Читать книгу Merline die Nixe Das Grauen vom Wildsee - Manfred G. Bauer - Страница 3
Rettung für Merline
ОглавлениеHannes wusste plötzlich, dass dieses Leuchten ihm galt. Das Licht rief ihn. Er nahm seine Flößerstange und ging darauf zu. Da war der bewaldete Hang und von dort oben irgendwo leuchtete es zu ihm herab. Jetzt schlug er den Haken in einen der Bäume über ihm, die er nur als schwarze Schatten sehen konnte und durch Gestrüpp und Unterholz zog er sich an der Stange hinauf. Das wiederholte er noch einige Male und dann stand er vor einer zugewachsenen, halb verfallenen Hütte aus welcher das Leuchten kam.
„Vater!” hörte er die schwache Stimme seines Sohnes und wollte ihr nicht trauen.
„Vater, ich bin hier!” hörte er wieder und nun trat er in die Hütte hinein.
„Junge!” sagte Hannes und dann versagte seine Stimme. Er umarmte sein verloren geglaubtes Kind, das da auf dem Strohlager saß.
„Vater! - Merline! Sie stirbt!” wehrte Mark ihn ab.
Jetzt erst schaute Hannes hinüber zu der grün leuchtenden Nixe, die den ganzen Raum in ein unheimliches Licht tauchte. Sie saß ganz zusammengekauert an die Wand gelehnt und bewegte sich nicht. Sie schaute auch nicht auf.
„Sie hat mich gerettet Vater”, erklärte Mark ihm. „Bitte, hast du Wasser dabei, Wasser das du von der Schönmünz mitgebracht hast?”
„Ja sicher! Aber ich kann dir frisches Wasser von dem Enzbrunnen holen”, antwortete Hannes. „Das Wasser der Enz selbst solltest du besser nicht trinken. Wer weiß ob deine Flößer-Kumpane nicht hineingepinkelt haben.”
„Das Wasser! Bitte Vater! Wo hast du es?”
„Mein Bündel liegt unten an der Enz. Ich habe es abgelegt als … - Stirbt sie wirklich?”
„Ja! Sie hat mir all ihre Kraft gegeben um mich zu retten. Nun hat sie für sich selbst fast keine mehr.”
„Aber sie kann doch aus dem Bach Kraft schöpfen, dachte ich!”
„Nicht aus diesem, Vater! Das Wasser! Ich hole es.” Mark wollte sich erheben. Doch seine Beine versagten und er fiel wieder auf das Lager zurück.
„Bleibe liegen! Ich bin gleich wieder da.”
Hannes schaute noch einmal nach der Nixe, als er hinausging. Sie leuchtet noch immer, aber das Licht war merklich schwächer geworden und sie rührte sich noch immer nicht. Hannes nahm seinen Flößerhaken wieder zu Hilfe und kletterte damit erst den Hang hinab und mit dem umgehängten Bündel sogleich wieder herauf.
„Das Wasser Vater! Bitte! gib es mir!” sprach Mark ungeduldig. Jetzt reichte Hannes seinem Sohn die große Feldflasche, die er am Morgen an dem Brunnen vor seinem Haus gefüllt hatte. Doch aus dieser hatte er kaum getrunken, denn es hatte genug klare und kühle Brunnen auf seinem Weg gegeben. Wenn er nun erwartet hatte, dass Mark davon trinken würde, so hatte er sich getäuscht. Er öffnete die Flasche und setzte sich ganz auf. Nun rutschte er auf Knien hinüber zu Merline.
Vorsichtig goss er von dem Wasser in ihr Haar und als sie reagierte und aufschaute, da flößte er ihr auch etwas davon ein. Plötzlich erstrahlte sie hell, dass es blendete und drüben bei der Einbindkammer fragte der Nagel-Kurt: „Was war denn das für ein Wetterleuchten? Es sieht doch gar nicht nach Gewitter aus?”
Jetzt strahlte die Nixe nicht mehr so hell und auch nicht mehr grün, sondern mit einem Licht wie der silbrige Mond. Sie lächelte, nahm Mark die Flasche aus der Hand, trank noch einmal, und erhob sich.
„Wasser aus der Schönmünz, welches das sich in meinem Wildsee aufgeladen hat. Wo habt ihr das her?”
„Ich kenne doch meinen Vater. Immer füllt er sich seine Feldflasche an unserer Pumpe vor dem Haus, bevor er geht und dann trinkt er lieber aus frischen Quellen und bringt sie halb voll wieder mit!”
„Danke Hannes! Darf ich dieses Wasser behalten? Das schenkt mir noch einige Tage das Leben.”
„Natürlich, Merline!”, sprach Hannes. „Aber warum nur einige Tage. Kehre heim, dann ist alles gut.”
„Das kann sie nicht. Der Zauber der sie hier her gebracht hat ist erloschen und erneuern kann sie ihn nicht, ohne die Hilfe des Königs vom Mummelsee. Sie hat mir all ihre Kraft geopfert mit dem Wissen, dass sie dann sterben wird.” Mark ergriff jetzt die Hände Merlines und schaute sie mit liebevollem Blick an.
Hannes sah das und bemerkte, dass die Hände von Merline jetzt rosa wurden und diese Farbe lief an ihrem Arm hinauf. Dabei sprang gleichzeitig das Leuchten auf Mark über und der schloss die Augen. Merline aber wurde wieder dunkler und Mark dann auch bis er gar nicht mehr leuchtete. Ihre Hände, waren nun nicht mehr rosa, sondern wieder bleich als er sie losließ. Aber Mark konnte sich erheben und zwar ohne zu wanken. Er half Merline beim Aufstehen, die einen Schluck aus der Flasche nahm und dabei wieder sichtlich Kraft schöpfte.
„Du hast es schon wieder getan. Jetzt hast du mich vollends geheilt. Kaum hast du wieder Kraft heilst du mich”, sprach Mark sanft und streichelte die Wange der Nixe. „Danke! Danke für alles.”
Hannes war erst sprachlos über das was er gesehen hatte, doch dann ergriff er auch das Wort. „Danke Merline, meine Freundin!”
„Vater! Hast du auch zu Essen da?” sprach Mark jetzt fröhlich und setzte sich auf einen alten Holzspalt-Klotz der an der Rückwand der Hütte lehnte. Hannes ließ kein Auge von der Nixe, die glücklich lächelte und seinen Sohn dabei verliebt anschaute. Doch er reichte Mark das Bündel hin.
„Hm! Brot von Mutter und Käse von Tante Julia”, sprach der und biss kräftig in die Gaben hinein. „Möchtest du auch, Vater?”
„Nein, jetzt nicht! - Wir müssen sie retten, Junge!”
„Natürlich retten wir sie”, sagte Mark entschlossen und schaute die Merline mit einem Blick an, der sehr liebevoll war.
„Das habe ich nicht verdient! Ihr könnt mich auch gar nicht retten. Wollt ihr mir von nun an täglich Wasser von der Schönmünz herüberbringen? Nein, geht heim und lasst mich hier sterben. Dann hat der Wildsee seinen Frieden und ich auch!”
Hannes holte seine Laterne hervor und mit seinen Schwefelhölzchen entzündete er die Kerze darin. Da war ein Haken an der Decke und der nahm die Laterne auf. „Spare deine Kräfte Merline, während wir überlegen wie wir dich hinüberschaffen in die Schönmünz.”
Das Licht um Merline ging aus, dafür brannte aber die Kerze nun etwas heller als normal.
„Weshalb darüber reden? Ich soll hier sterben. Das ist mir so bestimmt worden, sonst hätte der Wassermannkönig mir einen zweiten Stein mitgegeben, damit ich zurückkommen kann in meine Gewässer. Früher hätte ich ja den Teufel getan mich von ihm verleiten zu lassen, meinen Machtbereich zu verlassen.”
„Nein!” rief Mark entsetzt aus. „Das darf nicht sein!”
„Merline! Das Wasser aus der Flasche gibt dir doch Kraft. Kannst du damit nicht den Kalmbach hoch fahren in nur einer Minute bis zur Quelle?” fragte Hannes.
„Sicher! Das kann ich schon, aber es wird mich sehr viel Kraft kosten, denn wie gesagt. Der Kalmbach gehört nicht mir!”
„Dann mache dir doch einen triefenden Mantel und benutze deine Beine um zur Schönmünz hinunter zu gehen!” fuhr Hannes fort.
„Meine Beine?”
„Ja, das ist die Idee! Deine Beine sind die beiden langen, wundervollen Dinger, die da unter und zwischen deinem Mantel hervorschauen”, erklärte Mark ironisch. „Man geht mit diesen Beinen. Wir Menschen machen das so, weil wir nicht mal eben einen Fluss hochfahren können.”
Die Nixe schmunzelte, aber sie bedeckte nun ihre Beine besser mit dem Mantel, was Mark durchaus zu bedauern schien.
„Ich weiß was man mit Beinen tut, nämlich den Männern den Kopf verdrehen. Aber damit gehen? Das ist mir neu!” griff die Nixe den Scherz auf. „Aber das geht nicht! Meine Kräfte werden mich verlassen, noch ehe ich auch nur die Murg erreichen kann.”
„Dann trage ich dich!” erklärte Mark entschlossen.
„Das macht keinen Unterschied. Der Mantel hier kann nur in der Nähe eines Baches die Feuchtigkeit spenden die ich benötige und nur so weit wie sein Plätschern und Rauschen erklingt. Auch zehn Feldflaschen voll Schönmünzwasser könnten mich nicht vor dem Austrocknen bewahren, wenn der Mantel seine Kräfte verliert. Soweit ich weiß gibt es aber von der Kalmbachquelle aus, oder auch nur in erreichbarer Nähe, eine Quelle deren Klang mich retten kann.”
„Doch! Der Schwarzenbach dachte ich!” warf Hannes ein.
„Zu weit weg, glaube mir. Die Nagoldquelle ist näher dran und auch die ist zu weit. Ich trockne sehr schnell, aus ohne das ständig fließende Wasser. Natürlich fließt die Nagold auch in die ganz falsche Richtung. Nein! Verfluchte Nixen wie ich können sich außerhalb des Wassers nicht sehr weit auf ihren Beinen bewegen. Die sind wirklich nur noch dazu da Männer anzulocken.” Den letzten Satz hatte Merline sehr traurig gesprochen. Sie setzte sich jetzt wieder auf den Boden und lehnte sich an die Wand.
„Seht es doch ein! Ich sterbe! - Hannes mein Freund! Bitte gib mir die Gelegenheit meine Geschichte weiter zu erzählen. Dann überlebt diese vielleicht und wer sie hört, versteht dann möglicherweise, wie und warum ich zur bösen Nixe wurde und verzeiht mir meine Taten, wenn du das schon nicht kannst. Ich werde dieses Wasser so einteilen, dass es erst zu Ende ist, wenn ich alles berichtet habe.”
„Du hast meinen Sohn gerettet! Wie kannst du nur glauben, dass ich nun tatenlos zusehen werde wie du stirbst?” rief Hannes erregt aus.
„Hannes! Du hast doch tatenlos zusehen müssen, wie ich Karl ermordet habe. Sieh, das ist meine Buße. Ich finde den Mann den ich … und ...” Merline verstummte. Sie stand auf und trat aus der Hütte hinaus. Mark aber schaute erst erstaunt, dann eilte er hinter her. Sie weinte und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
„Wen hast du ermordet?” fragte Mark und nahm ihre Hände, die sogleich von Wärme erfüllt rosa wurden.
„Viele! - Unzählige!” erklärte sie.
„Das weiß ich, aber welchen Karl?” fragte Mark so laut, dass sie zusammenzuckte vor Schreck.
„Karl von der Leimiß und erst vor wenigen Tagen!” sprach sie und löste sich von ihm, wobei sogleich die bleiche Farbe wiederkam. Sie drehte sich weg und weinte wieder in ihre Hände.
„Karl, der kleine Bruder von Josef und Bernd! Warum?”
In Marks „warum” lag so viel Enttäuschung, dass es Merline eiskalt wurde, obwohl sie kaum noch kälter werden konnte.
„Ich weiß nicht warum! Das weiß ich nie! Aber vielleicht um deinen Vater endlich davon zu überzeugen, dass er dem Morden ein Ende setzen muss.”
„Mein Vater? Was hat denn Vater damit zu tun?”
„Er alleine hat die Macht! Mehr zu sagen ist mir noch immer verboten und es ist auch ohne Bedeutung. Alles löst sich jetzt auch so. - Meine Geschichte! - Sie hätte helfen können. Aber im Grunde ist das jetzt auch sinnlos. Der Weg ist entschieden. Einen anderen Weg gibt es nicht mehr und umkehren kann ich nicht.”
„Seht!” rief Hannes.
Zum zweiten Mal an diesem Abend dachte der Nagel-Kurt, er hätte ein Wetterleuchten gesehen. Doch nach dem Aufblitzen brannte das grüne Licht viel schwächer. Es erstrahlte mitten in der Enz unterhalb der Holzfällerhütte.
„Das ist ein Wassertunnel, genau an der Stelle an der ich angekommen bin. Das war der König!” stellte die Nixe fest. Sie reichte Hannes die Feldflasche. „Danke! Die brauche ich jetzt nicht mehr.”
Sogleich schwebte Merline den Hang hinab.
„Lebt wohl, meine beiden Freunde!” sprach sie dabei und warf vor allem Mark einen Blick über die Schulter zu, der Eis zum Schmelzen bringen konnte.
„Du hast es dir verdient, Tante! Denn du wolltest für ihn sterben,” sprach plötzlich eine körperlose Stimme aus dem Dunkel.
„Merline!”
Die Nixe hielt an und drehte sich um: „Ja, Hannes?”
„Sagst du bitte Else Bescheid, dass es Mark gut geht!”
„Ich hoffe, dass ich das kann, ehe sie mir wieder mit der Mistgabel droht. Aber ich werde es versuchen”, stimmte Merline zu.
„Sag ihr, wir kommen Morgenabend heim!” rief ihr nun auch Mark hinterher.
„Sehr gerne, lieber Mark!” Kaum war Merline über dem Leuchten als sie auch schon verschwand und das Leuchten natürlich auch.
„Glaubst du sie ist jetzt wieder im Wildsee?” fragte Mark nun.
„Sicher! Und dort sind nun wieder alle in Gefahr die sich an den See verirren.” antwortete sein Vater.
„Du hast die Macht! Verhindere es!”
„Ich weiß nicht wie!”
„Die Geschichte von der sie sprach! Das ist der Schlüssel! Du musst ihr die Gelegenheit geben sie weiterzuerzählen. Vielleicht weißt du es dann, Vater.”
„Ja, du hast sicher Recht! Also nehme ich das Pechsieden dort oben am See doch wieder auf.”
„Hast du es denn aufgegeben?”
„Ich sah den Karl hinabsinken, von der Nixe verführt und betrogen. Das gab mir fürs Erste den Rest. Aber das gehört zu der Geschichte und die erzähle ich dir morgen auf dem Heimweg nach und nach. - Was fangen wir jetzt an? Sollen wir hier in der Hütte übernachten?”
„Nein, bloß nicht! Von dem Strohlager habe ich genug. Ich möchte mich kurz an der Enz waschen und dann gehen wir zur Einbindkammer. Da sind wieder einige beisammen, wie ich an den Lagerfeuern sehe. Das wird ein Hallo geben! Wir können dann gewiss im Schiff übernachten. Aber wo ist eigentlich meine Jacke?”
Mark griff sich seine Stulpenstiefel und streifte sie sich über.
„Ich habe so ein Teil unten beim Teufelsfelsen zwischen dem Geröll gefunden, aber natürlich klitschnass und dreckig. Sie muss dort auf einem Stein im Wasser liegen”, erklärte Hannes und packte sein Bündel zusammen und hängte es sich um.
„Ah ja! Ich habe sie dort unter Wasser abgestreift. Wie sie aussieht ist mir egal. Hauptsache der Futterstoff ist unbeschädigt.”
„Ich sehe schon, du hast dich an meinen Rat gehalten”, stellte Hannes fest und ließ sich bereits an der verhakten Stange den Hang hinab. Mark folgte sogleich und brachte dabei die Laterne.
„Natürlich! Dein Rat war immer sehr Weise.”
„Dann hör jetzt noch einmal auf mich! Du wurdest natürlich nicht von einer Nixe gerettet!”
„Sondern?”
„Sagen wir von einem verrückten alten Einsiedler der mich rief, als er mich sah und dann verschwand ehe ich sein Versteck erreichte. Und so fand ich dich. Du bist lange im Fieber gelegen aber nun geht es dir wieder besser. Vielleicht solltest du noch nicht zu gesund wirken, vor deinen Kollegen und vielleicht ein wenig hinken.”
„Ich sage es ja! Dein Rat ist der Beste!”
„Das Schiff!” sprach Hannes nachdenklich als sie wenig später die Enz entlang zu den Lagerfeuern mit den Flößern gingen. „Wer weiß ob ich auf den schmalen und harten Pritschen dort überhaupt noch schlafen kann. - Aber das ist wieder wie in alten Zeiten.”
„Das Schiff” war die Kurzform für das „Enzschifferschafts- Zunfthaus”, einem Holzgebäude neben der Einbindkammer, welches ein Mittelding zwischen Lagerscheune und Gasthaus war. Für viele der herumvagabundierenden Flößer war dieses Zunftgebäude das einzige Zuhause, das sie noch hatten.