Читать книгу Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren - Manfred Matzka - Страница 5
1. Der allzeit Getreue JOHANN CHRISTOPH VON BARTENSTEIN
ОглавлениеBerater von Karl VI., Maria Theresia und Joseph II. 1715–1765
An einem feuchtkalten Oktobertag des Jahres 1740 beugt ein würdevoller Einundfünfzigjähriger in der Geheimen Ratsstube der Wiener Hofburg vor Maria Theresia, die gerade ihre Herrschaft antritt, das Knie und bittet den Usancen entsprechend um Enthebung von seinen Hofämtern. Die Königin reagiert kühl und geschäftsmäßig: „Jetzt sei nicht der Augenblick, in welchem er abdanken dürfe. Er solle es sich aber angelegen sein lassen“, fügt sie scharf hinzu, „so viel Gutes zu tun als er vermöge. Böses zu verüben werde sie ihn schon zu hindern wissen.“
Der Mann wird dereinst ihr wichtigster Berater bei der Verwaltung des Habsburgerreichss sein. Der eben verblichene Kaiser Karl VI. hatte bereits eine professionelle Administration samt ihren Hofräten entwickelt – als Staatsdienst, nicht als Hofdienst, und damit grundsätzlich für jedermann zugänglich gemacht. Damit drängte er den Einfluss des Hochadels auf den Staat zurück und eröffnete dem Bürgertum seinen Aufstieg. Es wird bereits auf ein Studium der Rechte an der Universität Wert gelegt. Dafür gibt es eine fixe Besoldung, die insbesondere in den unteren Rängen kärglich ist; dennoch erwartet der Monarch absolute Pflichterfüllung und Hingabe an Beruf und Staat und fordert sie energisch ein. Es ist nicht mehr die Lehensbindung der alten Familien, auf der diese Loyalität beruht, auch ein Amtseid, sogar der eines Zugewanderten, kann dafür Grundlage sein. Eine spezielle Vertrauenswürdigkeit wird allerdings eingefordert: Wenn ein Kandidat jüdisch oder evangelisch ist, hat er bei Amtsantritt zum römisch-katholischen Glauben zu konvertieren – also nach heutigem Verständnis das richtige „Parteibuch“ zu nehmen.
Es bilden sich feste Formen heraus, in denen die Herrscher die Beratung und Unterstützung durch diese Mitarbeiterkaste entgegennehmen. Dazu gehört das Erstellen von Gutachten, insbesondere juristischer Ausarbeitungen zu staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Fragen – der Bürokratie kommt da eine zentrale Funktion für die Bildung des Rechtsstaats zu. Ein weiteres Betätigungsfeld sind diplomatische Missionen und Verhandlungen mit konkurrierenden oder verbündeten Mächten. Und nicht zuletzt der persönliche Kontakt, Gespräche in Audienzen, ja sogar die Einbeziehung in wichtige und schwierige innerfamiliäre Entscheidungen.
Johann Christoph Freiherr von Bartenstein (1689–1767)
In dieser Zeit gehen diese hohen Funktionen allmählich vom geheimen Ratskollegium, das im Feudalsystem nur fallweise um den Monarchen versammelt wurde, in ein professionelles Amt über, das permanent Aufgaben für ihn wahrnimmt. Hier arbeiten jetzt die Fürsten-Favoriten und Secretarii, die Hof-Räte in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes. Sie stehen protokollarisch in der zweiten Reihe, werden vom hohen Adel misstrauisch beäugt und bekämpft, üben aber großen Einfluss aus und können in ihrer persönlichen und finanziellen Stellung Privates mit der staatlichen Funktion verbinden.
Eine Persönlichkeit, an der all diese Elemente sichtbar werden, ist jener vor Maria Theresia knieende Mann, den der Kaiser seiner Tochter als persönlichen Ratgeber seines Vertrauens für ihren politischen Weg gewissermaßen hinterlässt: Johann Christoph von Bartenstein, geboren am 23. Oktober 1689 in Straßburg und seit 1715 am Wiener Hof.
Er entstammt einer bürgerlichen protestantischen Familie aus Thüringen. Sein Vater Johann Philipp ist Professor der Philosophie und Rektor des Gymnasiums. Er studiert in Straßburg Sprachen, Geschichte, Recht – und das mit besonderem Eifer. Deutsch, Französisch und Latein spricht er Zeit seines Lebens fließend als „Muttersprachen“. Gerade einmal 20 Jahre alt, dissertiert er mit einer rechtshistorischen Schrift. Darin bekräftigt er in streng protestantischer Manier, dass die Reichsstände ihre Waffen gegen den Kaiser ergreifen dürfen. Gleichzeitig stellt er eine enorme Belesenheit und Geschichtskenntnis unter Beweis und erregt mit seiner Arbeit an der Straßburger Universität geradezu Aufsehen.
Der junge Doktor reist danach nach Paris und Wien, um sich – so wie heute junge Juristen in Brüssel und junge Techniker in Deutschland Karrierechancen sondieren – beruflich umzusehen. In Paris trifft er mit den berühmten Benediktinern der Kongregation von Saint-Maur zusammen, die ihm raten, nach Wien zu gehen. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben findet er in der Habsburgerresidenz Kontakt zu Gottfried Wilhelm Leibniz. Der Universalgelehrte – und Reichshofrat – empfiehlt ihn für den Eintritt in den Staatsdienst. Dennoch erkundigt sich Bartenstein noch bei anderen Mächten über die Möglichkeit der Aufnahme in die Diplomatie, widerstrebt ihm doch der in Österreich notwendige Übertritt zum Katholizismus.
So wird jahrelang zugewartet, verhandelt und abgewogen. Erst 1715 kommt man zur Vereinbarung, den klugen Elsässer mit dem Titel eines kaiserlichen Rates und tausend Talern Gehalt in den österreichischen Staatsdienst aufzunehmen. Zwei Jahre später wird er zum niederösterreichischen Regierungsrat ernannt, als er 30 Jahre alt ist, wird er in den Ritterstand erhoben. Jetzt kann er sich auch privat etablieren und heiratet 1725 die adelige Maria Doblhoff, die Tochter des kaiserlichen Leibarztes. Bald kommt sein erster Sohn Joseph Philipp zur Welt, neun Jahre später Christoph Innozenz.
Es beginnt die steile Karriere des Freiherrn von Bartenstein. 1726 wird er zum Hofrat bei der österreichischen Hofkanzlei ernannt. Im Jahr darauf geschieht Entscheidendes für seinen Berufsweg. Er wird dem schwer kranken geheimen Staatssekretär Johann Georg von Buol zugeordnet, um für ihn und unter seiner Aufsicht in der Geheimen Konferenz – der Vorläuferorganisation der späteren Ministerräte – das Protokoll zu führen, Beschlüsse vorzubereiten und auszufertigen. Als Buol verstirbt, geht sein Posten auf Bartenstein über. Damit ergibt sich zwangsläufig ein direkter Draht zu Karl VI., der mit seinen Ministern überwiegend schriftlich und somit über Bartenstein verkehrt.
Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) und ihr Sohn Joseph
Sein häufiger Kontakt mit dem Monarchen lässt seinen Einfluss von Tag zu Tag wachsen. Ein weiterer Grund ist, dass er als Sekretär der Geheimen Konferenz zwar an deren Beschlüsse und die Vorgaben des Kaisers gebunden ist, doch diese gehen oftmals nicht ins Detail. Für ihn bleibt also ausreichend Raum, hier zu verschärfen, dort zu akzentuieren, da zu interpretieren und etwas wegzulassen oder zu ergänzen. Dabei ist er, wie Zeitzeugen festhalten, „rechthaberisch, aber zugleich überzeugungstreu und von einer Furchtlosigkeit, welche bei einem Niedriggeborenen doppelt überraschte. Nicht nur in der Konferenz, in welcher bloß zu schreiben, nicht aber auch zu sprechen sein Amt wäre, sagt er seine Meinung geradeheraus und verficht sie mit Hartnäckigkeit. Auch gegen die fremden Minister am Wiener Hofe tut er das Gleiche (…), oft in einer Weise, welche wirklich geeignet ist, abzustoßen und zu verletzen.“
Bartenstein festigt mit seinen Kenntnissen, seiner Intelligenz und Wendigkeit die Zuneigung und das unbegrenzte Vertrauen des Monarchen. Vor allem seine wissenschaftliche Qualifikation im deutschen Rechtswesen beeindruckt zutiefst, wobei er sich nicht ungern durch Spitzfindigkeiten und juristische Haarspaltereien, insbesondere in Angelegenheiten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hervortut. Diese Lust am Rabulieren und am Advokatischen wird ihm bald eine besondere Aufgabe bescheren.
Karl VI. hat nämlich das große Problem, dass er keinen männlichen Thronerben, sondern nur Töchter hat. Das könnte die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, seine Schwäger, dazu verleiten, nach seinem Tod Ansprüche zu stellen und seine Tochter Maria Theresia auszubooten. Zwar hat er bereits 1713 mit der Pragmatischen Sanktion die weibliche Erbfolge eingeführt. Nun geht es darum, jedes einzelne habsburgische Erbland samt Ungarn zur Annahme dieser verfassungsrechtlichen Verfügung zu bewegen und die Anerkennung durch die internationalen Mächte sicherzustellen.
Kaiser Karl VI. (1685–1740), der Vater von Maria Theresia
Hier erreicht Bartenstein mit diplomatischem Geschick 1723 die Zustimmung Ungarns, 1726 die Brandenburg-Preußens und 1731 die von England. Zwei Jahre später wird er dafür in den Freiherrnstand erhoben, Geheimer Rat und Vizekanzler der Staatskanzlei. In dieser Funktion ist er nach dem Kanzler die Nummer zwei am Ballhausplatz. Mit nur zwei Konzipisten, zwei Kanzlisten und je einem Mann für Versand und Archiv hat er diese Anerkennungen zustande gebracht. Sein Arbeitsstil in der Kanzlei ist eher altmodisch: Er zieht alles an sich, kann nicht delegieren und will auch keinen größeren professionellen Mitarbeiterstab.
Sein Meisterstück für den Kaiser und dessen Älteste ist aber 1735 eine Familienangelegenheit von politischer Tragweite: In den Wiener Verträgen von 1725 hatte sich Karl VI. im Gegenzug für die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion verpflichtet, zwei seiner drei Töchter mit dem spanischen Königshaus zu vermählen. Für Maria Theresia hätte dies eine Ehe mit dem Infanten Don Carlos bedeutet – was für die eigenwillige Prinzessin aber ganz und gar nicht in Frage kam. Sie hat sich bereits als Heranwachsende in den um neun Jahre älteren lothringischen Prinzen Franz Stephan verliebt, in dem sie seit ihrem sechsten Lebensjahr den künftigen Ehemann sah.
Bartenstein argumentiert hier zunächst juristisch spitzfindig. Aufgrund des frühen Todes von Maria Theresias Schwester Maria Amalia sei der Vertrag nichtig geworden, weil man nun nicht mehr zwei aus dreien auswählen könne. Dann argumentiert er politisch, dass England und die Niederlande eine Verschiebung des Machtgleichgewichts am Kontinent nicht nur fürchten, sondern die Verbindung zwischen Wien und Madrid auch bekämpfen würden. Gleichzeitig besänftigt er Frankreich, das eine Hochzeit der Erzherzogin mit Franz Stephan von Lothringen zu verhindern sucht. Die mögliche Vereinigung des direkt an der Ostgrenze gelegenen Territoriums mit den Habsburger Ländereien ruft vor allem den französischen Minister Kardinal de Fleury auf den Plan. Bartenstein gewinnt ihn mit der Idee, dass Franz Stephan sein Herzogtum im Tausch gegen die Toskana an Frankreich abtreten werde. Als der Lothringer, der nicht in die Verhandlungen eingebunden war, zögert, macht ihm Bartenstein kurz und bündig klar: „Keine Abtretung, keine Erzherzogin!“
Damit ist die Heirat unter Dach und Fach. Sie findet 1737 in Wien statt, es folgt ein überaus reicher Kindersegen und 1745 wird der Lothringer Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Diese diplomatische Glanzleistung sichert Bartenstein die lebenslange Loyalität Habsburgs. Nebenbei fädelt er auch noch die Ehe der zweiten Kaisertochter Marianne mit dem jüngeren Bruder Franz Stephans ein.
Weniger erfolgreich ist der Berater bei anderen außenpolitischen Analysen und Entscheidungen. Seine Empfehlung, Österreich solle an der Seite Russlands gegen die Türken 1737 in den Krieg eintreten, führt zu einer empfindlichen Niederlage.
Der nobilitierte Bürgersohn ist eine Schlüsselperson am Hof geworden. Sogar altehrwürdige Adelige bemühen sich um seine Gunst und Unterstützung. Gleichzeitig zieht der Emporkömmling aus Straßburg deren Neid und Misstrauen auf sich. In diesen Spannungen ist Bartenstein wenig zimperlich und kein angenehmer Höfling. Wenn ihm besonders Hochgestellte entgegentreten, sorgt er gerne dafür, dass sie den Kürzeren ziehen. Man erzählt, er habe den Bischof von Bamberg, Friedrich Karl Graf Schönborn, um seinen Posten als Reichsvizekanzler gebracht, weil dieser in der geheimen Konferenz zu sagen wagte, das Amt des Sekretärs sei zu schreiben und nicht zu reden. Auch Feldmarschall Joseph Lothar Graf Königsegg musste fast abdanken, nachdem er dem Kaiser riet, „militärische Angelegenheiten lieber seinen Generalen als seinen Schreibern anzuvertrauen“.
Auch in der öffentlichen Meinung ist Bartenstein nicht beliebt. Da er als des Kaisers einflussreichster Ratgeber gilt, wird er für alles verantwortlich gemacht, was unter Karls Regierung schiefläuft – und das ist in seinem letzten Jahrzehnt eher viel. „Die Hauptschuld hievon wurde auf Bartensteins Schultern gewälzt“, schreibt 1871 der Historiker Alfred Ritter von Arneth, „und viele wiesen darauf hin, wie sein Eintritt in jene einflussreiche Stellung so ziemlich mit dem Zeitpunkt zusammenfiel, in welchem der Glücksstern Karls VI. nach und nach zu erbleichen begann. Insbesondere soll er den Kaiser (…) zu all den Opfern verleitet haben, welche gebracht wurden, um sie zur Gewährleistung der Pragmatischen Sanktion zu bewegen, während doch ein Teil dieser Mächte gleich nach des Kaisers Tod dieselbe offen verletzte.“
Als Karl 1740 unerwartet stirbt, wähnen viele Feinde Bartensteins das Ende seiner Macht. Sein Verhältnis zu Thronfolgerin Maria Theresia ist nicht besonders eng, vor allem aber teilt auch sie die Meinung, er trage die Hauptschuld an der unheilvollen Entwicklung der vergangenen Jahre. Doch sieht die junge Königin auch, dass sie einen Routinier als Berater braucht, und Bartenstein stärkt ihr als Einziger am Hof sofort und uneingeschränkt den Rücken. „Alle meine Mitarbeiter ließen, statt mir Mut zuzusprechen, diesen gänzlich sinken, taten sogar, als ob die Lage gar nicht verzweifelt wäre. Ich allein war es, die in allen diesen Drangsalen noch am meisten Mut bewahrte“, schreibt sie in ihrem politischen Testament. Allein Bartenstein, gegen den allseits heftig intrigiert wird, habe sie im Gewirr der Meinungen unterstützt, sie „unvergleichlich souteniret“, und „die Gemüter zu präparieren gewusst“. In dieser Krise und Bedrängnis will und kann die Regentin nicht auf seine Dienste, seine kräftige Stütze, Fähigkeiten und Kenntnisse, seinen festen Charakter und seine unbeugsame Treue zu Habsburg verzichten.
Bartenstein nutzt dabei sein Talent, Menschen richtig einzuschätzen. Er enthält sich jeder Schmeichelei, weil er weiß, dass Maria Theresia das durchschaut, und jeder Bevormundung, um sie nicht „durch einen in hofmeisterischem Ton gegebenen Rat zu verletzen, sie ihre Unerfahrenheit fühlen zu lassen. Da er sie allzu geneigt sah, ihrem eigenen Urteil zu misstrauen, trachtet er darnach, sie mit Selbstgefühl zu durchdringen und sie dazu zu bewegen, auch manchmal unbekümmert um ihre Minister Entschlüsse zu fassen und auszuführen.“ In kurzer Zeit wird das und sein unglaublicher Arbeitseinsatz von der Königin anerkannt. Schlau betont er immer wieder, er allein sei es gewesen, der die Heirat mit dem spanischen Infanten verhindert hatte. Gleichzeitig wendet er alle Kraft auf, um die Mitregentschaft Franz Stephans politisch durchzusetzen; und er ist in den schwersten Stunden der Niederlagen gegen Preußen immer zur Stelle.
Ihre ersten Regierungsjahre sind auch die schwierigsten Jahre in Bartensteins politischem Wirken als Ratgeber. Als die habsburgische Monarchie sowohl durch den preußischen Einmarsch in Schlesien als auch infolge der durch Frankreich unterstützten Angriffe Bayerns und Sachsens in eine existenzielle Krise gerät, steht der Freiherr „ungebeugten Sinnes“ zu Monarchie und Monarchin, die er auch darin bestärkt, Gebietsabtretungen strikt abzulehnen und auf der Unteilbarkeit ihrer Länder zu beharren. Er rät dazu, sich Friedrich von Preußen militärisch entgegenzustellen. Er verfasst die Kriegserklärung an Frankreich 1741. Er ist während der Schlesischen Kriege der wichtigste politische Publizist der Hofburg und vertritt den Rechtsstandpunkt Habsburgs in zahlreichen Druckschriften, die er über die Gesandtschaften in Tausenden Exemplaren verbreiten lässt.
In dieser Zeit wird viel konzipiert, geschrieben, kopiert und expediert in der Staatskanzlei am Ballhausplatz. Bartenstein beklagt erstmals die ständig wachsende Fülle an täglicher Routinearbeit, mit der jedoch keine Personalvermehrung einhergeht. Da er seine Aufgaben lieber im Alleingang erledigt, ist er Tag und Nacht im Hochparterre anzutreffen. Doch die Entscheidungen fallen ab 1740 auf dem Felde: Die schlecht ausgerüsteten, miserabel bezahlten und inkompetent geführten Truppen Österreichs erleiden gegen Preußen eine Niederlage nach der anderen. Bartenstein unterläuft der strategische Fehler, viel zu lange darauf gehofft zu haben, dass Frankreich neutral bleibe. Doch Ludwig XV. tritt bereits nach wenigen Monaten aufseiten Preußens in den Krieg ein. Im Oktober 1741 muss ein schmählicher Waffenstillstand geschlossen werden.
In dieser dramatischen Zeit stirbt auch noch Kanzler Philipp Ludwig Graf Sinzendorf am 8. Februar 1742. Bartenstein macht sich Hoffnungen auf die Nachfolge, hat er doch in den letzten Jahren des Ministers das Außenamt de facto geführt. Die Monarchin aber denkt in Standeskategorien: Nachfolger kann nicht der Bürgersohn Bartenstein werden, sondern nur ein Diplomat von hohem Adelsrang. Als der Freiherr das erkennt, macht er sich auf die Suche nach einer möglichst schwachen Kanzlerpersönlichkeit und findet Anton Corfiz Graf Ulfeldt, den er Maria Theresia erfolgreich präsentiert.
Damit hat er die zweitbeste Lösung für sich erreicht: Er muss sich jetzt zwar formell auf seine Funktion als Sekretär der Geheimen Konferenz stützen, bleibt aber weiterhin die graue Eminenz am Ballhausplatz, da ihm sein Chef, eine matte Figur, großen Gestaltungsraum in der Außenpolitik lässt. Natürlich kränkt es ihn, dass er nicht als Minister ins Palais einziehen kann, sondern in seinem Privathaus in der Bäckerstraße wohnen bleiben muss. Doch er ist Profi und lässt sich das nicht anmerken. Nur im Amtskalender achtet er pedantisch darauf, gleich neben dem Ressortchef genannt zu werden.
Gegenüber den geschniegelten Diplomaten bei Hofe ist der Freiherr weiterhin wenig verbindlich. Daher sind auch deren Urteile über ihn alles andere als schmeichelhaft. Der venezianische Botschafter Foscari beschreibt ihn als „eine eher skurrile Gestalt, ein typischer deutscher Rechtsgelehrter, dem es an jeglicher sozialer Kompetenz fehlt und dessen schriftlicher Ausdruck sich durch einen furchtbaren Stil auszeichnet“. Der Preußische Botschafter Podewil wird sogar untergriffig: Bartenstein sei klein gewachsen „und seine Manieren sind die eines Emporkömmlings. Die Leute von Geburt nachäffend hat er dadurch eine impertinente Haltung angenommen. Er stellt sich als Schönredner hin, bemächtigt sich immer des Gespräches, will überall der Erste sein, schreit wie ein Adler, spielt den Kurzweiligen, behandelt Personen vom vornehmsten Range vertraulich und erlaubt sich gegen sie dasselbe Benehmen wie gegen Seinesgleichen. Mit einem Wort, er ist ein pedantischer Geck.“
Doch Bartenstein erzielt mit dem von ihm gegängelten Minister Ulfeldt außenpolitische Erfolge: England kann zur Intervention gegen Preußen gewonnen werden. Damit wendet sich das Blatt, 1743 kann sich Maria Theresia die böhmische Königskrone aufs Haupt setzen. Noch einmal versuchen die Preußen einen umfassenden Militärschlag, diesmal aber ohne Erfolg. Als 1745 der aus Bayern stammende Kaiser Karl VII. stirbt, schlägt wieder die große Stunde der Diplomaten vom Ballhausplatz: Bartenstein und sein Team schaffen es, Franz Stephan für die Nachfolge als Kaiser in Position zu bringen. Bayern erhält habsburgische Gebiete und unterstützt Franz Stephan. Damit ist auch der Weg zum Frieden mit Preußen frei, der allerdings mit dem Verlust Schlesiens bezahlt werden muss.
Ulfeldt und sein Einflüsterer betreiben eine strikt antifranzösische Politik des Bündnisses mit England und den Niederlanden. Doch es bahnt sich eine neue, für die Zukunft des Freiherrn entscheidende Entwicklung an: Im Jänner 1749 wird der achtunddreißigjährige Wenzel Anton Graf Kaunitz ins Kollegium der Konferenz berufen und steigt rasch zum neuen Vertrauten Maria Theresias in außenpolitischen Fragen auf. Er aber ist frankreichfreundlich.
Kaunitz beginnt, die Geheime Konferenz samt ihrem Sekretär zu entmachten und die auf den Einmannbetrieb des Sechzigjährige zugeschnittene Arbeitspraxis der Kanzlei zu „bürokratisieren“. Es sollen nicht mehr einige wenige Personen dem Chef direkt zuarbeiten, sondern Abteilungen sollen eingerichtet und in diese qualifizierte Beamte eingestellt werden. Außenpolitisch leitet Kaunitz mit seiner profranzösischen Linie einen radikalen Kurswechsel gegenüber der bisherigen Ausrichtung ein, den „Wechsel der Allianzen“. Bartenstein erkennt, dass sein Einfluss sinkt. Er unternimmt noch einige hinhaltende Versuche, um seine Macht zu retten, doch kann er die Entwicklung nur mehr verzögern, nicht mehr verhindern. Nach drei Jahren zäher Intrigen wird er 1753 durch Kaunitz als Leiter der Außenpolitik abgelöst.
Aber die Kaiserin lässt ihren alten Berater und Favoriten nicht ganz fallen. Sie vergoldet ihm den Abschied durch eine Erhöhung seines Gehalts, eine einmalige Zahlung in Höhe von 100.000 Gulden und Stipendien für seine Söhne.
Seine Dienste sind fortan auf die innere Verwaltung der Kronländer beschränkt. Er wird Vizekanzler des Directoriums in publicis et cameralibus – also der österreichisch-böhmischen Hofkanzlei –, zusätzlich wird ihm die Direktion des neu errichteten geheimen Hausarchives übertragen. Zwei Jahre später soll er einen neuen Zolltarif für Österreich ob und unter der Enns erstellen. Später wird er Präsident der illyrischen Hofdeputation, die die Angelegenheiten der aus Serbien eingewanderten Bevölkerung zu regeln hat, und schließlich führt er die Deputation zur Leitung des Sanitätswesens. Das sind zwar nicht bloß Pensionsjobs und Ehren für einen „Senior Expert“, in den zentralen Regierungsprojekten jedoch hat Bartenstein nichts mehr zu sagen. Maria Theresia hat ihren eigenen Weg gefunden, sie hört immer öfter auf eine neue Generation junger, aufgeklärter, kreativer Geister.
Dennoch vertraut die Kaiserin die Erziehung und den Unterricht ihres ältesten Sohnes Joseph dem alten Berater an. Er entwirft die Grundlinien der Ausbildung, definiert die Fächer, die für einen künftigen Regenten wichtig sind, und erstellt umfangreiche Skripten. Am Ende umfassen diese 14 handschriftliche Bände sowie sechs zusätzliche mit Beilagen. Eine darin enthaltene Zusammenstellung soll ein detailliertes Bild des aktuellen inneren Zustandes der einzelnen Länder der österreichischen Monarchie vermitteln – diese „Compendien über den Kaiserstaat und dessen Verwaltung, Nachrichten von den ungarischen und siebenbürgischen Bergwerken, Rechtscompendien“ bleiben allerdings unvollendet.
Einmal ergibt sich noch ein völkerrechtlicher Konsultationsbedarf: Als Maria Theresia nach der verlorenen Schlacht bei Prag im Mai 1757 nahe daran ist, dem preußischen König Friedrich II. einen Teil Böhmens abzutreten, bäumt sich der alte Recke in seiner Funktion als böhmischer Hofvizekanzler dagegen auf: Zitternd legt er die bereits ausformulierte Urkunde aus der Hand und verweigert die Unterschrift. „Wir befehlen es ihm hiermit“, ruft die Kaiserin aus, aber Bartenstein wirft sich ihr förmlich zu Füßen und beschwört sie, von dem Vorhaben abzulassen. Maria Theresia fügt sich schließlich tatsächlich, Feldmarschall Leopold Joseph von Daun erhält Order, Prag zu entsetzen. Wenige Wochen danach entscheidet die Schlacht von Kolin tatsächlich das Schicksal Böhmens zugunsten Österreichs.
Am 5. August 1767 geht Bartensteins Leben zu Ende. Seinen Kindern hinterlässt er ein enormes Vermögen von mehr als anderthalb Millionen Gulden, das er der Freigebigkeit Maria Theresias verdankt. Nicht ohne realen Bezug hat ja die Kaiserin gemeint, „ich werde, so lange ich lebe, an diesen Ihren Personen, Kindern und Kindeskindern erkennen, was Sie mir und dem Staate vor Dienste geleistet; auch verobligire (ich) meine Nachkömmlinge, solche an denen Ihrigen allezeit zu erkennen, so lang sie selbige finden und seyn“. Zu diesem Vermögen gehören umfangreiche Ländereien in Niederösterreich, Mähren und Schlesien. Um Zigtausende Gulden hat er Güter in Iglau (Jihlava), Johannesthal (Janov) und Hennersdorf (Jindřichov) gekauft, 1749 Ebreichsdorf, 1760 Raabs. Aus den Erträgen wird die Herrschaft Poysbrunn erworben und im niederösterreichischen Falkenstein die Familiengruft angelegt. Später kommen Besitzungen in Schrems, Tribuswinkel und in Deutsch-Knönitz (Miroslavské Knínice) hinzu. Der Migrant aus Straßburg, der einst als mittelloser Referendar nach Wien kam, hat seine Stellung offensichtlich nicht nur offiziell und politisch, sondern auch persönlich und ökonomisch bestens genutzt. Private Haushaltung und öffentliche Repräsentanz sind ja in seiner Zeit noch nicht voneinander getrennt, finanzielle Zuwendungen für amtliche Tätigkeiten üblich. Erst viel später wird die strikte Abgrenzung zwischen privater und beruflicher Sphäre Auswirkungen auf die Arbeit und das Leben von Hofräten und Ratgebern haben – und einige, die sich nicht daran hielten, unehrenhaft scheitern lassen.
Johann Christoph von Bartenstein ist die erste große Figur eines Ratgebers, dessen Einfluss auf die Entscheidungen der Monarchen klar und über lange Zeit dokumentiert ist. Seine Wirkung, Bedeutung und Arbeitsweise sind mit späteren Beratern durchaus vergleichbar. Auch seine Karriere – kluger und eloquenter Jurist mit direktem Kontakt zur obersten Ebene, Macht, Erfolge, Neider, erzwungener, dennoch ehrenhafter Rückzug – entspricht diesem Muster. Aber seine Stellung gegenüber der wichtigsten Person, die er berät, ist eine besondere und einmalige. Der bürgerlich geborene Einzelgänger hat keine Hausmacht und verfügt nicht über ein solides Beziehungsnetzwerk. Er ist „nur“ der Favorit des Kaiserhauses, der „wahrhaft zutiefst ergebene Diener (und) letzte Mitkämpfer ihrer heroischen Jahre“, „der einflussreichste Ratgeber“, dem Maria Theresia „das Wohlwollen (…) wegen seiner Ergebenheit und unermüdlichen Arbeit“ erhält, er ist „erster Beamter“, „wichtige Stütze“, „vertrauter Mitarbeiter der Kaiserin“. Diese Epitheta ornantia aus der Literatur werden Johann Christoph von Bartenstein wohl gerecht, am besten hat es die Monarchin aber selbst getroffen: „Muß Ihme die Justiz leisten, daß Ihme allein schuldig die Erhaltung dieser Monarchie; ohne Seiner wäre Alles zu Grunde gegangen.“