Читать книгу Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee - Manfred G. Bauer - Страница 2

Das grüne Licht

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Was bisher geschah …

Seit Jahrzehnten geht der Pechsieder Hannes seinem Gewerbe direkt am Wildsee nach. Doch das muss er alleine tun, denn alle Bewohner der umliegenden Schwarzwaldtäler meiden dieses Gebiet. Sie wissen, im Wildsee treibt die Nixe Merline ihr Unwesen. Schon zahlreiche verirrte Wanderer und Hirtenjungen hat sie mit ihrer Nixenschönheit angelockt, in die Tiefen des Sees hinabgezogen und ertränkt. Den Hannes aber hat sie immer verschont. Die beiden sind mit den Jahren fast Freunde geworden, wenn er ihr mörderisches Treiben auch zutiefst verabscheut. Er erfährt auch aus ihren Erzählungen, dass sie einst ein Burgfräulein war, das durch die Intrige ihres verräterischen Verlobten schließlich zur Nixe wurde. Doch schließlich muss Hannes mitansehen, wie sie den Hirtenjungen Karl betört und ihn in den See hinabzieht. Das will und kann er ihr nicht verzeihen. Er beschließt sogar die Pechsiederei am See für immer aufzugeben und schafft seine Werkzeuge und alles Wertvolle hinab ins Tal der Schönmünz, wo er mit seiner Frau Else lebt. Doch eben als er heimkommt, wartet eine schreckliche Nachricht auf ihn. Sein Sohn hatte an der oberen Enz einen Flößerunfall und ist seither verschollen. Also zieht Hannes los um ihn zu suchen, und sei es nur nach seinem Grab. Doch als von den Flößern an der Enz niemand etwas darüber weiß, da beschließt er selbst die Enz nach der Leiche seines Sohnes abzusuchen. Halb hofft er, dass er ihn findet, halb befürchtet er es …

Später stand er bei der Stelle wo er selbst mehr als einmal in Schwierigkeiten geraten war. Vor seinem geistigen Auge sah er das Holländerfloß herunterkommen. Er kannte die Geschwindigkeit, mit der das die Flöße taten, ganz genau. Dann kam der kritische Punkt und die beiden Frontreiter hatten alle Hände voll zu tun um an dem Felsen vorbei zu kommen. Sie drückten das Floß so weit wie möglich weg davon auf die andere Seite hinüber und gleichzeitig schob es sich unbarmherzig vorwärts. Doch das ging gut. In Gedanken hörte er die Stämme aneinander reiben und das ganz verdächtige Knacken, wenn bereits einzelne Fasern der Wieden rissen. Das Heck aber mit dem langen Schwanz musste nun auch noch herum und erfahrene Heckleute wussten das. Auch sie mussten das Heck zunächst fern halten von dem Felsen, aber dann auch gleichzeitig das Floß etwas schneller machen, damit der Holländerschwanz von der Fliehkraft nicht gegen den Felsen geschleudert wurde. Er sah wie das nicht recht gelang, denn das hatte er viele Male selbst erlebt.

Wenn die Wieden hielten, dann war der Stoß gegen den Felsen gar kein Problem. Aber die Wieden mussten wirklich gut sein. Durch die Hebelwirkung des Holländers entluden sich die größten Kräfte dann ganz vorn und bildlich sah er wie die Stämme auseinanderschlugen als die Wieden brachen. Das war gewiss genau der Stelle gegenüber passiert sein, wo er jetzt stand. Auf zehn Fuß weiter oben oder weiter unten kam es Hannes dabei nicht an. Gerade hier in der Biegung war das Ufer kräftig unterspült und es war viel Treibholz angeschwemmt worden. Hannes stieg in das niedrige Wasser und begann damit die steilen Kanten des Flusses und die Treibholzhaufen abzusuchen. Halb hoffte er, dass er etwas finden würde, halb fürchtete er es.

Alles war so schnell gegangen. Plötzlich fiel er in die brodelnden Wasser hinab und hatte keine Chance sich festzuhalten. Ein erfahrener Flößer hatte ihm einmal gesagt: „Wenn die Stämme auseinandertreiben und du fällst dazwischen, dann denke daran, dass die nächste Woge sie wieder zusammenschlagen kann. Klammerst du dich dann an einen der beiden, werden sie dich zermalmen. Also lasse dich fallen und versuche unter Wasser wegzukommen von dem Floß. Halte die Luft an und schwimme und tauche was du kannst. Findest du den Grund, dann Stoße dich kräftig ab. Am Ufer gelingt es dir dann vielleicht den Kopf an Wurzeln oder Steinen über Wasser zu ziehen. Dann halte dich gut fest. Du weißt, dass der Strom bald versiegt, wenn die Hochwasserwelle mit den Flößen vorüber ist. Darauf musst du warten. Dann besteht meist keine Gefahr mehr, dass du mitgerissen wirst und du kannst den Bach lebend, aber meist nicht unverletzt verlassen!”

Also ließ er sich wirklich fallen, trennte sich von seiner Flößerstange und war plötzlich unter dem Floß und unter Wasser. Grund fand er keinen aber die Wogen rissen ihn heftig mit und dann stieß er mit dem Kopf gegen etwas Hartes, wohl gegen das Floß. Er sah nur noch Sternchen und seine Sinne schwanden.

Als Mark nach und nach zu sich kam, merkte er, dass er halb im Wasser lag und zwar auf einem Bett aus Schlamm. Sein Kopf schmerzte heftig und als er die Augen öffnete, war nur Dunkelheit um ihn herum. Er versuchte sich zu bewegen, aber da lag irgendetwas auf ihm, wohl jede Menge Geröll und Astwerk. Das schnürte ihm schier den Atem ab. Er nahm sich zusammen und versuchte sich zu befreien, aber es ging nicht. Er war zu schwach und die Last die auf ihm lag zu schwer. Außerdem waren seine Beine irgendwie krumm eingeklemmt und er fühlte sie gar nicht. Erschöpft gab er auf und ein der Ohnmacht ähnlicher Schlaf überfiel ihn. Der Unglückliche würde sich sicher nie selbst befreien können ohne Hilfe, aber kam die rechtzeitig?

Mit seinem Haken zog Hannes das Geröll und das Treibholz auseinander und ließ erst von dem Haufen ab, wenn er sicher war, dass nichts darunterlag. Doch plötzlich fand er etwas, das wie ein großer Fetzen Stoff aussah. Rasch nahm er nun die Hände zu Hilfe und schleuderte Steine und Äste von sich und hinter sich in den Bach. Doch es war nur eine Jacke, wie er erkannte, als er sie aus dem Schlick gezogen hatte und die Jacke eines Flößers. War das die seines Sohnes? Eilig durchsuchte er den Haufen daneben und ärgerte sich darüber, dass es gerade jetzt dunkel werden musste. Doch was war das? Dort oben aus dem Wald über der Enz, da kam ein grünes Leuchten. Hannes kannte dieses Licht. Merline gab das bei Dunkelheit von sich, wenn sie wollte, dass man sie sah, wenn sie wollte, dass ein Verirrter diesem Licht wie einem Irrlicht folgte und tat er es, gab es ein Opfer mehr zu beklagen.

Mark erwachte abermals. Sein Kopf schmerzte noch, aber er lag nicht mehr im Wasser, sondern wohl auf einem Strohlager. Er öffnete die Augen und sah ganz verschwommen. Fieberkrämpfe schüttelten ihn und er versuchte sich besser zuzudecken. Aber was war das, was ihn zudeckte, auch nur Heu und Stroh, keine Decke? Dennoch wusste er, dass ihn jemand gefunden und aus dem Bachbett herausgeholt hatte. Seine Beine waren wieder zu spüren. Vor allem sein linkes pochte heftig vor Schmerz. Er öffnete wieder die Augen und jetzt sah er ein Gesicht über sich. Nach und nach sah er besser und besser und erkannte das sehr hübsche Gesicht einer jungen Frau, aber was für ein Gesicht. Es war totenbleich und schillerte grünlich mit blauen Lippen wie bei einem frierenden Kind. Auch die Augen schienen grün zu sein und die Fremde trug einen triefenden Mantel aus Blättern, die sie am Bachufer gepflückt haben mochte. Er schaute sich um. Er lag in einer düsteren und halbverfallenen Hütte und durch die offene Tür konnte er den Wald erkennen und Farn-Gestrüpp.

„Mark! Bleib liegen!” sprach die merkwürdige Frau mit einer sanften Stimme. „Du bist sehr krank. Vier Tage lang warst du im Bach gelegen, bis ich dich herausgeholt habe unter dem Geröll. Ich habe dich hier her gebracht in diese alte Holzfällerhütte, die keiner mehr benutzt. Meine Heilkräfte sind groß, doch auch ich kann solch schwere Verletzungen nicht auf einmal heilen. Iss etwas Algensuppe und dann versuche wieder zu schlafen.”

„Wer bist du?” fragte Mark und seine Stimme wollte dabei nicht so recht und klang kratzig.

„Merline! Ich bin Merline!”

„Die Nixe?” fragte Mark erschrocken und wollte hochfahren, doch die Schmerzen ließen ihn sogleich auf das Lager zurücksinken.

„Keine Sorge! Du bist Mark, der Sohn von Hannes und Else. Ich tue dir nichts Böses an, das verspreche ich. Ich bin so froh, dass ich dich noch retten konnte aber der Tod war dir sehr nahe.”

Viele Tage zuvor hatte auch Merline, trotz ihrer großen Fähigkeiten noch nicht gewusst, dass Mark etwas Schreckliches zugestoßen war, bis...

Hannes war an jenem Tag gerade eben mit seinem viel zu schweren Wagen abgezogen, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen oder sich von ihr helfen zu lassen, als sie eine Stimme hinter sich hörte. Sie war noch dagestanden in ihrem triefenden Mantel am Rand der Schlucht bei der Pechsiederei und hatte Hannes hinterher geschaut. Jetzt fuhr sie herum. Das gab es doch nicht! Er hatte sie noch nie in ihrem Exil besucht und seit Jahrhunderten nicht mehr mit ihr geredet. Allerdings hatte er ihr immer wieder mal einen Herold geschickt, um sie über die Regeln der Wassermenschen aufzuklären und zur Einhaltung zu ermahnen. Dabei war meist die Drohung verbunden, sie in Schaum aufzulösen, wenn sie es nicht tat. Gekleidet war er in Reste einer Gewandung, die mit Wasserpflanzen behängt war und er trug eine goldene Krone.

„Tante, was tust du hier?” fragte der Mann jetzt, der sehr jung zu sein schien, nicht viel über zwanzig Jahre alt. Dabei hatte er ein ansprechendes und freundliches Gesicht und von zehn Frauen hätten gewiss neun gefunden, dass er der schönste Mann war, den sie je gesehen hätten. „Es geht nicht mehr um Hannes und dass er seinen Sohn hierherbringt. Mark ist ein Unglück widerfahren, spürst du das nicht? Er stirbt bereits und wenn du ihn nicht gleich rettest, dann ist es zu spät!”

Die Nixe hatte eben zu einer mechanischen Verbeugung angesetzt, denn der da mit ihr sprach war der König vom Mummelsee. Doch dann schreckte sie auf. „In Gefahr? Oh ja, jetzt spüre ich es. Wo ist das? Wo liegt er denn? Was ist das für ein Gewässer? Das ist keines von meinen, denn dann hätte ich das schon früher bemerkt.”

„Denke nach! Hannes hat dir die Hinweise gegeben. Wenn du es weißt, kann dieser Stein eine Verbindung schaffen zwischen der Schönmünz und dem Gewässer wo Mark ist. Beeile dich! Den Stein kannst du nur einmal benutzen und wenn du hindurchgegangen bist, durch den Tunnel aus Wasser, dann wird er sich schließen. Suche den Sohn von Hannes und Else ganz schnell! Bald ist es zu spät.”

Der Wassermann ließ einen flachen handtellergroßen Kieselstein zu ihren Füßen fallen und rauschte davon. Im nächsten Moment war er verschwunden.

„Hannes hat mir den Hinweis gegeben! Was hatte Hannes gesagt?” überlegte Merline „Er hatte doch gesagt, dass sein Sohn Flößer sei und zwar - an der Enz.”

Die Enz entsprang zwar nicht allzu weit weg von den Gewässern die zu ihrem Einflussbereich gehörten mit ihren Quellbächen, aber sie floss in den Neckar und der dann in den Rhein. Auch wenn sie über Wasser hätte reisen können. Der Weg war zu weit, selbst für eine Nixe. Ihre Zauberkraft würde ihr bereits auf einem Viertel des Weges ausgehen und dann war da nicht die bündelnde Kraft ihres Kars, mit dem sie diese wieder aufladen konnte. Zudem war sie zu sehr an die Schönmünz und deren Nebenbäche gebunden. Wie gut, dass sie den Stein hatte. Eilig warf sie ihn in das Wasser der Schönmünz.

„Zur oberen Enz!” sagte sie laut und schon wurde sie hineingesogen in einen engen Tunnel, aber sogleich auch wieder ausgespien. Sie fuhr über dem Wasser die Enz hinauf und hinab und schließlich sah sie das schon sehr schwache Leuchten seines Herzens. Mit Zauberkraft befreite sie ihn von seiner Last aus Steinen und Treibholz. Mit Zauberkraft schaffte sie ihm aus trockenen Blättern und Gras ein Lager in der alten Holzfällerhütte oberhalb der Stelle wo sie ihn gefunden hatte. Dann war es Zeit das Wasser aus seinen Kleidern zu ziehen, so dass sie bald wieder ganz trocken waren. Sie zog ihm die langen Flößerstiefel aus, denn da war eine schwere Prellung an seinem linken Bein. Dazu hatte er noch eine verkrustete Wunde an seinem Hinterkopf. Bachkräuter nahm sie als Verband und lange kühlte sie mit den feuchten Teichrosenblättern ihres Mantels seine fiebrige Stirn, bis der ganz aufgebraucht war. Inzwischen war die zweite Nacht hereingebrochen und sie konnte hinuntergehen ohne gesehen zu werden und sich einen neuen Mantel aus feuchten Wassergräsern und Bachpflanzen herstellen.

Mark ging es nach und nach wieder besser, denn sie breitete so gut sie konnte ihre schwindenden Zauberkräfte über ihn aus. Schließlich war er am Morgen des dritten Tages erwacht und hatte wie beschreiben gefragt wer sie sei.

„Wie kommst du hier her? Das ist doch die Enz! Oder liegt diese Hütte gar nicht mehr im Enztal, weil du mich dort weggebracht hast.”

„Ich wollte, ich könnte das. Jetzt wo es dir bessergeht, könnte ich dich mitnehmen und vor dem Haus deiner Eltern ablegen. Noch vor zwei Tagen wäre das undenkbar gewesen, denn auch der beste Heiler hätte dir nicht mehr helfen können. Vergiss nicht! Vier Tage lagst du dort unten im Wasser und du hast viel Blut verloren. Wir sind immer noch an der Enz.”

„Aber wie bist du hierhergekommen?” hakte Mark nach und versuchte noch einmal, sich aufzurichten.

„Du musst jetzt essen!” erklärte sie ausweichend.

Sie hob mit ihrer Hand seinen Kopf vorsichtig an und löffelte mit einem verbogenen Blechlöffel, den sie wohl im Bach gefunden hatte und aus einem alten verbeulten Topf eine grünliche Suppe in den Mund.

„Puh! Was ist das?”

„Algensuppe! Tut mir leid! Etwas Anderes kann ich dir nicht bieten. Aber du musst jetzt essen. Sie wird dich wärmen und dir Kraft geben.”

Wiederwillig, aber gehorsam ließ Mark sich von ihr füttern. Sie hatte Recht. Die Suppe tat ihm gut und er fühlte sich gleich ein wenig besser. Dann legte er sich zurück und schlief sogleich ein. „Schlaf nur, Mark! Ich bewache deinen Schlaf”, sprach sie sanft.

Es war dunkel, als er abermals erwachte. Er hatte in fiebrigen Träumen zwei weitere Tage und Nächte verbracht. Die Schmerzen waren noch da, aber das Fieber schien nachgelassen zu haben. Er setzte sich auf.

„Merline!”

„Ich bin hier Mark!” erklärte die Nixe und jetzt sah er sie. Sie kniete noch immer neben seinem Lager, aber von ihr war nur die dunkle Gestalt zu erkennen und er hörte das Tropfen und Fließen von ihrem Mantel.

„Es geht dir Besser! Sehr schön! Morgen kommt dein Vater. Er kann sich dann um dich kümmern und vollends auf die Beine bringen.”

„Vater kommt hier her?”

„Ja! Er glaubt du seist tot und will nach deinem Leichnam suchen. Morgen in aller Frühe wird er aufbrechen.”

„Morgen in aller Frühe? - Das heißt er kann am Abend da sein.”

„Richtig! Ich werde ihm dann zeigen wo er dich findet!”

„Warum tust du das alles für mich? Du bist eine Nixe! Du mordest, aber du hilfst nicht!”

„Ich Morde nur im Wahn! Aber im Augenblick bin ich weit davon entfernt in diesen Wahn zu verfallen. Meine Kräfte schwinden, denn ich habe sehr viel Kraft für deine Heilung verbraucht. Das ist nicht mein Wasser dort unten und es kann mir deshalb keine neuen Kräfte geben. Ich sterbe, aber mache dir keine Sorgen! Ich halte noch durch bis dein Vater kommt. Hier ist wieder etwas Suppe. Bitte iss!”

Mark nahm ihr nun den Löffel und den Topf aus den Händen und aß hungrig. „Du stirbst? Dann musst du gehen! Ich schaffe das jetzt auch alleine! Ich schleppe mich hinüber zu den Flößern. Sie können mir helfen.”

„Das solltest du lassen! Der Hang hier ist steil und rutschig und du hast noch immer Fieber. Dein Bein ist verletzt und ich bin sicher, dass du nicht gehen kannst. Warte auf deinen Vater! Das ist das Beste! Ich habe nicht meine ganze Zauberkraft verbraucht für deine Rettung, damit du das nun wieder zunichtemachst.”

„Aber so hör doch! Du musst hier weg und in den Wildsee zurückkehren!”

„Weshalb? Sterbe ich, dann wird niemals mehr ein Hirte oder ein verirrter Wanderer sich fürchten müssen vor der bösen Nixe. Dann herrscht endlich Frieden, oben an meinem geliebten Gewässer. Zudem kann ich das gar nicht. Der Zauber der mich hier her gebracht hat war nur einmal zu gebrauchen. Jetzt sitze ich hier fest bis meine Kräfte ganz erloschen sind und nichts kann mich retten.”

„Hast du das gewusst? - Wusstest du, dass es kein Zurück für dich gibt, wenn du hier an die Enz kommst, um mich zu retten?”

„Oh ja! Das wusste ich!”

„Bist du wirklich Merline, die böse Nixe vom Wildsee?” fragte Mark jetzt ungläubig.

„Warte bis dein Vater da ist! Er kennt mich. Ihm glaubst du doch, wenn du mir nicht traust.”

„Warum? - Warum opferst du dich für mich, den einfachen Flößer?”

„Oh, du bist kein einfacher Flößer! Das ist die Sache, die ich auch deinem Vater nicht begreiflich machen konnte. Du und deine Eltern, ihr seid ganz besondere Menschen. Ich hatte die heftige Ahnung, dass ich durch den Sohn von Else und Hannes geheilt und erlöst werde, erlöst vom Hass, von der Wut und von dem Wahn zu töten. Jetzt geschieht das auch. Doch ich hatte mir das ganz anders vorgestellt. Aber es ist schon gut so. Das ist meine Strafe. Der bösen Taten Fluch ereilt mich jetzt und ich kann gehen mit einer guten Tat. Das ist sehr schön und wer solange gelebt hat wie ich, hat längst verlernt den Tod zu fürchten.”

Mark schüttelte ungläubig den Kopf. Dann stellte er aber fest wie erschöpft er noch war und legte sich wieder auf das Lager zurück. Der Topf und der Löffel glitten ihm aus der Hand und er schlief wieder ein.

Mark erwachte im hellen Sonnenschein, denn die Tür der Hütte stand weit offen. Die Kopfschmerzen waren fast weg, aber er war noch immer sehr schwach und es gelang ihm kaum sich aufzusetzen. Es rauschte von der Tür her und Merline glitt herein. Der sonst so sauber gewobene Mantel war zerfetzt und löcherig und ihre bleiche, nackte Haut kam an vielen Stellen zum Vorschein. Ihr Haar war verfilzt und mit Pflanzenfasern durchsetzt. Sie sah zehn Jahre älter aus und wirkte sehr müde.

„Wie spät ist es?” fragte Mark.

„Fünf Uhr am Nachmittag, denke ich!” sprach die Nixe und ihre Stimme klang als spreche sie von weit weg. „Dein Vater kommt gerade den Poppelbach herab. Er ist oben am Wehr des Schwallsees. In einer Stunde wird er im Tal sein.”

Die Nixe setzte sich an die Wand, gelehnt auf den Boden, umarmte ihre Knie und legte den Kopf darauf.

„Ich habe gerade noch genug Kraft, dass ich ihn rufen kann, wenn er da ist. Aber dazu muss es dunkel sein, sonst sieht er das Licht nicht”, erklärte sie jetzt.

„Willst du nicht auch ein wenig schlafen?” fragte Mark.

„Das kann ich nicht! Schlaf der mir Erholung bringt, gibt es für mich nur in meinem Karsee”, erklärte sie.

„Ein Karsee! Weshalb das?”

„Die Felsen und die runde Form des Kessels bündeln Energien. Die Strahlen der Sonne und die Lebenskraft der Natur fließen da zusammen. Wir Wasserleute leben von diesen Kräften.”

„Ich verstehe! Es muss also nicht unbedingt der Wildsee sein. Ein anderer Karsee täte es auch”, stellte Mark nachdenklich fest.

„Nein, nicht mehr bei mir! Ich bin in die Gewässer der Schönmünz verbannt. Nur der Wildsee hat für mich diese belebende Wirkung”, widersprach die Nixe und es schien als würde ihre Stimme dabei immer schwächer.

„Könnte dir Wasser aus der Schönmünz helfen?”

„Ein wenig vielleicht! Ich weiß das nicht!”

„Wenn die du nicht zur Schönmünz kannst, dann müssen wir eben die Schönmünz zu dir bringen”, überlegte Mark.

„Wie denn? Die Schönmünz ist weit. Der Mummelseekönig könnte mir helfen, da bin ich sicher. Sein Zauber hat mich hierhergebracht. Aber da er es nicht tut, denke ich, dass es gut so ist. Er will sicher, dass ich jetzt meine Strafe bekomme und sterbe. Er hat mir wenigstens noch gegönnt Hannes und Else den Sohn zu erhalten.”

„Ich weiß meine Eltern sind etwas Besonderes. Aber ich verstehe nicht weshalb dich das berührt und du für mich dein Leben gibst.”

„Irgendwann musste es so kommen. Es ist gut so und du solltest dich freuen. Dein Vater wird dir dann endlich das Pechsieder-Handwerk beibringen können, jetzt, wo für dich keine Gefahr mehr besteht am Wildsee. Niemand ist dort jetzt mehr in Gefahr, zumindest nicht durch mich.”

„Aber du bist doch keine Gefahr für mich. Du hast mich gerettet. Vater würde mich heute Abend nur noch tot dort unten finden!” rief Mark erregt und viel zu laut aus.

„Dass ich dir nichts tun würde, das habe ich deinem Vater oft gesagt. Doch weil ich sonst so eine Lügnerin bin, wenn es darum geht neue Opfer anzulocken, hat er mir nicht geglaubt. Das ist eigentlich sehr verständlich und ein Teil des Fluches der mich umgibt und gefangen hält. Aber eines weiß ich! Er hat mich dennoch ein wenig gemocht. Er verurteilt und richtet nicht gern. Er sieht in allen Menschen das Gute, selbst in einer Nixe wie mir. Jetzt kann ich ihm doch noch beweisen, dass es mir ernst damit war, als ich ihn meinen Freund nannte. Es ist das Letzte was ich tue, aber es macht mich glücklich.” Merline lächelte schwach in sich hinein und ihre Augen schillerten grünlich.

„Das ist einfach unglaublich! Ich danke dir für deine Hilfe, Merline. Doch tot bist du noch nicht. Vielleicht kann ich die Hilfe zurückgeben, sobald Vater da ist.”

„Das glaube ich nicht! Es freut mich aber, dass du dich um mich sorgst. Doch sollten wir jetzt aufhören zu reden. Ich muss durchhalten, damit ich ihm zeigen kann wo du bist. Reden kostet mich jetzt viel Kraft, - viel zu viel Kraft.” Tatsächlich wollte bei dem letzten Satz die Stimme der Nixe versagen und wurde zu einem Flüstern.

„Sag mir einfach, wenn er da ist! Dann werde ich ihn rufen!” forderte Mark sie auf.

„Er wird dich nicht hören, wenn er unten am Bach ist. Versuch besser ein wenig zu schlafen.”

Mark legte sich zurück, aber er schlief nicht gleich ein, sondern er schaute die zusammengekauerte Nixe an und dachte dabei nach.

Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee

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