Ich kenne die Familie seit meiner Kindheit.“
„Alter?“
„Geboren 1972, genau wie ich, wir waren in derselben Schulklasse.“
„Na gut, wir geben zunächst eine interne Vermisstenfahndung aus. Wenn das nichts bringt, können wir immer noch an die Öffentlichkeit gehen. Ihr geht jetzt am besten schön nach Hause, wir versiegeln erst einmal den Tatort.“
Sie verabschieden sich von OK Lattermann und sitzen einige Minuten danach wieder in Waldis Passat.
„Was mag Thomas passiert sein?“, fragt Melanie, nun ernsthaft besorgt.
„Könnte irgendjemand in eurer Kanzlei etwas von seinem Verdacht mitbekommen haben?“, fragt Nili.
„Wie meinst du das?“, will Waldi wissen.
„Ich glaube, wir müssen Waldi ins Vertrauen ziehen, Melanie“, meint Nili. „Natürlich nur ganz privat. Offiziell sollten wir ja als Beamte von der ganzen Sache gar nichts erfahren. Aber es ist allein deine Entscheidung.“
„Wenn mein Vater das erfährt, dann reißt er mir die Ohren ab!“
„Er muss es ja nicht erfahren. Du lässt bei deiner Erzählung ihm gegenüber Waldi komplett aus dem Spiel, okay? Dass du es mit mir besprechen wolltest, weiß er ja. Und das hier haben nur wir beide eben entdeckt und mussten die Polizei wegen des Einbruchs benachrichtigen.“
Melanie überlegt, dann sagt sie: „Also gut. Aber ihr beiden müsst mir heiligst versprechen, dass diese Geschichte streng unter uns bleibt und keineswegs zu irgendwelchen Polizeiaktionen führt!“
Nachdem Nili und Waldi Melanie ihr Schweigen zugesichert haben, erläutert Melanie ihnen den Sachverhalt etwas eingehender.
„Es handelt sich also um einen größeren Mandanten der Kanzlei, der mehrere Unternehmen im In- und Ausland besitzt, die auch geschäftlich miteinander vernetzt sind und dabei irgendwie mauscheln?“, argwöhnt Nili.
„Ja, so in etwa hat sich Thomas mir gegenüber geäußert, dabei aber leider keine Details genannt. Er sagte jedoch, er hätte bereits einige Beweise gesammelt.“
„Könnten die Betroffenen davon Wind bekommen haben?“, fragt Waldi. „Es ist ja möglich, dass sie diese Beweise in seiner Wohnung gesucht haben.“
„Aber was ist mit Thomas selbst geschehen?“, argwöhnt Nili, jetzt ebenfalls besorgt. „Ob sie ihn vielleicht entführt haben?“
„Das ist denkbar, aber wenn, dann wohl nicht von hier aus, dafür gibt es keine Spuren.“ Waldi denkt weiter. „Wenn sie ihn allerdings irgendwo anders geschnappt haben sollten, dann wären sie so an seine Wohnungsschlüssel gelangt und hätten damit hineingekonnt, ohne Spuren zu hinterlassen.“
Die beiden Polizeifahrzeuge ziehen an ihnen vorbei und Lattermann winkt ihnen freundlich zu.
Nili wartet, bis die Autos um die Ecke gebogen sind. „Kommt, lasst uns noch einmal in die Wohnung gehen, vielleicht finden wir etwas, was sie übersehen haben.“
„Bist du verrückt?“, kontert Waldi. „Erstens haben wir keinen Schlüssel, und zweitens ist die Wohnung versiegelt!“
„Du irrst, mein Lieber!“, antwortet Nili mit einem breiten Lächeln. „Hinter der Haustür hing an der Wand ein Zweitschlüssel, den habe ich heimlich in meine Tasche gesteckt. Und der Kleber des Siegels ist sicherlich noch nicht ganz fest. Also los!“
Lautlos schleichen sie die Treppe hinauf. Vorsichtig löst Nili das Siegelband vom Türrahmen, der Schlüssel passt. „Wonach suchen wir überhaupt?“, fragt Melanie.
„Nach einem USB-Stick zum Beispiel“, meint Waldi.
Sie gehen alles durch, aber es ist nichts Verwertbares zu finden. Waldi geht an die Musikanlage, öffnet das Fach des CD-Players und sieht darin ein Album der Beatles. „Sieh mal, Nili, eine meiner Lieblingsgruppen!“
Nili nickt, hat aber ein Gedankenblitz. „Wo ist die Hülle zu dieser CD?“
Sie suchen und finden die gesuchte Hülle von „Help!“, einem Digital-Remastering, in einem an der Wand neben der Anlage befestigten Bord. Darin steckt eine selbst gebrannte CD mit dem von Hand geschriebenen Titel „Meine Lieblingsmelodien“.
„Eureka!“, ruft Melanie begeistert und steckt die Beatles-Hülle samt Inhalt in ihre Tasche. „Ich darf doch, oder?“
„Aber selbstverständlich, Melanie. Wenn überhaupt etwas Brauchbares drauf sein sollte, sind es jedenfalls Interna aus deiner Kanzlei“, beruhigt sie Waldi. „Lasst uns jetzt aber schleunigst von hier verschwinden!“
„Moment noch!“, ruft ihnen Nili aus dem Badezimmer zu, als sie schon im Hinausgehen sind. Sie wickelt einige Blätter von der Toilettenpapierrolle ab, packt eine Haarbürste darin ein und steckt diese vorsichtig in ihre Manteltasche. Dann verlassen sie die Wohnung von Thomas Greve so leise, wie sie hineingekommen sind, schließen die Tür ab und kleben behutsam das Siegelband wieder an seinen Platz.
*
Reporterin Anja Sieberth vom Kieler Tageblatt und ihr ständiger Begleiter, Fotograf Andreas Maler, sitzen in seinem alten Volvo Kombi.
„Da kommt sie!“, meldet Anja. „Lass mich besser erst mir ihr allein sprechen. Wenn ich was Nützliches erfahre, rufe ich dich sowieso.“ Dann steigt sie rasch aus und geht der Frau hinterher. „Hallo, Steffi!“, grüßt sie, als sie diese eingeholt hat. „Ach, Anja, du bist es! Kann mir schon denken, weshalb du mich verfolgst!“
„Ich weiß, ich weiß, Steffi, aber das, was euer Boss Harald Sierck bei der Pressekonferenz verlauten ließ, war ja doch mehr als mager. Gibt es wirklich nichts Weiteres über diese ‚grausam geköpfte Förde-Leiche‘ zu erfahren?“ Derart betitelt ihr Blatt den makabren Kadaverfund in seiner heutigen Ausgabe.
„Ehrlich, Steffi, wir wissen noch nicht, um wen es sich handelt. Eine Vermisstenmeldung liegt uns bis dato nicht vor und neue Spuren konnten auch nicht gefunden werden. Die KTU hat alles sehr gründlich abgesucht und der Pathologe hat berichtet, was er ohne den Kopf und die Hände des Opfers sagen konnte. Wir tappen wirklich komplett im Dunkeln. Das Letztere bleibt natürlich unter uns – versteht sich doch, oder?“
Anja nickt. Sie sieht nochmals in ihrem Notizblock nach. „Also: nicht identifizierte männliche Leiche, Alter um die vierzig, geschätztes Gewicht circa achtzig Kilo, wahrscheinlich etwa einssiebzig bis einsfünfundsiebzig groß, Schuhgröße dreiundvierzig. Vermutlich kurz vor der Silvester-Mitternacht nach Besuch der NDR-Fete mit einer Axt oder ähnlicher Tatwaffe hingerichtet. Tatort noch unbekannt.“
„Das hast du ja alles gut zusammennotiert. Du kannst doch wirklich nicht behaupten, mein Kriminalrat hätte euch nicht genügend Daten geliefert. Dann zieh mal los und mach daraus einen spannenden Bericht. ‚Wer war der geheimnisvolle Tote, der vom Axt-Mörder bestialisch hingerichtet wurde?‘ Ihr seid doch die Gruselspezialisten!“
„Schon gut, aber Fotos haben wir keine, leider!“
„Wäre prima, wenn wir welche hätten!“ Kriminaloberkommissarin Steffi Hink hat einen Einfall. „Sag mal, Anja, warst du mit deinem Adlatus Maler nicht Silvester in der Halle 400, und hat er nicht dort fotografiert? Könnte ich Kopien von den Fotos haben?“
„In Ordnung, Steffi. Du musst mir aber heilig versprechen, mir als Erste Neuigkeiten in dem Fall mitzuteilen. Dann lasse ich dir die Bilder zumailen.“
„Abgemacht, versprochen!“
„Ich bringe Ihnen heute meinen Obduktionsbericht persönlich vorbei, Herr Kriminalrat.“ Gerichtsmediziner Professor Klamm überreicht Harald Sierck die Akte.
„Welch eine Ehre, sehr geehrter Herr Professor, herzlichen Dank!“
„Na ja, es hat sich einfach so ergeben, ich hatte hier in der Nähe zu tun, da dachte ich mir, ich schau mal kurz herein und begrüße Sie. Außerdem haben wir bei der toxikologischen Analyse inzwischen eine bedeutsame Entdeckung gemacht.“
„Prima, Herr Professor, darf ich gleich meine Mitarbeiter dazuholen, die den Fall bearbeiten?“ Sierck greift zum Telefon. Kurz darauf kommt Oberkommissar Sascha Breiholz ins Zimmer und begrüßt Professor Klamm. „Wo ist KOK Hink?“
„Sie ist gerade außer Haus gegangen, wollte aber bald wieder da sein!“
Wie auf ein Stichwort stürzt Steffi Hink herein. „Tut mir leid, Chef, ich musste nur kurz etwas erledigen. Hallo, Herr Professor, Sie hier?“
„Ja, da staunt ihr, nicht wahr? Der Herr Professor ist so nett und bringt persönlich seinen Obduktionsbericht vorbei und hat uns obendrein etwas Bedeutendes mitzuteilen. Dann sperrt man die Lauscher ganz groß auf!“
„Also“, begann Professor Klamm, „als wir die Leiche obduzierten, fanden wir glücklicherweise einen Rest Urin in der Blase des Verstorbenen. Wir haben diesen vorsichtshalber sofort eingefroren und zur Untersuchung in unser toxikologisches Labor geschickt. Dort konnte unsere wackere Frau Siemsen mit Hilfe der Gaschromatografie gerade noch winzige Spuren von Gamma-Hydroxynbuttersäure nachweisen. Das war ein Glücksfund, denn dieser Stoff, auch ‚Liquid Ecstasy‘ oder ‚K. O.-Tropfen‘ genannt, baut sich normalerweise binnen weniger Stunden im Körper ab. Weil aber das Wasser der Förde nur etwa 5 Grad Celsius hatte, ist es wahrscheinlich diesem Umstand zu verdanken, dass diese Reste überhaupt noch nachgewiesen werden konnten.“
„Also, was sagt uns das, Leute?“ Sascha Breiholz fasst zusammen: „Nun, folgendes Szenarium wäre denkbar: Das Opfer ist bei der NDR-Silvesterfete. Irgendjemand schüttet ihm K. O.-Tropfen in seinen Drink. Willenlos geworden, wird er unauffällig aus der Halle 400 herausgeschleppt und man verfrachtet ihn zum Tatort, haut ihm Kopf und Hände ab und wirft den Leichenrest in die Förde.“
Stilles Nachdenken.
„Ja, könnte passen.“
Sierck und Klamm nicken.
Steffi Hink meint dazu: „Aber: Wer war der Tote? Motiv für die Tat? Wo ist der Tatort? Und natürlich: Wer ist oder sind die Täter?“
„Genau das sollt ihr jetzt herausfinden!“ Kriminalrat Sierck setzt hinzu: „Also los, an die Arbeit, Leute!“
„Und viel Glück dabei!“, wünscht ihnen Professor Klamm.