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2. Visionär und Lehrmeister JOSEPH FREIHERR VON SONNENFELS
ОглавлениеBerater von Maria Theresia und Joseph II. 1765–1815
Reformen gehen hierzulande meist von oben aus und werden mit prominenten Namen verbunden. Joseph von Sonnenfels beeinflusste 50 Jahre lang solche Reformen, ohne selbst höchste Staatsämter innezuhaben. Er war in erster Linie Professor für politische Wissenschaften und Publizist, daneben niederösterreichischer Regierungsrat, Hofrat der Hofkanzlei, Projektmanager, führendes Mitglied von Kommissionen, wichtiger Streiter für den Rechtsstaat, Reformator der Gesetzesssprache und Lehrer berühmter Verwaltungsmänner. Er war der „Montesquieu Österreichs“ und sein Wort hatte über viele Jahre Gewicht bei einer großen Königin und drei Kaisern, in der Politik des Hauses Habsburg und der Wiener Staatenlenker. Sein Verdienst um die Abschaffung von Folter und Todesstrafe ist legendär.
Er hat – anders als viele andere mächtige Berater und graue Eminenzen – nie zu einer höchsten Position oder zum großen Geld gedrängt. Er war persönlich zwar „voll Anmaßung und Eitelkeit, äußerst fanatisch, spricht zuviel und rühmt sich zuviel“, dennoch ist sein Vermächtnis so glorios wie kaum das eines anderen, in der historischen Darstellung kommt er prominenter vor als andere Persönlichkeiten in vergleichbarer Stellung, als „hellleuchtender Stern aus den Tagen des Übergangs von der Dämmerung zum Lichte, unaufhörlich bestrebt, das seines starren Festhaltens am Alten viel verschrieene Österreich vorwärts zu bringen, Mißbräuche beseitigend, Neuerungen fördernd.“
Weder der Tag seiner Geburt, nicht einmal das Jahr sind präzise feststellbar, er wird 1732 oder 1733 in Nikolsburg (Mikulov) in Mähren geboren, die jüdischen Geburtsbücher beginnen erst 1735. Der Großvater ist Oberrabbiner, sein Vater ein etwas unsteter Hebräischlehrer namens Lipman Perlin, den es in die mährische Kleinstadt verschlagen hat. Der hiesige Fürst Carl von Dietrichstein wird auf ihn aufmerksam und nimmt ihn in seine Dienste auf, zuvor jedoch muss er zum katholischen Glauben konvertieren. 1735 lässt er sich samt seinen Söhnen taufen und nimmt den Namen Alois Wienner an. Die Beziehung der Familie zum Fürsten ist für deren weiteren Weg bedeutsam. Joseph, einer der Söhne des Lehrers, ist sogar sein Patenkind, dem er immer wieder ein paar Groschen schenkt. Im Piaristengymnasium seiner Heimatstadt fällt der Bub als begabter und braver Schüler auf. Mit knapp 14 Jahren jedoch holt ihn sein Vater, der in Wien eine akademische Karriere gemacht hat, in die Reichshauptstadt nach, wo Joseph bereits Vorlesungen der Philosophie besucht.
Joseph Freiherr von Sonnenfels (1732–1817)
Alois Wienner ist mittlerweile Lehrer an der Universität, besitzt ein Haus in der Stadt und wird 1746 mit dem Prädikat „von Sonnenfels“ geadelt. Dann aber schlittert er in finanzielle Probleme, seiner Frau droht wegen unbezahlter Rechnungen sogar der Schuldturm, er muss die Universität verlassen und aufs Land übersiedeln. Josephs Ausbildung bricht ab. Längere Zeit geht er weder zur Arbeit noch zur Schule. Erst mit 17 sieht er ein, dass ihn sein Vater nicht unterstützen kann, und meldet sich unter dem Namen Joseph Wienner als Soldat bei den Deutschmeistern. Mit diesen zieht er in den folgenden fünf Jahren nach Maribor, Klagenfurt, ins Böhmische und nach Ungarn. Da er einer der wenigen Gebildeten in der Truppe ist, avanciert er zum Korporal, bildet sich nebenher weiter, liest viel, lernt Französisch von Deserteuren und Böhmisch von den Mädchen und spricht am Ende neun Sprachen.
Als er erfährt, dass sich die Lage seines Vaters wieder gebessert hat und dieser ihn nun „mit Kost und Wohnung unterstützen“ kann, erwirkt Joseph – über Vermittlung seines Fürsten – seine Entlassung aus dem Militär und beginnt mit 22 Jahren an der Universität Wien Recht zu studieren. Vor allem der reformorientierte Naturrechtler Karl Anton von Martini, der spätere Justizminister Josephs II., beeindruckt ihn. Als Sonnenfels Senior wieder an die Universität zurückkehren kann, arbeitet sein Sohn nach der Promotion zeitweilig als sein Assistent und publiziert einen juristischen Aufsatz. Tatsächlich aber strebt er eine Lehrtätigkeit für Sprachen an, vor allem seiner ausgezeichneten Hebräischkenntnisse wegen. Eine Stelle findet er jedoch nicht.
Der junge Jurist hilft jüdischen Bürgern bei Übersetzungen von Testamenten und Vorschriften, schließlich fängt er in der Hoffnung auf eine spätere besoldete Anstellung als Rechtspraktikant in der „Obersten Justizstelle“ an. Zwei Jahre arbeitet Joseph von Sonnenfels ohne Einkommen, obwohl er bereits aufgrund einiger Publikationen in Insiderkreisen als aufstrebender Wissenschaftler geschätzt wird. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, bewirbt er sich schließlich 1761 um die Stelle eines Rechnungsführers und Schreibers bei der kaiserlichen Leibgarde. Sie ist zwar mit 356 Gulden schlecht besoldet, dafür lernt er einen für seinen weiteren Weg wichtigen Mann kennen, General Ernst Gottlieb Freiherr von Petrasch. Dieser erkennt bald, dass der talentierte Achtundzwanzigjährige für den Schreiberposten überqualifiziert ist, und interveniert für eine Dozentur an der Universität. Der junge Mann nutzt die Freundschaft zum Freiherrn, um Zugang zur hochadeligen Wiener Gesellschaft zu erhalten. Einmal darf er sogar ein kleines Theaterstück für die Kaiserkinder schreiben – sein erster direkter Kontakt zum Hof.
Am 2. Jänner 1761 macht der umtriebige Sonnenfels in einer Deutschen Gesellschaft in Wien durch ein brillantes Referat über Sprachkultur von sich reden. Petrasch vermittelt ihm daraufhin einen Kontakt zu Staatsrat Egid Freiherr von Borié, der seit Längerem die Etablierung der Polizei- und Kameralwissenschaften und damit erstmals eine systematische Ausbildung der Beamten an der Universität Wien plant. Mit ihm entwickelt sich eine angeregte Diskussion über Staat, Verwaltung und die Wichtigkeit des Bevölkerungswachstums. Sonnenfels publiziert 1762 mehrere Schriften dazu, die bis zu Kaiserin Maria Theresia gelangen. Sowohl die Monarchin als auch ihr Kanzler Wenzel Graf Kaunitz erkennen die Bedeutung der „Cameralwissenschaft“ als Grundlage für eine Staats- und Verwaltungsreform.
Doppelporträt Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn und Mitregent Kaiser Joseph II. (1741–1790)
Am 17. Mai 1762 hält Sonnenfels eine öffentliche Lobrede auf Maria Theresia anlässlich ihres 45. Geburtstags, die gedruckt und bis Berlin verbreitet wird. Zeitgleich verfasst er ein langes Bewerbungsschreiben für eine Dozentenstelle, in dem er zwar nicht die verlangten Vorlesungspläne darlegt, aber die Kaiserin über seine Quellen informiert: „Die berühmtesten Schriftsteller, deren Werth durchwegs erkannt wird, als: L’esprit de loix, Les Elements du Commerce, La theorie et la practique du Commerce“. Dank seiner beiden hohen Förderer erhält Joseph von Sonnenfels die neu geschaffene Lehrkanzel und wird Professor für Polizei- und Kameralwissenschaften. Die Fakultät wird dabei von der Monarchin glatt übergangen.
Jetzt kann Joseph auch heiraten. Der Ordinarius nimmt die erst fünfzehnjährige Maria Theresia, Tochter eines böhmischen Amtmanns, zur Frau. Sie wird wegen ihrer hohen sozialen Kompetenz und ihres weithin gerühmten Salons große Bedeutung für das gesellschaftliche Netzwerk ihres Gatten erlangen. Die Ehe hält bis zu seinem Tod.
Der Hof setzt sein Gehalt mit nur 500 Gulden jährlich fest, wovon die Familie nicht leben kann, erst über Intervention des Staatsrates Borié werden angemessene 1.200 bewilligt. Als er sich verpflichtet, auch am Theresianum zu unterrichten, werden es sogar 2.000 Gulden. Die Kaiserin nimmt lebhaften Anteil an der Arbeit der Lehrkanzel, sie stiftet Stipendien und will sogar die Namen der Studierenden wissen.
Sonnenfels stürzt sich in die Aufgabe und stellt 1765 ein Lehrbuch fertig, die „Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz“ in drei Bänden, das Standardwerk für alle Verwaltungsmanager des Kaiserreichs in den nächsten 50 Jahren. Allein dieser Erfolg würde ihm einen bleibenden Platz als Berater sichern, zum Dank ernennt ihn die Kaiserin zum niederösterreichischen Regierungsrat – das ist aber nur ein Titel ohne Aufgaben. Sonnenfels intensiviert seine Arbeit, er verfasst zahlreiche Gutachten für den von Borié geführten Staatsrat – niemand anderer kommt in dessen Akten so häufig vor wie er. Zudem erstellt er Musterbücher mit Eingaben und Erledigungsformularen für den Amtsgebrauch, hält Reden, wo immer es geht, und wird gewissermaßen zum Politologieprofessor der Nation. Als solcher setzt er weitere Lehrstühle nach seinem Muster in Linz, Tyrnau (Trnava) und Klagenfurt durch, erhält zusätzliche Assistenten und baut sich ein Netzwerk auf.
„Sein glänzender Vortrag und die Tüchtigkeit des Inhalts erwarben ihm bald die Liebe und Verehrung der Jugend. In periodischen Blättern trat er gegen alle an dem Baume der Cultur im Laufe der Jahrhunderte sichtbar gewordenen, denselben in seiner Entwicklung störenden Auswüchse auf, gegen den Aberglauben, gegen die Selbstsucht, gegen die schroffen Mängel in der Erziehung, gegen die Vorurtheile des Adels, gegen die Ueberzahl und Zwecklosigkeit der Klöster.“ Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist Sonnenfels auch journalistisch tätig, etwa als Herausgeber von „moralischen“ Wochenzeitungen, des Journals „Der Mann ohne Vorurteil“ sowie Publikationen mit blumigen Titeln wie „Der Verkannte“ oder „Theresia und Eleonore“.
In der Folge ist er immer seltener im Hörsaal anzutreffen. Das führt zu einem heftigen Streit mit der Studienhofkommission, die dem heutigen Wissenschaftsministerium entspricht. Doch das ficht Sonnenfels kaum an. Er hat den Staatsrat und die Kaiserin hinter sich. Als ihm 1770 Maria Theresias Sohn und Mitregent Joseph auf Vorschlag der Kommission befiehlt, mehr Vorlesungen zu halten, wendet er sich sofort an die Monarchin, die ihn wieder von der Lehrtätigkeit dispensiert. Er hat es geschafft, vom bloßen Professor zum Direktor der Verwaltungswissenschaften im Land aufzusteigen. Damit ihm künftig niemand in die Quere kommt, lässt er sich selbst in die Studienhofkommission ernennen.
Doch mächtige Feinde intrigieren weiterhin gegen ihn: Einerseits die konservative Hochschule, in deren Gremien es gar nicht gern gesehen wird, dass ein neues Fach mit modernem Zuschnitt ihre wohlgesetzte Ruhe stört und zu neuen Arbeitsweisen und Methoden der Personalrekrutierung im Staat führt. Andererseits die Verwaltungspraktiker, die sich ungern von einem Theoretiker belehren lassen wollen. Und schließlich die Politiker, die den aufklärerischen Elan des Parvenüs missbilligen. Schließlich lehrt er ganz nach dem neuen französischen Geist und wird daher beschuldigt, „das Verständniß für die historischen Grundlagen des Staatswesens und Volkslebens verloren zu haben, und die großartigsten, durch jahrhundertjährige Erfahrung gewonnenen Institutionen und Resultate einseitig den philosophischen Doctrinen der Zeit zu unterstellen“.
Tatsächlich hat Joseph von Sonnenfels die Gabe, moderne Theorien verständlich zu vermitteln und sie für das Reich und dessen Verwaltung nutzbar zu machen. Sein Staatsmodell ist der aufgeklärte Absolutismus, den er als ideale Regierungsform betrachtet. Sinn und Zweck der Gesetze liegen für ihn in der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt. Zu große soziale Unterschiede sollen ausgeglichen werden, Herrschaft soll vernunftgeleitet und zweckmäßig agieren, die Regierung verfassungsmäßig handeln. Den Staat teilt er in vier Klassen ein, eine Pyramide mit dem Herrscher an der Spitze.
„Dass es ihm bei solchem Freimuth in seinen Ansichten nicht an Feinden fehlte, begreift sich leicht; es ergingen heimliche und öffentliche Denunciationen gegen ihn; aber die große Kaiserin ließ sich dadurch nicht irre machen.“ Maria Theresia weiß nur zu gut um die Notwendigkeit, in der Verwaltung gründlich aufzuräumen. Deren Unterbau stammt noch aus dem Mittelalter und wird den neuen Anforderungen nicht gerecht. Die militärischen Niederlagen gegen Preußen haben gezeigt, dass es hoch an der Zeit ist, die Administration zu modernisieren, effizienter zu machen und die Mittel besser einzusetzen. Dafür bedarf sie guter Minister, dafür brauchen diese aber eine wissenschaftliche Basis und eine perfekte Kommunikation. Beides besorgt Sonnenfels für sie. Ab und zu, wenn die Protestnoten überhandnehmen, ermahnt sie ihren Professor, dass er „seine allzugroße Freyheit im Schreiben überhaupt behörig mässige und beschränke“ und sich größerer „Bescheidenheit und reifrer Oberlegung bedienen“ möge. Allenfalls fragt sie Gerard van Swieten, ebenfalls einer der Reformer im Umfeld der Kaiserin, um Rat. Doch der spricht sich immer zugunsten von Sonnenfels aus – das fortschrittliche Beraterteam der Kaiserin lässt sich keinen herausschießen.
Nun nimmt der Hof den Berater und Verwaltungsexperten auch für Vollzugsaufgaben in Anspruch: Ab 1770 amtiert er zwei Jahre als Zensor und hat damit beträchtlichen Einfluss darauf, was gedruckt erscheinen darf. Dabei begibt er sich aber mit großem Engagement an eine Nebenfront: Er bekämpft die Bühnenfigur des derben Hanswurst und eröffnet „einen hartnäckigen Krieg (…) gegen die Zoten auf den Theatern und den Unfug der extemporirten Stücke. Es entbrannte alsbald ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Sonnenfels und dem Hanswurst. Selbst als die Kaiserin Maria Theresia resolvirte: ‚Die Comödianten sind eine Bagage und bleiben eine Bagage und der Herr Hofrath von Sonnenfels könnte auch was Besseres thun, als Kritiken schreiben‘, lässt er sich nicht beirren.“ Als viele Jahre später nach dem Tod Kaiser Josephs II. die konservative Theaterzensur auf Sonnenfels’ alte Ausführungen zurückgreift, trägt es ihm massive Kritik ein, seinerzeit politische Zensur salonfähig gemacht zu haben.
Am Anfang seiner Tätigkeit für die Zensurbehörde steht er innerhalb der Kommission noch auf der liberalen Seite. Deren Chef Gerard van Swieten hat ihn ja auch genau wegen dieser Haltung zur Unterstützung in seinem Kampf mit dem konservativen Wiener Kardinal geholt. Folgerichtig erbittet Sonnenfels nach dem Tod van Swietens im Jahr 1772 seine Entlassung aus der Kommission, was die Kaiserin umso lieber gewährt, nachdem er für einen Verbleib ein zusätzliches Honorar von 1.500 Gulden begehrt.
Ein Jahr nach seinem Abgang wird Sonnenfels Referent für Polizeiwesen bei der niederösterreichischen Regierung. Anschließend fungiert er ab 1776 als „Illuminationsdirektor“ von Wien. Der bisherige Beleuchtungspächter hatte kläglich versagt, in den folgenden zwei Jahren zeigt Sonnenfels, dass er nicht nur ein guter Theoretiker, sondern auch ein guter Verwalter ist: Unter seiner Führung entsteht die erste permanente Straßenbeleuchtung Europas. Wieder ist die Kaiserin mit ihm sehr zufrieden: „Nachdeme dieses Werk Sonnenfels so gutt geführt, so solle er noch selbes continuiren mit 2000 Gulden aus dem illumnations fondo remuneration und gratis den Hofraths Titl.“
Über das Selbstbewusstsein des Beleuchtungsdirektors gibt eine Anekdote beredtes Zeugnis: Eines Spätabends fährt er mit einem Gast von Schönbrunn zurück über die Laimgrube in die Innenstadt. Die Glacis-Laternen brennen lustig, der Himmel ist bewölkt. Plötzlich tritt der Mond hervor und erhellt die Stadt. „Welch’ herrliche Beleuchtung!“, ruft der Fremde aus. Sonnenfels im Glauben, er meine die der Laternen, entgegnet geschmeichelt: „Sie ist ja auch von mir.“
Sein größter Erfolg als Berater der Regierung und der Kaiserin steht aber noch bevor: der Kampf gegen Folter und Todesstrafe, der ihn 20 Jahre lang nicht loslässt. Schon im Lehrbuch von 1765 führt er aus, dass die Todesstrafe nicht wirklich abschreckend auf Verbrecher wirke. Jedes verlorene Leben eines Untertanen sei ein Verlust für den Staat. Zwei Jahre später wird er wegen dieser, dem geltenden Recht widersprechenden Thesen angezeigt, doch die Kaiserin gewährt ihm Lehrfreiheit. Er nutzt sie weidlich und setzt noch eins drauf: Die Folter sei ein sehr zweifelhaftes Instrument, da sie kräftige Verbrecher gegenüber Schwächlichen begünstige. Abermals führt seine Kritik am Gesetz zu einer Anzeige, 1772 erfolgt eine offizielle Rüge durch die Hofkanzlei. Maria Theresia erhält Kenntnis davon, dass Sonnenfels fortwährend von der Lehrkanzel herab gegen die Tortur spreche, und lässt ihm ausrichten, „er solle aufhören, so anzüglich zu reden, weil er sonst entfernt werden müsse“.
Doch gleichzeitig nimmt nun angesichts spektakulärer Einzelfälle auch die öffentliche Kritik an der Folter im Strafverfahren zu. Sogar die medizinische Fakultät erstattet ein Gutachten über deren schädliche Auswirkungen. Maria Theresia schränkt daraufhin ihre Anwendung ein, allerdings ohne sie aus dem Gesetz zu streichen. 1773 erteilt die Kaiserin an mehrere Behörden den Auftrag, Gutachten zu erstellen, und beruft Sonnenfels in ein Koordinierungsgremium. Als er sich dort gegen die Befürworter nicht durchsetzt, geht er mit einem Votum Separatum gegen die Folter an die Öffentlichkeit. Dieses Druckwerk führt wieder zu einem Verfahren gegen ihn.
Der kaiserliche Mitregent Joseph II. hat mittlerweile bei seiner Mutter erreicht, dass die Entscheidung über eine Reform des Strafrechts vollständig in seine Hände gelegt wird. Das und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit ermöglichen es Sonnenfels nun, sich in diesem Verfahren wieder direkt an die Kaiserin zu wenden.
Anleitung zur korrekten Folter in der Constitutio Criminalis Theresiana, der „peinlichen Gerichtsordnung“ Maria Theresias
„Die Kaiserin bestimmt einen Tag zur Audienz. Als Sonnenfels in den Audienzsaal getreten ist, lässt sich die Kaiserin auf einen Sessel nieder und Sonnenfels beginnt – nach damaliger Hofsitte auf einem Knie ruhend – den Vortrag. Die Kaiserin nimmt wahr, daß ihm diese Stellung beschwerlich ist und sagt zu ihm: ‚Knie er sich näher zu mir und lege er seine Schriften auf meinen Schooß.‘ Sonnenfels kommt diesem Auftrage nach und hält mit seiner bekannten Rednergabe einen glänzenden Vortrag für Abschaffung der Tortur. Am Schlusse dieses Vortrages treten der tief ergriffenen Kaiserin Thränen in die Augen, und in diesem Augenblick vergisst Sonnenfels die Hofsitte, erhebt sich von den Knien und spricht mit Begeisterung: ‚Wenn Europa diese Thränen in den Augen der größten Monarchin unserer Zeit gesehen hätte, so würde es keinen Augenblick zweifeln, daß die Tortur in Oesterreich sogleich abgeschafft wird.‘ Die Kaiserin trocknet die Thränen, legt ihre Hand auf des Redners Schulter und sagt zu ihm: ‚Laß Er’s gut sein, die Tortur wird abgeschafft.‘“ Am 2. Jänner 1776 wird öffentlich kundgemacht, dass in den österreichischen Staaten die Tortur aufgehoben ist.
Das Ende der Folter im Habsburgerreich wird dem Aufklärer von da an als persönliches Verdienst zugeschrieben. Wieweit auch andere Personen entscheidenden Einfluss ausübten, lässt sich aus heutiger Sicht schwer sagen. Doch ist unbestreitbar, dass er hier mutig, nachhaltig und erfolgreich als Berater wirkte und diese historische Entscheidung maßgeblich mitgestaltete.
Es wäre aber nicht Sonnenfels, wenn er sich mit diesem Erfolg zufriedengäbe. Er bleibt provokant und wird auch weiterhin öffentlich als Religionsspötter und Verführer der Jugend kritisiert, was auch in den Folgejahren immer wieder zu offiziellen Untersuchungen führt. Diese bewirken allerdings das Gegenteil: Maria Theresia ernennt ihn 1779 zum Wirklichen Hofrat bei der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei sowie zum Beisitzer der Studien- und Zensurkommission.
Als die Monarchin im Jahr darauf stirbt, ist Sonnenfels an ihrem Totenbett anwesend und gibt Zeugnis, wie präzise sie ihrem Sohn Joseph II. die Geschäfte im Detail übergeben hat – „über jedes Reich, jede Provinz im Einzelnen (…) den Zusammenhang, das Verhältnis, über die Schwäche und Stärke jedes Theiles (…)“. Der Tod der Kaiserin ist indes für ihn ein schwerer Schlag. Mit dem neuen Herrscher verbindet ihn kein persönliches Naheverhältnis und in der Vergangenheit gab es mehrmals Konflikte. So bemüht sich der Herr Professor wieder um ein Amt nahe beim Kaiser. Da Joseph II. bei der Integration der Zensurbehörde in die Studienkommission erneut Expertise benötigt, wird Sonnenfels ein zweites Mal Zensor. Er koordiniert, beeinflusst Personalbesetzungen und gibt wohl auch Voten über Bücher ab – zehn Jahre lang.
Noch eine weitere Aufgabe übernimmt der Professor: Im Auftrag des Kaisers unterzieht er ab 1781 alle neuen Gesetze einer sprachlichen Revision und ist damit als einer der Schöpfer der österreichischen Gesetzes- und Amtssprache zu sehen. Sein Projekt einer Sammlung von politischen Gesetzen („politischer Kodex“), das nach seinem Tod 1818 endgültig scheitert, ist mehr als eine Kompilation. Es umschreibt damit eine durch Regierungsleitlinien verfassungsmäßig begrenzte Monarchie – ein Vorgriff auf konstitutionelle Prinzipien des nächsten Jahrhunderts.
Die„Polizey“-Gesetzgebung beschäftigt ihn intensiv und über lange Zeit – und „Polizey“ ist damals ein weit umfassenderer Begriff als die heutige Sicherheitsverwaltung. Sie meint alle inneren Angelegenheiten einschließlich der Bildung und der öffentlichen Wohlfahrt. Er sammelt und studiert die Gesetze und Informationen über Einrichtungen fremder Staaten mit dem Ziel, „die wirklichen und scheinbaren Gegensätze in denselben aufzusuchen und mit Beseitigung des Unhaltbaren oder durch die veränderten Zeitverhältnisse überflüssig Gewordenen, ein den Anforderungen der Gegenwart entsprechendes Elaborat zu bringen“.
Auch bei der Strafrechtsreform wird der Reformer noch einmal von Joseph II. als Konsulent herangezogen. Die Kommission zur Einschränkung der Todesstrafe wird von seinem Schüler Georg von Keeß geleitet. Dieser unterbreitet dem Kaiser 1783 einen gemeinsam mit Sonnenfels erstellten Strafgesetzentwurf, der sich eng an dessen Lehrbuch anlehnt. 1787 tritt schließlich das Gesetz in Kraft, mit dem auch die Todesstrafe im regulären Strafrecht abgeschafft wird. Sonnenfels’ Vorschläge beschränken sich übrigens nicht nur auf Leibesstrafen, sondern berühren auch weitere Details: So tritt er dagegen auf, gefallenen Mädchen auch noch die Kirchenbuße aufzuerlegen; vielmehr soll man ihnen die geheime Entbindung erleichtern.
Joseph von Sonnenfels ist ein Netzwerker von hohem Talent. Es liegt also nahe, sich auch in Kreisen zu engagieren, in denen sich seit dem Amtsantritt Josephs II. viele fortschrittliche Geister organisieren: bei den Freimaurern. Immer mehr Beamte sind in den Logen in Wien versammelt. In der Eliteloge „Zur wahren Eintracht“ sind es 62 von 176 Mitgliedern, und ihr Meister Ignaz von Born ist selber Hofrat der Hofkammer. Auch bei den „Drei Adlern“ und beim „Palmenbaum“ ist ein Fünftel Beamte. Insgesamt sind es rund 200 Personen in einflussreichen Positionen, und es hat natürlich Auswirkungen, wenn sie alle gezielt und im Gleichklang nachhaltig auf das Dutzend Minister einwirken, bei denen sie dienen.
So wird Sonnenfels, der schon 1776 einen ersten Kontakt zur Leipziger Loge geknüpft hat, 1782 Mitglied der „Wahren Eintracht“ und zählt danach mit seinen Freunden Ignaz von Born, Aloys Blumauer und Joseph Freiherr von Retzer zu den Führern der Freimaurer in Wien. Er wird Stellvertreter Borns und organisiert ein intensives Wissenschaftsund Vortragsprogramm, über das auch in einem eigenen Journal berichtet wird. 1784 gründet er eine Landesloge für das gesamte Habsburgerreich, deren Chef übrigens Fürst Dietrichstein wird, der Gönner seiner frühen Jahre. Er selbst wird Meister der Distriktloge „Zur wohltätigen Eintracht“. Born und Sonnenfels führen überdies noch eine Organisation innerhalb der Organisation, nämlich den geheimen Orden der Illuminaten, in dem auch Hofkanzler Leopold von Kolowrat Mitglied ist. So kann Sonnenfels ein persönliches Verhältnis zum Hofkanzler aufbauen, der bei seinen Verwaltungsprojekten sein Vorgesetzter ist.
Dieses Netzwerk von Influencern und Lobbyisten wird allerdings Ende 1785 durch das Freimaurerpatent stark beschnitten. Damit ist die Organisation für Sonnenfels kein Thema mehr und er tritt aus. Jahre später werden unter Kaiser Franz I. 1797 alle Logen verboten und ab 1801 müssen die Beamten jährlich schwören, keiner Geheimgesellschaft anzugehören. Es wird bis ins 20. Jahrhundert, bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, dass diese Vereinigung wieder maßgeblichen und organisierten Einfluss in der österreichischen Verwaltung, insbesondere im Kultur- und Gesundheitsbereich, erlangt.
In der Regierungszeit Josephs ist der Einfluss von Sonnenfels schwächer als in der Zeit Maria Theresias. Das hat nicht nur persönliche Gründe, der Habsburger misstraut grundsätzlich Beamten, selbst den reformfreudigsten unter ihnen. Er setzt kontrollierende Hofkommissäre ein und drängt in „Hirtenbriefen“ immer wieder auf eine raschere Umsetzung seiner Entscheidungen. „Auf die mechanisch-knechtische Art ist es unmöglich, mit Nutzen die Geschäfte zu betreiben.“ Er kann sich also nicht auf die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit verlassen und deren Rat und Unterstützung suchen. Joseph II. hört nur auf wenige Gleichgesinnte in den Verwaltungsspitzen, und auch diese wählt der Kaiser sorgfältig und ausschließlich für ganz bestimmte Projekte aus. Im Licht dieser Bedingungen steht auch Sonnenfels’ Wirkungsrahmen ständig zur Disposition.
Als im Jahr 1790 Leopold II. die Kaiserkrone übernimmt, ist Sonnenfels ein vielgeachteter Mann, auf dessen Wort man im Allgemeinen Wert legt. Als er Leopold aber anbietet, ihn direkt, regelmäßig und persönlich in einer Art privater Vorlesungen zu beraten, lehnt dieser dankend ab. Man nimmt zwar seine Dienste in Anspruch, persönlicher Vertrauter des Kaisers aber ist er nicht mehr. Leopold notiert über ihn: „(…) ein Mann von großem Talent, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber voll Anmaßung und Eitelkeit, lobt sich immer selbst, äußerst fanatisch, macht alle Sachen mit dem größten Aufsehen und Publizität, spricht zuviel und rühmt sich zuviel, übernimmt viele Verpflichtungen, die er dann nicht erfüllen kann.“
Dennoch nimmt der Kaiser 1791 Sonnenfels’ Gesuch um Befreiung vom universitären Lehramt an und spielt ihn damit wieder für Legistikaufgaben frei. Er bleibt zwar Mitglied der Fakultät, wird aber Vizepräsident der Hofkommission in Gesetzessachen und der Kommission für die Sammlung politischer Gesetze. Zusätzlich erhält er den Auftrag, eine neue „Polizeyverfassung“ für Wien auszuarbeiten.
1791 legt er den Text eines modernen Gesetzes zur Bekämpfung des Wuchers vor. Er schlägt vor, Zinsen nicht zu verbieten, sondern so zu regeln, dass es der Wirtschaft nützt, aber Existenzvernichtungen hintanhält. Das Thema beschäftigt ihn schon lange. Bereits gegenüber Maria Theresia hat er das Zinsennehmen verteidigt. Als damals ein Priester, der das Vertrauen der Kaiserin besaß, meinte, es „steht in der Heiligen Schrift geschrieben: Du sollst keine Wucherzinsen nehmen“, entgegnete Sonnenfels scharfzüngig: „Hochwürden, jeder von uns ist ein Wucherer. Sie selbst sind der ärgste Wucherer, für 4000 Gulden verkaufen Sie Ihrer Majestät Ihre frommen Dienste; ich kenne einen würdigen Caplan, der für den zwanzigsten Theil Ihres Einkommens dieselben Dienste leisten würde.“
Sonnenfels spürt, dass unter Leopold sein Stern verblasst, und kämpft dagegen nach Kräften an. Als sein gegen seinen Willen vom Kaiser eingesetzter Nachfolger an der Universität bei den Ämtern Akteneinsicht erhalten will, hintertreibt er das; als dieser eine Zeitschrift gründet, gründet er eine andere dagegen; einen kritischen biografischen Artikel versucht er zu verhindern; ein kaiserliches Dekret zugunsten des Nachfolgers schreibt er gar um. Doch all das nützt letztlich nichts – er bleibt in die zweite Reihe abgedrängt.
Bis zu einem gewissen Teil hat er sich das selbst zuzuschreiben, man spöttelt darüber, dass er viel spricht und sich nur zu gern reden hört. „Ein Bittsteller steht eine Stunde vor ihm – er redet kein Wort. Sonnenfels allein spricht ununterbrochen. Er entlässt den Menschen. ‚Mit dem jungen Manne‘, erzählt er, ‚habe ich mich trefflich unterhalten‘.“ Ein anderer Kritiker bedient gängige Vorurteile: „Sonnenfels hatte Vieles, was dem zehnmal getauften Juden durch ganze Eimer von Taufwasser nicht wegzuwaschen ist: So war er Egoist, von maßlosem Eigendünkel erfüllt, eifersüchtig und unduldsam gegen andere Talente, insbesondere wenn er besorgte, dass sie ihn verdunkeln, in seinem Einflusse beschränken oder gar verdrängen könnten; er war ehrgeizig und strebte im Übermaß nach Ehren und Würden.“
Aber Sonnenfels gibt nicht auf. Er organisiert aus dem Hintergrund eine wahre Schriften- und Vorträgeschlacht an der Universität und reorganisiert sein Wiener Netzwerk. Als Leopold 1792 unerwartet früh verstirbt, ist er wieder da: 1794 und 1796 wählt ihn die Universität zu ihrem Rektor magnificus. Gleichzeitig jedoch muss er ohne einen seiner stärksten Verbündeten der vergangenen 30 Jahre auskommen: Kanzler Kaunitz ist 1792 zurückgetreten und zwei Jahre später verstorben.
In den Jahren nach 1796 wird Sonnenfels nochmals in eine Vielzahl legistischer Projekte einbezogen. Seine Tätigkeiten reichen von der abermaligen Überarbeitung des Strafgesetzbuches, der Redaktion des späteren Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Abfassen juristischer Gutachten und Kommentare. Die Erstellung eines Codex für die gesamte Staatsverwaltung, den er 1808 beginnt, kann er allerdings nicht mehr abschließen.
Das Ansehen und öffentliche Ehrungen bleiben dem betagten Professor erhalten. Er pflegt seine sozialen Beziehungen, so hat er etwa engen Kontakt zu Ludwig van Beethoven, der ihm 1802 seine Klaviersonate in D-Dur widmet. Für seine besonderen Verdienste erhält er 1804 das Kleinkreuz des St. Stephans-Ordens, Wien verleiht ihm 1806 das Bürgerrecht. 1810 wird Sonnenfels zum Präsidenten der k. k. Akademie der bildenden Künste ernannt. Kanzler Klemens Fürst Metternich, auf den diese Bestellung zurückgeht, lobt dabei Sonnenfels überschwänglich, aber nicht ohne spöttischen Unterton, als „würdigen Greis“. Tatsächlich wirkt der mittlerweile Achtzigjährige noch immer aktiv im Management der Akademie, organisiert sie um, macht Personalpolitik und gründet neue Institute.
Politisch hat er jedoch nichts mehr zu sagen. Er ist, obgleich noch immer geistig und publizistisch aktiv, wegen seiner Gebrechlichkeit an die Stube gefesselt, die er nur noch verlässt, um Feierlichkeiten in der Akademie beizuwohnen. Er wird immer verbitterter, und da er sonst kaum eine Gelegenheit hat, seinem Groll Luft zu machen, nutzt er die Anlässe in der Akademie, um sich seinen Pensionsschock und seine Enttäuschungen von der Seele zu reden. Er beurteilt scharfzüngig Tagesereignisse und ist verzweifelt darüber, dass im öffentlichen und politischen Leben Widerstand gegen falsche Regierungsentscheidungen nutzlos und unmöglich geworden ist.
Sonnenfels stirbt im Alter von 85 Jahren am 25. April 1817 in seinem Haus in der Wollzeile. Er wird im Stephansdom feierlich eingesegnet und auf dem Friedhof St. Marx beerdigt. Sein Grab aber erleidet dasselbe Schicksal wie jenes Mozarts: 1843 stellt der Registraturdirektor der vereinigten Hofkanzlei fest, dass dessen genaue Lage leider vergessen ist.
In seinem Testament schreibt Sonnenfels: „Ich besitze kein Vermögen, das ist bekannt; ich habe mich während meiner vieljährigen arbeitsamen Laufbahn nur bestrebt, meine Pflicht zu erfüllen, nicht Vermögen zu sammeln. Meine Gattin brachte mir dreitausend Gulden zur Mitgift, deren Empfang ich hiermit noch einmal bestätige; ich versprach selbe mit sechstausend Gulden zu widerlegen (…). Ich ersuche (sie), an das Armen-Institut fünfzig Gulden abzuführen. Ihrem wohlthätigen Herzen überlasse ich, mein Dienstvolk nach Verhältnis ihrer Dienstjahre und der dem Hause bezeugten Ergebenheit zu belohnen. Und nun, theuere Gefährtin meines Lebens, empfange die Versicherung, daß meine innigste Verehrung und Dankbarkeit für die Glückseligkeit von acht und vierzig Jahren mich hinaus über das Grab beglücken wird.“Der Erlös der Habseligkeiten des Hofrats beträgt letztlich nur 3.000 Gulden, daher belässt Kaiser Franz der Witwe die gesamte Besoldung als Pension.
Der Hofrat und Professor Joseph von Sonnenfels war Teil eines besonderen Beratungssystems. Maria Theresia und Joseph II., beide Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, nahmen eine ganze Reihe solcher Ratgeber in Anspruch: Bartenstein, Zinzendorf, Kaunitz, Haugwitz, Daun, Laudon, van Swieten, Martini, Zeiller, Pergen, Keeß sind hier zu nennen, und die Liste ist keineswegs vollständig.
Das war keine individuelle Marotte dieser Herrscherpersönlichkeiten, sondern vielmehr der zunehmenden Komplexität des Gemeinwesens geschuldet, das effiziente Strukturen und professionelles Verwaltungspersonal erforderte. Die obersten Amtsträger mussten erfolgreich sein, die ererbte Gnade Gottes reichte nicht mehr aus, dauerhaft die Herrschaft einer Person oder Dynastie zu sichern. Um die Rolle des erfolgreichen Regenten erfüllen zu können, musste er sich gute Berater suchen, um alles zu wissen und alles zu können. Die Verwaltung sollte im Interesse der Effizienz und Nachhaltigkeit an Regeln gebunden werden, was eine präzise Formulierung rechtsstaatlicher Instrumente erforderte. Es sollten die Macht des Adels geschwächt und klugen Bürgerlichen Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet werden. Bei der Rekrutierung der besten Leute waren die Habsburger nicht engstirnig und bewiesen eine gute Hand: Nicht wenige waren protestantischer oder jüdischer Herkunft, und es war daher mutig, ihnen in einem grundkatholischen Land Macht und Einfluss zuzuerkennen. Viele kamen aus dem „Ausland“, was ein aktives Bekenntnis zu einer modernen Integrationspolitik erforderte.
Die Beratung erfolgte von außen, also in beruflichen Stellungen jenseits des noch kleinen Ministerialapparats. Sie geschah in hohem Maß mithilfe von Briefen, Schriften, Büchern und öffentlichen Reden selbstbewusster Intellektueller. Nicht zufällig bezeichnet sich Sonnenfels selbst in erster Linie als „Schriftsteller“, als „Lehrer“. Und sie erfolgte im persönlichen Gespräch mit dem Monarchen, in einer Audienz. Dieser direkte Kontakt war den Regenten wichtig, sie wollten den Rat nicht durch „Kabinettschefs“ oder Mitarbeiter verzerren oder filtern lassen.
In diesem Kontext konnte jemand wie Sonnenfels wirksam sein, obwohl er „nur“ externer Experte war. Er hat Recht gelehrt, wissenschaftliche Grundlagenarbeit geleistet und nur fallweise auch die praktische Durchführung in die Hand genommen. Die Sprache war sein wichtigstes Werkzeug – brillante Vorträge, provokante Vorlesungen, machtvolle Prosa, feine Satire, polternde Moralsätze. Mut, Selbstsicherheit, mitunter Sturheit und glühende Überzeugungen halfen ihm, diese Mittel wirksam zu entfalten. Konsequent hat er seine Linien verfolgt, Ziele angesteuert und Einfluss ausgeübt. Er war streitbar und konfliktfreudig, hat Schimpf und Schmach öffentlich über sich ergehen lassen, aber auch mit schneidender und verletzender Feder zurückgeschlagen. Eine Beharrlichkeit ohnegleichen zeichnete ihn aus, wenn er gewissermaßen tropfenweise seine Neuerungen einbrachte und erklärte. Den Glauben an die Freiheit, an angeborene Menschenrechte, an Rationalität und Vernunft, an die Besserungsfähigkeit von Menschen, Staaten und der Verwaltung hat er nie aufgegeben.