Читать книгу Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren - Manfred Matzka - Страница 4
Vieler Herren Räte
Оглавление„Kennt der Regent noch so genau seine Pflichten, so ist es doch zur Ausübung der Majestätsrechte notwendig, dass er die Verhältnisse des ganzen Staates und die besonderen Bedürfnisse kennt. Diese müssen ihm nun von seinen Räten getreu vorgelegt werden. Hieraus erhellt, von welcher Wichtigkeit die Wahl des Beamten sei. Auf diese kommt alles an. Ist der Monarch von vernünftigen Beamten umgeben, so ist er vor den meisten Fehltritten gesichert.“
MARTINI, Lehrsätze über das allgemeine Staatsrecht, 1791
„Zum Chef! Tausendmal hat mich diese denkbar knappe telefonische Mitteilung einer Sekretärin Richtung Minister, Kanzler oder Kanzlerin in Bewegung gesetzt. Selten riefen die hohen Herren und Damen selbst an – manch ein Kollege fuhr sogleich aus seinem Bürostuhl hoch und zupfte sich hektisch die Krawatte zurecht. Ganz selten erschienen sie persönlich in meinem Zimmer, dann war er oder sie entweder sehr gut oder sehr schlecht drauf. „Zum Chef“, mitunter verstärkt mit „gleich!“, heißt, auf den 50 Metern bis zum Allerheiligsten blitzschnell Revue passieren zu lassen, mit welchem Journalisten du gesprochen hast, welches Projekt aus dem Ruder zu laufen droht, was heute Früh in der Zeitung zu lesen war, welcher Parteirebell oder Intrigant im Terminkalender steht. „Zum Chef“ impliziert nicht immer einen Beratungsbedarf, es kann auch sein, dass er einfach nur jemandem zum Reden braucht, Frustration am Ende des Tages abarbeitet, eine spontane Idee loswerden will, Mensch sein will inmitten des gnadenlosen Offiziellen.
Das darauf gemünzte Bonmot eines im obersten Stock des Ministeriums residierenden österreichischen Sektionschefs, der gemeint haben soll, „Es ist mir eigentlich egal, wer unter mir Minister ist“, ist allerdings ebenso beliebt wie falsch. Ich war 22 Jahre Sektionschef, fünf Jahre Kabinettschef, mehrmals Kanzlerberater, durfte sieben Bundeskanzlern und acht Ministern dienen – ich weiß das. Kein tatsächlich einflussreicher Spitzenbeamter würde je so etwas sagen und kein Minister würde so etwas dulden. Dennoch ist das Bild von Franz Werfel von „den vierzig bis 50 Beamten, die in Wirklichkeit den Staat regieren“ nicht ganz falsch. Schließlich kommt der Verwaltung, den Routiniers, den Ratgebern in unserem Land seit jeher eine wichtige Bedeutung zu. Auch in meinen 40 Berufsjahren in diesem System war das so.
Berater, Sonderberater, Kabinettschef, Generalsekretär, Consulter, Spin-Doctor, Thinktank-Leiter – die Bezeichnungen für jene, die hinter den Kulissen die Regierenden beeinflussen, sind vielfältig. Aber allen ist gemeinsam: Sie treten selbst nicht in das Licht der Öffentlichkeit und stellen sich dort nicht der Verantwortung. Sie sind intelligent, gebildet, wissen viel oder Spezielles, sind bereit, hinter dem Chef zurückzustehen und ihm zuzuarbeiten. Sie werden von diesem geschätzt und gefördert, kennen das Umfeld, dessen Strukturen, die Abläufe und die handelnden Personen bis ins kleinste Detail. Sie verlieren nie die Übersicht und haben einen langen Atem, sie denken strategisch und handeln unbeirrt. Sie überdauern die Politiker und sind daher wichtig.
Diese Rolle ist kein Phänomen der jüngeren Vergangenheit. Seit es Staaten und Verwaltungen in unserem heutigen Verständnis gibt, wird sie ausgeübt. Seit es Minister gibt, sind sie von solchen Personen abhängig. Ihre Funktionen, Arbeitsweisen und ihre Bedeutung haben sich im Kern wenig verändert, nur die Erscheinungsform passte sich dem Wandel der Politik und Gesellschaft an. Zunächst war es das Mitglied des Geheimen Rates, das dem Kaiser mit Rat und Tat zur Seite stand, dann trat der Hofrat beim k. u. k.-Minister in Erscheinung, danach der Sektionschef oder Kabinettschef in republikanischer Zeit. Ab und zu konnte es auch ein Universitätsprofessor sein. Und mit der Zeit modernisierte sich diese Rolle hin zum Medienstrategen, Consulter und Sonderberater.
Die Einflüsse dieser Ratgeber sind nicht immer klar nachvollziehbar, schließlich wird nach außen hin bloß der politische Wille des Ministers und der Regierung sichtbar. Unbestritten ist jedoch, dass die höchsten Ränge der Bürokratie und die beigezogenen externen Experten enormen Einfluss haben. Sie sind rechte Hand, Auge und Ohr des Chefs, sie entscheiden, wer und was zu ihm vordringt und wer und was nicht, sie entwickeln, wie er denkt und was er sagt. Die graue Eminenz ist immer in der Nähe, wenn entschieden wird, sie lenkt und steuert – zumeist erfolgreich – in die gewollte Richtung, sie vermag einer Entscheidung im Nu zur Umsetzung zu verhelfen oder alles so zu steuern, bis die Sache still im Sande verläuft. Geschickt kann sie Hindernisse aufbauen und wachsen lassen, sie aber gleichzeitig so kunstvoll tarnen, dass sie zunächst ebenso wenig wahrgenommen werden wie derjenige, der sie errichtet hat – bemerkt werden sie erst, wenn es zu spät ist und wieder einmal eine Initiative an den „allgemeinen Umständen“ scheitert. Die graue Eminenz erkennt frühzeitig Fallstricke, beseitigt sie unmerklich oder knüpft sie noch fester. Sie weiß, wie es geht, und stellt dieses Wissen auch zur Verfügung – vorbehaltlos oder nur teilweise, allen oder nur Ausgewählten, rechtzeitig oder im Nachhinein.
Bundeskanzleramt Wien, Sitz der Staatskanzler, Bundeskanzler und Außenminister
Der Leopoldinische Trakt der Wiener Hofburg, Arbeitsstätte der habsburgischen Herrscher und Amtssitz der Bundespräsidenten
Die österreichische Ausprägung dieser Akteure im politisch-administrativen System führt den schönen Titel „Hofrat“. Ein Rollentypus, der die Systeme und Jahrhunderte überdauerte mit einer Titulierung, die nur in unserem josephinisch geprägten Land Sinn ergab und ergibt und weit über die berufliche Stellung hinausgeht, indem sie soziale und kulturelle Eigenschaften, ja sogar eine typische Sprachmelodie miteinbezieht.
Dieses Buch porträtiert bedeutende oder bloß wichtige Vertreter dieser Spezies. Über die Jahrhunderte hinweg schmückte dieser Titel den Leiter einer obersten Behörde, das ist bis heute so geblieben. Ausnahmen gibt es, manchmal wird jemand auch zum Hofrat ernannt, ohne etwas zu leiten. In der Verwaltung eines Bundeslandes wurde dieser Unterschied einmal fein ziseliert, indem die wirklichen Leiter als „vortragende“ Hofräte bezeichnet wurden. Der Bürokratentratsch machte daraufhin prompt jene, die nur den Titel trugen, zu „nachtragenden“ Hofräten.
Das Buch erzählt auch von Sektionschefs. Das sind die Leiter der großen Teile eines Ministeriums, der Sektionen. Lange Zeit waren sie die wahren Mandarine in unserem Regierungssystem, direkt und nur dem Minister unterstellt, nahezu allmächtig in ihrem Wirkungsbereich, beeindruckende Persönlichkeiten, die auch ihre gesellschaftliche Stellung im Sozial- und Kulturleben der Stadt behaupteten. Seit es Generalsekretäre in den Ministerien gibt und die Minister von Scharen ehrgeiziger Adepten und Satrapen in Ministerbüros abgeschottet werden, ist ihre Bedeutung allerdings merklich gesunken.
Das Pendant zu den Sektionschefs sind im Auswärtigen Dienst die Botschafter. Sie vertreten üblicherweise das Land in einer anderen Hauptstadt, sie führen diesen Titel allerdings auch, wenn sie hohe Leitungsfunktionen im Inland ausüben. Früher hieß man sie Gesandte, und jene, die sich auf eine der beiden Positionen vorbereiteten, waren Legationsräte.
Die Leiter der Ministerbüros sind die Kabinettschefs, wobei diese Bezeichnung früher nur dem Kanzlerbüro vorbehalten war. Mittlerweile hat dessen inflationäre Verwendung selbst den Vorzimmermann eines Staatssekretärs zum „KC“ aufgewertet.
Wer nicht zum angestellten Personal der Verwaltung gehört, dem sind derlei Titel nicht oder nur unter ganz besonderen Umständen zugänglich. Er oder sie muss sich mit einem Professorentitel begnügen, den man hierzulande nicht nur durch Berufung als Lehrer an einer Universität erlangt, er kann auch als „Berufstitel“ vom Staatsoberhaupt verliehen werden – obwohl in diesen Fällen gerade nicht der Lehrberuf ausgeübt wird. Da mag man Parallelen zum Honorarprofessor und Honorarkonsul sehen, auch sie sind bloße Ehrenbezeichnungen, die nicht mit einem Honorar verbunden sind.
Vor etwa 300 Jahren wurde am Wiener Ballhausplatz jenes Verwaltungssystem ins Werk gesetzt, das, mehrfach umgebaut, erweitert und professionalisiert, in unserem Staat, unserer Gesellschaft, unbestritten eine zentrale Rolle spielt. Das gilt ebenso für die Eliten und Experten dieses Machtapparats. Die – formell etikettierten oder informell bestehenden – obersten Ränge und Entscheidungsträger der Wiener Bürokratie haben das Habsburgerreich, Österreich und teilweise sogar die europäische Entwicklung und Geschichte mitgeprägt.
Seit im frühen 17. Jahrhundert der Kapuziner Père Joseph wegen der Farbe seiner Kutte als Erster „graue Eminenz“ genannt wurde, geistert dieser Rollentypus durch die Geschichte der Politik und Verwaltung. In Österreich, genauer dem Kaiserreich des 18. Jahrhunderts, berieten brillante Persönlichkeiten, begnadete Schreiber, umtriebige Universalgelehrte die Herrscher. Sie kamen mitunter aus dem Ausland, genossen internationales Ansehen, Ruhm in der Geisteswelt außerhalb der Staatsapparate und Ansehen bei Hof und Volk. Sie waren gefallsüchtig, geldgierig, vielsprachig, kulturinteressiert, Bohemiens und verkehrten mit den Monarchen auf Augenhöhe.
Die ersten Jahrzehnte ab 1800 kennen noch einige wenige dieser Stars, danach wird vermehrt auf die Rekrutierung aus dem eigenen Apparat gesetzt. Vor allem nach 1848 werden zahlreiche Beamtenkabinette eingesetzt, der Beamte Eduard Graf Taaffe war mit 14 Jahren Amtszeit der längstregierende Ministerpräsident, nach 1895 machten gewissermaßen nur noch Staatsdiener Politik, von 16 Unterrichtsministern waren 13 Beamte. Die meisten dieser Hofrats-Minister waren in ihrer kurzen Amtszeit zweifellos mächtig, ansonsten aber vor allem eitel, formalistisch und ihrem Stand sowie der Bewahrung des Status quo verpflichtet.
Auch in der Ersten Republik formierten sich unter Johann Schober drei Kabinette mit insgesamt mehrjähriger Dauer vorwiegend aus Staatsdienern. Die politischen Umbrüche und Katastrophen ab Ende der 1920er-Jahre spülten hingegen Berater aus dem Apparat oder externe Einsager nach oben, die klar die ideologische Position der Machthaber teilten und die Fähigkeit hatten, diese am Ballhausplatz durchzusetzen. Rasche Auffassungsgabe, effektive Durchsetzung, ein scharfer Geist sowie kometenhaft aufblitzender und wieder verglühender Einfluss kennzeichnen diese Karrieren. 1938 teilten sie sich in zwei Gruppen – die einen gingen in die innere Emigration, die anderen biederten sich den neuen Machthabern an.
Nach 1945 nahmen zunächst die Präsidialchefs, jene Beamten, die dem Minister am nächsten waren, zentrale Beraterfunktionen ein. Sie bildeten die Schwelle zum Minister, eine Isolierschicht zwischen ihm und den übrigen Sektionen, nahmen über Budget, Finanzen und Organisation Einfluss auf das ganze Haus. Im Präsidium hatten selbst junge Beamte in unteren Rängen einen überdurchschnittlichen Einfluss. Externe Ratgeber konnte und wollte man sich nicht leisten. Diese Sektionschefs waren fast wieder wie vom alten Schlag der Jahrhundertwende – nur mangels begüterter Herkunft stärker materiell interessiert.
Erst mit den Alleinregierungen 1966 und 1970 bildeten sich Beraterstäbe rund um die Kanzler, die nicht aus dem Ministerium kamen – die Sekretäre. Je stärker diese Regierungen inhaltliche Reformen ins Auge fassten, umso stärker griffen sie auf externe Experten zurück. Als ab Mitte der 1990er-Jahre eine zunehmende Entpolitisierung des Regierens Platz griff, verzichtete man weitgehend auf inhaltliches Fachexpertenwissen. Fortan waren spezielle Fähigkeiten im Verkauf, im Marketing, im Spin und nicht uneigennützige Herrschaftstechniken wichtiger. Dementsprechend wandelten sich bis ins Heute herauf die Akteure: bestens vernetzt, smart, eloquent, slim, überheblich, strahlende Verkäufer, vor allem ihrer selbst.
Diese Entwicklung in der Stellung der Ratgeber zeichnet dieses Buch über drei Jahrhunderte hinweg nach. Frauen sind, bis auf einige wenige Ausnahmen, in der ersten Reihe nicht anzutreffen. In der Monarchie sahen sie sich auf informelle Aufgaben beschränkt – auch wenn sie klug, mächtig und unentbehrlich waren. In der Ersten Republik waren sie noch mehr auf Nebenrollen zurückgedrängt – unter den 300 Sektionschefs in dieser Zeit findet sich keine einzige Frau. Erst nach 1945 vollzog sich ein Wandel – langsam, und vom einflussreichen katholischen Cartellverband gebremst. Ein wirklicher Durchbruch ist nur bei den Ministerpositionen gelungen – auch wenn es nach Maria Theresia 239 Jahre dauern sollte, bis mit Brigitte Bierlein wieder eine Frau ganz vorne stand.
Man darf die Ratgeber und ihre Rolle bei all ihrer Bedeutung nicht verklären oder dämonisieren, auch lässt sich kein allgemeines Berufsbild zeichnen. Es gibt nicht „die Beratung“ an sich, keine mit Allgemeingültigkeit darstellbare Beziehung zwischen der grauen und der wirklichen Eminenz. Jede Konstellation ist anders gelagert, jede Beziehung speziell und jeder Anlass entfaltet seine ganz eigene Geschichte. Vor diesem vielfältigen Hintergrund und angesichts unterschiedlicher historischer Epochen lässt sich Beratung und deren Machttechniken nicht abstrakt darstellen. Es bedarf konkreter Personen und Ereignisse, um aus den einzelnen Biografien und historischen Episoden wie bei einem Mosaik ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Dabei ist, wie bei jedem Menschen, vor allem die Genese, auch die Herkunft der jeweiligen Persönlichkeit wichtig. So setzen die einzelnen Porträts lange vor jener Zeit ein, bevor die Einflüsterer entscheidende Positionen erreicht haben, und enden, zumindest bei den historischen Figuren, nicht mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt – schließlich offenbaren sich erst Jahre und Jahrzehnte später die tatsächlichen Auswirkungen ihres Handelns. Nur so lässt sich verstehen, wie sie in die Macht hineinwuchsen, wann sie entscheidenden Einfluss bekamen und wie lange dieser anhielt.
Trotz der mannigfachen Persönlichkeiten und unterschiedlicher politischer Systeme sind dennoch einige Gemeinsamkeiten erkennbar. Das betrifft die Ausbildung – überwiegend sind sie Juristen – sowie grundlegende Wesenszüge, aus denen sich eine Art Berater-Typologie ableiten lässt: Da gibt es die Visionäre, die weit über den Tag hinausdenken und große Linien und Entwicklungen ins Werk setzen. Oder die braven Staatsdiener, denen das wohlgeordnete Regieren und das allgemeine Wohl oberste Richtschnur ist. Schreibtischtäter sind ebenfalls darunter, die sich keinen Deut darum scheren, was sie mit ihren Entscheidungen anrichten. Ganz im Gegensatz zu den Vertrauten, die den Mächtigen Unterstützung, Sicherheit und Geborgenheit geben. Es gibt die Experten, deren man sich bedient, wenn es gerade nützlich erscheint, und die Netzwerker, die über ausgeklügelte Systeme komplexer Beziehungen steuern und leiten. Schließlich gibt es noch die Wendigen, die sich jedem Herren dienstbar gemacht haben, ganz gleich ob Diktator oder Kanzler.
Von all diesen Beratern handelt dieses Buch.