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Ausgetrickst EIN LOCKERVOMHOCKER­NEFFENSCHOCKER­KURZKRIMI

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Ja? Hallo? Wer spricht? Hallo? Würden Sie bitte etwas lauter sprechen, ich kann Sie nämlich sonst nicht hören. Hallo? Ja, so ist es besser. Jetzt höre ich Sie. Sehr gut sogar. Jetzt passt es. Danke, ganz wunderbar. Jetzt verstehe ich jedes Wort. Macht Ihnen hoffentlich nicht zu viel Mühe, aber wissen Sie, in meinem Alter ist das mit dem Hören eben schon ein Problem, mein Gott, die Ohren spielen halt nicht mehr so mit, ziemlich lästig, das kann ich Ihnen sagen. Aber wenn man schön laut mit mir redet und außerdem ein bisschen langsamer, funktioniert es ganz prima.

Wie bitte? Wie es mir sonst so geht? Sie meinen, abgesehen von meinen Ohren? Doch, doch, also sonst geht es mir gut, sogar sehr gut, eigentlich ganz ausgezeichnet. Nett, dass Sie sich danach erkundigen. Wirklich sehr freundlich von Ihnen. Trotzdem, entschuldigen Sie, aber ich hätte da jetzt doch auch eine Frage: Wer sind Sie überhaupt? Ist mir ja richtig peinlich, aber Ihren Namen habe ich am Anfang vermutlich nicht verstanden und Ihre Stimme ist mir, ehrlich gesagt, völlig unbekannt.

Wer? Tobias? Welcher Tobias? Der kleine Tobi. Aha. Sehr schön. Bloß, dass ich keinen kleinen Tobi kenne. Tobias … Tobi … nein, so leid es mir tut, aber dazu fällt mir wirklich nichts ein, beim besten Willen nicht. Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Nummer gewählt haben? Ganz sicher, aha. Hundertprozentig sogar. Trotzdem, da ist nichts, nicht die geringste Vorstellung, nicht die Spur einer Erinnerung, nichts, absolut nichts. Also, das ist mir jetzt schon mehr als nur unangenehm, wissen Sie? Weil das würde ja bedeuten, dass mich nun auch schon mein Gedächtnis im Stich lässt, dabei hat das bis jetzt immer ausgezeichnet funktioniert, wirklich hervorragend, würde ich sogar behaupten, erstklassig, verlässlich wie das Gedächtnis von einem Elefanten, wie man so schön sagt. Schrecklich, wenn das jetzt auch nachlässt, zuerst die Ohren, dann das Hirn, und was kommt als Nächstes? Das macht mir schon Angst, wenn ich ehrlich bin, ganz entsetzlich ist das, und alles nur, weil ich nicht weiß, wer Sie sind, und mit Ihrem Namen nichts anfangen kann, obwohl ich Sie doch offenbar kennen sollte … Aber nein, ein Tobias kommt in meiner Erinnerung einfach nicht vor, auch kein kleiner Tobi, da kann ich nachdenken, so viel ich will.

Was sagen Sie? Mein Neffe? Nein? Ach so, der Sohn von meinem Neffen. Also mein Großneffe, um genau zu sein. Der kleine Tobi mit den entzückenden roten Löckchen, sagen Sie, der Tobias, der schon als Kind immer so krank gewesen ist, der blasse, schwächliche Bub, den ich einmal auf meinen Schoß genommen habe und dem sein Papa gesagt hat, dass ich der beste und liebste Onkel auf der Welt bin, der Superonkel, der einem jeden Wunsch erfüllt und den man immer um Hilfe bitten kann, wenn man in Schwierigkeiten steckt. Ob ich mich jetzt erinnere? Tja, dunkel, sehr dunkel. Irgendwie dämmert’s mir. Muss aber schon lang her sein, eine halbe Ewigkeit seit damals, was? Ich habe ja schon seit Jahrzehnten nichts mehr gehört von meinem Neffen, na ja, jeder lebt sein Leben und so verliert man sich halt aus den Augen, und die Zeit bleibt auch nicht stehen. Kein Wunder, dass ich es vergessen habe, nicht wahr? Völlig normal nach so langer Zeit, stimmt’s? Also doch nicht Alzheimer, da bin ich aber froh, ehrlich, verdammt froh bin ich da. Kein Alzheimer, das ist die Hauptsache.

Sie sind also … du … du bist also – ist doch in Ordnung, wenn ich dich duze, schließlich sind wir ja miteinander verwandt, wenn ich das richtig verstanden habe – du bist also der kleine Tobi, aus dem der große Tobias geworden ist, der sich heute ganz plötzlich einfach so gedacht hat, dass es doch eine nette Idee wäre, einmal seinen lieben, alten Onkel anzurufen und ihn zu fragen, wie es ihm geht. Ja, was sagt man denn dazu? Also ich halte das nicht nur für eine nette Idee von dir, nein, ich finde das sogar ausgesprochen reizend, um nicht zu sagen, hinreißend. Ganz entzückt bin ich davon, wirklich, das darfst du mir ruhig glauben. Weil, unter uns gesagt, so oft kommt es ja nicht mehr vor, dass mich jemand anruft, eigentlich so gut wie überhaupt nicht. So ist das halt, wenn man alt wird, die Menschen um einen herum vergessen einen oder sterben, die Anrufe werden immer weniger und irgendwann klingelt das Telefon dann gar nicht mehr, nun ja, wozu auch, wenn man ohnehin fast nichts mehr hört.

Nein, entschuldige, ich bin doch wirklich unmöglich! Labere dir die Ohren voll mit meinem Altmännergejammere, das niemanden interessiert, am allerwenigsten einen jungen Menschen wie dich, also wirklich, eine Schande ist das. Du hast dir das Gespräch mit deinem Superonkel sicher anders vorgestellt, was? Also sag schon, was kann ich für dich tun?

Wie bitte? Wie’s mir geht? Ich verstehe die Frage nicht. Das haben wir doch gerade eben ausführlich besprochen. Ach so, finanziell meinst du. Ja, finanziell geht’s mir gut, sogar sehr gut, soviel ich weiß, und ich muss es ja wissen, nicht wahr? Wer, wenn nicht ich, oder? Kleiner Scherz zwischendurch, sonst glaubst du noch, dein Onkel würde dauernd nur jammern. Aber jetzt im Ernst, mir geht’s wirklich gut. Kannst Onkel Dagobert zu mir sagen, wenn du verstehst, was ich meine. Also eigentlich möchte ich ja nicht, dass es irgendjemand weiß, aber wenn du mir versprichst, dass es unter uns bleibt, dann verrate ich dir etwas: Es ist immer noch genug da von dem Geld. Irgendwie habe ich sogar das Gefühl, dass es einfach nicht weniger wird, manchmal wundere ich mich selber darüber, aber gut, in meinem Alter braucht man ja auch nicht mehr so viel. Um mich muss man sich also keine Sorgen machen. Nur bitte kein Wort darüber zu irgendwem, ich verlass mich drauf, klar?

Ich bin übrigens grundsätzlich der Meinung, dass das Finanzielle von den Leuten völlig überbewertet wird. Manche reden ja nur noch darüber, als würde das Glück ihres Lebens davon abhängen, dabei gibt es nichts Banaleres als Geld. Ein echtes Armutszeugnis, wenn die Leute keinen anderen Gesprächsstoff mehr haben. Über Geld spricht man nicht, das hat man oder man hat es nicht, basta.

Aber nicht, dass du jetzt glaubst, es wäre mir in den Schoß gefallen, nein, nein, ganz im Gegenteil, ich habe mich dafür ganz schön ins Zeug legen müssen, volles Risiko und so. Und es hätte ja auch schiefgehen können, Köpfchen allein genügt nämlich nicht, da muss schon auch noch das Glück ein bisschen mitspielen, damit es klappt. Aber dann den Erfolg an die große Glocke hängen und mächtig damit angeben, das wäre wohl das Dümmste gewesen, das ich hätte machen können. Wie gesagt, was du hast, geht keinen etwas an, erstens, weil du es sonst schneller wieder los bist, als dir lieb ist, die Konkurrenz schläft nämlich nicht und die Neider lauern an allen Ecken, und zweitens, weil es im Leben eben wichtigere Dinge gibt als Geld.

Hallo? Was? Was ist mit dir und dem Glück? Du hast in deinem Leben bis jetzt noch keins gehabt, habe ich dich richtig verstanden? Ja, das tut mir natürlich leid für dich, sehr, sehr leid tut mir das. Immer noch ständig krank wie damals, als du ein kleiner Bub warst? Der blasse, schwarz gelockte – wie? … Rote Locken hast du gesagt, richtig – also der blasse, rot gelockte Tobi, der auf meinen Knien gesessen ist? Ja? Hab ich mir’s doch gleich gedacht, du hörst dich nämlich gar nicht gut an, weißt du. Deine Stimme klingt so schwach, und jetzt musst du dich auch noch anstrengen und ganz laut mit mir sprechen, damit ich dich verstehen kann, das muss ja schrecklich mühsam für dich sein, entschuldige vielmals. Kann ich dir irgendwie helfen? Brauchst du was? Egal, was es auch ist, sag’s mir bitte.

Wie? Das Einzige, was dir noch helfen kann, ist eine komplizierte Operation, sagt dein Arzt? Also, wenn der das sagt, dann wird es wohl stimmen. Weißt du, ich kenne mich ja in medizinischen Dingen nicht aus, da bin ich für dich leider der absolut falsche Gesprächspartner, ich will auch gar keine Details hören, schon gar nicht über solche Sachen wie Organtransplantationen, nein, bitte verschone mich damit, so was ist mir immer irgendwie unheimlich, wenn ich ehrlich bin, obwohl es ja heißt, dass sie unglaubliche Fortschritte machen in der Medizin, speziell in der Chirurgie, jeden Tag ein neues Wunder, was man so mitkriegt. Also wenn du unbedingt meine völlig unmaßgebliche Meinung dazu hören willst, dann kann ich dir nur raten, ab auf den Operationstisch und viel Glück.

Ich verstehe, das ist natürlich unangenehm. Was heißt unangenehm, schlimm ist das, eine Frechheit, eigentlich ein Skandal! Da gibt es eine Operation, die dich retten könnte, aber nur, wenn du sie selber bezahlst, und wenn du das Geld nicht aufbringen kannst, Pech gehabt, unglaublich ist das, wirklich unfassbar! Geld, Geld, Geld, um nichts anderes geht es, da sieht man wieder, wie weit es mit der Menschheit schon gekommen ist. Ich kann nur wiederholen, die Leute wissen einfach nicht mehr, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als Geld. Es ist wirklich zum Verzweifeln. Um welche Summe dreht es sich denn überhaupt? So eine Operation kann doch nicht die Welt kosten.

So viel! Damit habe ich jetzt allerdings nicht gerechnet, das ist ja ein Irrsinn. Mein Gott, diese Ärzte, was für ein geldgieriges Pack! Von wegen Menschlichkeit und Nächstenliebe, dass ich nicht lache. Wissen genau, dass wir von ihnen abhängig sind, und das nutzen sie schamlos aus. Was für ein Glück, dass ich keinen Doktor nötig habe, hin und wieder zum Zahnarzt, ja, aber sonst gesund und fit wie ein Jüngling, jeden Tag fünf Kilometer laufen, Hanteltraining und eine Stunde am Sandsack zahlen sich halt doch aus, und das bisschen Schwerhörigkeit, was soll’s. Ich hoffe nur, dass ich eines Tages einfach tot umfalle, und zwar ohne dass ich vorher gezwungen bin, mein Geld jahrelang irgendwelchen Medizinmännern in den Rachen zu schmeißen. Keinen Cent vergönne ich dieser Saubande, keinen einzigen Cent.

Ist ja gut, jetzt beruhige dich wieder, ich hab schon verstanden, dass ich deine letzte Hoffnung bin, du musst es mir nicht noch hundertmal erklären. Lass dich operieren, um alles andere kümmere ich mich, die sollen mir einfach die Rechnung schicken, in Ordnung?

Nein, das glaube ich jetzt nicht. Vor der Operation bar auf die Hand? Das ist ja wie bei der Mafia! Die reinsten Erpressermethoden sind das, unfassbar, Korruption, wohin man schaut, Zustände wie in einem drittklassigen Gangsterfilm – und unsereins ist dagegen völlig machtlos. Am liebsten würde ich diese Verbrecher anzeigen, damit ihnen die Polizei ihr dreckiges Handwerk ein für alle Mal legt. Besser nicht, meinst du? Verstehe, es geht schließlich um dein Leben. Also gut, wenn die das so von dir verlangen, kriegst du natürlich Bargeld von mir, abgezählt und in kleinen, gebrauchten Scheinen, wie gewünscht, alles klar. Da wird ein schöner Haufen dicker Geldbündel zusammenkommen, kann ich dir sagen, also bring eine Einkaufstüte mit oder noch besser einen Koffer. Bar auf die Hand, wirklich, ich fasse es nicht.

Selbstverständlich geschenkt. Dass du es mir nie zurückzahlen können wirst, weiß ich doch, bin ja nicht blöd. Hauptsache, du wirst gesund, dann ist das Geld wenigstens für etwas gut, würde sonst ohnehin nur irgendwann verschimmeln. Ja, verschimmeln, du hast schon richtig gehört. Machen wir uns nichts vor, keiner ist unsterblich, viel Zeit bleibt mir höchstwahrscheinlich auch nicht mehr und dann verfaulen wir alle beide in der Erde, ich und mein Geld.

Nein, natürlich nicht auf der Bank, ich bin doch nicht verrückt! Keine zehn Pferde bringen mich in eine Bank, dreimal und nie wieder, vorbei ist vorbei, man muss wissen, wann Schluss ist, weißt du. Nur weil es ein paar Mal gut gegangen ist, darf man nicht glauben, es würde so weitergehen. Niemand hat immer Glück, das ist ein Naturgesetz, aber die meisten vergessen das und dann schauen sie dumm aus der Wäsche, wenn das Glück nicht mehr mitspielt und die Handschellen klicken, oder wenn’s sogar Tote gibt. Nicht mit mir, Banken sind für mich absolut tabu, um die mache ich einen ganz großen Bogen. Viel zu großes Risiko, du weißt ja nie, wann etwas passiert, stehst nichts ahnend am Schalter, willst einen Hunderter von deinem Konto abheben und plötzlich schreit einer „Überfall!“ und hält dir eine Pistole an den Kopf oder ballert gleich wie blöd in der Gegend herum. Hat ja nicht jeder so gute Nerven wie ich, um die Geschichte ruhig, elegant und ohne Blutvergießen durchzuziehen, und dann kannst du nur noch beten, dass du heil aus der Sache herauskommst. Gute Nerven sind nämlich das Wichtigste bei einem Überfall, ich weiß, wovon ich rede, gute Nerven und jede Menge Geduld, weil es nämlich darauf ankommt, dass du in aller Ruhe den richtigen Zeitpunkt abpasst, gerade keine Kunden in der Schalterhalle, kein Auto, das dein Fluchtfahrzeug blockiert – aber wozu erzähle ich dir das eigentlich, damit kannst du ohnehin nichts anfangen. Fakt ist, mit Banken will ich nichts mehr zu tun haben und auf die lächerlichen Zinsen pfeife ich. Geschenkt, aber mit Handkuss!

Für dich ist das übrigens auch besser so. Kannst froh sein, dass mein Geld nicht auf der Bank liegt, sonst gäb’s jetzt nämlich eine Menge Probleme, jede Wette. Bitte, Fritz, überleg doch einmal – was? Habe ich wirklich Fritz gesagt? Wie komme ich jetzt auf Fritz, ausgerechnet auf Fritz? – Also, bitte, Toni … Tobi, überleg doch einmal, wie das wäre, wenn ich jetzt das Geld für dich von meinem Konto abheben müsste. Diese Bankmenschen schöpfen doch gleich Verdacht bei so einer großen Summe, stellen lauter blöde Fragen: Wieso auf einmal so viel, wozu, für wen, sind Sie sicher, dass das wirklich Ihr Neffe ist? Stimmt das denn überhaupt, was er Ihnen über diese dringende Operation erzählt hat, wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen? Die müssen das fragen, weißt du, und wenn sie dann endlich mit dem Geld herausrücken, taucht plötzlich einer auf und schreit „Überfall!“ und hält mir eine Pistole an den Kopf, der Teufel schläft nämlich nicht. Also nein, das ist mir alles viel zu riskant, verlass dich lieber auf mich, ich weiß schon, was ich tue.

Außerdem schließen die Banken in zehn Minuten und dann kommt das Wochenende, das heißt, du hättest bis Montag auf dein Geld warten müssen. Je eher, desto besser, am besten noch heute Abend, finde ich. Könnte ja sonst sein, dass dein Superonkel in der Zwischenzeit darauf vergisst, falls er doch Alzheimer hat. Kleiner Scherz zwischendurch, Spaß muss sein, nicht wahr? Nein, nein, ich vergesse schon nichts, wäre ja schlimm, wenn ich zum Beispiel vergessen hätte, wo ich mein Geld vergraben habe. Dann hättest du mich jetzt ganz umsonst angerufen, so eine Enttäuschung kann ich dir doch nicht antun. Ich werde mich auch gleich auf den Weg machen und das Geld holen, versprochen.

Aber wenn ich es mir recht überlege, fände ich es eigentlich besser, wenn du mitkommen würdest, damit außer mir noch jemand das Versteck kennt, jemand, dem ich vertrauen kann, dass er mich nicht übers Ohr haut, eben genau so jemand wie du, mit dem ich mein Geheimnis und mein Geld liebend gern teile, weil so bleibt es schließlich in der Familie, und das wäre schon irgendwie beruhigend für mich, immerhin kann man ja nie wissen, ob ich nicht tatsächlich irgendwann verblöde, und dann wäre es doch schade um die vielen schönen Scheinchen, wirklich jammerschade.

Das Versteck im Wald ist nicht leicht zu finden, weißt du. Wer nicht Bescheid weiß, kommt gar nicht auf die Idee, dass da zwischen den alten Fichten ein Haufen Geld vergraben ist. Nicht einmal die Polizisten mit ihren Schnüffelhunden haben es gefunden, obwohl sie einmal schon ganz nah dran gewesen sind. Haben schließlich aufgegeben. Dein Superonkel ist nämlich ein richtig schlaues Kerlchen, na ja, du wirst es ja bald selber sehen. Man muss auch gar nicht weit gehen, zwanzig, höchsten fünfundzwanzig Minuten durch den Wald, ganz gemütlich, keine Angst, du schaffst das locker trotz deiner Krankheit, davon bin ich überzeugt, wahrscheinlich wirst du sogar vergessen, dass du krank bist, die frische Luft wird dir guttun und auf einmal wirst du dich so großartig fühlen wie schon lange nicht. Und dann diese Ruhe, weit und breit kein Mensch zu sehen, herrlich, sage ich dir, du wirst staunen.

Das letzte Mal, als mir dort jemand über den Weg gelaufen ist, das ist schon zwei Jahre her, nein, dass ich nicht lüge, drei Jahre, genau, drei Jahre ist das her. Auf einmal ist er zwischen den Bäumen aufgetaucht, ich bin unglaublich erschrocken. Einer von der Kripo, habe ich gedacht, die suchen also in Wirklichkeit immer noch oder schon wieder, und ich Idiot stehe jetzt da, mitten im Wald und mit einem Spaten in der Hand, na großartig, das war’s dann wohl. Verflucht blöde Situation, da bist du wie gelähmt, nicht einmal eine halbwegs gescheite Ausrede fällt dir ein, weil dass man einen Spaten braucht, um Pilze zu suchen oder Beeren zu pflücken, das glaubt dir ja nun wohl wirklich keiner.

Erst als der Mann direkt vor mir gestanden ist und mir ins Gesicht gegrinst hat, habe ich ihn erkannt. Es war nämlich gar kein Polizist, sondern mein alter Kumpel Fritz. Das ist der, von dem ich seinerzeit die Tipps für die drei Banken bekommen habe. Erstklassige Tipps, keine Frage, und ich habe ihm dafür auch jedes Mal die Hälfte von der Beute abgegeben, faire Geschäfte, gute Freunde, sag ich nämlich immer. Jeder soll kriegen, was ihm zusteht, und mit fünfzig Prozent war der Fritz nun wirklich mehr als gut bedient, finde ich.

Ich war wirklich fest davon überzeugt, damit wäre alles klar zwischen ihm und mir und ich sehe ihn nie wieder, so war es nämlich ausgemacht, kein Kontakt mehr, damit wir nur ja nicht die Aufmerksamkeit der Polizei auf uns lenken. Aber was macht der Wahnsinnige? Lauert mir im Wald auf und verlangt allen Ernstes, ich solle ihm zeigen, wo ich das Geld versteckt habe, weil er noch mehr davon haben will.

Wie er das mit dem Wald herausgefunden hat, weiß ich nicht, hat mich in diesem Moment auch gar nicht interessiert, ich war nämlich einfach nur sauer. Zuerst der Schreck, den er mir eingejagt hat, dann seine Drohung, dass er ausnahmsweise ja auch einmal der Polizei einen Tipp geben könnte, wenn ich nicht das machen würde, was er von mir verlangt, und dazu sein unverschämtes Grinsen, das alles hat mich derart wütend gemacht, da habe ich gar nicht lange überlegt, sondern einfach in einer Art Reflex – also, was soll ich lange drum herumreden – ich habe ihn erschlagen. Halb geköpft, um genau zu sein, mit einem einzigen Spatenhieb auf seinen Hals, so schräg von der Seite, verstehst du, mit dem Spaten weit ausgeholt und dann zack! mit der Kante, sozusagen wie mit einem Schwert. Ganz leicht geht das, ich war selber erstaunt, wie scharf so ein Spaten ist, gut, war auch ziemlich teuer, um den Preis darf man dann schon eine erstklassige Qualität erwarten.

War allerdings kein schöner Anblick, wie der Fritz dann vor mir gelegen ist, der fast abgetrennte Kopf, das viele Blut und dieses krampfhafte Zucken, sein ganzer Körper hat gezuckt, pausenlos nur gezuckt und gezuckt, du kannst dir das sicher vorstellen. Scheußlich, wirklich scheußlich, ich habe gar nicht richtig hinschauen können und es hat ewig gedauert, bis er aufgehört hat mit dem Zucken. Gesagt hat er allerdings nichts mehr, keinen einzigen Ton hat er von sich gegeben, nicht einmal geröchelt hat er.

Hinterher hat es mir auch ziemlich leidgetan, völlig überzogene Reaktion, habe ich gedacht, absolut unnötig und übertrieben. Aber so bin ich nun einmal: Wenn man mich über den Tisch ziehen will, raste ich aus. Normalerweise gibt’s nur ein paar Ohrfeigen oder Faustschläge auf die Nase und dann ist es auch schon wieder vorbei, aber dieses Mal habe ich halt blöderweise gerade den Spaten in der Hand gehabt und das war natürlich ein ausgesprochenes Pech für Fritz, dumm gelaufen, richtig dumm gelaufen.

Ich habe ihn gleich an Ort und Stelle vergraben und dabei war der Spaten dann doch wieder äußerst nützlich. Der Platz ist nur ein paar Meter vom Geldversteck entfernt. Da liegt er gut, habe ich gedacht, weil wo man das Geld nicht entdeckt, findet man die Leiche auch nicht. Aber, soviel ich weiß, hat man den Fritz überhaupt nicht gesucht, obwohl ihn seine Frau gleich bei der Polizei als abgängig gemeldet hat. Und seither hält sich aus irgendeinem Grund hartnäckig das Gerücht, dass er bei Nacht und Nebel abgehauen ist und unter falschem Namen im Ausland lebt. Wenn man seine Frau kennt, kann man sich das gut vorstellen, heißt es.

Was mir inzwischen allerdings ein bisschen Sorge macht, das ist der Geruch. Die Leiche liegt zwar fast zwei Meter tief im Waldboden und lange Zeit war wirklich nichts zu bemerken, irgendwas hat wohl die Zersetzung des Körpers verzögert oder die Erdschicht war dick genug, um keinen Geruch durchzulassen, was weiß ich, aber als ich neulich dort gewesen bin, ist es mir so vorgekommen, als würde nun doch ein leichter Verwesungsgestank in der Luft liegen. Ich kann mich natürlich täuschen, jedoch allein die Vorstellung, dass zum Beispiel der Hund eines Försters Witterung aufnimmt, losdüst, die Stelle findet, wie verrückt zu buddeln anfängt und damit eine Riesenpolizeiaktion auslöst, bei der sie dann die ganze Gegend umgraben und natürlich nicht nur die Leiche entdecken, sondern auch mein Geld, also allein diese Vorstellung bereitet mir seit Wochen schlaflose Nächte.

Ja, mein Lieber, das ist eben der feine Unterschied zwischen einem Bankraub und einem Mord: Geld stinkt nicht, ein Toter schon. Kleiner Scherz zwischendurch, das kennst du ja nun schon. Immer für einen Spaß zu haben, dein Superonkel, nicht wahr?

Gut, um auf den Punkt zu kommen, ich fürchte, das mit der Leiche könnte ein Problem werden, und deshalb musst du mir jetzt helfen, dieses Problem zu beseitigen. Das ist wirklich das Einzige, worum ich dich bitte, sozusagen als kleine Gegenleistung für eine große Menge Geld, in Ordnung? Wird auch ganz leicht, du wirst sehen. Wenn wir uns bei der Arbeit abwechseln, haben wir den Fritz in einer halben Stunde ausgegraben, dann teilen wir seine Überreste in ein paar Plastiksäcke auf und die lassen wir später im Moor hinter dem Wald verschwinden, fertig. Alles klar? Also, für den Haufen Geld, den du von mir geschenkt bekommst, würde ich zehn Leichen entsorgen, wenn ich du wäre.

Denk dran, in ein paar Stunden hast du’s überstanden und kannst deine Sorgen vergessen. Und ich leg sogar noch was drauf, ist schließlich mehr als genug da, wie gesagt, der Fritz hat sich ja nichts mehr unter den Nagel reißen können. Also ich schlage vor, noch einmal dieselbe Summe für deine kleine, kranke Schwester, die ist nämlich bestimmt die Nächste, die eine teure Operation braucht, und sag jetzt bloß nicht, dass du keine kleine, kranke Schwester hast, natürlich hast du eine kleine, kranke Schwester, einer wie du hat immer eine kleine, kranke Schwester, also lüg mich nicht an, sonst werde ich richtig sauer, und was passiert, wenn ich richtig sauer werde, weißt du ja.

Jetzt bist du sprachlos, was? So eine Großzügigkeit hättest du dir von mir nicht erwartet, wie? Ja, dein Superonkel hat halt ein gutes Herz, und wenn man ihn nett bittet, kann man alles von ihm haben. Ist eine Schwäche von mir, ich weiß. Ist aber auch die einzige, abgesehen von meinen schlechten Ohren. Die hindern mich nämlich nicht daran zu erkennen, ob es jemand ehrlich meint oder mich für dumm verkaufen will, bloß weil ich alt bin. Aber bei dir habe ich ein richtig gutes Gefühl, bist ein anständiger Kerl, dein Vater kann stolz auf dich sein. Und die Geschichte mit dem toten Fritz wirst du mir nichts, dir nichts verkraften, jede Wette. Gut, der Geruch wird dir vielleicht noch eine Zeit lang in der Nase bleiben, aber sonst wird dich bald nichts mehr an ihn erinnern.

Fein, dann haben wir ja alles besprochen und es kann losgehen. Ich schlage vor, wir treffen uns, sagen wir, in eineinhalb Stunden, du bringst ein paar Plastiksäcke mit und einen Koffer für dein Geld und ich werde meine Taschenlampe aus dem Keller holen. Und natürlich den Spaten. Der Spaten ist wichtig. Ohne den Spaten geht gar nichts.

Wunderbar. Endlich lerne ich dich kennen, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich drauf freue. Der Superonkel und sein Superneffe, großartig wird das, toll, ganz unheimlich toll, ja, wirklich ganz, ganz unheimlich.

Dann also bis gleich auf dem Parkplatz drei Kilometer nach der Autobahnabfahrt West –

Hallo? Tobias? Hörst du mich? Hallo? Was ist denn? Haaallooo!

Aufgelegt. Na, endlich. War auch höchste Zeit. Ich hab schon gedacht, der Typ kapiert es nie. Schon der Vierte in dieser Woche, aber so schwer von Begriff wie er war bis jetzt noch keiner. Noch ein bisschen länger und ich hätte tatsächlich nicht mehr gewusst, was ich ihm erzählen soll. Aber gut, ich bin sicher, der ruft nie wieder an.

So, Fritz, alter Freund, jetzt lass uns weiter Schach spielen. Wer ist am Zug?

Totgelacht

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