Читать книгу Fotografieren mit Konzept - Manfred Kriegelstein - Страница 9

INTERVIEW MIT MANFRED KRIEGELSTEIN

Оглавление

1. Wir hatten bei der Vorbereitung des Buchs darüber gesprochen, was Du unter »Konzeption« im Kontext der Fotografie verstehst. Du hast da ein Bild benutzt, das ich ganz interessant fand, das der »Jäger und Sammler«. Was meinst Du damit? Wo ist der Bezug zu unserem Fotografie-Thema?

Konzeption heißt für mich einen Plan zu haben und diesen anhaltend zu verfolgen. Das bedeutet auf die Fotografie übertragen, sich ein bestimmtes Thema zu wählen und dafür die Bildstrecken zu erstellen.

Jäger und Sammler unterscheiden sich für mich in diesem Zusammenhang folgendermaßen: Als Jäger fotografiert man ein Thema in einer bestimmten Zeiteinheit ohne große Pausen durch. Ein Beispiel dafür ist meine Serie über eine Lederfabrik in Istanbul, die an einem Nachmittag entstanden ist.

Beim Sammeln hingegen sucht der Fotograf über einen langen Zeitraum hinweg passende Bilder zu einem bestimmten Thema. Ein Beispiel dafür sind meine Landschaftsbilder von Lanzarote, die über mehrere Jahre entstanden sind. Das heißt, ich habe Bilder zu diesem Landschaftsthema gesammelt und dazu Passendes im Laufe der Zeit immer wieder ergänzt. Das ist ja auch der Sinn einer Konzeption z. B. für eine Ausstellung, dass man immer wieder neue Bilder erstellt, schaut, ob sie dazu passen, und andere dafür weglässt und somit die Qualität der Ausstellung sukzessive erhöht.


2. Bleiben wir beim Bild. Wenn sich einer auf die Jagd begibt, dann hat er doch auch eine Idee davon, wo er was findet und wie seine Beute aussehen sollte – er hat also auch eine Konzeption, oder?

Die Idee ist vorhanden, aber die Konzeption entsteht vor Ort, d. h., sie passt sich den Gegebenheiten an. Was auch bedeutet, dass man vom Jäger zum Sammler werden kann. Oft ist die Situation so, dass man als Jäger beginnt. Und wenn dann Bilder entstehen, die zu einem grundsätzlichen Thema führen – einem, das einen fasziniert und beschäftigt –, dann sucht man nach ähnlichen Motiven an anderen Orten, und so stellt sich der »Sammler«-Effekt ein.

Ein gutes Beispiel dafür sind meine Lost Places – eine Serie aus Bildern, die in alten verlassenen Räumen und Gebäuden über Jahre hinweg entstanden ist. Zu diesem Thema wurde ich an einem Wochenende an einem Ort inspiriert. Die Idee war dabei erst einmal ziemlich allgemein, es ging um alte Räume. Deren Ästhetik und morbider Charme faszinieren mich nachhaltig und damit hatte ich ein wichtiges Thema für mich gefunden. Über die Jahre kamen dann passende Motive und Bilder von anderen Orten dazu. Mit der wachsenden Anzahl der verschiedenen Motive und Bilder zu einem großen Thema entstehen häufig schrittweise auch Unterthemen, so beispielsweise meine Bilderstrecken Traces of Light – Räume mit wenig verfügbarem Licht.

Die Konzeption ergibt sich also aus Idee plus den Gegebenheiten, ist also in diesem Zusammenhang die Ausführungsmethode der Idee.

3. Aus Sicht des ambitionierten Fotografen, der nach hoher Qualität seiner Arbeit strebt: Welche Vorteile bringt das Arbeiten in Themen, Projekten oder Serien?

Es gibt ja den bekannten Ausspruch: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«. Nehmen wir beispielsweise eine Ausstellung mit 30 Bildern – dann bin ich nach vorstehender Formel schon bei 30.000 Worten, und das ist doch eine Menge, um etwas mitzuteilen, oder? Die Auswahl der Motive ebenso wie die Abfolge der Bilder selbst schaffen eine Erzählung und teilen ebenso viel über mich und meine Sichtweise der Dinge mit wie über das Thema selbst. Die Serie der Lederfabrik in Istanbul beispielsweise erzählt eine Geschichte über Menschen und deren Arbeitssituation. Dem gegenüber stehen die abstrakten Bilder aus meiner Serie Ars Morbiduum, deren Gesamtharmonie sich aus einzelnen Bildern ergibt, die dem Betrachter Raum für eigene Interpretationen und die Kreation eigener Geschichten lassen.

Projekte und Serien konzeptionell entstehen zu lassen, sollte das Ziel eines jeden Fotografen sein, denn nur damit kann er seine Handschrift zeigen – bei einem Einzelbild ist das schwer bzw. fast unmöglich. Zudem ist das Ziel eines Fotografen wie auch eines anderen bildenden Künstlers ja immer, geeignetes Material für eine Ausstellung zu haben, um die eigenen Werke einem Publikum präsentieren zu können. Eine Ausstellung ohne Konzeption ist nicht denkbar, es soll ja kein Sammelsurium zur Schau gestellt werden. Also setzt das Projekt einer Ausstellung immer konzeptionelle Fotografie voraus.

4. Ich sehe beim »Sammeln«, also beim Fotografieren zu einem vorgegebenen Thema, die Gefahr, dass man sich für den spontanen Moment, für das Unerwartete verschließt. Siehst Du da kein Problem? Leiden bei der Thema-Fokussierung vielleicht die Achtsamkeit und die Kreativität?

Ich habe eine ganz andere Erfahrung gemacht. Wenn ich losgehe, um ein bestimmtes Thema zu fotografieren, um eine Sammlung von Bildern oder ein bestimmtes Konzept zu vervollständigen, und mir fällt etwas auf, das gar nicht dazu passt, dann stelle ich häufig fest, dass das besonders gut ist. Und zwar deshalb, weil es meine Fokussierung auf das in den Blick genommene Konzept durchbricht und mir demzufolge besonders auffällt – das heißt, es ist für mich besonders wichtig. Unter Umständen legt genau dieses Bild dann den Grundstein für die Konzeption einer künftigen weiteren Serie.

5. Wie sehen Deine Projekte, wie Deine Konzeption aktuell aus (2020/21)? Gibt es da ein einziges Thema, wenige parallele Projekte, oder wechseln die Themen und Projekte relativ häufig (und wenn ja, wie häufig)?

Ich wechsle meine Themen nicht häufig – aber es ergeben sich aus meiner Arbeit häufig Unterthemen, die mich interessieren und die ich dann weiterverfolge. Das grundsätzliche, meine Fotografie bestimmende Oberthema ist die Ästhetik der Vergänglichkeit. Wenn ich neue Themen angehe und konzeptionell umsetze, sind es in der Regel Unterthemen dieses Hauptthemas.

Es wird vermutlich niemals etwas völlig anderes sein – das gibt meine fotografische Handschrift schon vor. Ich reagiere eigentlich immer auf Eindrücke von Verfall, Vergänglichkeit und Morbidität.

Besonders die Atmosphäre und die erdigen gedeckten Farben in verlassenen Räumen mit wenig Licht faszinieren mich – aus diesem Grund bin ich auch ein ganz schlechter Schwarz-Weiß-Fotograf. Das reduzierte Farbenspiel in der Morbidität ist das, was mich in der Fotografie grundsätzlich am meisten anspricht.

6. Lässt sich dieses planvolle Arbeiten nach Themen eigentlich auf alle Genres der Fotografie anwenden? In welchen Genres arbeitest Du konzeptionell?

Aus meiner Sicht sollte man ein Thema immer fotografisch »ausschlachten«. Anfängern würde ich raten: Wenn ihr ein interessantes Motiv entdeckt habt, dann belasst es nicht dabei, einmal auf den Auslöser zu drücken, sondern sucht euch verschiedene Perspektiven, arbeitet mit verschiedenen Brennweiten, beschäftigt euch mit dem Motiv und dem dahinterliegenden Thema. Das ist eigentlich schon der kleine Bruder der Konzeption: ein Motiv, ein Thema nicht schnell abzutun, sondern sich damit intensiv unter verschiedenen Blickwinkeln zu beschäftigen und in einer fotografischen Reihe zu fassen.

Insofern ist konzeptionelle Fotografie immer die Voraussetzung für gute Fotografie.

Fotografieren mit Konzept

Подняться наверх