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1.2 Die fruchtbare Verbindung von Psychoanalyse und Pädagogik

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Ein triftiger Grund für das Entstehen der großen Ideenvielfalt in der Psychoanalyse mag sein, dass sich das Unbewusste grundsätzlich der unmittelbaren Beobachtung entzieht und nur indirekt erschließbar ist. Damit auch ist eine eindeutige wissenschaftliche Festlegung erschwert, und es bedarf also mehrerer »theoretischer Sprachen«, um sich ihm anzunähern. So »kann der psychoanalytische Blick auf das Unbewusste gerade in seiner Heterogenität als ein fortgesetzter Versuch verstanden werden, dieses flüchtigen Gegenstandes habhaft zu werden« (vgl. Rohde-Dachser 2019, S. 2). Bion etwa geht gar nicht von einem prinzipiell immer schon existierenden Unterschied von Bewusstem und Unbewusstem aus, sondern er erachtet deren Trennung als Ergebnis des ständigen Austauschs zwischen Mutter und Kind (vgl. Bion 1995, S. 231).

Dieses Bild taucht in jüngeren Konzepten der klinischen Psychoanalyse wieder auf – als ein intersubjektives Wechselspiel zwischen »zwei Subjektivitäten« – denen von Analytiker/in und Patient/in (vgl. Orange u. a. 1997, S. 11). Vertreter/innen verschiedener psychoanalytischer Schulen heben hervor, dass ein Analytiker/eine Analytikerin seine/ihre eigenen emotionalen Reaktionen auf seinen Patienten/ihre Patientin niemals restlos zugunsten einer ›objektiven‹ dynamischen und genetischen Erklärung auszuschalten vermag. Erst seine/ihre aktive Reaktion auf dessen/deren freien Assoziationen »setzt den therapeutischen Dialog in Gang« (vgl. Ornstein, Ornstein 2001, S. 14 f.). Das empathische Verständnis schließt eine Antwort unbedingt ein.»Patienten beschweren sich zu Recht, dass wir sie nicht verstehen, wenn wir nicht empathisch antworten«. Andersherum erwächst aus dem Verstehen eine intersubjektive psychoanalytische Verständigung (vgl. Orange 2004, S. 39 f.). Daher steht in der relationalen Psychoanalyse das »Konzept des Anderen« im Mittelpunkt der Überlegungen, wird das Unbewusste zur »Präsenz der Interaktion« (vgl. Buchholz 2005, S. 633 f.). Nach dieser Lesart »greifen reale Erfahrungen und deren phantasmatische Ausarbeitung ineinander, beeinflussen sich gegenseitig und führen zu immer neuen Konstellationen der Relationalität« (vgl. Potthoff 2019, S. 16). Demzufolge bildet sich in der Begegnung mit dem realen Anderen – also in einem wechselseitigen Austausch von subjektivem Erleben – das »implizite Beziehungswissen« heraus (vgl. The Boston Change Process Study Group 2004. S. 936; Rohde-Dachser 2019, S. 3 ff.). Ich werde später darauf zurückkommen.

Die Psychoanalyse ist vor allem auf Grund ihrer klinischen Erfolge bei der Behandlung neurotischer Störungen allgemein längst anerkannt, auch wenn etwa bei uns hinsichtlich der Richtlinienpolitik im Rahmen der Krankenversicherung Kritik zu äußern ist (vgl. Pollak 2020, S. 403). Ihr Markenkennzeichen ist, sich auf naturalistischem Wege dem einzelnen Subjekt anzunehmen, um präzise verstehen zu lernen, worunter und vor allem warum es zu leiden hat. Diese Logik liegt ein wenig quer zu einer empirisch bedingten Aufsummierung von großen Kohorten, die quasi zu einem Prototyp verdampft werden. Hinter dem allgemeinen Maßstab droht das singuläre Individuum zu verschwinden. Langer bringt es auf den Punkt:

»Der vermeintliche Goldstandard experimentell-quantitative angelegter Studien unter kontrollierbaren Laborbedingungen kann die Komplexität diffuser, historisch und kulturell bestimmter Konfliktdynamiken in the real world out there nicht systematisch erfassen, sodass diese aus dem Bereich des sinnvoll Erforschbaren ausgeklammert werden müssen« (vgl. Langer 2019, S. 81).

Übrigens spricht auch genau dieser Umstand gegen eine allgemein greifende Neurosen-Prophylaxe, weil ihr Instrumentarium viel zu grobkörnig wäre. Bei aller anthropologisch begründeten Gemeinsamkeit der in Gang gesetzten innerpsychischen Mechanismen bleibt jedes Schicksal doch einzigartig. Es gilt das Paradox anzuerkennen, das menschliche Subjekte »gleich und zugleich verschieden sind« (vgl. Crain 2005, S. 196).

Ein weiteres kommt hinzu, was die Vorbehalte gegenüber der Anwendbarkeit der Psychoanalyse auf dem Gebiet der Pädagogik anbelangt. Die Klärung des Verhältnisses von psychoanalytischer Therapie und Psychoanalytischer Pädagogik nahm nämlich viel Zeit in Anspruch, und bis heute haben sich zuweilen gewisse Zweifel erhalten, ob dieser Schritt inzwischen hinreichend vollzogen wurde. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass mitunter von externer psychoanalytischer Seite, ohne die im erziehungswissenschaftlichen Kontext nötigen Modifikation der psychoanalytischen Technik vorzunehmen, eher »unerbetene Deutungen« für bestimmte Situationen angeboten wurden, nicht aber eine interne Anreicherung der genuin pädagogischen Handlungsvollzüge mit psychoanalytischen Verstehens erfolgte (vgl. Reiser 2006, S. 20; Bittner 1985, S. 38).

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandten sich alle Spielarten der Humanwissenschaften verstärkt der positivistischen Wissenschaftstheorie zu. Mit deren Verheißung, über exakte empirische Verfahren zu verfügen, schien die Hoffnung auf, in den Adelsstand einer echten Naturwissenschaft erhoben zu werden. Nur das Positive, also unzweifelhaft beobacht- und beschreibbare Existente, war fortan noch kreditwürdig, und damit schien man dem spekulativen Sinnieren über etwas so Unfassbares wie die Seele entkommen zu können. Mehrheitlich entschied man sich für eine technologische Ausrichtung, die auf Kontrolle und Überprüfbarkeit setzt, und der selbstverständlich die Psychoanalyse als erstes zum Opfer fiel. Zudem machte diese wissenschaftstheoretische Rolle rückwärts beileibe nicht Halt vor den Psychoanalytiker/innen selbst. Einige unter ihnen schlossen sich dem positivistischen Denken an, weil sie die Psychoanalyse für unwissenschaftlich hielten. Offensichtlich hatten sie den besonderen Charakter des intersubjektiven Feldes ihrer eigenen Profession gründlich missverstanden.

Winnicott ist der Überzeugung, dass manche Menschen »so tief in der objektiv wahrnehmbaren Realität verwurzelt sind, dass sie (…) den Kontakt zur subjektiven Welt und die kreative Haltung gegenüber den Dingen verloren haben« (vgl. Winnicott 1993, S. 79 f.). Umgekehrt gibt es natürlich auch solche, die die äußere Realität »nur aus ihrer inneren Perspektive wahrzunehmen vermögen« (vgl. Crain 2005, S. 113). Bei Orange heißt es: »Selbst die besten Fallstudien können nur andeutungsweise versuchen, die Atmosphäre, die ein spezifisches intersubjektives Feld erzeugt, (…) zu erfassen« (vgl. Orange u. a. 2001, S. 13).

Die theoretische und konzeptionelle Verengung hat es lange Zeit schwer gemacht, Psychoanalyse für den nichtklinischen Bereich zu reklamieren, und die Frage, welche methodischen Änderungen damit verknüpft sein müssten, harrte lange einer zufriedenstellenden Beantwortung. Mit seiner klaren Aussage, Psychoanalytische Pädagogik in Theorie und Praxis als »Teil der Psychoanalyse« zu begreifen, hat Hans-Georg Trescher diesbezüglich eine wichtige Diskussion angestoßen (vgl. Trescher, H.-G. 1985a, S. 65). Vor nicht allzu langer Zeit hat Perner eine ähnliche Definition eingebracht: »Die psychoanalytische Sozialarbeit ist eine spezifische Form der Psychoanalyse (…)« (vgl. Perner 2010, S. 62).

Nach psychoanalytischer Auffassung hinterlässt das, was ein Kind in seinen frühen Interaktionen erlebt hat, einen Niederschlag, der in seine psychische Struktur und in seinen Körper eingeschrieben wird (vgl. Quindeau 2008, S. 17). Da dem Körper der Charakter von etwas Unverfügbarem innewohnt und er sich folglich nicht auf die »Eigenschaft einer objektivierbaren raum-zeitlichen, physikalischen Größe« reduzieren lässt, erscheint es geboten, eher von Leib und Leiblichkeit zu sprechen. »Der Leib erscheint uns in einer doppelten Weise gegeben: in einem präreflexiven Zugang zur Welt und in einer materialen Beschaffenheit als potentielle Begrenzung der gelebten Selbstverständlichkeit« (vgl. Mattner 1987, S. 36 ff.). Die beseelte Leiblichkeit entspringt dem Körper.

In diesem Sinne lässt Lorenzers Analyse beschädigter individueller Struktur die begrenzten Möglichkeiten von beobachtungswissenschaftlich-erklärenden Erkenntnisfiguren hinter sich. In seinem Topos von der »Hermeneutik des Leibes« werden die beiden Antipoden – der »homo cultura« und der »homo natura« – dergestalt miteinander verbunden, dass der »›Leib‹ als ›Sinnzusammenhang‹« aufscheint: »Damit deutet sich ein Verhältnis zwischen Psyche und Körper an, das nicht der alten Trennung in sinn-lose Natur einerseits und sinn-stiftendes Bewusstsein andererseits entspricht (…)«. Dieses nichtsprachlich einsozialisierte Sinnsystem bildet die »›Grammatik‹ des Körpers« (vgl. Lorenzer 1988b, S. 842 ff.).

Der Körper ist das vorgängige, bereits sozial hergestellte Reservoir jeglicher Symbolbildung. In Regina Kleins Auseinandersetzung mit der Position Lorenzers stellt der Körper »als subversives Elementarteilchen im Gefüge der symbolischen Ordnung« ein eigenständiges, unbewusst wirkendes Gegensystem zum bestehenden Diskurs dar (vgl. Klein, R. 2004, S. 633). Denn schon bei Lorenzer ist »eine restlose Verknüpfung aller lnteraktionsformen mit Sprachzeichen (…) prinzipiell nicht möglich« (vgl. Lorenzer 1984a, S. 93). Insofern erscheint es konsequent, eine nach zwei Seiten hin relativierende Position einzunehmen: Zum einen wird die Biologie auf ihre soziale Einbettung verwiesen, zum andern die Hermeneutik wiederum an ihre Verstehensgrenze durch das biologisch-organische Fundament des Erlebens und Verstehens erinnert (vgl. Görlich 2003, S. 31). Der Körper ist also Ausgangs- und Bezugspunkt jeglicher Symbolbildung – im wirklichen Leben und in der wissenschaftlichen Forschung (vgl. Klein, R. 2004, S. 633).

Setzt noch die klassische psychoanalytische Methodik an einer sprachregulierten Konfliktfähigkeit an, so werden hier die vorsprachlichen Interaktionsformen aufgewertet. In Ergänzung seines ursprünglichen Konzepts spricht Lorenzer von einer symbolbildenden, unmittelbaren Sinnlichkeit, die »unabhängig von der Einführung von Sprache« existiert. Die sinnlich-symbolischen Interaktionsformen, wie sie uns z. B. in der Musik begegnen, bezeichnet er als erste Schritte menschlicher Subjektivität (vgl. Lorenzer 1983, S. 106; Lorenzer 1984a, S. 31 ff.). Jenseits der Sprache existiert eine »präsentative Symbolik«, die Erlebnisse zum Ausdruck bringt, welche der diskursiven Sprache unzugänglich sind, in der aber eine größere Nähe zu den Affekten deutlich wird (vgl. Lorenzer 1973, S. 110). In die präsentativen Symbole fließen noch sehr viel körper- und erlebensnähere Empfindungen ein. Sie entsprechen jenen affektgetragenen Beziehungsformen, die vor der Einführung von Sprache handlungsleitend sind. Zwar wird der sprachlich organisierten Interaktion eine entscheidende Bedeutung eingeräumt. Gleichzeitig gilt es aber zu akzeptieren, dass neben der sprachlichen Kommunikation eine dieser entwicklungspsychologisch gesehen gleichgestellte existiert. Klein hat es so gefasst: »Leibsymbolische lnteraktionsformen stehen für das körperlich verankerte und mit dem Bewusstsein nicht zu erreichende Andere im Menschen selbst« (vgl. Klein, R. 2004, S. 625).

Für die Psychoanalyse bleibt die dialektische Falle zurück, dass eine Verklammerung an ungeschichtlich-triebtheoretische Vorstellungen das Subjekt von seinen gesellschaftlich einsozialisierten Persönlichkeitsstrukturen abspaltet, aber umgekehrt durch eine Öffnung hin zum Sozialen und damit Abkehr vom Triebbegriff »das je spezifische Libido-Schicksal (historisch und individuell)« nicht mehr fassbar wird (vgl. Kleinspehn 1991, S. 409).

Was viele human- und sozialwissenschaftliche Konzepte vermissen lassen: Es gibt eine enge Verknüpfung von körperlich/leiblichen sowie seelischen Vorgängen, und kein vom Körper losgelöstes Empfinden oder Denken. In diesem Sinne sind alle seelischen und geistigen Prozesse »embodied«, also verleiblicht (vgl. Leuzinger-Bohleber 2009, S. 165). Wobei ich kurz einschieben möchte, dass das Konzept des Embodiment aus der Kognitionspsychologie herrührt, was einen gewissen Erklärungsbedarf erzeugt. Leuzinger-Bohleber beschreibt die Eingangsszene einer psychoanalytischen Behandlung:

»Bevor ich die Tür richtig öffnen kann, stürmt Frau M. in den Flur. Sie greift stürmisch nach meiner Hand, nimmt sie in einer merkwürdig sexuell stimulierenden Weise zwischen ihre eigenen Hände und tritt mir dabei sehr nahe, meine normale Intimdistanz überschreitend: ›Hallöchen … Ich bin froh, dass ich mit Ihnen sprechen kann.‹ Ich trete intuitiv zwei Schritte zurück und beobachte sogleich eine intensive negative emotionale Reaktion, verbunden mit aversiven Körperreaktionen: Was für eine überwältigende Frau! Das ist mir zu viel. Sie rückt mir zu sehr auf die Pelle … Warum habe ich Ihr einen Termin angeboten? Werde ich sie je wieder wegschicken können? Sie scheint mir so bedürftig …« (vgl. Leuzinger-Bohleber 2014, S. 925).

Erst nach drei Jahren der Behandlung kann das nach wie vor anhaltende, extrem intrusive Verhalten der Patientin ihrer Analytikerin gegenüber allmählich mit einer von Gewalt geprägten sexuellen Missbrauchserfahrung mit einem nahen Verwandten in Verbindung gebracht werden, den sie als Jugendliche öfter besuchte. Frau M. muss zur Toilette gehen und sich übergeben. Als begleitende körperliche Regungen des Traumas brechen Ekel, Abscheu und Widerwillen hervor (vgl.ebd., S. 941).

Leuzinger-Bohleber betont den engen Zusammenhang zwischen Biologie und sozialer Erfahrung, der bis in die früheste Kindheit zurückzuverfolgen ist. Das auffallende Interaktionsverhalten der Patientin ist durch »embodied memories« ausgelöst worden, die »bisher nicht repräsentiertem seelischem Material« entsprechen und in ihren eigenen »›embodied‹ Gegenübertragungsreaktionen« aufscheinen. Die ersten Beziehungserfahrungen erhalten sich im Sinne sensomotorischer Koordinationen im Körper: »in den frühesten Beziehungen wird wie bei einer Stradivari der Klangkörper des seelischen Instruments gebaut, der in späteren Beziehungen zum Schwingen gebracht wird« (vgl. S. 925 ff.). Wenn wir also Gedächtnis als ein »Produkt komplexer, dynamischer, rekategorisierender und interaktiver Prozesse, die ›embodied‹ sind« (vgl. S. 928), verstehen, wird die Embodied Cognitive Science in meinem Sinne in Richtung Psychoanalyse ausgeweitet. Und gerade die letzte Aussage von Leuzinger-Bohleber ist doch dezidiert auch auf Vorgänge in Praxis und Forschung anzuwenden, was aber ohne Bezug zur Dimension von Leiblichkeit nicht aufzufinden sein wird.

Der Aufbau der psychischen Struktur beginnt auf der sensomotorischen Ebene über die Empfindung, wie einfühlsam sich die Pflegperson in die Beziehung einbringt. In seinem impliziten Gedächtnis bewahrt das Kind auf, wie es getragen oder auf dem Arm gehalten wurde. Hier werden die aneinandergereihten frühen Interaktionserfahrungen in Form von Bildern oder Bildfragmenten abgelegt. Diese so entstehenden Prototypen affektiv getönter Interaktionsmuster sind der Sprache nicht zugänglich, beeinflussen unbewusste die spätere Beziehungsgestaltung (vgl. Stemmer-Lück 2009, S. 44 ff.; Sandler und Sandler 1985, S. 804).

Allmählich werden dann die erlebten episodischen Sequenzen mit Bedeutung gefüllt. Die nichtsprachliche Interaktionsform enthält somit einen Namen und wird zur »symbolischen Interaktionsform« (vgl. Lorenzer 1977, S. 48). Wesentlich ist – und da nimmt Lorenzer einen modernen Diskurs vorweg –, dass sich an diesem Punkt ein enger Zusammenhang zwischen dem impliziten Gedächtnis und dem Unbewussten auftut. Das Unbewusste wird von »nicht-sprachlichen Praxiselementen« gebildet und ist mithin »ein Resultat sozialer Prozesse«. Damit wendet sich Lorenzer nicht nur gegen eine biologistische Gesellschaftsblindheit, sondern auch gegen eine kulturelle Verflachung von Persönlichkeitsentwicklung zur bloßen Milieuabhängigkeit (vgl. Lorenzer 1977, S. 42).

Die hier anschließende, neuere Sicht auf die wechselseitigen Interaktionsprozesse wird von Daniel Stern im Begriff der Affektabstimmung (attunement) komprimiert, und sie stellt für ihn den »Sprung in die intersubjektive Bezogenheit« (vgl. Stern, D. 1992, S. 191) dar. Das Empfinden des Kindes, über ein subjektives Selbst zu verfügen, ist an die Erfahrung gebunden, dass seine inneren Zustände ein Echo auslösen und von seinem primären Objekt widergespiegelt werden. Die darauf einsetzende Affektabstimmung erfolgt »überwiegend unbewusst und beinahe automatisch« und verhilft dem Kind dazu, mit »seiner eigenen Affektivität und seinem Selbstempfinden besser vertraut zu werden« (vgl. ebd., S. 206 f.). Es entsteht ein gemeinsamer Affektzustand – eine »Inter-Affektivität« (vgl. ebd., S. 198) –, wobei das Teilen dieses Zustandes mit dem Anderen etwas ganz anderes darstellt, als würde eine Verhaltensäußerung bloß exakt imitiert: »Das Verhalten, mit dem wir unsere Reaktionen auf Affekte zum Ausdruck bringen, sähe dann lächerlich aus; vielleicht hätten wir dann Ähnlichkeit mit einem Roboter« (vgl. ebd., S. 203).

Nach Auffassung von Arfelli Galli benutzt Stern den Terminus »affect attunement (Affektabstimmung)«, um deutlich zu machen, dass die Mutter ihre Aufmerksamkeit nicht primär auf das manifeste Verhalten des Kindes richtet, »sondern die Gefühle in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stellt: einerseits die Gefühle des Kindes, so wie sie sie interpretiert, andererseits auch die in ihren Antworten in verschiedenen Modalitäten ausgedrückten Gefühle«. Wie aus Befragungen von Müttern hervorgeht, ist es ein Prozess »mit geringer oder ohne Beteiligung kognitiver Prozesse« (vgl. Arfelli Galli 2017, S. 58; Stern, Hofer, Haft & Dore, 1984).

Beziehe ich diese fundamentalen Erkenntnisse auf die professionelle Begegnung mit Adressat/innen in Praxis und Forschung, so wird doch eines klar: Wir greifen alle unbewusst auf diese implizit bewahrten Muster zurück, um die Signale des/der Anderen zu dechiffrieren – und er/sie tut das Gleiche.

Dem emotionalen Gedächtnis, in dem dieses frühe Wissen hinterlegt ist, kommt bei der Beurteilung einer aktuellen Situation eine außerordentliche Bedeutsamkeit zu. Weil in ihm alle Beziehungserfahrungen episodenhaft aufbewahrt sind, kann es als Kern unseres Erkennens angesehen werden. Ohne die Beteiligung der entsprechend aktivierten Gefühle wären »rationale Entscheidungen und lebenspraktische Denkvorgänge« unmöglich (vgl. Schmid Noerr 2003, S. 115). Zwar mangelt es dem emotionalen Gedächtnis an Kognitionen, dafür ist es eher sensomotorisch aufgebaut und besteht aus »prä-repräsentativen Verschlüsselungen relationaler Erfahrung«. Als Kern unseres Erkennens kommt ihm ein völlig eigenständiges Gewicht zu, ist es weit mehr als ein Vorläufer symbolischer Kognition (vgl. Orange 2004, S. 151 f.).

Jede Beschränkung auf bewusst zu steuernde Anweisungen im methodischen Handeln muss zwangsläufig den tatsächlich ablaufenden Beziehungsablauf verfälschen. Vor allem wird das Moment der Leiblichkeit weit unterschätzt oder gar ganz aus den klassischen Konzeptionalisierungen eliminiert. Um sich gegen ein Wiederaufleben von schmerzlichen Erfahrungen – das Adjektiv schmerzlich verdeutlicht ja diese Nähe von körperlichen und psychischen Vorgängen – zu wappnen, werden psychische Abwehrmechanismen aktiviert, die dafür sorgen sollen, dass die Erinnerung verdrängt bleibt. Zudem kann es zu Aufspaltungen in gute und böse Objektanteile kommen, wobei die bösen Aspekte auf andere projiziert werden, um das eigene ›gute‹ Selbst zu schützen. Diese Abwehr versieht durchaus eine lebensnotwendige Bewältigungsfunktion, um uns vor einer Überflutung mit bedrohlichen Affektstürmen zu bewahren. Nur wenn sie eine übermäßig rigide Form annehmen, die unsere psychische Flexibilität über Gebühr einschränkt, neurotische und andere, etwa psychosomatische Symptomatiken hervorbringt und die Realitätswahrnehmung massiv eintrübt, müssen wir von einer pathologischen Krise sprechen.

Innere, durch Angst ausgelöste Widerstände sorgen also dafür, dass die schmerzlichen Erinnerungen an frühe, in jeder Hinsicht unzureichende Beziehungserfahrungen nicht ins Bewusstsein aufgenommen oder aus diesem wieder ausgeschlossen werden. Allerdings bleiben diese Reminiszenzen unbewusst wirksam. In den Fällen, um die es mir hier geht, ist die Verfügungsgewalt über die früh erlebten Traumen verloren gegangen. Es existiert keine Sprache, um sich mitzuteilen oder zu erklären. Alles, was an Reaktionen geblieben ist, sind sprachlos agierte, oft exzessive Verhaltensweisen, ohne dass aber dem Betroffenen diese Zusammenhänge gegenwärtig wären. Im Rahmen einer neuen professionellen pädagogischen Beziehung, die nicht retraumatisierend wirkt, wird es jedoch möglich gemacht, die Erinnerungen wie die Widerstände erlebbar und damit einer nachträglichen Bearbeitung zugänglich machen, so dass sie in Wahrnehmung, Fühlen, Denken und Handeln wieder berücksichtigt werden können. Damit dies gelingt, muss diese Beziehung von einer empathischen Haltung und einem darauf fußenden Verstehen der psychodynamischen und zum großen Teil unbewussten Prozesse getragen sein (vgl. Leber 1985, S. 152 f.).

Indessen sei vor einem gewissen ideologischen verengten Elitarismus gewarnt, den Göppel wie folgt persifliert:

»Ich glaube an Sigmund Freud, den genialen Schöpfer der Theorie und Praxis der Psychoanalyse, und an seine Tochter Anna Freud, sowie an seine eingeschworenen Schüler August Aichhorn, Siegfried Bernfeld und Hans Zulliger, die Begründer der Psychoanalytischen Pädagogik. (…) Ich glaube an die Macht des Triebes, die Wichtigkeit der Kindheit, Übertragung und Widerstand, Wiederkehr des Verdrängten, Kraft der Bewusstmachung und das unbewusste Seelenleben. Amen« (vgl. Göppel 2015, S. 59 f.).

Mit Blick auf den bedrohten Status der Psychoanalytischen Pädagogik im Rahmen der erziehungswissenschaftlichen Forschung wie pädagogischen Praxis verlangen Zimmermann u. a. deshalb danach, die durchaus divergenten Forschungszugriffe und oft nur punktuellen Anknüpfungspunkte an die psychoanalytische Theoriebildung intern wertzuschätzen und dies entsprechend nach außen zu vertreten (vgl. Zimmermann u. a. 2019, S. 13). Die Psychoanalytische Pädagogik ist zu einer wissenschaftlichen Disziplin geworden, und sie hat ihren Platz im Wissenschaftssystem gefunden. Die Suche nach ihrer Identität, d. h. vor allem nach einem angemessenen Verhältnis von Psychoanalyse und Pädagogik, bleibt indessen ihre Daueraufgabe (vgl. Hierdeis 2016, S. 110).

Vor allem muss in diesem Zusammengang die psychoanalytische Grundregel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit bedacht werden. Diesem Prinzip folgend soll auf die eigene Zensur verzichtet und keine vorab wertende Auswahl wahrgenommener Eindrücke vorgenommen werden, und so lässt sich auch und gerade in der Pädagogik ein »durch Routine eingespielter Horizont« transzendieren (vgl. Hirblinger 2011, S. 51).

Das Zuhören- und ein Gespräch-führen-Können gewinnen durch die psychoanalytische Grundregel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit an Gewicht. Diese eher unkonventionelle Haltung dem Anderen gegenüber, ohne vorschnell ein Gespräch strukturieren zu müssen, bietet den Vorteil, sich vor der Anstrengung einer fokussierenden Aufmerksamkeit zu schützen, »die man doch nicht durch viele Stunden täglich festhalten könnte«. Man sollte die eigene unbewusste Aktivität so frei wie möglich funktionieren lassen und dem »gebenden Unbewussten« des Gegenübers »sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden« (vgl. Freud, S. 1912e, 376 ff.). An anderer Stelle heißt es: »(…) jeder Mensch besitzt in seinem eigenen Unbewussten ein Instrument, mit dem er die Äußerungen des Unbewussten beim Anderen zu deuten vermag« (vgl. Freud, S. 1913i, S. 445). Reik sprach diesbezüglich vom »Hören mit dem dritten Ohr«: »Es stimmt nicht, dass man schreien muss, um verstanden zu werden. Wenn man gehört werden will, dann flüstert man« (vgl. Reik 1990, S. 165). Ohne die Beachtung der eigenen Gegenübertragungsreaktionen kann dieses Instrument aber kaum sinnvoll genutzt werden. Ich werde später auf Forschungssituationen bezogen noch einige Erwägungen zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit aufnehmen ( Kap. 3.1).

Wir sollten jetzt sogar noch einen Schritt weiter gehen. Seit geraumer Zeit richtet sich das Interesse an der entwicklungsbestimmenden Kraft von Objektbeziehungen bereits auf die pränatale Zeit. Vorgeburtliche Erfahrungen hinterlassen nämlich Spuren, wie zahlreiche Übersichtarbeiten zeigen. Die Wechselseitigkeit einer gegenseitigen Abstimmung (attunement) entwickelt sich bereits in der Fetalzeit, lange bevor dieser Prozess bewusst wahrgenommen werden kann. Die Maxima der fetalen Bewegung wechseln sich zum Beispiel mit Traumphasen der Mutter in einem rhythmischen Muster ab (vgl. von Lüpke 2007, S. 118 ff.). Darüber hinaus befindet von Lüpke: »Wird pränatale Entwicklung unter dem Aspekt der Beziehung gesehen, so ist das Kind immer schon ein Gegenüber, ein anderer Mensch, der seinen Anteil am Zusammenspiel und damit an Chancen oder Risiken für die weitere Entwicklung beisteuert«. Es gibt also eine Kontinuität über die Geburt hinaus (vgl. von Lüpke 2003, S. 134 ff.). Vor allem wird auf diese Weise in unseren Vorstellungen das Repertoire von Kommunikationskanälen und -formen auf ganzheitlich-amodale, rhythmische sowie nichtsprachlich-mimische Dimensionen hin ausgeweitet (vgl. von Lüpke 2018, S. 34 f.).

Kratz und Ruth bezeichnen das Es, »das sich im Wechselspiel zwischen Embryo und Mutter ausformt«, als die Grundstruktur der Persönlichkeit (vgl. Kratz, Ruth 2016, S. 245). Der ›späte‹ Lorenzer wird noch deutlicher, wenn er sagt:

»Das Fundament der Persönlichkeit bilden soziale Erfahrungen, die in einem quasi anthropoiden, nämlich intrauterinen vorsprachlichen Status erworben werden. Vorsprachlich, ja nichtsprachlich insofern, als diese Erfahrungen ein eigenes, von späteren sprachorientierten Phasen abweichendes Sinnsystem bilden. Unbewusst im buchstäblichen Sinn, d. h.: vor jeder bewussten Erinnerung gebildet. Dennoch aber als soziale Erfahrung gewonnen und in bewussten Lebensentwürfen wirksam« (vgl. Lorenzer 2006, S. 142).

Die implizite Kommunikation – jetzt sehr real genommen – beginnt im eingeschlossenen Raum der Bauchhöhle als Beziehung von austragender Mutter und Fötus, also im »Beziehungsraum Mutterleib« (vgl. Vonholdt 2017). Hüther und Krens weisen darauf hin, dass der Fötus über die Nabelschnur »auch an das emotionale Erleben der Mutter angeschlossen« ist (vgl. Hüther, Krens 2010, S. 111). Wir beginnen also zu einem ausgesprochen frühen Zeitpunkt damit, unsere Wahrnehmungs- und Interaktionsfähigkeiten differenziert auszubauen. Dieser Erfahrungsschatz fließt in alle späteren Beziehungen ein, ganz gleich ob sie privater oder professioneller Natur sind. Ja schon bevor eine solche Beziehung zustande kommt, werden bestimmte Erwartungshaltungen, die aus diesem Fundus stammen, aktiviert. Die Art und Weise dieser Disposition ist von der impliziten frühen Erinnerung eingefärbt, was bedeutet, dass wir mit Offenheit oder mit Misstrauen gegenüber anderen Menschen auftreten, je nachdem wie diese ersten Interaktionen beschaffen waren. Ich möchte beileibe keinem Determinismus das Wort reden, aber nur über eine eingehende Selbstreflexion können wir einer möglicherweise unzureichenden Eintrübung aktueller Beziehungen, die auf einer verfälschten Wahrnehmung aufruht, vorbeugen.

Das Subjekt der Psychoanalyse ist eben nicht bis ins letzte bestimmbar, »da das Unbewusste etwas ist, was man wirklich nicht weiß« (vgl. Langnickel, Link 2018, S. 126). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass es – gerade in der Begegnung mit neuen Patienten – vor allem darum geht, das »›Nicht-Wissen‹ auszuhalten« und ihm mit einer Grundhaltung von Anfängergeist und Expertengeist zu begegnen (vgl. Leuzinger-Bohleber 2007, S. 968). »Im Verstehen, Halten, auch Containen wird die Bedingung geschaffen, die es dem Analysanden ermöglicht, sein dynamisches Unbewusstes zu lösen und zu entfalten«.

Dabei führt die interpersonale, »tief unbewusst verbundene zweite Psyche« jene Differenzen ein, die den Patienten nötigen, »Unbekanntes zu entdecken und Bekanntes als Unbekanntes erneut zu denken« (vgl. Nissen 2009, S. 373). Immer wieder bin ich erstaunt über die große Nähe der beiden Disziplinen Psychoanalyse und Pädagogik, die genau an diesem Punkt einer professionellen, dialogisch begriffenen Beziehung aufscheint. Hier hat man sich – ungewollt und vielleicht noch unverstanden – aufeinander zubewegt.

Vor allem begegnen mir hier Formulierungen über das Unbekannte und Nicht-Gewusste, die mittlerweile geradezu irritierend ›unwissenschaftlich‹ klingen und die sich bruchlos in ein psychoanalytisch-pädagogisches Konzept einpassen lassen

»Was heute fast ausschließlich zählt, sind harte Daten, durch möglichst wenig theoretische Komplikationen verstellte Befunde (…) Übersehen wird dabei allerdings leicht, dass die evidenzbasierte Forschung häufig Komplexitätsreduktionen vornimmt, die von einem erheblichen Mut zur Vergröberung zeugen« (vgl. Ahrbeck 2007, S. 38 f.; Gerspach 2009, S. 58 f.).

Diese Haltung des vorsichtigen Herantastens an das noch Unverstandene liefert auch und gerade der Pädagogik eine ausgezeichnete Basis für ein beziehungsgestütztes Arbeitsbündnis. Alle darauf aufruhenden Forschungsaktivitäten und Theoriedebatten haben die Psychoanalytische Pädagogik in den letzten Jahren und Jahrzehnten entscheidend vorangebracht und stabilisiert.

Vor allem Siegfried Bernfelds weitreichende Erkenntnis vom »sozialen Ort«, der gänzlich unterschiedliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Neurose und Verwahrlosdung nimmt, muss hier mitgedacht werden. Das seelische Geschehen ist gerahmt von den gesellschaftlichen Lebensbedingungen, und die »Triebe selbst mitsamt ihren Eigenschaften und Zielen sind der Niederschlag« dieses historischen Geschehens. Deshalb gilt: »Die ›Schwere‹ einer Erkrankung ist oft geradezu von ihrem sozialen Ort abhängig« (vgl. Bernfeld 1970, S. 198 f.).

Jüngst haben Brunner u. a. diese Perspektive noch einmal aufgegriffen. Sie betonen, dass es nur eine eingehende »Reflexion auf die klassen- und milieuspezifische Lage der Individuen« ermöglicht, sowohl das Hervorbringen innerpsychischer Konflikte als auch die Reduktion oder Kanalisation spezifischer Konfliktlösungsstrategien zu verstehen und damit unterscheiden zu können, ob »ein Verhalten als ›pathologisch‹ eingeschätzt oder eine Sublimierung als ›gelungen‹ wahrgenommen wird« (vgl. Brunner u. a. 2012, S. 23). Ob unbewusste Wünsche und Phantasien innerpsychische Konflikte hervorbringen, ist davon abhängig, »was innerhalb des sozialen Ortes als verpönt« gilt. Damit ist auch apodiktisch festgelegt, dass Forscher/innen den sozialen Ort ihrer Forschungssubjekte zur Kenntnis nehmen und reflektieren müssen (vgl. Thoen-McGeehan 2020, S. 44).

Bernfeld war also sehr weitsichtig. Mit einem sozusagen professionstheoretischen Blick auf fundamentale Unterschiede lautet seine Conclusio, der Psychoanalytiker sei imstande, dem sozialen Ort gegenüber neutral zu sein, »der Pädagoge kann diese grundsätzliche Toleranz nicht üben« (vgl. Bernfeld 1970, S. 203; Fickler-Stang 2019, S. 132).

Die sich hier abzeichnende frühe Ausdifferenzierung in Psychoanalytische Pädagogik und Psychoanalytischer Sozialarbeit bringt aber nur vordergründig Unterschiede hervor, die wohl vor allem dem der tendenziellen Andersartigkeit der Arbeitsfelder geschuldet sind. Das ›Kerngeschäft‹ der Pädagogik sind noch immer primär Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen, und da ist selbstverständlich Nähe zur Psychoanalyse als einer Sozialisationstheorie einerseits und einem Therapieverfahren zur Behandlung des in diesem Kontext entstandenen seelischen Leidens andererseits quasi naturgegeben. Das Aufgabengebiet der Sozialarbeit ist viel heterogener beschaffen, und oftmals scheint der sozialisatorische Aspekt nur mittelbar durch. Vielleicht ist der Arbeitsauftrag der Psychoanalytischen Sozialarbeit sogar noch um einiges diffuser als jener der Psychoanalytischen Pädagogik. Perner jedenfalls sieht diese Schwierigkeit:

»Wenn er [der psychoanalytische Sozialarbeiter; M.G.] sich auf die unaufdringliche, passive, abwartende und rezeptive Haltung des Analytikers beschränken würde, könnte er ewig warten und hätte nichts zu tun, weil seine Klienten dann gar nicht kämen oder nach wenigen Sitzungen wegbleiben würden. Er kann darum die Entwicklung einer positiven und tragfähigen Übertragung nicht ruhig und gelassen abwarten sondern muss aktiv für ihre Herstellung sorgen (…)« (vgl. Perner 2010, S. 68).

Erziehung und Bildung auf der einen Seite weisen eine gewisse Verzahnung auf, verbunden mit einem eher klaren Auftrag zur allgemeinen Wissensvermittlung. Die Aufgabenzuteilung der Sozialen Arbeit auf der anderen Seite erfolgt in der Regel durch das Aktivwerden von Jugend- und Sozialämtern, wenn sich vor Ort überdeutlich Problemlagen artikulieren. Das bringt die Zielgruppen, die zumeist den randständigen Milieus angehören, auf doppelte Weise in eine defensive Position. Die Umgebung – nicht zuletzt die Schule – wird aufmerksam und verlangt nach staatlicher Intervention. Die Beschämung auf Seiten der Betroffenen wird somit potenziert und erschwert den Aufbau eines soliden Arbeits- und Entwicklungsbündnisses. Dass das professionelle Scheitern bei Sozialarbeiter/innen damit quasi vorprogrammiert ist – und also das Beschämungsstigma am Ende auf sie zurückfällt –, macht eine jüngst erschienene Publikation überdeutlich sichtbar. Sie zeigt aber auch auf, wie und unter welchen Bedingungen helfende Beziehungen erfolgreich und nachhaltige Wirkungen bei den »Fällen« generierend verlaufen können (vgl. Fischer u. a. 2019). Überdies ist einzuräumen, dass auf dem Feld der Pädagogik wie der Sozialarbeit der gern verwendete Begriff der »Beziehungsarbeit« von einem nicht unbedeutenden diffusen Anteil mitgeprägt wird (vgl. Pollak 2002, S. 81 f.).

Spätestens über die auch auf dem Gebiet der Sozialarbeit virulent werdenden Prozesse von Übertragung und Gegenübertragung und die Einsatzmöglichkeiten des szenischen Verstehens, das ich sogleich noch eingehender behandeln will, wird die Unterschiedlichkeit also wieder vernachlässigbar. Von viel größerem Interesse sind die großen Gemeinsamkeiten, und es machen sich auch nur wenige inhaltliche oder methodische Divergenzen bemerkbar (vgl. Günter, Bruns 2010, S. 36 ff.).

Zudem springt ins Auge, dass es eine Reihe von Schnittmengen zwischen den beiden Arbeitsfeldern gibt. So verwundert es nicht, dass gerade die Kinder und Jugendlichen, die mit den normativ-mittelständisch gewirkten Anforderungen der Regelschule nicht ohne weiteres zurechtkommen und in den Fokus besonderer pädagogischer Bemühungen geraten, mehrheitlich aus sozialen Randlagen stammen. Meist stoßen wir auf von massiven seelischen Erschütterungen bedrohte Lebenswelten der jeweiligen Adressat/innen, und dies verlangt zwingend nach einer gesellschaftlichen Verortung unseres Tuns, um der erlebten – aber nicht verstandenen – Entfremdung unserer Adressat/innen nicht noch eine weitere Unterwerfungsgeste zuzumuten.

In beiden Professionen ist zudem Aufklärung zu leisten über ihre institutionelle Rahmung. Gesellschaftliche Institutionen neigen zur Idealisierung ihrer eigenen Vorstellungen und verteidigen sie gegen Angriffe (vgl. Ludin 2013, S. 127). Ein Wissen über diese im Innern wirkende Dynamik wird eher aus Gründen des Selbstschutzes massiv abgewehrt. Die Institution und ihre Repräsentant/innen fürchten um Prestige- und Machverlust, die Mitarbeiter/innen fürchten die ihren Narzissmus kränkende Gewissheit, in ihrer untergeordneten Rolle depotenziert zu sein. Hier kommt der Latenzschutz zum Tragen. Zum ersten gibt es den »Strukturschutz durch Latenz«: Institutionen schützen ihre Strukturen und damit ihre Stabilität, indem sie alles, was diese Strukturen unkontrolliert verändern könnte, latent zu halten suchen. Zum zweiten den »Schutz der Latenz« selber: Institutionen versuchen zu verhindern, dass die Latenz als solche überhaupt aufgedeckt und zur Sprache gebracht wird (vgl. Haubl 2011, S. 202; Gerspach 2020a, S. 31).

Ähnliches gilt für Vorgänge in sozialen Gruppen. Dem Sog der Gemeinschaft, sich auf eine Idee zu verpflichten, haftet ein regressives Element an, welches das Reflexionsvermögen infiltriert. Die Individuen sehen sich genötigt, ihren Wunsch nach autonomem Denken und Handeln einzuschränken oder ganz aufzugeben. So unterwerfen sie sich der allgemein geteilten Ideologie aus Angst, Liebe und Schutz der Gemeinschaft zu verlieren, oder sie tun es gar freiwillig, ganz im Dienste der »Identifikation mit dem Aggressor« (Freud, A. 1980, S. 298). Diese Vorgänge verhindern die (Selbst-)Aufklärung. Eggert-Schmid Noerr hat aufgezeigt, dass Reflexion am geeignetsten auf der Basis psychoanalytischer Theorie erfolgt (vgl. Eggert-Schmid Noerr 2010, S. 27). Dabei gilt: »Keine psychoanalytische Zeitdiagnose kommt ohne Gesellschaftstheorie aus; die Annahme, das bräuchte man nicht, ist im Übrigen auch eine Gesellschaftstheorie, wenn auch keine elaborierte.« Die »Deutungsangebote«, die sie parat hält, weisen der Realität einen bestimmten Sinn zu, sind daher nur reflexiv zugänglich und zwangsläufig von einer gewissen Befangenheit begleitet (vgl. Kirchhoff 2019, S. 31; Brede 1997, S. 876).

Vielleicht kommt hier ein gewisser Neid ins Spiel. Gewinnen die Gefühle von Kränkung und Ohnmacht die Oberhand, weil man weiß oder mutmaßt, im Vergleich mit anderen etwas nicht zu können, wird die Phantasie vom grandiosen Selbst beschädigt. Dann entstehen lähmende Gemütsregungen von Scham und Zorn, und man empfindet Neid auf die anderen, die es scheinbar viel besser können. Zudem steht Neid mit dem vitalen Bedürfnis nach narzisstischem Wohlbefinden in enger Beziehung, nicht zuletzt dann, wenn man sich zurückgesetzt zu fühlen beginnt.

Ich meine konkret den Neid auf die Psychoanalytischen Pädagog/innen. Auf der manifesten Ebene zeigt sich bei ihnen eine eifersüchtig belauerte Fähigkeit, Belastungen eher auszuhalten und mit »Problemkindern« besser umgehen zu können. Auf der latenten Ebene kennen sie offenbar keine Angst davor, mit dem, was sie »Unbewusstes« nennen, in Berührung zu kommen. Wenn dagegen Angst und Neid vor sich und anderen nicht eingestanden werden dürfen, werden sie in einem Akt der Gegenbesetzung erbittert diskreditiert.

Seit dem Abgesang auf die ›großen Erzählungen‹ – humanistische, strukturalistische, marxistische usw. Weltformeln –, die als Hilfs-Ich dienten, ist die Flucht in eine sichere Theorie obsolet geworden ist (vgl. Lyotard 2012). Aber die Folgen sind doch unterschiedlich. In Verbindung mit dem Untergang des sowjetischen Imperiums führte dieser akademische Kollaps vor allem für die politisch dogmatischen Strömungen innerhalb der Wissenschaftsgemeinde zu einer enormen emotionalen Labilisierung. Diejenigen, denen dadurch ihr stärkendes externalisiertes Über-Ich verloren ging, fanden so einen Grund, auf alle neidisch zu sein, die ihre – von Skepsis und Ambiguitätstoleranz, Spannungen auszuhalten, gleichermaßen getragene – Sicherheit aus dem Mut schöpften, nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch und zuallererst das Eigene in Frage zu stellen. Fortan wurde deren Gedankengebäude umso schärfer zuerst ignoriert, und wenn das nichts mehr half, attackiert. Wollte man ihnen vielleicht etwas wegnehmen, was man selbst nicht besaß? Bei aller Ehrfurcht vor dem hohen Gut akademischer Diskurse müssen solche Fragen an den unbewussten psychodynamischen Kern erlaubt sein, der solche Diskurse anstößt und trägt. Aber ich will nicht selbstgerecht sein.

Im Alten Testament steht zu lesen, dass Jakob seinen Sohn Joseph mehr als seine anderen elf Söhne liebt und ihm ein schönes, buntes Kleid schenkt. Daraufhin ziehen sie ihm in einem unbeobachteten Moment das Kleid aus und werfen ihn in einen trockenen Brunnen. Diepold macht darauf aufmerksam, dass Joseph sich sehr wohl seiner Bevorzugung durch den Vater und des Neids seiner Geschwister bewusst war, er narzisstische Züge entwickelte und »seine Überlegenheit bei allen möglichen Gelegenheiten« demonstrierte (vgl. Diepold 1990, S. 275). Joseph ist also nicht nur Erleider, sondern auch Verursacher von Neidgefühlen. Der Neid gilt deshalb auch als moralisch verwerflich, weil wir Angst vor dem Neid der anderen haben und zugleich Lust, sie neidisch zu machen (vgl. Haubl 2009, S. 170; Gerspach 2021). Und da sind wir Psychoanalytischen Pädagog/innen ganz ordentlich gefährdet.

Mein persönliches Problem im Kleinen – und das der Psychoanalytischen Pädagogik im Großen – sind jetzt, dass durch die Aufdeckung solcher möglichen Motive im Dienste einer inneren Abwehr der Widerstand womöglich nur noch größer wird. Dabei muss ich aufpassen, dass meine Gedanken nicht als schnöde Beschimpfung oder aus reiner Kränkung geboren daher kommen. Mir geht es primär darum zu verstehen, warum die Psychoanalyse beinahe vollständig aus der Pädagogik verschwunden ist und dass ich umgekehrt weiß und sichtbar machen möchte, dass durch ein Bearbeiten der eigenen Widerstände ein Mehr an Erkenntnis erreicht wird. Das betrifft sowohl die Theoriedebatte, die zu lebende Praxis und die erfolgreich zu gestaltende Forschung. Es gilt, ganz neu für die Psychoanalytische Pädagogik zu entflammen.

Verstehen, was der Fall ist

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