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G`schichten aus dem Killerwald EIN MÖRDERNATURKÜRZESTKRIMI

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Okay, junger Mann, jetzt hören Sie mir einmal gut zu. Wie lang sind Sie schon bei unserer Zeitung beschäftigt? Ein halbes Jahr, na, immerhin. Da sind Sie ja genau genommen kein blutiger Anfänger mehr. Aber ich muss Ihnen leider sagen, Ihnen fehlt immer noch etwas ganz Entscheidendes, das zum Handwerk eines jeden knallharten Journalisten einfach dazugehört, nämlich das Gespür dafür, dass auch in der banalsten Meldung eine richtig gute Story stecken kann.

Was Sie da zum Beispiel in der gestrigen Ausgabe geschrieben haben: Überschrift: Frau von Baum erschlagen. Und dann zehn lapidare Zeilen über die Tatsache, dass eine 85-jährige Rentnerin beim Spazierengehen im Wienerwald von einer umstürzenden Eiche auf den Kopf getroffen und getötet worden ist. Und dass die alleinstehende Frau niemandem abgegangen ist, weshalb Forstarbeiter erst nach vier Tagen zufällig ihre Leiche gefunden haben. Punkt. Mehr nicht.

Also bitte, das kann ja wohl nicht alles gewesen sein! Das ist doch Material für eine ganz große Geschichte! Damit meine ich jetzt aber nicht das sicher sehr traurige Schicksal dieser alten Frau, das interessiert niemanden und unsere Leser am allerwenigsten. Nein, ich meine den Baum. Die Totschlägereiche. Das Killergehölz. Da muss man nachbohren und schauen, welche Abgründe hinter der Rinde zum Vorschein kommen. Ein Baum wird ja nicht aus heiterem Himmel zum Mörder und erschlägt einfach so eine alte Frau, die ihm kein Zweiglein gekrümmt hat. Aber das bedeutet natürlich harte journalistische Arbeit. Nämlich recherchieren, recherchieren und noch einmal recherchieren!

Also, gehen Sie in den Wald, junger Mann, reden Sie mit den Nachbarn des Täters, mit seinen Freunden, Bekannten, Verwandten. Irgendwas muss denen ja schon früher aufgefallen sein. Abnorme Triebe beispielsweise oder ein aggressives Bedürfnis, immer größer, schöner und stärker als alle anderen sein zu wollen. Erforschen Sie seine Herkunft, dröseln Sie seinen ganzen Stammbaum auf, mit sämtlichen Verästelungen und Verzweigungen, vielleicht findet sich ja unter seinen Vorfahren bereits die eine oder andere verkrüppelte Existenz, möglicherweise sogar eine echte deutsche Eiche mit mörderischer Vergangenheit, das wäre dann natürlich der absolute Hit. Und lassen Sie sich durch das sogenannte Schweigen im Walde auf gar keinen Fall abschütteln, es gibt bekanntlich immer einen, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und sich einen Ast lacht, wenn seine Enthüllungen dann ein kräftiges Rauschen im Blätterwald hervorrufen.

Und danach klemmen Sie sich ans Telefon und reden mit dem zuständigen Kriminalpsychologen. Profiler sind nämlich von Natur aus gesprächiger als Kripobeamte. Deshalb werden Sie sicher eine Menge Details über unsere Mördereiche erfahren, aus denen Sie sich dann ein wunderbares Gesamtbild schnitzen können.

Jede Information ist wichtig: Wie schaut der Täter aus? Harmlos und unscheinbar oder schon auf den ersten Blick gefährlich? Wie alt ist er, wirkt er gesund oder eher dürr und gebrechlich? Könnte er ein Serienmörder sein? Na gut, das ja wohl eher nicht. Das Wichtigste ist ohnehin sein Innenleben, weil da steckt in der Regel der Wurm drin.

Wie ich unseren Kriminalpsychologen kenne, wird er Ihnen etwas über eine zutiefst gestörte Persönlichkeit erzählen, ein durch und durch unsicheres und morsches Ego, hervorgerufen durch das quälende Gefühl, nie richtig Wurzeln geschlagen zu haben, was im Laufe der Zeit zu einer völligen inneren Aushöhlung geführt hat. Oder es kommt der klassische Psychoquatsch von der lieblosen Kindheit der Jungeiche in einer tyrannischen Baumschule mit regelmäßigen Beschneidungsritualen und brutalen Entlausungsaktionen, gefolgt von einer unglücklichen Liebe des halbwüchsigen Baums zu einer älteren Buche, die ihn wegen seiner offenbar etwas zu klein geratenen Eicheln verspottet und ausgelacht hat, woraus vermutlich ein jahrzehntelang schwelender, nur notdürftig unterdrückter Hass auf alles Ältere und Weibliche entstanden ist, der sich nun plötzlich mit aller Macht in einem völlig willenlosen und unkontrollierbaren Tötungsakt entladen hat. Eben die alte Leier, mit der man uns weismachen will, dass die Schuld nie beim Täter liegt, sondern bei der Umwelt und den Lebensumständen.

Diesen ganzen Holzbockmist können Sie natürlich sofort vergessen. Völlig unbrauchbar. Aber vielleicht haben Sie ja Glück und der Seelenspecht erzählt Ihnen ausnahmsweise etwas anderes. Irgendwas, das unsere Eiche als richtig bösartiges Astloch dastehen lässt. Aggressiver Holzfällerinstinkt, rachdurstiger Schlägertyp mit ungezügelten Gewaltfantasien, die Wurzeln geballt zur gnadenlosen Mörderfaust, die Axt im Geäst, ausgewachsenes Kettensägensyndrom oder so. Daraus lässt sich was machen, was unsere Leser in den Bann zieht, verstehen Sie, junger Mann?

Und falls von unserem kriminalpsychologischen Dünnbrettbohrer überhaupt nichts Brauchbares kommen sollte, dann holen Sie einfach wieder einmal den guten, alten sauren Regen aus der Mottenkiste der Schreckensmeldungen. Schreiben Sie, dass die Eiche süchtig danach gewesen ist und ganz gewaltig einen in der Krone gehabt hat, als sie umgefallen ist und die alte Frau unter sich begraben hat. Wird kaum zu beweisen sein, dass es nicht so war. Und eine Giftlereiche, die wahllos über Menschen herfällt, ist auch eine prima Story.

Also, junger Mann, machen Sie sich an die Arbeit und liefern Sie mir eine anständige Horrorgeschichte. Alles ist erlaubt, bloß keine Gutbaumsentimentalität, die einem das Harz bluten lässt. Hacken Sie auf die Tastatur, Deadline ist heute um achtzehn Uhr.

Und wenn Sie das nicht schaffen, werde ich Ihnen wohl oder übel sagen müssen, dass Ihre Tage bei uns gezählt sind. Vielleicht finden Sie ja bei einem anderen Blatt einen Job, aber bei unserem offiziellen Wald-und-Wiesen-Journal Der fröhliche Forstmann hat dann für Sie leider die letzte Stunde geschlagen.

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