Читать книгу Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee - Manfred G. Bauer - Страница 4
Elses Schwiegertochter
ОглавлениеElse konnte beim besten Willen nicht schlafen. Sie setzte sich deshalb in die Wohnstube, brannte einige Kerzen an, und nahm sich eine Flickarbeit vor, um sich abzulenken. Aber das Nähen wollte ihr nicht so recht von den Fingern. Lag es an dem schlechten Licht, oder daran, dass ihr Mark nicht mehr aus dem Kopf ging? Sie sah ihn als Säugling in seiner Wiege und später als Dreijährigen, wie er den Hühnern hinterher tapste, unten im Hof und noch später mit einem unbrauchbaren Bogen und krummen Pfeilen auf Wildschweinjagd gehen in den Wäldern. Sie war froh gewesen, dass der Junge dabei nie wirklich Wildschweinen begegnet war. Doch plötzlich schreckte sie von ihren Gedanken auf. Es klopfte doch tatsächlich an die Tür. Sie musste sich gar nicht fragen wer das war. Das Klopfen war irgendwie wässrig und tropfend gewesen. Sie nahm einen Kerzenständer und ging zur Tür.
„Was willst du, Merline?” fragte sie sogleich unfreundlich, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. Tatsächlich war es die Nixe. Sie war nun nicht mehr so erschöpft und müde wie drüben an der Enz, sondern lebendig und wunderschön in ihrem ordentlich geknüpften Teichrosenmantel.
„Entschuldige bitte Else! Ich bringe Nachrichten von Hannes und Mark. Mark lebt und es geht ihm gut. Sie kommen morgen Abend nach Hause.”
Else wollten die Sinne schwinden bei diesen Worten, doch sie fing sich rasch und fragte: „Woher weißt du das? Lügst du auch nicht?”
„Else! Glaube mir, oder lasse es! Du wirst schon sehen!”
Jetzt kam Leben in Else. Sie umarmte die Nixe und es war ihr egal, dass dabei ihr Kleid ganz nass wurde. Dabei weinte sie Tränen der Freude und konnte nun gar nichts mehr sagen, obwohl sie es versuchte.
„Schon gut Else!” sprach Merline sanft. „Ich verstehe schon!”
„Hast du ihn gerettet?” fragte Else nun doch und löste sich von der Wasserfrau.
„Ich habe ein wenig dazu beigetragen”, erklärte Merline. „Du wirst deine beiden Männer nach Einzelheiten fragen müssen, wenn sie morgen heimkommen. Leb wohl.”
„Danke Merline”, rief Else der Nixe hinterher, doch diese war schon in der Dunkelheit verschwunden.
Das gab ein „Hallo du Tot-Gesagter!” hier und ein „Na, dem Teufel von der Schippe gesprungen!” da, als Hannes mit Mark durch das Tal der Schönmünz marschierten. So mancher wollte gleich genaueres wissen, wie das denn zugegangen sei.
Mark sagte dann: „Das wird man schon bald herumerzählen. Doch jetzt will ich erst einmal heim zu meiner Mutter.” Und Else war es auch, die ihrem Sohn wohl zweihundert Schritt entgegenrannte, als sie erkannte, wer da kam. Sie fiel ihm dann weinend vor Glück um den Hals.
Hannes umarmte alle beide und anschließend gingen sie nebeneinander zum Haus, während Else den Arm ihres Sohnes festhielt, als wolle sie ihn nie mehr hergeben. Drinnen in der Stube gab es dann das Lieblingsessen des Jungen und dabei musste Hannes dann erzählen was geschehen war, soweit er es wusste. Mark warf dabei gelegentlich eine Bemerkung ein, um die Erzählung seines Vaters zu ergänzen. Doch zumeist hatte er den Mund zu voll zum Reden.
„Also doch die Merline! Ich habe es gewusst! Wie können wir uns nur bei ihr bedanken?” sprach Else, als die Erzählung zu Ende war.
„Ich gebe das Flößen auf. Ich möchte Vater nun beim Pechsieden zur Hand gehen”, sagte Mark nun, zwischen zwei Bissen.
„Aber die Merline!” warf Else ein.
„Sie wird mich doch nicht retten und dann umbringen!”
„Unmöglich ist das nicht! Gerade eben noch ist sie lieb und gut und hilft wo sie kann. Dann, im nächsten Moment, wird sie wild und böse. Man weiß dann nicht was in sie gefahren ist. Es ist, als seien da zwei Merlines in ihr drin”, vermutete Else.
„Sie wird ihm nichts tun, glaube mir! Mark lernt ab sofort bei mir das Pechsieden. Wir werden die Hütte etwas vergrößern und einen Schlafraum anbauen, damit mich sein Schnarchen nicht so stört”, entschied Hannes.
„Wer schnarcht hier?” fragte Else.
„Na ich nicht!” sprach Hannes und schüttelte überzeugt mit dem Kopf.
„Ja, ja sicher!” erklärte Else lachend und rückte ganz nahe auf der Eckbank an ihren Mann heran. „Die Sommermonate sind die einzigen wo ich die ganze Nacht durchschlafen kann.”
So war die Familie an diesem Abend glücklich und fröhlich. Nur die Gedanken von Mark schweiften manchmal etwas ab.
Am nächsten Tag war Sonntag und die Arbeit ruhte, bis auf das, was am Hofe unbedingt erledigt werden musste. In die Kirche ging an diesem Tage aus dem Tal niemand. Als dann der Pfarrer nach dem Gottesdienst in das Tal kam, um die Leute zur Rede zu stellen und ihnen ins Gewissen zu reden, da wurde ihm überall die Tür vor der Nase zugeschlagen.
„Geh den Aberglauben jagen, Pfaff!” hatte ihm dabei sogar einer zugerufen. „Tu’s oben am Wildsee! Dann sind wir dich Eiferer los und bekommen vielleicht einen richtigen Pfarrer.”
An den Wildsee aber, dahin getraute der Pfarrer sich denn doch nicht, sondern verließ wütend das Tal.
Am Abend saß Else zwischen ihren beiden Männern auf der Bank vor dem Haus in der Sonne und wollte noch einmal, ganz genau hören wie das mit der Rettung gewesen war. Dabei fiel ihr dann ein Detail auf, das sie bisher nicht beachtet hatte.
„Denkst du sie ist in dich verliebt, Mark?” fragte sie deshalb geradeheraus.
„Möglich!” sprach der ausweichend und wurde dabei ganz rot.
Else fiel das auf und sie dachte sich ihren Teil, während ihrem Hannes nichts aufgefallen war.
„Ich wollte sie wäre jetzt hier! Ich könnte mich dann richtig bei ihr bedanken. Sie könnte mir sagen was sie dafür will, dass sie meinem Sohn das Leben gerettet hat”, erklärte sie.
„Wenn es wahr ist, dass sie sich in den Jungen verliebt hat, dann gewiss den Jungen selbst”, sprach Hannes jetzt. „Also frage sie besser nicht, es sei denn du willst eine triefende Schwiegertochter im Hause haben.”
„Wieso, das wäre ganz praktisch für das Putzen der Stube. Da muss ich keine Wassereimer mehr schleppen”, scherzte Else und Mark schwieg, vor sich hinlächelnd.
„Ich traue ihr immer noch nicht völlig! Ich kann das nicht ändern. Aber alle Zeichen sind gut und sie wird ihm nichts tun, wenn wir oben am See arbeiten”, sagte Hannes jetzt. „Der Junge kann sich die Frau suchen die er will und für richtig hält. Ich rede ihm da nicht hinein. Sie hat ihn gerettet. Aber da sind noch so viele Morde zu sühnen. Der junge Karl geht mir nicht aus dem Kopf. Sie hat ein friedliches Leben gar nicht verdient und meinen Sohn auch nicht.”
„Du mischt dich doch ein, Hannes!” schimpfte Else. „Du bist kein Richter und nicht dafür zuständig den Familien der Ermordeten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der Frieden oben am Wildsee ist viel wichtiger, ja, sogar wichtiger als wir drei.”
„Ich bin kein Richter, aber ich darf Mord verabscheuen, besonders dann, wenn ich ihn selbst mit ansehen musste”, sagte Hannes missmutig. „Versprich mir, Mark, dass du trotz allem sehr vorsichtig bist, oben am See. Jetzt glaubt sie vielleicht selbst, dass sie dir nichts tun will. Im nächsten Moment aber wird sie wild und hässlich, und dann tötet sie. Deine Mutter hat Recht. Es gibt nicht eine, sondern zwei Merlines.”
„Sie wollte sterben für mich”, schob Mark ein.
„Ja, die liebe, die gute Merline wollte ohne weiteres für dich sterben, um die andere auch mit zu töten, die unberechenbare, mordende Nixe, die sich nicht im Griff hat. Die gute Merline kann ruhig sich anfreunden mit meinem Sohn. Die böse muss ich von ihm fernhalten. Doch der Weg ist klar. Sie meint ich würde verstehen auf welche Weise ich die Macht haben soll, wenn ich ihre Geschichte zu Ende höre. Also gehen wir übermorgen hinauf an den Wildsee und nehmen den Ofen wieder in Betrieb. Sie wird dann schon kommen und erzählen. Hoffentlich hat sie Recht! Denn habe ich die Macht, dann nutze ich sie, damit sie niemals mehr tötet.”
„Gehen wir denn nicht schon morgen?” fragte Mark etwas enttäuscht.
„Nicht jetzt Junge! - Hannes! Für mich klingt das, als würdest du eine Macht erwarten, welche die Nixe tötet und damit auch die gute Merline.” Else schaute ihren Mann entsetzt an.
„Na was soll es denn sonst sein?” fragte Hannes.
„Das kannst du nicht! Du kannst nicht töten! Das würde deine gute Seele nie überleben.”
„Mögen sie sterben, die Nixe und meine gute Seele, wenn ich damit all dem ein Ende mache. Das bin ich Karl und den anderen Toten im Wildsee schuldig!”
Else erschrak über das eisige Gesicht ihres sonst so guten Hannes. Der stand jetzt auf und ging hinunter an die Schönmünz, wo er missmutig Steine in das Wasser kickte.
„Meint er das im Ernst, Mutter? Aber nein! Er darf sie nicht töten, weil … Ich ...”
„Nur die Ruhe! Soweit ist es noch nicht. Ich glaube dein Vater irrt sich hier. Die Macht die er haben soll ist bestimmt nichts, womit er Merline schaden kann. Im Gegenteil! Er wird ihr helfen.”
Am nächsten Tag spannte Hannes seinen Sohn kräftig mit ein, als es darum ging, all die Kupferkessel zu reinigen, denn es hatten sich viele Teerreste angesammelt. Er sagte dabei etwas von einer ersten Lektion als Pechsieder.
„Nein, so geht das nicht! Sie müssen gut poliert sein! Sonst setzt sich das Pech gleich wieder fest und es bleibt zu viel davon zurück”, erklärte er gerade.
„Du bist ein gestrenger Lehrmeister, Vater”, stellte Mark fest und nahm sich den Kessel noch einmal vor.
„Da hättest du erst einmal den schwarzen Peter kennenlernen müssen! Der hat mir sogar manchmal eine hinter die Ohren gegeben, wenn ich etwas nicht richtiggemacht habe. Dabei hätte ich den dürren Kerl mit nur einer von meinen Flößerpranken am Kragen packen und in der Luft verhungern lassen können.”
„Ich hoffe, dass du mir keine hinter die Ohren gibst, Vater.”
„Das sehen wir noch”, sprach Hannes grinsend. „Es kann sein, dass dir das freie Leben als Flößer zu Anfang fehlen wird. Aber wenn du das erste Mal den Batzen Geldes kassiert hast, den es nur für die Ausbeute eines Sommers gibt, dann wirst du merken, dass dieser Beruf viel besser ist als der des Flößers und weniger gefährlich. Sieh! Ich bin fast siebzig und kann ihn noch immer ausüben.”
„Du kassierst doch das Geld für unsere Ausbeute, nicht ich”, stellte Mark fest.
„Unsinn! Ab sofort machen wir Halbe-Halbe. Aber die Verhandlungen mit dem Kauffahrer mache ich diesmal noch. Dich haut er nur übers Ohr. - Ja, so ist es besser. Du kannst dir den nächsten Kessel vornehmen.”
Sie beluden noch am Abend die Handkarre mit den Kesseln und den gerichteten und geschliffenen anderen Werkzeugen. Am anderen Tag kam noch der Proviant dazu, den ihnen die Else eingepackt hatte und dann machten sie sich, die Karre hinter sich herziehend, zum Wildsee auf.
Der Bernd trat heran, als sie eben den Abzweig zur Leimiß erreichten. „Grüß dich Hannes, grüß dich Mark! Es stimmt also, was die Leute sagen. Mark hört mit dem Flößen auf und wird Pechsieder. Hat er denn eine Liebe, die ihn vor der Nixe schützt?”
Hannes wollte mit „Nein” antworten, aber Mark kam ihm zuvor: „Oh ja, das habe ich!”
Hannes schaute seinen Sohn erstaunt an.
„Wer ist es denn?” wollte Bernd sogleich wissen.
„Das wird man im Tal schon erfahren”, antwortete Mark ausweichend.
„Mark, ich wollte wissen ob ich mich auf dich berufen darf, als dein Freund, wenn ich hinüber gehe zur Enz, um als Flößer anzufangen.”
„Ach ja! Vater hat da auf dem Heimweg etwas erzählt. Sicher! Berufe dich auf mich! Aber nenne mich nicht bei meinem Nachnamen. Ich war Mark der Braune, wegen meiner Haarfarbe. Alle Flößer bekommen mit der Zeit solche Namen. Meist wissen wir außer dem Vornamen gar nicht wie der betreffende wirklich heißt. - Wann gehst du denn los?”
„Mutter meint, ich soll wegen der Trauer noch warten. Aber ich denke, dann wird es zu spät für dieses Jahr. Ich werde wohl diese Woche noch durchbrennen.”
„Du musst dir drüben an der Enz einen Flößerhaken besorgen. Die Schmiede dort haben immer welche bereitliegen. Dann muss noch ein Hut her. Ich würde dir meinen Flößerhacken und meinen Hut geben, aber beide gingen bei meinem Unfall verloren. Die Lederhosen, Stiefel und die Weste kannst du dir später anschaffen, von deinem ersten verdienten Geld, denn das wird recht teuer.”
„Danke für den Hinweis! Hannes, Mark, lebt wohl!” Bernd stieg nun wieder eilig ab.
„Es fehlt ihm noch die rechte Statur für einen Flößer”, stellte Mark fest. „Die wird er schnell bekommen bei der Arbeit und wenn nicht, dann kehrt er ohnehin heulend zurück in den Schoß seiner Mama, schon nach dem ersten Monat.”
„Wen hast du als Braut?” fragte Hannes nun, ohne auf diese Bemerkung einzugehen.
„Na was denkst du? Sie ist Nass, glitschig und eine Massenmörderin. Aber sag das meinem Herzen!”
„Das kann doch nicht dein Ernst sein!” rief Hannes aus, der es zwar geahnt hatte, aber es nicht recht hatte glauben wollen.
„Doch! Damit ist mir sehr ernst. Ich habe versucht mir das auszureden, mit allerlei vernünftigen Argumenten. Aber ich denke, Liebe und Vernunft haben nicht viel miteinander zu tun.”
„Wenn das deine Mutter hört ...”
„Vater! Sie weiß es bereits. Glaube mir! Frauen wissen so etwas immer zuerst, besonders wenn es Mütter sind. Sie hat mir ihre Brosche mitgegeben als Geschenk und zwar ohne ein weiteres Wort zu sagen.”
„Die silberne Brosche? Unglaublich! - Aber na schön! Ich wollte sie ja auch weggeben, als Geschenk für die Wasserleute.”
„Meinst du sie wird ihr gefallen?”
„Die gute, die liebe Merline wird die Symbolik dieses Geschenkes verstehen und sich sehr darüber freuen”, sprach Hannes mit dem Brustton der Überzeugung. „Das tun die Mädchen immer!”
„Meinst du wirklich?”
„Aber sicher!”
„Weißt du, ich hätte an etwas aus Gold gedacht. Schließlich habe ich ja noch das Flößergeld, das in meine Jacke eingenäht ist.”
„Junge! Diese Brosche wurde immer nur von der Mutter an die Schwiegertochter weitergegeben. Sie ist schon ewig in meiner Familie. Meine Mutter hat sie von deiner Großmutter, bekommen und sie an Else gegeben, zu unserer Verlobung. Ein wertvolleres Geschenk von deiner Mutter an Merline kann es nicht geben. Sie scheint ganz sicher zu sein, dass sie nun eine Schwiegertochter hat.
”Das beruhigte Mark und er lächelte glücklich. Aber Hannes murmelte vor sich hin: ”Wie soll das nur gut gehen?”