Читать книгу Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee - Manfred G. Bauer - Страница 2

Prolog

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Der kleine Junge bekam ganz große Augen, halb vor Neugier, halb vor Angst, als er den wilden Mann dort am Ufer des Mummelsees entdeckte und gleich suchte er die Hand seines Vaters. Sein zwanzig Monate älterer Bruder tat auf der anderen Seite dasselbe. Die Kleidung die der Wilde trug schien aus Wasserpflanzen zu bestehen, denn sie war dunkelgrün und hing in Fetzen an ihm herab. Er hatte weiße lange Haare, die nie einen Kamm gesehen hatten und einen verfilzten, ebenso langen Bart, so dass vom Gesicht nur die Augen zu sehen waren. Groß war er auch noch und sogar noch größer als der Vater und der war für den Jungen normalerweise der Größte. Mit dem spitzen Dreizack in seinen Händen sah der wilde Mann sehr gefährlich aus.

„Papa, ist er das? - Ist der echt?” fragte der Junge und ließ kein Auge von dem grün-gewandeten, unheimlichen Kerl. Er drängte sich näher an den Vater, als der sich um einige Schritte näherte.

„Hm jooh!” antworte der Vater gedehnt und grinste dabei in sich hinein. „Das ist ein Wassermann und der König des Mummelsees!”

Man hätte diese Szene für den Anfang einer Gruselgeschichte halten können, doch sie ist mir selbst passiert, denn ich war der Junge, der die Frage stellte. Es muss einer unserer Wochenendausflüge gewesen sein, die uns irgendwann die Ufer des Mummelsees geführt hatten. Doch wie und warum wir an den See gelangt waren, weiß ich nicht mehr, aber an den Wassermann erinnere ich mich noch ganz genau. Doch zu einer echten Gruselgeschichte hätten vielleicht auch noch Nebelfetzen über den dunklen Wassern gehört und völlige Einsamkeit. Doch die Touristenbuden welche Souvenirs verkauften, die überfüllten Parkplätze rundum, sowie das Hotel am Seeufer wollten nicht so recht dazu passen. Es wimmelte von Menschen, die genau wie wir einen Ausflug zu dem See gemacht hatten. Später war mir schon klar, dass es nur ein Schauspieler gewesen sein konnte, der für all die Touristen den sagenhaften König vom Mummelsee gespielt hatte. Damals aber habe ich mich nicht näher an den Mann herangetraut und überließ das gerne einigen viel älteren und mutigeren Kindern, die sich gegen Bezahlung einer Gebühr sogar mit dem Wassermann fotografieren lassen konnten. Das aber war meine erste Berührung mit den Sagen um die Wassergeister der Karseen, welche rund um meinen Wohnort im Schwarzwald sehr häufig vorkamen.

Als Kind habe ich deshalb lange geglaubt, ein See sei eine fast kreisrunde Wasserfläche, mit tief dunklem Wasser, die von hohen, sehr steilen und felsigen, aber immer noch bewaldeten Abhängen eingerahmt ist, bis auf die Stelle, wo ein Bach dem See entspringt. Dort ist oft ein hoher Wall, eine Art Geröllhalde, in welche sich der Abfluss Bahn gebrochen hat. Dass es auch noch andere Arten von Seen gibt, die größer sind, anders in die Landschaft eingebettet und eine andere Form haben, das wusste ich lange nicht. Woher hätte ich wissen sollen, dass die Seen meiner Schwarzwälder Heimat zu einer besonderen, woanders seltenen Art gehören, den Karseen, die nur in Gebirgen vorkommen, die von Eiszeitgletschern geformt wurden. Immer, wenn mein Vater ein Wanderziel absteckte, welches zu einem See führte, sei es der Ellbachsee, der Huzenbachsee oder der Schurmsee, dann erreichten wir nach einer mehr oder weniger anstrengenden Tour durch die dichten Nadelwälder, eben genau so einen See und keinen anderen. Jedes Mal, wenn wir entweder von einem Seeblick hinunter in den Kessel stiegen, oder vom See hinauf, dann führte der Weg an der steilen Flanke des Kars entlang über Steine und Wurzelstöcke und manchmal konnten wir nur weiter, weil eine Holzbrücke eine Schlucht überspannte. Aber für mich war gerade in den Karen zu spüren, dass wir in einem Gebirge lebten.

Meine sonstigen Vorstellungen über Gebirge waren von Heimatkundebüchern aus der Schule geprägt, Gebirge mit scharfen Felsspitzen, natürlich viel höher und imposanter und ganz oben lag das ganze Jahr Schnee. Die sanft abgerundeten, bewaldeten Kuppen meiner Heimat mit ihren grünen Almen unterhalb der Wälder und den an den Hang geklebten, verstreut stehenden Häusern, betrachtete ich eher als Hügellandschaft. Dass wir dabei in Hochtälern lebten, deren Talgrund schon über 500 m über NN lag, war mir lange nicht klar. Von solch einem Tal aber wirkten die Kuppen rundum gar nicht mehr so hoch, obwohl viele eine Höhe von 800 bis 900 Metern erreichten.

Wenn mich dann jemand fragt, was denn außer den Nadelwäldern mit seinen hohen und mächtigen Weißtannen und schlanken Fichten und Kiefern noch prägend ist für mein Zuhause im östlichen Nordschwarzwald, dann fällt mir sofort das Wasser ein. Zahlreich sind die Bäche, die aus den Wäldern heraus in die Täler fließen, die sie sich selbst über Jahrmillionen gegraben haben, mit etwas Hilfe durch die gelegentliche Vergletscherung. Zahlreicher sind noch die klaren Quellen überall, deren Rinnsale sich zu den Bächen vereinen und diese bilden dann wieder die Murg und führen ihr mehr und mehr Wasser zu. Zu den Gewässern gehören nun aber auch die Karseen, welche oft die Quelltöpfe für die wasserreicheren der Bäche sind wie der Huzenbach, der Ellbach oder die Schönmünz. Schon früh habe ich Sagen und Mythen über Wassermenschen gehört, die in diesen dunklen Wassern leben sollen, sonst hätte mich die offensichtliche Anwesenheit eines „echten” Wassermannes dort am Mummelsee gewiss nicht so erschreckt. Von einem See insbesondere und von einer der schönsten, aber auch grausigsten Sage soll nun im Folgenden die Rede sein. Doch betrachten wir erst einmal den See, den Wildsee:

Wer heute von der im mittleren Schwarzwald gelegenen Passhöhe Ruhestein aus über den vom Schwarzwaldverein eingerichteten Westweg zur Darmstädter Hütte wandert, der kommt unweigerlich am Wildseeblick vorbei. Ein jeder verweilt an dieser Stelle wenigstens einen Augenblick um die Aussicht über die weiten, schier endlosen Wälder hinter dem See und hinunter zur Wasserfläche zu genießen. So manche mag es ein wenig schaudern an dem steilen Abhang, denn der Wasserspiegel liegt mehr als einhundert Meter tiefer.

Der Grund des Kessels mit dem Wildsee wird weit weniger besucht als die Kuppe darüber, denn nicht viele von den Wanderern machen sich die Mühe in das Kar hinunter zu steigen. Doch herrscht an diesem Gewässer heute, gegenüber den früheren Zeiten geradezu Hochbetrieb. In jenen alten Tagen, mag es zweihundert Jahre her sein oder dreihundert, verirrte sich nur selten jemand in diese einsame Gegend, denn was hätte er hier auch zu suchen gehabt.

Es gab das Wandern, wie es heute üblich ist, noch nicht. Wenn die Leute damals zu Fuß im Hochschwarzwald unterwegs waren, dann hatten sie einen triftigeren Grund, als sich die Beine zu vertreten und in der Darmstädter Hütte Kaffee zu trinken. Natürlich war diese bewirtschaftete Wanderhütte auch noch nicht vorhanden. Die dunklen Wälder hatten für die Menschen früher eher etwas Abweisendes, ja Unheimliches, und immer waren sie froh, wenn sie ihnen den Rücken kehren konnten, ohne Schaden genommen zu haben. Das mag man nicht verstehen, wenn man die Schönheit der Landschaft vom Wildseeblick aus betrachtet. Doch sollte man sich etwa auf dem anstrengenden und holprigen Weg hinab zum See heute den Fuß verstauchen und nicht mehr gehen können, dann wird man genug Hilfe finden, durch andere Wanderer oder vielleicht auch mit Hilfe seines Mobil-Telefons. Doch früher konnte es Tage oder Wochen dauern, bis einem zufällig wieder jemand begegnete, der sich wohl auch nur verirrt hatte. So konnte eine kleine Verstauchung sogar tödlich für den unglücklichen Reisenden sein. Aber es hat auch noch einen anderen Grund gegeben, weshalb die Menschen lange den Wildsee mieden und keinen Sinn für die Schönheit der Natur hatten, sondern nur in Furcht von ihm sprachen, denn in ihm lebte der Sage nach die Nixe Merline. Dabei wird erzählt, dass die Nixe über einen langen Zeitraum, wohl Jahrhunderte, immer wieder Männer an ihren See gelockt hat, um sie dann in das Wasser zu zerren und zu ertränken. Speziell wird auch von einem alten Pechsieder berichtet, der verzweifelt versucht einen Hirtenjungen vor diesem Schicksal zu bewahren. Dies also ist die Sage, um die sich alles dreht.

Also nehmen wir einmal an die Nixe Merline vom Wildsee gab es wirklich. Wie hätten die Menschen mit ihr gelebt? Wie war der Alltag zu jener Zeit inmitten solcher Geister? Wie wurde ihr Leben dadurch bestimmt und ihr Handeln gelenkt? Wo ist schon der Unterschied, ob man sich vor einer realen, oder eingebildeten Gefahr droben am Wildsee fürchtete? Man blieb ihm in jedem Fall fern. Nehmen wir also die Sage auf und stellen sie hinein in die Welt der Menschen jener Tage und geben wir diesen Menschen und der Nixe ein Gesicht.

Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee

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