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Bingtang Beer

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Das Leben ist schön. Es steckt voller Wendungen und positiver Überraschungen. Gerade noch traurig weil es nicht so klappen will, weder mit einer erfüllten Partnerschaft noch mit dem Endless-Summer-Trip, und schon hat man das nächste Flugticket und somit einen Freisurfschein in der Hand. Man findet sich ab und zack – gewonnen!

Ich glaub es nicht. Ich rufe gleich Mama, Papa, Nimue, Riki, Kiki, Dee und alle Nummern an, die mein Handy hergibt um meine große Freude zu teilen. Ich habe gewonnen und fliege nach Bali! Yeah! Das Hawaii-Foto mit einem 1960er Chevrolet Parkwood SurfWagon, dass ich ausgesucht, bearbeitet und eingesendet hatte, hat tatsächlich gewonnen. Ich habe eine Reise mit Kima Surfaris nach Bali gewonnen. Gewonnen. Gewonnen. Ich lasse das Wort wie Schokolade auf meiner Zunge zergehen... Gewonnen. Wow!

Gut, ich habe einen ganzen Tag und eine halbe Nacht an dem Bild gebastelt. Hier noch Schatten, da noch mehr Kontrast, Licht, Motiv – alles war perfekt. Natürlich war es perfekt, ich bin eine Perfektionistin.

Mit Sicherheit war es eines der besten Fotografien die eingereicht wurden, aber dann auch zu gewinnen ist eine andere Sache. Die Fotos durften auch gevotet werden. Es konnte also auch gewinnen, wer die meisten Leute kennt. Aber anscheinend fand mein Bild viele Fans im Netz.

Keine drei Wochen später ist es soweit. Miki wird das erste mal bei Oma geparkt und los geht’s. Mal wieder. Diesmal im Flieger. Echt? Jap.

Schon der Flug, was ich bis dato in den seltensten Fällen behaupten konnte, ist schön.

Kann schon sein, dass es an den "danach-aber-sofort-wegschmeißen" Schlaftabletten unseres Kieler Sportmediziners und Fernreiseexperten lag. Der übrigens auch für zahlreiche Impfungen zuständig war. Ich musste gegen alles mögliche Impfen: Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis A sowie MMR – Mums, Masern, Röteln. Geht doch!

Achtzehn Stunden, je nach Fluggesellschaft, dauert der Trip. Wir fliegen mit China Airlines über Taipeh- Taiwan, wo wir noch gemütlich umsteigen.

Bali liegt auf halbem Weg zwischen dem asiatischen Festland und Australien und war ehemals holländische Kolonie. Drei Millionen Balinesen bevölkern diese wunderschöne Insel, und hinzu kommen eine Millionen Touristen jährlich.

Der größte Anteil der Balinesen ist muslimisch, dennoch leben hier die großen Weltreligionen in großer Harmonie nebeneinander, sowie es nur wenigen Kulturen geglückt ist.

Am Airport Ngurah Rai International in Denpasar angekommen, werden wir von Surfguide Agus erwartet. Einem stets etwas überdrehten, echten Sonnenschein, der uns noch viele top Surfspots, heiße Rides und ulkige Spielchen zeigen wird.

Wer ist denn eigentlich wir?

Big ist mit dabei. Um unsere angeschlagene „Liebe“ zu retten, hat er kurzerhand einen Flug dazu gebucht und wir reisen zusammen.

Es fühlte sich etwas komisch an aus dem Flieger zu steigen, zum einen weil ich mal nicht mit Kind sondern mit einem Mann reise. Zum anderen erwarteten uns tropische achtunddreißig Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von neunzig Prozent.

„Big, stell dir vor, du bist mit Jeans, Wollpulli, festem Schuhwerk, einem zehn Kilogramm schweren Seesack und deinem gesamten Surf Stuff bepackt und rennst geradewegs in ein türkisches Hamam. Ey, so fühle ich mich grade!“

Er grinst und wischt sich mit einem Tuch den Schweiß von der Nase. „Willkommen auf Bali Eddie, hoffentlich schmelze ich hier nicht.“ Wir lachen.

Im Kimasurfari Jeep werden wir durch wild pulsierende, bunte Gassen direkt zum "Green Room" nach Kuta Seminiak kutschiert.

Dort erwartet uns ein Traum. Betreiber Ari spielte gekonnt mit Stil und balinesischer Tradition; er schuf ein Surfcamp de luxe.

Ästhetik und Funktion tanzen im "Green Room" leidenschaftlichen Tango.

Wir beziehen die Suite Nr. 14 - mehr Zimmer gibt es nicht. Und so scheint der Aufenthalt im “Green Room” auf den ersten Blick familiär und überschaubar.

Die Gästeliste liest sich dennoch international: Amerikaner, Schweizer, Belgier, Kanadier, in London lebende Vietnamesen und selbst für einen mit wunderschönen Wellen verwöhnten Portugiesen war der Weg nicht zu weit.

Um den Hunger nach der langen Reise zu stillen, bestellen wir uns was zu essen. Die Küche ist göttlich und der Service 1a. Ich bestelle ein Frühstück mit frischem Obst und Blumen serviert auf Palmblättern. Big kostet den Nasi Goreng und gönnt sich dazu ein Bingtang Beer.

Und dann ist es soweit. Nachdem wir uns ein wenig schlafen gelegt haben, sind wir bereit für die erste Surf Session. Wir werden morgens von dem Guide an den Spot gekarrt – und ich surfe die erste Barrel meines Lebens! Wo? Na das Geheimnis kann ich gerne lüften, ist ja nicht Dänemark…

Der wunderschöne Strand ist eine halbe Autostunde von Kuta entfernt und wird von den Einheimischen Pantai Batu Bolong genannt, nach dem gleichnamigen Tempel dort. Jedoch haben die ausgewanderten Surfer dort dem Spot den Spitznamen ‘Echo Beach’ gegeben.

Für mich ist in diesem Augenblick so sicher wie nie: Life is better when you surf!

Big und ich haben eine gute Zeit zusammen und genießen die kinderfreie Zeit. Auch wenn ich Miki wie irre vermisse.

Die Tage gehen viel zu schnell vorbei. Zwei Wochen sind erneut verflogen wie im Flug und es steht ein letzter Ausflug an. Wir wollen nach Uluwatu.

Hier stoßen jahrtausende alte Kalkfelsen mit einem zweihundert Meter hohen Steilhang an den indischen Ozean.

Es ist der legendärste Surf Spot auf Bali.

Trotz stärkster Gegenströmung und rasiermesserscharfen Korallenriffen, die nur bei Ebbe sichtbar sind, ist dieser mystische Ort das Mekka der weltbesten Wellenreiter geworden.

Hier trifft sich die Elite.

Das Erreichen der fünf Peaks ist nur durch eine Höhle möglich, die wir hinabsteigen um bei Ebbe durch ein Loch in der Wand zu einem der imposantesten Strände Balis zu kommen.

Die fünf Lefthander, die sich nun vor uns erstrecken, erreichen für Asien eine ungewöhnliche Höhe und mit Sicherheit ist Uluwatu einer der gefährlichsten Spots der Welt.


Steve Coony war im Übrigen einer der ersten Personen die Ulu je gesurft sind. Das war 1971.

Und nun sind wir hier und surfen diese legendäre Welle. Die Bedingungen sind super. Heute können sich sogar Nicht-Pros ins Meer wagen, ohne auf dem Riff zerrissen zu werden. Es ist genügend Wasser im Becken und die Wellen sind recht klein.

Dennoch ist eine Barrel oder eine Tube zu surfen – sicherlich die Königsdisziplin des Surfens.

Wie ich, träumt eigentlich jeder Wellenreiter davon, einmal in diesem unfassbar anmutigen Tunnel aus purem Wasser dahinzugleiten.

Nach einigen gescheiterten Versuchen, bei denen ich immer zu schnell oder zu langsam bin, versuche ich es erneut. Ich paddle an, erwische die Welle nicht, dann nochmal nicht, dann nochmal nicht. Mist. Aber dann erwische ich eine und mache einen sauberen Take-off.

Ich stehe auf, fahre einen einfachen Bottom Turn in Richtung der ungebrochenen Schulter der Welle.

Um sicher zu gehen, bleibe ich in der Hocke, gebe Druck auf das vordere Brett, ich gewinne Geschwindigkeit und kauere mich zusammen, mache mich so klein wie möglich.

Es klappt, ich bin drin. Im Green Room.

Genau so heißt das Surf Camp, jetzt verstehe ich wieso. Ich bin stocked!

Nach dercoolsten Surf Session meines Lebens geht es für uns noch in den Uluwatu Tempel, der den Meeresgottheiten geweiht ist.

Laut Sage hat hier ein hinduistischer Hohepriester den Kreislauf der Reinkarnation beendet und sich, wie der Glaube es will, verflüchtigt.

Big und ich schauen uns zum Sonnenuntergang in Batubulan den Kechak-Tanz an.

Dieses faszinierende Schauspiel besteht aus 50 Sängern: dem Chak-Chor, die in malerischer Kulisse im Fackellicht mit nur zwei Silben die Armee der Affen imitieren. Ich finde, das hört sich sehr beeindruckend an.

Innerhalb dieser Runde wird eine Choreographie aus dem Ramayada getanzt, die mit den wunderhübschen Tempeltänzerinnen Rama und Sita und dem Affenkönig Hanuman einen alten Epos darstellen, der den Hindus heilig ist. Rings um Batubulan sorgt eine unglaubliche Anzahl von Künstlern und Handwerkern für den Ruf der Region.

Mit erstaunlicher Geschicklichkeit bearbeiten sie mit unterschiedlichen Materialien und Themen Plastiken aus Holz. Im Wesen der Balinesen liegt die Liebe zur Kreativität und zu künstlerischen Aktivitäten. Big und ich machen viele Fotos und genießen das bunte Treiben.

Als wir zurück in unser „Green Room“ Suite Nr. 14 sind, erwartet mich eine Überraschung. Überall flackern romantisch kleine Teelichter und auf meinem Nachttischchen aus Bambus entdecke ich einen Blumenstrauß aus Lotusblüten und Orchideen!

„Oh wie schön!“ rufe ich entzückt aus.

Big lächelt. „Die sind für Dich.“

„Das ist eine schöne Geste! Danke Big.“

„Ich wollte mich entschuldigen.“

Ich antworte nicht, warte verblüfft ab.

„Ich habe auch Champagner bestellt, müsste gleich kommen.“

„Oh, du lässt es ja krachen. Muss ich mir Sorgen machen?“

Da kommt auch schon einer der angestellten Balinesen mit dem Champagner und zwei Flöten.

„Absolut!” antwortet Big, und schenkt uns ein. „Auf Bali.“

„Auf Bali!“

Dann nimmt mich Big das erste Mal nach langer, langer, langer Zeit wieder in den Arm und küsst mich sanft, ganz sanft auf meine Lippen.

„Eddie, komm her, mein Surfer Girl.“

Erst zögere ich aufgrund der unerwarteten Zärtlichkeit des ollen Wikingers. Aber dann lasse mich doch in seine Arme fallen und schliesse meine Augen, rieche seine salzige Haut...

Die Entschuldigung – für was auch immer – nehme ich an, denn der wortkarge Big macht keine Anstalten noch ein weiteres Wort zu verlieren. Stattdessen merke ich, dass er hart wird.

Da braucht es nun auch wirklich keines weiteren Wortes mehr. Wir schalten das Licht aus, die Teelichter erlischt für uns der Wind....

Zurück zum Wesentlichen. Nicht nur für Surf Beginner ist Kuta Beach der perfekte Platz, um ein für alle mal stoked zu werden. Auch für Surfer, die schon länger auf dem Brett stehen. In den nächsten Tagen surfen Big und ich die powervollsten Beachbreaks.

Über mehrere Kilometer hinweg laden uns verschiedene Peaks zum Austoben und Glücklichsein ein.

Der Hardcore Spot Balis ist bekanntermaßen Padang-Padang. Balis Pipeline.

Da ich weder zur Elite gehöre, noch suizidgefährdet bin, spare ich mir den Weg zu dem mörderischen Riff mit den hohlsten Wellen Balis.

Die letzten beiden Tage verbringen Big und ich in Dreamland und Belangan. In Dreamland brechen Wellen, die für jede Könnensstufe geeignet ist. Die Wellen brechen weit draußen und selbst Anfänger können hier easy das Weißwasser anpaddeln. Erfahrene Surfer haben hier ebenfalls ihren Spaß: ein Pyramide-Shape Break bietet zwei Left- und eine Righthander. Herrlich.

Nach einer letzten Session schnappe ich mir meine Nikon und klettere in die Felshöhlen. Ich finde tausende von Fledermäusen und habe das unfassbare Glück, ein fesselndes Naturschauspiel zu sehen: eine riesige Schlange auf der Jagd nach Fledermäusen.

Ein bisschen macht mir diese Begegnung Angst.

Ich bin nicht unbedingt abergläubisch, aber die Schlange ist in jeder Kultur und in jeder Religion ein mystisches Wesen. Ihr werden bestimmte Eigenschaften zugeteilt, die zu einer negativen oder positiven Wahrnehmung des Tieres führen.

In vielen mir bekannten Redensarten wird sie sehr negativ gesehen. Mit Schlangen assoziiere ich Eigenschaften wie boshaft, doppelzüngig, falsch, giftig, hinterlistig, heimtückisch, verschlingend. Aber auch verführerisch.

Ich muss an die vergangene Nacht mit Big denken. Es war eine schöne Nacht, aber irgendwie fühlte ich mich danach nicht gut. Irgendwas war falsch. Nicht echt. Gespielt. Ich kann es nicht erklären.

Mit einem letzten Blick über die Schulter verlasse ich fluchtartig die Höhle und sehe noch wie die Schlange eine Fledermaus gepackt hat. Die arme Fledermaus zappelt noch in dem Schlangenmaul.

Ich flüchte angewidert und erschrocken. Gruselig.

Mir ist die Lust auf Höhlen vergangen und den letzten Tag wollen wir mit einer schönen Fotosafari beenden. So mieten wir uns einen Fahrer, der uns in die Reisfelder bringt.

Der Reisanbau wird seit über viertausendfünfhundert Jahren auf Bali betrieben. Nur wenige Landschaften der Welt zeigen die Spuren menschlicher Arbeit so elegant.

Bali liegt auf einer Linie vulkanischer Aktivitäten, die ganz Indonesien betreffen, und es befinden sich dort zwei sehr aktive Vulkane. Der Batur und der Agung. Dies ist die aktivste Vulkanzone der Welt, der pazifische Feuergürtel. Hier ist unser letzter Fotostop.

„Und was ist, wenn der ausbricht?“ frage ich Big ängstlich? Vulkane sind mir genauso wenig geheuer wie Schlangen.

„Eddie, zu deiner Beruhigung, der letzte Ausbruch fand 1994 statt, ist also schon eine ganze Weile her.“

„Hm“, brumme ich ungläubig und bin mir sicher, dass der Nächste bald stattfindet. Das hab ich in der Pisse, würde meine Oma sagen. Aber wenn das geschieht, möchte ich dann doch lieber ausnahmsweise in Kiel sein.

Wie schnell nur können drei Wochen vergehen. Gerade noch sternenklare Nächte in Asien und traumhafter Surf im Sonnenschein und zack, als wäre nichts geschehen, sitze ich wieder an meinem Schreibtisch in Kiel.

Es schneit. Riesel, riesel. Es sind knapp über null Grad. Ich hole mir mal wieder einen schönen, starken duftenden Kaffee. Ja, ja, der Running Gag mit dem Kaffee ist sowas von abgedroschen. Aber ich trinke nun mal viel und gerne Kaffee. Ist so!

Ich checke meine Emails und dann muss ich Flüge suchen und buchen, denn es geht direkt am zweiten Weihnachtsfeiertag nach Lanzarote. Ich bin eben ein Glückskind und Surfer sind nicht dafür gemacht, auf der Couch zu surfen.

Big hat einen coolen Auftrag an Land gezogen. Für einen Surf & Skate Onlineshop sollen günstige Modevideos produziert werden.

Allerdings spiele ich in dieser Produktion gar keine Rolle. Ich darf mal wieder den Assi spielen, die Flüge buchen und die Pampers einpacken.

Ich bin ein bisschen schlecht gelaunt, denn zurück aus den Tropen bin ich ja wieder nur Vollzeit-Mami, Köchin und Filmstudio-Putze. Das nervt mich.

Nur zusehen wie andere arbeiten finde ich sowas von blöd. Ich will den Job in München. Ich will auch arbeiten. Nicht nur daneben stehen.

Auf Bali hab ich gelernt, dass man zur Erfüllung von Wünschen für die guten Geister ein Räucherstäbchen anmacht. Reis und Blumen spare ich mir. Ich mache mir zu Hause also Räucherstäbchen an und wünsche mir den Fotografenjob in München herbei. Dann vertiefe ich mich ins Worldwideweb und buche für Miki, Big, mich selbst und einige unserer Freunde, die für uns modeln, die Flüge nach Lanzarote.

Wir werden fünf bis zehn Personen sein. Und eventuell kommen noch einige nach. Denn ich habe die Idee, unsere überschüssigen Zimmer in Famara wöchentlich mit wechselnden Surf Buddys vollzustopfen. Die zahlen dann ein bisschen dafür, ich kann sie abholen, ihnen meine Lieblingsspots zeigen und sie bekochen.

Ich will ja schliesslich auch was zu tun haben. Und dann verfliegt die Zeit auch wieder schnell. Weihnachten kommt und geht. Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein aufregendes Jahr.

Der Endless Summer war zwar ein bisschen zerstückelt und lief nicht ganz nach Plan, aber dafür hat Bali wieder alles gut gemacht. Außerdem ist aller Anfang ja bekanntlich schwer.

Immerhin gab es schon mal einen Anfang. Auch Big und ich sind uns seit Bali ein kleines Stückchen näher gekommen. Glaube ich zumindest.

***

Die Sonne wärmt mein Gesicht, ich halte ganz still und genieße die wärmenden Strahlen. Ich fange den Augenblick ein, fühle mich pudelwohl und bin mal wieder mitten im Nirgendwo. Diesmal im Süden Europas. Auf Lanzarote, einer der kanarischen Inseln. Caleta de Famara ist ein kleines Dorf an der Nordküste von Lanzarote, im Naturschutzgebiet des Chinijo-Archipels gelegen. In den letzten Jahren ist Famara zu einem Hotspot für zahllose Surfer aus aller Welt auf der Suche nach der besten Welle geworden. Nicht umsonst gelten die Kanaren als das “Hawaii Europas”!

Ich stehe völlig allein an diesem wunderschönen und menschenleeren Strand, ein paar hundert Meter außerhalb des Dorfs. Wir schreiben den 1. Januar, das Jahr ist also noch so was von frisch. Ich atme tief ein. Der Tag selbst ist ja auch noch frisch. Es ist grade mal 8 Uhr morgens und fast jeder Surfer und erst recht jeder Spanier liegen noch im Bett. Über die Jahre habe ich es mir zur Tradition gemacht, an jedem Spot, an dem ich mich befinde, an Silvester als letzte aus dem Wasser zu steigen, also als Letzte die letzte Welle eines Jahres zu surfen. Und dann nichts wie ab ins Bett, um als Erste zu Neujahr das Jahr wieder anzusurfen. Also als Erste die erste Welle des neuen Jahres zu surfen. Finde ich klasse. Die Erste und die Letzte irgendwo zu sein. In Fliegern mag ich das auch. Entweder kämpfe ich mit Ellenbogen, um als Erste in eine Maschine zu klettern. Oder ich trödle rum, bis ich als Letzte an Bord komme. Sollte jemand noch später als ich kommen - dann auf jeden Fall zu spät!

Ein paar hundert Meter außerhalb des Dorfs ist der wunderschöne Strand San Juan. Dieser völlig abgelegene, drei Kilometer lange Sandstrand grenzt an das Bergmassiv von Famara.

Ich paddle an diesem Morgen als Erste in Caleta de Famara auf das offene Meer hinaus. Ich spüre Glück und tiefe Zufriedenheit in mir. Ich bin gerne allein im Meer. Soll man ja nicht. Aber ich bin eine Frau, die macht was sie will. Nicht umsonst ist mein Spitzname Eddie. Eigentlich heiße ich Edith.

Den Spitznamen Eddie hab ich von meinen Surffreundinnen verpasst bekommen, weil ich immer und überall ins Wasser springe.

So wie Eddie Aikau, ein mutiger Hawaiianer. Der Spruch “Eddie would go“ wird von Surfern genutzt, um sich Mut zu machen um dann, wie der unerschrockene Eddie auch, bei den stärksten und besten Wellen aufs Meer raus zu paddeln.

Ganz so super stark und mutig wie der Hawaiianer Eddie bin ich natürlich nicht, aber im Gegensatz zu vielen meinen Freundinnen oder auch Betties, wie wir Surfer unsere weiblichen Buddys nennen, bin ich schon eine kleine Kamikaze.

Ich hocke also da, mal wieder mutterseelenallein, auf meinem Surfbrett und warte auf das nächste Set, die nächste Welle. Plötzlich geht mir der Arsch auf Grundeis. Was? Ich bekomme Angst. Angstzustände. Ich habe plötzlich doch Schiss. Wovor? Ich weiß es nicht. Gerade eben fühlte ich mich ja noch pudelwohl, geborgen und saucool ganz allein im offenen Meer.

Jetzt nicht mehr. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, aber ich fürchte mich vor irgendwas. Mein Bauch befiehlt mir, nicht länger zu warten. “Sieh zu, dass du Land gewinnst!” Im wahrsten Sinne. Mein Bauch schreit jetzt wie am Spieß „Eddie, go Home!“ Paddel. Paddel. Paddel. Keine Welle nimmt mich mit, ich habe eher das Gefühl es zieht mich immer weiter raus. Raus auf das offene Meer.

Paddel. Paddel. Paddel. Ich werde langsam schwächer, meine Arme lahm und leichte Panik überfällt mich.

Mann. Was ist denn das? Paddel. Paddel. Paddel. Paddel. Paddel! Da! Ich hab eine.

Mich nimmt eine gnädige, von Gott gesandte Welle mit. Ich springe auf die Füße und bleibe tief mit dem Po über meinem Board, um bloß nicht zu stürzen. Es klappt, ich werde schneller und schneller, das Meer katapultiert mich zurück an den Strand. Die Welle surfe ich bis sich die Finne in den Sand eingräbt, springe ab, reiße meine Leash vom Knöchel und renne flüchtend an den rettenden Strand, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter mir her.

Was mich da reitet, kann ich nicht sagen, aber ich gehorche meinem Bauchgefühl blind. Jetzt schnell heim in unser muckeliges Appartement und frühstücken. Mein Söhnchen Miki ist bestimmt schon wach und sucht mich. Big Björn fragt sich bestimmt, wann macht Eddie endlich Frühstück. Und der Rest der Truppe, irgendwelche Assistenten und Buddys, die bei uns rumschwirren, fragt sich bestimmt, ob Eddie wohl frisches Brot mitbringt. Nö. Der einzige Bäcker, das einzige Café das es hier in Famara gibt, hat noch zu. Und mir sind grad auch echt alle anderen sowas von egal. Ich bin nur froh an Land zu sein.

„Was war das?“ frage ich mich.

Zurück im Appartement dusche ich erst mal heiß, dann erbarme ich mich doch und koche einen schönen „Americano“. Cafe Americano - die Alternative zum starken Espresso, wird einfach verdünnt mit Wasser. So haben gleich mehrere Personen etwas davon und ich muss nicht zehn Mal erneut Kaffee aufsetzen. Und trotzdem lecker! Dazu schäume ich eine großen Topf mit Mich auf, wer will kann sich so einen Café con Leche machen oder den Kaffee einfach schwarz trinken. Mit Zucker oder nur mit Kondensmilch. Du musst Dich entscheiden. Drei Felder sind frei. Dann bereite ich leckere Platano Pancakes mit kanarischen Bananen, Honig und Zimt oder mit Marmelade zu. Ich gebe zu, das Rezept habe ich aus Bali mitgebracht. Einzig, dass ich sie nicht auf Bananenblätter serviere, wie ich es im “Green Room” so geliebt habe...

Dann kommt es Dicke. Von jetzt auf gleich verschwindet die Sonne hinter pechschwarzen Wolken, ein unfassbar starker Sturm zieht unheilvoll aus dem Nichts auf und wütet einige Tage. Dieser Sturm war doch gar nicht angesagt!? Auf keinem Forecast war solch ein starker Sturm angekündigt. Wir wundern uns. Wunder, wunder! Am vierten Tag des noch jungen Jahres bin ich immer noch die Einzige aus unserem Trupp, die das Jahr in Famara angesurft hat. Die Kandidatin gewinnt erneut 99 Gummipunkte.

Mit meinem Board unter dem Arm, meinem Rucksack für alle Zwecke und Zwerg Miki an der Hand, stehe ich am Kai des Hafens von Playa Blanca.

Ich warte auf die kleine Express-Fähre. Am Dreh Set von Wikingerkönig Big braucht man mich nicht und ich habe definitiv keine Lust immer nur die Köchin und Putzkraft zu sein. Das kränkt mich. Ich fühle mich völlig überflüssig und verletzt.

Und deshalb hau ich mal wieder ab. In die Biege machen bin ich halt super. Die Fähre nach Fuerteventura fährt vier Mal am Tag, die erste um 9.30 Uhr und die letzte um 16.15 Uhr. Außer Sonn- und Feiertags. Auf diese Fähre warte ich seit einer Stunde. Ist sie gesunken oder was? Wo bleibt sie denn? Es ist windig und ich fröstle. Ich bin genervt.

Der Plan ist nach Corralejo, Fuerteventura über zusetzen, denn eine Freundin, Ilka, und ihr Freund Hauke von Heaven & Sky, die ich beim Fallschirmspringen kennen gelernt habe, überwintern jedes Jahr auf Fuerteventura. Im Sommer haben wir uns versprochen, uns gegenseitig zu besuchen. Also mache ich den Anfang. Auf die Schiffstour zur anderen Kanareninsel freue ich mich auch schon. Ilkas und Haukes Lieblingsort auf Fuerteventura ist das Nestchen Lajares nahe La Olivia. Ähnlich wie Famara auf Lanzarote ist Lajares ein im Winter menschenleeres Nest für Surffreaks, die nur Wellen im Kopf haben.

Ah! Da ist die Fähre ja. Wo blieb sie denn so lange? Die kleine Crew von nur vier spanischen Seemännern einschließlich dem Kapitän, händigt in Windeseile die wenigen Koffer aus dem Bug der Fähre aus und entlässt die ein wenig blass wirkenden Gäste vom Schiff. Wir können auf das Schiff klettern und ohne Umstände legt die kleine Fähre sofort wieder ab, um erneut auf den offenen Atlantik zu schippern. Als wir den sicheren Hafen verlassen, peitschen sofort riesige Wellen auf uns zu. Ich setze mich mit Miki auf meinem Schoss mittig des Schiffes, quasi auf die Kiellinie. Die liegt nicht etwa im schleswig-holsteinischen Kiel, obwohl doch, zu Hause in Kiel heißt unsere Promenade am Wasser tatsächlich Kiellinie! Was ich jetzt meine, ist jedoch die Mitte des Schiffes. Quasi von Spitze zu Spitze entlang des Bootsbodens. Jeden zehnten Passagier erwischt es übrigens, hab ich mal irgendwo gelesen. Entweder hängt er über der Reling, weil er bei hohem Wellengang seekrank wird oder versucht die Toilettenschüssel zu treffen. Was nicht leicht ist bei ordentlich Seegang!

Ich werde nicht seekrank. Miki, mein Söhnchen scheint auch mit seinen von Big geerbten Wikingergenen seefest zu sein. Nach einigen „wuaah“ und „ohhh“, zum Glück kein „würg“ seitens meiner mitreisenden Schiffspassagiere, kommen wir ebenfalls ordentlich verspätet aber heil im Hafen Corralejos an, wo Ilka schon ungeduldig wartet. „Hola Chica, da seid ihr ja!“ ruft Ilka und winkt uns zu.

„Na, war halt bisschen wellig und die Nussschale musste einen Bogen fahren“ antworte ich grinsend, dann umarme ich sie.

„Frohes Neues Ilka, wie war es bis jetzt hier auf Fuerte?“

„Gut, bis zum ersten Januar richtig gut. Dann gab’s nur noch Cross-Off und Weißwassermassen. Nichts Surfbares. Seit Tagen. Uns fällt schon die Decke auf den Kopf! Schön, dass ihr beiden für Abwechslung sorgt. Ich war schon einkaufen, um uns heute Abend etwas Schönes zu kochen.“

„Das ist super lieb von Dir, Ilka“ freu ich mich endlich auch mal umsorgt zu werden. „Immerhin hab ich das Jahr angesurft und war kurz im Meer, aber dann hab ich wohl mein Brett umsonst mitgeschleppt, was?“

„Morgen soll der Sturm vorbei sein, Eddie. Die Wellen sind zwar flat, aber dein Brett kannst Du dennoch brauchen, es wird eine Surferverabschiedung geben. Wäre schön, wenn du mitkommst.“

„Ach Du grüne Neune, Ilka, wie schrecklich! Was ist passiert?“ frage ich erschrocken.

„Ein junger Surfer hier aus Corralejo ist bei Euch in Famara am ersten Januar morgens gegen elf Uhr ertrunken.“

„Waaaaas?“ - rufe ich entsetzt. “Der ist abgesoffen? Du meinst richtig ertrunken?“

„Sag jetzt nicht, Du hast nichts mitbekommen Eddie? War doch vor Deiner Haustür?“ wundert sich Ilka.

„Ne, echt nicht, ich war drin im Meer, ganz alleine, weit und breit kein Mensch, weder am Strand noch im Wasser und ich hatte plötzlich ein richtiges scheiss Gefühl. Sowas hatte ich noch nie. Fast schon wie Panik. Bin dann raus, hab nur gemerkt das es ordentlich reinzieht!“

Ich mache eine Pause und denke nach.

„Später haben wir eine Pancake-Frühstücks-Party zelebriert. Du weißt ja, das ein paar Leute für einen Dreh mit dabei sind. Wir waren aus und haben getanzt bis in die Puppen. Wir haben echt nichts mitbekommen.“

„Hier auf der Insel gab es seit dem ersten Januar morgens kein anderes Thema, Eddie, sei froh das ihr das nicht mitbekommen habt.“

Ilka seufzt. „Der junge Surfer war ein Freund von Hauke!“

Ilka schweigt kurz und schaut mich nachdenklich mit ihren tiefblauen Kornblumen Augen an. „Dem geht es jetzt echt mies, eigentlich wollten sie zusammen surfen gehen. Hauke hatte jedoch noch einen Kater von Silvester und deshalb kurzfristig abgesagt. Er macht sich nun mega Vorwürfe. Bitte komm mit Eddie!“

„Ach Ilka, ich komme gerne mit und bleibe an Eurer Seite. Wir müssen nur jemanden finden, der auf Miki aufpasst, dann bin ich dabei. Das ist ja mal ein trauriger Jahreswechsel. Aber irgendwie hatte ich es im Gefühl. Das etwas passiert. Krass!“Zwei Tage später paddeln wir stillschweigend zusammen mit knapp dreißig Surfern auf das offene, nun wieder beruhigte, Meer hinaus.

Die meisten haben sich Blumenkränze umgehängt oder einfach ein kleines Sträußchen zwischen die Zähne geklemmt, um die Hände zum Paddeln frei zu haben.

Am Horizont entdecke ich einige kleine, sanfte Longboardwellen. Es sind die sanften Reefbreak-Wellen vor dem kleinen Fischerdorf Majanicho.

Es herrscht absolute Windstille bei kleinem Swell. Auf ein Kommando bilden wir einen großen Kreis. Mit den Boardnasen, also dem Bug unserer Bretter, schauen wir in den Kreis.

Ich schaue mich vorsichtig um, erkenne kaum ein Gesicht. Obwohl es eine traurige Veranstaltung ist, sehe ich viele der anderen Surfer lächeln oder fröhlich quatschen.

Neben mir auf Ihren Longboards fassen sich das norddeutsche Fallschirmspringerpärchen Hauke und Ilka an den Händen.

Dann fasst Ilka auch meine rechte Hand, meine Linke ein mir unbekannter junger Shortboarder. Er hat schwarze Haare und einen Dreitagebart, er sieht aus wie ein kleiner Ghettojunge. Ich tippe auf einen jungen Local aus Fuerte.

Ich schaue in die ganze Runde. Ich sehe Jungs und Mädels. Achtzehnjährige und einen knapp sechzigjährigen braungebrannten Mann mit schütterem, schneeweißem Haar.

Ob Beach Boy, Soul Surfer oder Körperfanatiker, die Surfer und ihre Boards sind so vielfältig, wie die Wellen die sie reiten.

Aber hier und heute sind sie nun alle vereint, zu einer rituellen Surferverabschiedung.

„Das ist seine Freundin.“ Ilka drückt leicht meine Hand und deutet auf eine wunderhübsche, junge Blondine auf einem Shortboard.

„Antonio hinterlässt ein kleine Tochter von nur drei Monaten.“ raunt sie mir zu.

„Wie traurig!“ flüstere ich tief berührt.

Die junge blonde Frau hebt einen Arm. Die Gespräche ebben abrupt ab. Sie sagt etwas, das ich auf die Entfernung nicht verstehe. Wie bei Stille Post flüstert mir nun von links der junge Shortboarder etwas zu. Ich verstehe „Minuto de Silencio“ und nicke ihm dankbar zu.

Wir gedenken dem Surfer gemeinsam mit einer Schweigeminute. Stille. Eine Möwe kreischt irgendwo. Dann wieder Stille.

Einzig kleine, seichte Wellen, die an unsere Surfboards schwappen, sind zu hören.

Ich denke an den Sturm und daran, dass es auch mich hätte erwischen können. Denn ich war ja die Einzige, die an dem Morgen des ersten Januar in Famara auf das offene Meer rausgepaddelt ist.

Dann denke ich an den jungen Surfer, der niemals wiederkommt. Und an das kleine Mädchen, das nun keinen Papa mehr hat. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich denke an Miki.

Stillschweigend erweise ich dem unbekannten Surfer die letzte Ehre. Und danach gebe ich mir selbst ein heiliges Versprechen. Wie unbedarft und leichtsinnig ich doch in den letzten Jahren gelebt habe, ob gefährliche Brandungen oder Fallschirmsprünge – ich muss nun fast über meinen eigenen Wortwitz lachen – es war doch alles sehr übermütig.

„In High Tide and Low Tide - I´ll be by your Side“

“Ob Flut oder Ebbe, ich bleib an deiner Seite!” verspreche ich Miki meinem Söhnchen still und heimlich in meinem Herzen.

Ich werde Dich niemals alleine lassen.

Als das Stimmengemurmel wieder entfacht, schaue ich auf. Die anderen Surfer werfen die mitgebrachten Blumenkränze und Sträußchen in die Mitte unseres großen Kreises. Ich werfe ebenfalls meine selbst gepflückten Blümchen ins Meer.

Mit Ilka und Hauke paddle ich zurück zum Strand. Mit einem Blick über die Schulter sehe ich wie die blonde, junge Surferin auf dem Meer von ihren Freunden und Freundinnen umarmt wird. Menschen lachen.

Einige beginnen, die kleinen Wellen abzureiten. Die Stimmung ist eigentlich sehr schön, fast schon fröhlich. Was für eine magische Zeremonie. Lebensfroh, bunt und so liebevoll, denke ich.

Am Strand sitzt eine ältere Dame auf einem Campingstuhl. Sie ist umringt von Spaniern die alle gleichzeitig schnattern. Die Dame, eine schöne Spanierin mit schwarzen, dichten, glänzenden Haaren ist ganz in schwarz gekleidet und schaut voller Sehnsucht und Schmerz hinaus auf das Meer.

Ihre wunderschönen, braunen, großen Augen sind von Tränen geschwängert. In ihren Armen schläft eingemummelt ein süßes Baby. Auch das Baby hat dichtes schwarzes Haar. Es kringelt sich widerspenstig aus der niedlichen rosa Mütze hervor.

„Das muss die kleine Tochter von Antonio sein.“ denke ich mir still. Mein Hals schnürt sich zu, auch mir schießen Tränen in die Augen.

Ich kann nicht anders und gebe der fremden Dame einen Kuss auf die Stirn. Die Dame schaut erstaunt zu mir auf.

Als sie auch meine Tränen entdeckt, wirft sie mir einen dankbaren Blick zurück. Wir tauschen ein liebes Lächeln.

Völlig ohne Worte.

Wir sind Mütter.

Surfer Roman

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