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Eine schreckliche Untat

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(Nördlicher Schwarzwald, Ufer des Mummelsees am 2. Juli 1304)

Die Morgensonne hatte eben erst mit ihren Strahlen das Ufer des Karsees erreicht und die fast spiegelglatte Wasserfläche glitzerte in ihrem Licht. Doch es war geradezu unheimlich still, denn an diesem Morgen wollten die Vögel in den dichten Wäldern, welche den See umgaben, den Tag nicht begrüßen. Es war als verharre der Wald und das Wild in gespannter Erwartung. Nur diese Stille am See erinnerte daran, was vor wenigen Augenblicken geschehen war an seinem Ufer. Doch was waren das für Lichtkugeln, welche wie ein kleiner Schwarm von Stechfliegen über den Wassern und am östlichen Ufer hin und her schwebten? Sie waren nicht viel größer als ein Daumennagel und doch so hell, dass sie blendeten. Jede von ihnen hatte eine andere Farbe.

Plötzlich bäumten sich die Wogen des Sees wohl zwei Fuß hoch auf und es wurde etwas herauf und ans Ufer gespült, genau dorthin, wo der bunte Lichterschwarm seine Kreise zog. Das Wasser floss sogleich in den See zurück und ein lebloser Mann blieb auf dem Rücken am flachen Ufer liegen, mit den Beinen noch im Wasser. Jetzt ordneten sich die Lichter und zogen ihre Bahnen dicht über diesem Mann immer hin und her. Abermals entstand eine Bewegung im Wasser und diesmal stiegen zwei Gestalten an Land und traten zu dem Liegenden. Es waren ein Mann und eine Frau, welche goldene Kronen auf ihren mit Wasserpflanzen verfilzten Haaren trugen. Ihre Kleider schienen aus Stofffetzen und Wasserpflanzen zu bestehen. Beide beugten sich nun über den Mann am Boden. Die Leuchtkugeln dagegen waren nun hochgestiegen und zogen ihre Kreise über den Köpfen der beiden. Die gekrönten Gestalten hielten nun jeweils eine Hand über den leblosen Körper. Wer genau hin sah, konnte erkennen, dass ein blaues Leuchten von diesen Händen ausging, welches in winzigen Funken herab rieselte und den Mann am Boden schließlich umgab wie eine Aura. Im selben Moment rieselte auch aus den Kugeln ein vielfarbiger Funkenregen herab und vereinte sich mit dem blauen Leuchten. Am Boden aber regte sich nichts und der leblose Körper blieb still liegen und atmete dabei nicht einmal.

Schier endlose Minuten behielten die beiden Gekrönten und die Lichtkugeln den farbigen Funkenregen bei, ohne dass sich etwas änderte. Doch dann hörten sie alle schlagartig und zugleich damit auf.

„Es ist zu spät!” sagte der Mann mit verbitterter Stimme und einem verzweifelten Kopfschütteln und richtete sich auf. „Er ist tot. - Das wird sie uns büßen! - Bitte, liebe Frau! Geh und alarmiere unser Seevolk! Ihr müsst den See durchsuchen und sie finden. Doch wenn ihr sie findet, dann seid vorsichtig! Es darf nicht noch mehr Opfer geben. - Ich komme gleich nach.”

„Keine Sorge, wir passen schon auf!” sprach die Frau.

Eine rosafarbene Leuchtkugel war direkt vor den beiden auf Augenhöhe stehen geblieben. Dieser warf die Frau nun einen Blick zu und sprach dann zu dem Mann, der kein anderer war als der König des Mummelsees: „Sei bitte diplomatisch, Liebster! Sie wollten nur helfen.”

Jetzt kehrte sie in das Wasser zurück. Dabei stieg sie allerdings nicht hinein, sondern sie zerfloss förmlich im Wasser und wurde selbst zu einem Teil dieses Elements.

„Königin Roslinge, Euer Besuch ehrt uns!” sprach der König nun zu der rosa Lichtkugel. „Habt Dank für eure Unterstützung bei dem Versuch ihn zu retten. Aber Ihr wurdet nicht eingeladen und somit verstoßt Ihr gegen eine gültige Abmachung. Dies ist unser Gebiet und diese Angelegenheit betrifft nur uns Wassermenschen! Ich bitte Euch, um des Friedens willen zwischen unseren Elementen: Verlasst das Kar und zieht Euch hinter die Grenzen, in das Gebiet der Elfen zurück!”

„Das soll uns nichts angehen, eine solche Untat?” erklang es plötzlich in einer hellen Frauenstimme und aus der kleinen rosa Lichtkugel, war im selben Moment eine junge Frau herausgefallen, die nun dem Mummelseekönig gegenüberstand und ihn wütend anstarrte. Jetzt fielen auch aus den anderen Kugeln menschenähnliche Gestalten heraus und gruppierten sich nun um den Toten und den König. Die Neuankömmlinge trugen Kleider aus Blütenblättern oder Laub, welche dieselben Farben hatten wie die Lichtkugeln, aus denen sie entsprungen waren. Sie waren hochgewachsen, schlank und sie hatten spitz zulaufende Ohren. Es waren etwa fünfzehn Männer und Frauen und viele starrten den Toten nun voll Mitleid an, während andere dem Beispiel ihrer Königin folgten und wütende Gesichter machten. Roslinges Gewand bestand aus lauter rosa Blütenblättern. Auch sie trug eine goldene Krone auf ihrem kurzen, rosafarbenen Haar. Dicht neben der Königin hielt sich ein Mann in einem Brennnessel-Gewand, aber nicht wie ein Gleichgestellter, sondern in einer Körperhaltung, welche Unterwürfigkeit andeutete.

„Wir haben diesen Mann zwei Tage lang geleitet und beschützt!” sprach der im Brennnessel-Gewand jetzt vorwurfsvoll. „Deshalb geht uns das sehr wohl etwas an. Hier am See glaubten wir ihn nun in Sicherheit. Das war eine Täuschung, denn ihr scheint hier alle zu Nixen geworden zu sein.”

„Still Heinling!” schnauzte Roslinge den Sprecher an. Der verbeugte sich und trat sogleich einige Schritte zurück.

„Verzeiht meinem Herold, König des Mummelsees!” bat die Frau in dem rosa Gewand nun in einem höflichen Tonfall. „Doch das Entsetzten unter uns Elfen ist groß! Ich bin mir sicher, dass hier nicht Nixen regieren, sondern dass dies ein einmaliges Ereignis an eurem See bleibt. Dennoch fordern wir die strenge Bestrafung der Mörderin. Dieser unglückliche Mann hat eine Tochter mit einem unglaublichen Potential, welches uns eines Tages gewiss noch unserem Kampf gegen das Ewig Böse zugutekommen könnte. Doch damit ist es wohl vorbei. Der Verlust des Vaters bedeutet bei den Menschen meist auch den Tod der Kinder, denn oft müssen sie dann jämmerlich verhungern. Somit kann das Mädchen nicht mehr ihre verborgenen Kräfte an ihre älteste Tochter weitergeben und eine lange Ahnenreihe ist auf ewig unterbrochen und ausgelöscht.”

„Ich sage es noch einmal!” sprach der König kühl. „Verlasst unser Gebiet auf der Stelle. Das ist alleine die Sache von uns Wassermenschen. Auch die Bestrafung der Nixe ist nicht Eure Sache. Seid versichert! Sie wird sehr hart ausfallen.”

„Ihr seid noch ein sehr junger König! Ihr solltet meinen Rat annehmen und ...”

Der König fiel ihr ins Wort: „Ich berate mich in dieser Angelegenheit nur mit Wasserleuten. Sie gehört zu uns und nur wir werden über sie richten!”

Die Königin schaute den Wassermannkönig zornig an und sie öffnete den Mund um irgendetwas zu erwidern. Doch dann besann sie sich und wurde im nächsten Moment wieder zu einer leuchtenden rosa Kugel. Die anderen Elfen folgten ihrem Beispiel und bald schwebte der Schwarm aus Leuchtkugeln erst quer über den See hinweg und dann über dem Wald zur Hornisgrinde hinauf.

„Elfen!” stieß der König des Mummelsees verächtlich aus. „Was erlauben diese arroganten Erdgeister sich noch alles? Als wenn wir nicht selbst wüssten, was Merline da angerichtet hat ...” Er warf noch einmal einen langen Blick auf den Ertrunkenen zu seinen Füßen. „Dein Tod soll nicht ungesühnt bleiben, das schwöre ich!” sprach er dann.

Unweit der Stelle lag ein verwaistes Bündel aus grobem Leinenstoff und Leder, das fleckig war von angetrocknetem Blut. Darin war ein Korb mit Kirschen eingepackt, ein Ballen eines feiner gewebten Stoffes, zwei hölzerne Puppen mit wollenen Haaren und einige Werkzeuge.

Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee

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