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1.3 Die »Matrix« der Psychoanalytischen Pädagogik

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Ich komme jetzt auf die allgemeine Bedeutung von pädagogischen Gruppenprozessen zu sprechen, die gerne aus dem Auge verloren wird. Angelehnt an Foulkes verweist Naumann auf das Gewicht der Gruppenmatrix, die er noch einmal unterteilt. Die Grundlagenmatrix ist jenes »übergeordnete gesellschaftliche Netzwerk, in dem jede Gruppe mit ihrer dynamischen Matrix stattfindet und in dem die Menschen miteinander vernetzte Knotenpunkte bilden« (vgl. Naumann 2014a, S. 53 f.). In der dynamischen Matrix wiederum wirken die verinnerlichten Beziehungen, die Beziehungen innerhalb der Gruppe und der Beziehungen, in die ihre Mitglieder außerhalb eingebunden sind, zusammen. »In der Gruppe wird die innere Matrix wiederbelebt, die Einzelnen bevölkern die Gruppe gleichsam mit ihren inneren Beziehungsobjekten (…)« (vgl. ebd., S. 60).

In das Konzept des szenischen Verstehens sollte unbedingt eine gruppenanalytische Perspektive integriert werden, so wie es Naumann tut, um die Bedeutung der Gruppe für die Entwicklung der Einzelnen – wie auch die Bedeutung der pädagogischen Institution für die Gruppe angemessen zu würdigen. Unter günstigen Ausgangsbedingungen, wenn die Gruppengrenzen genügend gut geschützt sind, kann etwa eine Kindergruppe zum »Übergangsraum für Selbstbildungsprozess, in dem spielerisch auch ernste Themen, etwa im Hinblick auf Familie, Geschlecht und Kultur«, Aufnahme finden. Zudem erhält hier jedes Kind Antworten von der Gruppe (vgl. ebd., S. 112 ff.). Das folgende Beispiel von Brandes mag dies veranschaulichen:

Der vierjährige Franz erscheint eines Morgens in seinem Kindergarten mit einem Xylophon. Auf der Frage seiner Erzieherin, ob er ein Konzert geben möchte, stimmt er freudig zu. Die Eltern von Franz sind professionelle Orchestermusiker, indessen ihrem Kind gegenüber sehr einfühlsam und überfordern es nicht.

Die anderen Kinder sind von dieser Idee begeistert und setzen sich kreisförmig um Franz und sein Xylophon herum. Franz beginnt aber nicht zu spielen, sondern kratzt sich nur mit den Schlägern am Kopf. Die anderen beginnen miteinander zu reden oder begutachten neugierig das Instrument mitsamt den Buchstaben auf den Metallplättchen. Buchstaben können sie schon unterscheiden und die Erzieherin erklärt, dass es die »Noten« sind, damit der Musiker weiß, worauf er schlagen muss. Nun ist die Aufmerksamkeit wieder ganz bei Franz. Alle erwarten den Beginn seines Konzertes, aber wieder spielt er nicht, sondern schaut sich nur um. Diese unklare Wartesituation wird schließlich von der Erzieherin unterbrochen, indem sie fragt, ob er jetzt anfangen wolle. Franz schüttelt den Kopf. Einige Kinder stehen auf, um ein noch fehlendes Kind zu holen, das aber nicht will.

Nun soll es endlich losgehen und alle sind erwartungsvoll, aber Franz beginnt immer noch nicht, sondern schaut etwas unsicher um sich. Die Erzieherin versucht, die lähmende Pause zu überbrücken, indem sie die Kinder zum Beifall-Klatschen auffordert, das bräuchten Musiker am Anfang. Immer begeisterter beginnen die Kinder zu klatschen. Franz lächelt zwar, aber beginnt trotzdem nicht. So geht es noch eine ganze Zeit weiter. Die Kinder werden unruhiger, beschäftigen sich untereinander oder gehen in den Nebenraum. Das Konzert droht zu scheitern.

Dann steht Peter, der Freund von Franz, auf, fragt, ob er etwas pfeifen dürfe, und beginnt »Alle meine Entchen« zu intonieren. Die Erzieherin nimmt den Vorschlag auf und sagt: »Wunderbar, jetzt haben wir ein Pfeifkonzert.« Sie schickt Peter los, um die verloren Gegangenen zu holen, und einige von ihnen kommen mit ihm zurück. Es beginnt ein Pfeifkonzert, an dem nicht nur Peter beteiligt ist, sondern in das immer mehr Kinder einfallen. Selbst ein weinendes Mädchen, das sich im Nebenraum gestoßen hatte, wird einbezogen und kann getröstet werden. Franz steht jetzt nicht mehr so im Mittelpunkt, so dass er seine Zurückhaltung aufzugeben und sich in das jetzt gemeinschaftliche Konzert immer wieder durch kurze Schläge auf sein Xylophon einzubringen vermag.

In seiner Interpretation geht Brandes von der Reinszenierung eines zentralen Identitätsdilemmas von Franz aus. Er möchte gerne ein Konzertmusiker wie seine Eltern sein, indessen kann er noch gar nicht richtig Xylophon spielen. In ähnlichen Situationen behilft er sich dadurch, auf später, wenn er ›groß‹ ist, zu verweisen, und dann Cello zu spielen. In diesem Moment aber inszeniert er seine ganze Ambivalenz und strapaziert damit die Geduld der Erzieherin und der anderen Kinder. Allerdings wird in der Kindergruppe die »Umarbeitung eines solchen inszenierten Selbstbildproblems« geleistet. Peter ist der Initiator, das ursprüngliche ›Solokonzert‹ in eine kollektive musikalische Darbietung zu verwandeln. Das stellt für Franz offensichtlich eine akzeptable Lösung dar: Jedenfalls zeigt er sich in einer späteren Szene des Tages mit seinem Xylophon unterm Arm »entspannt und zufrieden« (vgl. Brandes 2008, S. 9 f.).

Es ist aber auch möglich, dass ganz andere Themen einer Gruppe durch einzelne zur Sprache gebracht werden. So mag ein spezifischer Moment in der Dynamik des Gruppengeschehens, der eine belastende Erinnerung an seine frühe Lebenszeit wachzurufen droht, für ein bestimmtes Kind zum Auslösereiz werden, höchst auffällig zu reagieren. Das wäre sein persönlicher Anteil an der Eskalation. Aber dieses Verhalten repräsentiert unter Umständen auch einen gruppentypischen Aspekt. Dann brächte dieses Kind einen latent schwelenden Konflikt zum Ausdruck – es ›erledigt‹ etwas für die Gruppe, was anders nicht zur Sprache käme. So ließe sich die nach einer Vielzahl von Zurückweisungen abrupt ausbrechende Aggression eines Jungen als der Ärger aller Jungen der Gruppe verstehen, dass die Mädchen von den Erzieherinnen wegen ihres angepassten weiblichen Verhaltens bevorzugt werden (vgl. Finger-Trescher 2012, S. 25 f.). Gehen wir noch eine Stufe ›höher‹, so erkennen wir ein deutliches Wechselspiel von Psychostruktur und Institution (vgl. Schallehn-Melchert 1998, S. 57). Die Institution ist die »Bühne, auf der die Dramen der Kindheit reinszeniert werden« (vgl. Hilleke 1998, S. 26). So sind alle Mitglieder einer Institution in eine »dynamische Matrix wechselseitiger Bemächtigungsversuche eingebunden«, die sich insgesamt zu einer Pyramide von Machtverhältnissen aufschichten. Die Rekonstruktion dieser »Macht-Matrix« landet am Ende beim Individuum, das zwar für sich existiert, aber durch die erlebten Interaktionen mit anderen Individuen vorgezeichnet ist: »Seine individuelle Psyche ist die individualisierte (mentale) Matrix dieser Beziehungen« (vgl. Haubl 2005, S. 55 ff.).

Abschließend sei daher noch einmal Wert gelegt auf die Betonung der institutionellen Rahmung einer entwicklungsunterstützenden Psychoanalytischen Pädagogik, ohne die das Ziel, Pädagogik jenseits normativ gewirkter Übergriffe im Sinne einer leeren Anpassungs- und Erziehungstechnologie zu gestalten, kaum gelingen wird. Dabei sind mehrere Variablen zu beachten: die durchaus sehr unterschiedlichen Klient/innen, das vom Pädagogen/von der Pädagogin zu sichernde Setting, die Person des Pädagogen/der Pädagogin selbst sowie die je spezifischen Arbeitsziele innerhalb der Institution. Hansjörg Becker hat es so auf den Punkt gebracht: »Das Objekt der Übertragung ist die Organisation« (vgl. Becker, H. 1998, S. 94, Gerspach 2018, S. 199 ff.; Gerspach 2020a).

Auch Regina Clos veranschaulicht den Nutzen eines gruppenbezogenen psychoanalytischen Verstehens (vgl. Clos 1991, S. 62 ff.).

In ihrer neuen Klasse einer stationären Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen (zum damaligen Zeitpunkt noch Lernbehindertenschule genannt) sind Kinder im Alter zwischen 8 und 10 Jahren versammelt, die allesamt erhebliche Probleme aufweisen. Sie versucht, mit den Kindern affektiv »mitzuschwingen« und sich in das einzufühlen, was gerade »los« ist. Aber all diese Versuche werden von ihnen anfangs komplett torpediert. Die Kinder sind noch nicht soweit, ihren subjektiven Schutz aufgeben zu können, veranstalten nur ein unbeschreibliches Chaos. In solchen Fällen scheitert selbst der stupideste Unterricht »an der Vehemenz ihrer Aggressionen«. Zwar spüren sie, dass es sich um eine einfühlsame Lehrerin handelt, aber gerade weil Hoffnung aufkommt, werden auch die Ängste wieder wach. An dieser Stelle bezieht sich Clos auf Winnicott, wonach sich ein Kind mit »antisozialen Tendenzen« sogar gegen diese Hoffnung wappnen muss, weil er aus Erfahrung weiß, dass der Schmerz, wenn es diese Hoffnung wieder aufgeben muss, unerträglich ist (vgl. Clos 1991, S. 61; Winnicott 1984, S. 269 ff.; Winnicott 2009, S. 100 ff.).

Dass und wie sich dieser tote Punkt überwinden lässt und ein Dialog einsetzen kann, wird im Fortgang der Geschichte erzählt. Auf dem Schulgelände befand sich ein kleiner Teich, der auf die Kinder eine magische Anziehungskraft ausübte. In jeder Pause trafen sich die Kinder ihrer Klasse dort, turnten im Winter auf dem Eis herum und holten sich trotz Eis und Kälte immer wieder nasse Füße. Zahlreiche Verbote und Ermahnungen vermochten all das nicht zu verhindern.

Nun siedelten sich im Frühjahr dort einige Stockenten an. Natürlich wollten die Kinder sie haben, da sie sich aber nicht fangen ließen, warfen sie in einem unbeobachteten Moment mit Stöcken nach ihnen und trafen eine der Enten, die sich stark blutend ins nahe Gestrüpp rettete. Sie berichteten ihrer Lehrerin davon, und auch die aufsichtführenden Kolleg/innen hatten den Vorfall inzwischen mitbekommen. Entsetzt nahmen sie alle zur Kenntnis, dass die Kinder nicht in der Lage waren, artgerecht mit diesen Tieren umzugehen. Dass man sie nicht wie einen Hund streicheln und auf den Arm nehmen konnte, machte sie so wütend, dass sie sie mit Stöcken bewarfen. Alle eindringlichen und moralischen Appelle stießen bei den Kindern auf taube Ohren. Sie hatten nur sehr geringe oder gar Hemmungen, einem Lebewesen wehzutun.

»Den Kindern fehlte das, was Winnicott die ›Fähigkeit zur Besorgnis‹ nennt, eine schon im ersten Lebensjahr entstehende Basis für die Entwicklung von Vor- und Rücksicht, von der Fähigkeit, Bedenken zu haben, strukturierte Schuldgefühle zu entwickeln oder einen Schaden wieder gut zu machen, kurz, für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen« (vgl. Clos 1991, S. 63).

Zunächst brachte Clos ihnen Materialien über Stockenten und ihre Lebensweise mit, aber vergebens. Offenbar hatten sie so mächtige archaische Schuldgefühle ausgebildet, dass die Konfrontation mit der Untat ihr Selbstgefühl zu stark bedroht hätte. Trotzdem fragten sie in den folgenden Tagen immer wieder nach, wo denn die verletzte Ente nun sei, ob man sie gefunden und zum Tierarzt gebracht hätte oder ob sie gar gestorben sei. Zum ersten Mal hatte ihre Lehrerin den Eindruck, dass sie über die Folgen ihres Handelns wirklich erschrocken waren. »Die Gruppe schien an einem wichtigen Entwicklungsschritt angelangt. Die Kinder begannen, ihre Umgebung und die Folgen ihres Handelns als solche wahrzunehmen«. Clos versuchte, das so gewachsene Interesse für Tiere wachzuhalten, wobei sie die Verbindung zu ihren massiven Neid- und Rivalitätsgefühlen sowie Versorgungswünschen sicherstellen wollte. »Sie selbst waren noch nicht aus ihrer ›Eischale‹ herausgeschlüpft. Sie erlebten sich noch als Mittelpunkt der Welt und glaubten, über alles und jeden gemäß ihrer spontanen Wünsche auf magische Weise verfügen zu können« (vgl. S. 64). Die Kehrseite dieser Größenphantasie ist die Erfahrung von absoluter Ohnmacht, Hilflosigkeit, unbändiger Wut und unvorstellbarere Angst, und diese Erfahrung erklärt ihren massiven und lang anhaltenden Widerstand, sich auf die Angebote der Lehrerin einzulassen. Wieder mit Blick auf Winnicott befindet Clos, dass die gezeigte Destruktivität ein Zeichen von Hoffnung ist, etwas wiederzufinden, das ihnen verloren gegangen ist – »die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit ihrer Umwelt« (vgl. Clos 1991, S. 66; Winnicott 1990, S. 269 ff.).

Kurze Zeit später erzählt Thomas, einer der Jungen aus der Klasse, dass sein Freund und er Vogelnester ausgenommen hätten. Mit halb entsetztem, halb lustvollen Gesichtsausdruck berichtet er, der Freund habe die Küken mit dem Fuß gekickt, bis sie tot gewesen seien. Auch die andern lauschten fasziniert dem Bericht. Vor kurzem hatten sie dasselbe angerichtet, aber was ein anderer tut, ist mit weniger archaischen Schuldgefühlen belastet. In den nächsten Tagen brachte die Lehrerin Bilder, Filme und Bücher über Vögel mit, holte Vogelnester und ausgestopfte Vögel aus der Lehrmittelsammlung und stelle Material zum eigenständigen Bearbeiten zur Verfügung. Mit den entsprechenden Verhaltensmaßregeln versehen beobachtete sie zusammen mit der Klasse Amseln, Spatzen und Krähen auf dem Schulhof. Die Kinder begannen von Nestern zu berichten, die sie nachmittags entdeckt hatten und verfolgten interessiert das Brüten, Füttern und schließlich das Flüggewerden der Jungen. In der Schule bastelten sie Papiervögel, die ihren Schnabel auf- und zusperren konnten, wenn man an einem verborgenen Faden zog. Clos fütterte sie immer wieder mit Schokoladentalern, worüber die Kinder begeistert waren.

»In unserem Spiel mit den Papiervögelchen konnten sie sich wechselweise mit den Jungen und mit den Vogeleltern identifizieren. Sie waren nun in der Lage, das im Spiel auszudrücken, was sie offenbar sehr beschäftigte – das Füttern, das Bemuttern, das Schützern, das Bedrohtsein, das Kleinsein und Großwerden« (vgl. Clos 1991, S, 70).

Viel Zeit verbrachten die Kinder damit, mit ihren Vögelchen zu spielen und sie sich gegenseitig hacken und beißen zu lassen. Und obwohl die Papierfiguren ziemlich instabil waren, hielten sie eine ganze Weile. Auf einer unbewussten Ebene, so Clos, spiegelten die zu fütternden Jungen ihren eigenen Entwicklungsstand. Dabei war bedeutsam, dass die Kinder ihre Gier, ihren Neid und ihre Versorgungswünsche nicht in ständigen Prügeleien, sondern zum ersten Mal im Spiel ausdrückten, und ihre Aggressionen waren deutlicher geringer geworden.

»Sie selbst waren auf der sinnbildlichen Ebene noch sehr verletzliche, gerade aus dem Ei geschlüpfte Wesen. Vielleicht waren sie auch von ihren Eltern so brutal aus dem Nest geworfen worden und getreten worden, wie es Thomas’ Freund mit den kleinen Vögelchen getan hatte« (vgl. ebd., S. 70).

Hinter ihrer Brutalität und Gefühllosigkeit im Umgang mit Mitschüler/innen, Lehrer/innen und Tieren hatten sie ihre Verletzlichkeit und ihre Wut über die ständigen Enttäuschungen ihrer geheimen Sehnsüchte zu verstecken gesucht. Über das Verstehen ihrer Befindlichkeit fand die Lehrerin einen Weg zu ihnen – und dies handelnd und nicht deutend. Sie bastelte ihnen kleine Vögel, die sie (stellvertretend) fütterte. Moralisches Zureden hatte nichts gebracht, die Enten konnten so nicht geschützt werden.

Erst als der eigentliche Grund der Aggressionen der Kinder durch ein spielerisches Angebot zum Gegenstand des Unterrichts gemacht wurde, kam bei ihnen eine reifere Entwicklung in Gang. Voraussetzung dafür war, dass die Verschiebung ihres psychischen Dilemmas auf ein harmloseres Terrain das Maß an Bedrohlichkeit entscheidend verringerte. Bis dahin waren ihre Wünsche nach »bedingungsloser Liebe, Versorgung, Schutz und Sicherheit« hinter einer »Fassade der antisozialen Abwehr« verschüttet gewesen. Nun entstand auf einer sinnlich-symbolischen Ebene ein Dialog, der ihre Wünsche und das Verständnis der Lehrerin darstellbar machte. Selbstverständlich ließen sich ihr narzisstischer Hunger und die dazu gehörigen Omnipotenzphantasien, alles zu vermögen, nicht real befriedigen, aber er konnte – über die Vögel-Metapher – zum Thema gemacht werden, so dass sie sich damit versöhnen konnten, »dass die Allmacht eben eine Illusion ist« (vgl. ebd., S. 71).

Clos stellte fast alle anderen Unterrichtsvorhaben zurück und konzentrierte sich auf das begonnene Thema. So behandelte sie das Leben der Mäuse, die Art ihres Nestbaus, die Aufzucht ihrer Jungen und ihre Vorratshaltung. Die Kinder entwickelten eine ungeahnte Ausdauer und ein Interesse, das sie zuvor nicht hatte beobachten können. Um den Kindern ein »greifbares Symbol« zu geben, nähte sie mit den Kindern aus Filz kleine graue Mäuse, die mit Reis gefüllt wurden. Auch hier blitzten ein bis dato unbekannter Eifer und eine Ausdauer auf. Ein Körbchen wurde bereitgestellt, das zum Mäusenest wurde, und auch zwei Elternmäuse wurden gebastelt. Jeden Morgen stürzten sich die Kinder auf das Nest, um möglichst viele der kleinen Mäuse zu ergattern und stritten sich darum. Zwar herrschte also kein Frieden in der Klasse und die Kinder drückten ihre gegenseitige Rivalität im Kampf um die Mäuse aus. »Aber insgesamt wurde es friedlicher, weniger anstrengend und konstruktiver.« Am Ende des Schultages wurde genau gezählt, das kein Mäuschen fehlte, sie wanderten zurück ins Körbchen, und die Elternmäuse wurden darüber gesetzt, damit sie nicht frieren mussten. »Ganz fürsorglich kümmerten sich die Kinder um diese Mäusefamilie.« Clos unterstreicht noch einmal, dass es nicht das Angebot des »richtigen« Spielzeugs an sich war, das die Wünsche der Kinder kommunizierbar machte, »sondern sie konnten dies nur nützen, weil und wenn sie sich verstanden und aufgehoben fühlten (…) Aber nun hatte in dieser Gruppe eine gemeinsame Zeit begonnen« (vgl. ebd., S. 73 ff.).

Was in diesem Beispiel als methodische Herangehensweise sichtbar wird, lässt sich mit dem bereits mehrfach angeführten Terminus des »szenischen Verstehens« umschreiben.

Lorenzer nahm Freuds Fallgeschichte vom kleinen Hans als Vorlage für sein Konzept vom szenischen Verstehen (vgl. Freud, S. 1909b). Ein befreundeter Kollege berichtete ihm von der Angst seines Sohnes, ein Pferd werde ihn beißen. Hans war einst Augenzeuge, wie ein Pferd stürzte, und er glaubte, es sei tot. Freud erkannte in dieser Phantasie sowohl eine Verdichtung wie auch eine Verschiebung und ging davon aus, dass Hans seinen ödipalen Wunsch, den Vater zu töten, mit diesem Erlebnis assoziativ in Verbindung brachte. Gleichzeitig fürchtete sich der Junge davor, vom Vater für diesen Wunsch kastriert zu werden, und so setzte er unbewusst Pferd und Vater in eins und entwickelte daraus eine Pferdephobie. »(…) beide Objekte, das beißende wie das fallende Pferd, sind der Vater, der ihn strafen wird, weil er so böse Wünsche gegen ihn hegt« (vgl. Lorenzer 1973, S. 127 ff.). Die ursprüngliche Bedeutung der Wörter ging verloren und wurde durch ein »Klischee« ersetzt (vgl. ebd., S. 113), und nach Lorenzer steht diese Desymbolisierung für eine Auftrennung von Sprache und Praxis. Sprache ist damit zur Privatsprache geworden, und die Gleichung lautet nun: Pferd = Vater. Die Angst vor dem strafenden Vater ist zur Angst vor dem Pferd geworden.

Aufgabe des Psychoanalytikers ist es, dazu beizutragen, dass diese Sprachverfälschung wieder aufgehoben werden kann. Indem über die Deutungsarbeit Wut und Angst dem Vater gegenüber bewusst erlebbar werden dürfen, können die alten Wortbedeutungen wieder in ihre Rechte eingesetzt werden. Fortan bedeuten also erneut Pferd = Pferd und Vater = Vater (vgl. ebd., S. 127 ff.).

Damit aber zurück zum Entenbeispiel. Clos verstand den Zusammenhang zwischen dem affektiven, lebensgeschichtlich gezeichneten Hintergrund der Kinder und ihren manifest gezeigten Aggressionen gegen die Enten. Hier kam es unbewusst wie auf einer Bühne zur Reinszenierung eines ungelösten Problems. Zudem wurde ihr ihre eigene Verstrickung deutlich, die sich in der Entrüstung über das unethische Gebaren als Widerstand gegen das Zulassen der Identifikation mit den verschlingenden narzisstischen Bedürfnissen der Kinder äußerte. Auf diese Weise ließ sich ein Weg zur symbolischen, spielerisch gestalteten Bearbeitung der Problematik finden.

Lorenzer hat die Szene als Kern der Entstehung der individuellen Persönlichkeit ausgemacht (vgl. Lorenzer 1977, S. 89). Leber (1979) führte dieses Konzept in die Pädagogik ein, und vor allem Trescher hat es für die Pädagogik systematisch weiterentwickelt (vgl. Trescher, H.-G. 1985b, S. 134). Hierbei geht es um eine besondere Konfliktdynamik, die zwischen dem Kind und seinen primären Objekten wie Mutter und Vater entsteht. Wenn diese frühen Erfahrungen mit den zunächst übermächtig erlebten Objekten zu schmerzlich sind, wird ihnen langfristig der Zugang zum Bewusstsein versperrt. Das Kind weiß nicht mehr, was ihm angetan wurde. Auch weiterhin wird eine starke psychische Abwehr in neuen Situationen, die von ihrer Ähnlichkeit her an die alten Wunden erinnern, innere Widerstände aktivieren, um dieses Wissen fern zu halten. In diesem Fall sind weder Vorstellungskraft noch Sprache verfügbar, um sich zu erinnern und diese Erinnerungen artikulieren zu können. »Wo Sprache und Denken als ›Probehandeln‹ ausfallen, wird blind ›agiert‹« (vgl. Leber 1972, S. 23). An die Stelle einer reflektierten Mitteilung über das Selbsterleben treten sprachlose Inszenierungen als unbewusste Wiederholung des einst erlittenen Traumas. Wie die obige Konstellation illustriert, ist der pädagogische Alltag voll davon. Glücklicherweise vermochte die Lehrerin die Dramatik, die durch die anstehende Trennung ausgelöst wurde, zu verstehen und den Kindern einen symbolischen Weg anzubieten, sich davon zu befreien.

So können bestimmte Situationen, die für das ungeübte Auge völlig harmlos erscheinen, plötzlich in eine wechselseitige Eskalation einmünden. Über eine assoziative Verknüpfung an das frühere konflikthafte und noch immer unverarbeitete seelische Dilemma wird ihnen unvermittelt ein spezifischer szenischer Auslösereiz beigemessen, was dazu führt, dass unsere Adressat/innen in ein mehr oder minder heftiges Agieren geraten. Aus Scham verhindert der innere Widerstand, dass das Verhalten der Reflexion zugänglich wird. Alte und dem Bewusstsein entzogene Erinnerungsspuren gemahnen an das Erleben von Kränkungen und Ohnmacht. Damit wird eine narzisstische Verletzung reaktiviert, was dazu führt, die aktuelle Situation wie jene vergangene misszuverstehen und aus Selbstschutz mit Angst, Wut, Rückzug oder Angriff auf diese vermeintliche Gefahr zu reagieren. Das Wissen um diese Zusammenhänge würde zunächst ebenfalls als Rückkehr der Bedrohung missdeutet werden. Erst ein neuer, professioneller Beziehungszusammenhang, in dem diese Assoziationen möglichst angst- und vorwurfsfrei erlebt werden können, wird ein allmähliches Verblassen der frühen Traumen bewirken. Insofern gilt es zu berücksichtigen, dass eine von Selbstreflexion getragene neue Einsicht zunächst nur gegen die eigene Bereitschaft und mit beträchtlichem psychischem Aufwand zu erreichen sein wird. Allerdings sei hervorgehoben, dass in den außerklinischen Praxisfeldern von Pädagogik und Sozialer Arbeit die Befassung mit der frühen Lebensgeschichte nur marginal ist. Viel wichtiger ist die Herstellung eines Beziehungsarrangements im Hier und Jetzt, welches im Sinne Alexanders (1949) neue, korrigierende emotionale Erfahrungen zulässt.

Dazu bedarf es auf Seiten der Pädagog/innen einer Stärkung ihrer Verstehensfähigkeit, um die bewussten wie besonders nicht-bewussten Beziehungsfallen zu erkennen. So wird es möglich, mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen reflektiert umzugehen und sich aus affektiven Verstrickungen befreien zu können und dem jeweiligen Gegenüber zu einer gedeihlichen Entwicklung zu verhelfen. Methodisch geschieht dies vor allem über die Aneignung tiefenhermeneutischen Wissens, wobei dem szenischen Verstehen eine zentrale Rolle zukommt. Es bedeutet, das metaphorisch zur Darstellung gebrachte Leid hinter dem Agieren zu verstehen (vgl. Leber 1979, S. 75).

Vor allem gilt es zu bedenken, dass das Besondere an einem derartigen Fallverstehen in der langfristigen Arbeit »mit der Beziehung und den Emotionen sowohl der Klienten wie der Betreuer« liegt (vgl. Günter, Bruns 2010, S. 25). Für diese anspruchsvolle Form des Verstehens müssen daher bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Vor allem ist das Fallverstehen nicht getrennt von der Beziehungsarbeit zu betrachten. Hier eine Arbeitsatmosphäre aus »Offenheit, Geduld, Verstehen, Akzeptieren« herzustellen, wird oft erst nach längerer Zeit erreicht. Um die verwickelten Interaktionen im Arbeitsfeld zu verstehen, ist daher Supervision dringend anzuempfehlen, in deren Rahmen auch Momente der »Selbsterforschung« ihren Platz finden sollte (vgl. Günter, Bruns 2010, S. 29).

Nach Burkard Müller lehrt Psychoanalyse die Pädagog/innen »den verstehenden Umgang mit dem Fremden, das ihnen in ihren Klienten und deren Lebensverhältnissen entgegentritt (…)« (vgl. Müller 1990, S. 40). Hierbei muss die reflektierte Anleitung zu Introspektion und Empathie ergänzt werden um konzeptionelles Wissen über Konflikt, Abwehr und Widerstand, die Wechselwirkung von Übertragung und Gegenübertragung, wobei am Ende Psychoanalyse als Gesellschaftskritik nicht fehlen darf. Der Einfluss der eigenen Persönlichkeit ist als tragendes Moment des professionellen Arbeits- und Entwicklungsbündnisses unabdingbar in den Blick zu nehmen. Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit und Ausbildung kommt dabei eine ähnlich große Bedeutung zu wie die eigene Lebenspraxis und Lebenssituation. Es macht zudem einen Unterschied, ob man vom »Vorbild des barmherzigen Samariters geprägt ist, oder im Sinne einer modernen Ethik der Meinung ist, dass der andere für sich selber verantwortlich ist und dass allenfalls staatliche Organisationen und professionelle angestellte Helfer für die Not des anderen zuständig sind«. Umgekehrt erleben die Klienten ihr Gegenüber »unbewusst wie eine Person, mit der sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Sie übertragen auf uns Gefühle, die nicht uns gelten, sondern einer früheren Bezugsperson«. Zur Unterstützung des reflektierten Umgangs mit diesen erlebensnahen Dimensionen jenseits theoretischer und methodischer Unterweisung sind »gruppendynamische Laboratorien mit Selbsterfahrungsgruppen (…) hilfreich, nicht zu vergessen Selbsthilfegruppen« (vgl. Kutter 1990, S. 45 ff.).

Die Vertreter/innen der Psychoanalytischen Pädagogik bewegen sich in einem »geteilten intersubjektiven Raum«, sind von einer gemeinsamen Phantasie und Idee umwoben, die ich die Matrix der Psychoanalytischen Pädagogik nennen möchte. Wenn man so will, bilden sie eine (unstrukturierte) Großgruppe, die – wie Wilke mit Bezug auf Foulkes’ Sozialisationstheorie (vgl. Foulkes 2007) anmerkt – »Werte und Normen erarbeitet, von denen jedes Mitglied individuell abweicht«. Und es ist Auftrag an diese spezielle scientific community, die »Interdependenz einer Ich- und Wir-Identität zwischen ihm und der Gruppe zu tolerieren« (vgl. Wilke 2005, S. 141 f.). Vor dem Hintergrund der ewigen Spaltungen innerhalb der verfassten Psychoanalyse ist das mitnichten ein leichtes Unterfangen.

An dieser Stelle möchte ich noch einen interessanten Nebenaspekt zur Sprache bringen. Als eine der namhaftesten Gruppierungen sei einmal mehr der Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik (FAPP) genannt. Seine langjährige Erste Vorsitzende war Annelinde Eggert-Schmid Noerr. Leider ist sie am 9. September 2017 verstorben. Annelinde Eggert-Schmid Noerr war Professorin für Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule Mainz, zudem war sie ebenso leidenschaftliche Gruppenanalytikerin und als solche im Vorstand des Instituts für Gruppenanalyse Heidelberg e. V. (IGA) engagiert. Beide Institutionen veranstalteten ihr zum Gedenken am 16. November 2019 eine Tagung unter dem Titel »Gruppenanalyse und Psychoanalytische Pädagogik«. Trotz der aktiven Mitarbeit von Annelinde Eggert-Schmid Noerr in Frankfurt wie in Heidelberg hatte es vorher kaum Berührungspunkte gegeben, war dies die erste gemeinsame Veranstaltung. Mir selbst wurde die Ehre zuteil, einen Vortrag mit dem Titel »Zum Verständnis von Gruppe und institutioneller Abwehr in der Psychoanalytischen Pädagogik« zu halten. Alle Beiträge, einschließlich der bewegenden Worte zum Eingang von ihrem Ehemann Gunzelin Schmid Noerr sind in der Zeitschrift Gruppenanalyse nachzulesen (vgl. Gruppeanalyse 1. 2020).

Zum Abschluss traf man sich in der Großgruppe. Und auf diese Begegnung möchte ich hinaus. Nicht allein ein verbindendes Trauern über den Verlust einer so wunderbaren Frau und Kollegin wie Annelinde Eggert-Schmid Noerr wurde sichtbar, sondern es wurde immer wieder der Wunsch einer vertiefteren Kooperation artikuliert. Beide Institutionen waren zu diesem Zeitpunkt von nicht unerheblichen Existenzsorgen geplagt – die Psychoanalyse ist ja schon länger sowohl in der pädagogischen Praxis wie dem psychotherapeutischen Feld eher zum Randphänomen geworden – und so stand dieses allgemeine Bekenntnis für ein, wenn man so will, engeres Zusammenrücken in schwierigen Zeiten.

Und jetzt kommt meine Assoziation ins Spiel, die mir in diesem Moment einfiel. Der Gruppenanalytiker Wilfred Bion hat drei Grundannahmen einer Gruppe formuliert:

• Abhängigkeit

• Paarbildung

• Kampf-Flucht (vgl. Bion 1991, S. 106 ff.).

Mit diesen Grundannahmen verbinden sich Affekte von Angst, Furcht, Hass, Liebe usw., aber jeweils anders gefärbt. »Angst in der abhängigen Gruppe hat einen anderen Charakter als Angst in der Paarbildungsgruppe, und das gilt entsprechend für andere Gefühle« (vgl. ebd., S. 113).

In der Phase der Abhängigkeit sehnt sich die Gruppe danach, von einem Führer betreut zu werden, der ihr Schutz und Nahrung schafft. So mögen Gruppenmitglieder dem Gedanken anhängen, sie seien zusammengekommen, um »irgendeine Behandlung zu empfangen« (vgl. S. 107). Hier scheint der Wunsch der Gruppe auf, »von einem Individuum, von dem sie abhängt, Sicherheit zu erlangen« (vgl. ebd., S. 48).

In der Phase der Paarbildung entsteht die (durchaus sexualisierte) Phantasie, zwei Mitglieder würden einen neuen Führer zeugen. Bion stellt hier eine Verbindung zum Ausagieren der Urszene her, in der ein Kind die Eltern zum ersten Mal beim Koitus belauscht hat. Mit dieser Grundannahme der Paarbildung verknüpfen sich Gefühle von Hoffnung auf das Weiterleben der Gruppe, die aber nur dadurch aufrechtzuerhalten sind, dass der Führer noch ungeboren ist. »Es ist ein Mensch oder ein Gedanke, der die Gruppe eines Tages retten wird – und zwar vor den Hass-, Destruktivitäts- und Verzweiflungsgefühlen der eigenen oder einer anderen Gruppe« (vgl. ebd., S. 109 f.).

Die dritte Grundannahme besagt, dass »die Gruppe sich zusammengefunden habe, um gegen etwas zu kämpfen oder davor zu fliehen«. Die werden dadurch massiv behindert, dass sich »emotionelle Unterstützung für Vorschläge mobilisieren lässt, die entweder Hass auf alle psychologischen Schwierigkeiten ausdrücken oder aber Mittel zu ihrer Umgehung darstellen« (vgl. ebd., S. 111 f.).

Dass die wirkmächtigen Themen Abhängigkeit oder auch Kampf und Flucht zu einem bestimmten Zeitpunkt die Phasen eines Gruppenprozesses bestimmen, leuchtete mir immer ein. Allerdings neigte ich dazu, die Paarbildungs-Grundannahme Bions für mich eher als zu spekulativ zurückzuweisen. Bion hatte während des Zweiten Weltkriegs in einem Militärlazarett mit englischen Soldaten gruppenanalytisch gearbeitet. »Dort war die Annahme entweder, dass wir Soldaten fronttauglich machen wollten, oder aber, dass wir einem Haufen von Drückebergern helfen wollten, sich weiterhin zudrücken« (vgl. S. 47).

Nicht nur war er selbst seit grässlichen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg kriegstraumatisiert, sondern es ging darum, dass die Soldaten mit Hilfe seiner psychotherapeutischen Gruppensitzungen wieder an die Front zurückkehren sollten. Ich dachte, dass die phantasierte Paarbildung dazu diene, das Überleben der Gruppe zu sichern, sie also von der realen Angst vor dem nahen Tod ausgelöst worden war. Das Festhalten an dieser kleinen Illusion entsprang dem Wunsch, die Gruppe – und damit ein Teil von einem selbst – möge durch die Paarbildung fortexistieren. Aber das war doch im Krieg gewesen…

Jetzt aber in der Großgruppe Heidelberg hatte ich auf einmal das Gefühl, dass hier genau das Gleiche passierte, Bion mit seiner These also Recht hatte. Durch die Vereinigung beider Institutionen zu einem virtuellen Ganzen konnte das Überleben garantiert werden. Ich hatte diese gruppenanalytisch gerahmte Mutmaßung sogar geäußert, aber erstaunlicherweise keine Resonanz erhalten. Vielleicht war der Verlust für beide Kollektive noch zu frisch, und das Eingeständnis, sich alleingelassen zu fühlen, zu bedrohlich. Die Hoffnung war, so denke ich heute, durch die Vereinigung der beiden psychoanalytischen Matrices weiter bestehen und womöglich wirkungsreicher sein zu können.

Psychoanalytisch gewendet ist jede bewusste erzieherische Handlungsabsicht – im Grunde das Primat des Handelns selbst – radikal in Frage zu stellen. Auf diese Weise wird die Trennung von Erzieher und Zögling in ein dialogisches Beziehungsmodell transformiert, das sich der Selbstreflexion des eigenen Parts verpflichtet zeigt. Die Betrachtung dieser Beziehungsdynamik verlangt danach, dass erst »zu verstehen sei, bevor zu handeln ist«, ja offenbart, dass »Verstehen zugleich Handeln« ist (vgl. Trescher, H.-G. 1985b, S. 185 f.). Leber u. a. formulieren pointiert, dass »Verstehen nicht nur Voraussetzung für sinnvolles pädagogisches Handeln ist, sondern selbst schon als solches begriffen werden kann« (vgl. Leber u. a. 1989, S. 31). Die pädagogische Zielstellung ist folglich nur zu retten, wenn die »jeweils aktuelle Problematik des Seelenlebens« der Zöglinge sorgsam berücksichtigt wird, sich »Lehrer und Erzieher aber auch um ihren eigenen psychischen Besitz kümmern« (vgl. Datler, W. 1983, S. 146 f.).

Verstehen, was der Fall ist

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