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Kapitel 4

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Vogelgesang und warme Sonnenstrahlen weckten Layna am späten Vormittag. Schweißgebadet schlug sie die Bettdecke zur Seite. Ihre Kleidung war durchgeschwitzt. Während sie sich aufsetzte, fühlte sich ihr Kopf an, als hätte sie am Vorabend zu viel getrunken. Das Zimmer drehte sich leicht und sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an das, was am Tag zuvor passiert war. Sie war in der Bibliothek gewesen, das wusste sie genau. Auch an den Schatten, der sie verfolgt hatte und das zerbrochene Fenster konnte sie sich erinnern. Doch wie war sie nach Hause gekommen?

Layna zog die Klamotten aus, die an ihr klebten, wickelte sich ein Handtuch um und ging ins Bad, wo sie die Dusche auf die kälteste Stufe stellte. Die eisigen Wassertropfen verschafften ihr die ersehnte Erfrischung. Langsam kühlte sich ihr Körper ab und auch ihr Kopf wurde klarer. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Duschgel. Während sie sich einschäumte, bemerkte sie, dass sie Viccis erwischt hatte. Der Duft nach Vanille stieg auf, was Layna nicht mochte, doch an diesem Morgen war ihr das egal. Sollte sie eben wie Vicci riechen. Es gab Schlimmeres. Sie hätte auch Tonys Duschgel erwischen können.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, wagte sie einen Blick in den Spiegel. Ihre rot-blonden Locken hingen schlaff über die Schultern, als hätte man ihnen das Leben ausgesaugt. Müde grüne Augen blickten sie aus dem Spiegel heraus an. Layna beschloss, dass sie sich einen Tag Ruhe gönnen wollte. Die letzten Tage kamen ihr stressiger vor, als die Monate davor. Sie nahm sich vor, an den Pier zu gehen. Die gut gelaunten Gesichter dort würden sie bestimmt aufbauen.

Nachdem sie ein trockenes Shirt und eine kurze Jeans angezogen hatte, griff sie nach den Schuhen, als plötzlich in ihren Gedanken Mike auftauchte. Natürlich, Mike war da gewesen. Er hatte sie nach Hause gebracht. Wie konnte sie das nur vergessen?

Als sie ins Wohnzimmer ging, bemerkte Layna, dass außer ihr niemand in der WG war. Tony hatte sie trotz einer Vorlesung schlafen lassen. Das sah ihm gar nicht ähnlich, so bedacht wie er darauf war, dass sie im Moment keine Vorlesung verpasste oder zu spät kam. Anscheinend war es ihr wirklich schlecht gegangen, dass er sie nicht geweckt hatte.

Sie füllte eine Schüssel mit Müsli und löffelte es draußen auf dem Balkon. Ein leichter, warmer Wind wehte. Genau das richtige Wetter, um sich den Tag am Pier zu vertreiben. Während sie auf ihrem Frühstück herumkaute, wärmte die Sonne ihr Gesicht. Das bedeutete ein paar Sommersprossen mehr, die Layna auf den Tod nicht mochte. Ein Los, mit dem rothaarige Menschen wohl zu kämpfen hatten.

Nach dem Essen schnappte sie sich die Kamera, steckte sie in den Rucksack und lief die Treppe hinunter, anstatt den Fahrstuhl zu nehmen. Sie fühlte sich mittlerweile richtig gut, irgendwie leicht, als ob es die letzten Tage nicht gegeben hätte. Sie machte sich weder Gedanken um die Uni, noch um Mike oder den Verfolger. Sie freute sich einfach auf einen unbeschwerten Tag.

Am Pier angekommen, kettete sie ihr Rad an einen Baum fest. Es waren viele Einheimische und Touristen unterwegs und überfüllten beinahe die Strandpromenade sowie den Pier. Aber das war Layna egal, denn je mehr Leute dort waren, desto mehr Motive gab es für sie. Vielleicht schaute sie auch noch im Beach Park vorbei, einem winzigen Vergnügungspark am Ende der Promenade, und machte ein paar Fotos aus dem Riesenrad heraus.

Für den Anfang setzte sie sich auf eine kleine Bank mitten auf dem Pier, der an dieser Stelle breiter gebaut war. Dort kamen erfahrungsgemäß viele Menschen entlang und blieben stehen, um sich das Meer und den Strand anzusehen. Sie saß noch nicht lange, da schoss sie auch schon das erste Porträt. Ein alter Mann erklärte seiner Enkeltochter, dass dort unter dem Ozean eine Stadt verborgen lag. Das Mädchen stand auf einer Sprosse des Geländers, während ihr Großvater sie festhielt. Sie lauschte gespannt seinen Worten und schaute ihn neugierig an.

Als Nächstes erregte ein kleiner Junge Laynas Aufmerksamkeit. Er versuchte mit einer selbstgebauten Angel, Fische zu fangen. Als Köder wickelte er Süßigkeiten an die Schnur. Um ihn besser fotografieren zu können, stand Layna auf und platzierte sich neben das Geländer am Rand des Piers. Sie legte gerade den Fokus auf den Jungen, als sich jemand vor sie stellte. Verärgert schaute sie über die Kamera hinweg, um zu sehen, wer ihr den Weg versperrte.

Sie zuckte zusammen und zog scharf die Luft ein. Vor Schreck glitt ihr die Kamera aus den Händen. Layna versuchte, nach ihr zu greifen, verfehlte sie aber. Kurz bevor sie auf den Boden aufschlug, fing der Mann sie auf, der sich zwischen sie und den Jungen gestellt hatte.

»Die solltest du besser nicht fallen lassen«, sagte der Fremde mit den Eisaugen aus der Bibliothek lächelnd und reichte Layna die Kamera.

Unfähig sich zu rühren, die Kamera zu nehmen oder irgendetwas zu sagen, starrte sie in die silbernen Augen. Trotz seines Lächelns wirkten sie immer noch eiskalt. Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich sagte, dass er ihr auf dem Pier unmöglich etwas antun konnte. Dennoch raste ihr Herz wie wild in der Brust.

»Du warst doch gestern in der Bibliothek.« Seine Stimme klang ruhig und freundlich. Beinahe besänftigend.

Layna nickte. Zu einer anderen Bewegung war sie immer noch nicht imstande.

Der Fremde drehte die Kamera um und schaute auf das kleine Display auf der Rückseite. »Lass mal sehen, was du so fotografierst.«

Ruckartig zerrte Layna die Kamera aus seinen Händen. Er durfte auf keinen Fall wissen, dass sie ihn fotografiert hatte. Abgesehen davon, dass es ihr peinlich wäre, könnte es womöglich auch gefährlich für sie sein. Sie wusste ja nicht, wie dieser Kerl tickte. Wenn er wirklich ihr Verfolger war, musste sie sich in Acht nehmen, was sie tat. Auch wenn sie tagsüber am Pier sicher war. Irgendwann würde sie wieder alleine unterwegs sein und wäre eine leichte Beute.

»Das sind nur … Leute«, stotterte sie.

Er grinste sie breit an und lehnte sich mit den Unterarmen auf das Geländer. Unter seinem weißen Shirt zeichneten sich die Muskeln an Armen und Bauch ab. Trotz der Wärme trug er eine lange schwarze Hose mit Taschen an den Seiten. Layna fragte sich, ob er ein Messer oder eine Waffe darin versteckt haben könnte.

»Ich weiß, dass du mich fotografiert hast«, sagte er ruhig und strich sich wieder einmal die Haare aus dem Gesicht.

Layna wollte auf der Stelle im Erdboden versinken. Normalerweise hätte sie sich mit einem klugen Spruch gerechtfertigt, ihn angeschnauzt oder sich sonst irgendwie verteidigt, aber jetzt starrte sie nur peinlich berührt auf den Boden, während sich ihr Herz vor Aufregung beinahe überschlug. Er konnte ihr am Pier nichts tun, sagte sie sich immer wieder in Gedanken.

»Du weißt doch bestimmt, dass du um Erlaubnis fragen musst, wenn du jemanden fotografierst.« Er blieb weiterhin ganz gelassen.

»Nicht, wenn derjenige sich auf einem öffentlichen Platz befindet.« Sehr gut, lobte Layna sich. Nicht unterkriegen lassen.

»Dennoch würde ich die Bilder von mir gerne sehen.«

Ihr Magen zog sich zusammen. Es war schon schlimm genug, dass er von den Fotos wusste. Wenn er auch noch sah, was für Bilder sie geschossen hatte, wie nah sie seine Augen und Lippen fotografiert hatte, dann könnte sie gleich vom Pier springen. Also suchte sie das harmloseste Foto von ihm raus und hielt die Kamera vor seine Nase. Er nahm sie jedoch entschieden, aber vorsichtig entgegen und schaute genauer auf das Display.

Layna wurde nervös. Er scrollte lange durch die Fotos, sagte kein einziges Wort. Je länger er die Fotos betrachtete, desto mehr befürchtete sie, dass sie ihre Kamera nicht zurückbekam und besser die Flucht ergreifen sollte. Aus seinem Gesichtsausdruck wurde sie jedenfalls nicht schlau. Kniff er die Augen zusammen, weil die Sonne blendete oder weil er wütend war? Sie wurde immer unruhiger, schlich Zentimeter für Zentimeter weiter von ihm weg. Bereit, loszurennen.

»Du hast wirklich Talent«, sagte er schließlich.

Layna stand überrascht mit offenem Mund vor ihm. Damit hatte sie am wenigsten gerechnet.

Er reichte ihr die Kamera, hielt sie aber fest, als sie danach griff. Er fesselte sie mit seinem Blick. »Normalerweise bedanken sich die Leute, wenn ich ihnen ein Kompliment mache.«

Layna ruckte an der Kamera und riss sie ihm aus der Hand. »Normalerweise stellen sich die Leute vor, wenn sie mit mir sprechen.«

Der Fremde lächelte. »Thas.«

»Thas? Was ist das denn für ein Name?«

»Ein sehr alter.«

Layna nahm all ihren Mut zusammen und reichte ihm die Hand. »Layna. Keine Ahnung, wie alt der ist.«

Thas lachte und schüttelte ihre Hand. »Freut mich, Layna.«

Für einen Augenblick verlor der Fremde das Düstere, das ihn umgeben hatte. Seine dunkle Aura, durch die er unheimlich gewirkt hatte, verschwand und vor ihr stand ein normaler junger Mann, der ihr gegenüber freundlich war. Und dazu noch ziemlich gut aussah. Sein Lächeln war frech und fordernd zugleich, als hecke er einen Streich aus, bei dem er sie dabei haben wollte. Dennoch blieb dieses Gefühl, das sie nicht zuordnen konnte. Ein Kribbeln, das sie zur Vorsicht gebot.

»Ich wollte mir gerade ein Softeis im Beach Park holen. Wenn du willst, lade ich dich ein«, schlug Thas vor.

Layna musste lachen. Sie kam sich wie ein Vollidiot vor, dass sie ihn verdächtigt hatte, ihr Verfolger zu sein. Vielleicht hatte er in der Bibliothek einfach schlechte Laune gehabt. Oder sie hatte sich diesen eisigen Blick nur eingebildet. Immerhin hatte er ihr die Fotos von sich überlassen. Er hätte sie auch einfordern können. Warum sollte sie ihm also keine Chance geben?

»Einverstanden«, antwortete sie und ging mit ihm den Pier entlang. Sie war neugierig auf ihn geworden und wollte wissen, wer hinter dieser geheimnisvollen Fassade steckte.

»Was studierst du?«

Thas schüttelte den Kopf. »Ich studiere nicht.«

»Aber in die Unibibliothek kommen nur Studenten rein.«

»Oder Personen, die gut mit dem Wachmann können«, zwinkerte er ihr zu.

Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Layna aus. Hatte sie sich doch getäuscht? Wenn er den Wachmann kannte, dann war es auch kein Problem für ihn, sich dort mit ihr einschließen zu lassen. Es bestand also weiterhin die Möglichkeit, dass er ihr Verfolger war, was sie wieder nervös machte.

Sie gingen die Strandpromenade entlang, an der sich Restaurants, Bars und Souvenirgeschäfte aneinanderreihten. Da es bereits Mittagszeit war, waren die Lokale gut gefüllt. Der Duft von geräuchertem Fisch, Pommes frites und gebratenem Fleisch erfüllte abwechselnd die Luft. An der Promenade fand man die besten Restaurants weit und breit. Das nächste genießbare Essen gab es erst wieder in der Innenstadt.

Am Beach Park angekommen, mischte sich das Aroma von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln unter den Duft des Mittagessens. Layna war schon lange nicht mehr dort gewesen. Sie schlenderten an automatischen Wurfbuden, Hotdogautomaten und kleineren Fahrgeschäften entlang. Sie erinnerte sich an Fotos von Jahrmärkten, wie sie vor vielen Jahrzehnten gewesen waren. Bunte Stände, in denen Schausteller ihre Waren oder Spiele verkauften. Heutzutage gab es keine Schausteller mehr. Man warf eine Münze in einen Automaten, bekam seinen Hotdog oder durfte eine Runde spielen.

Bereits mehrmals waren sie an Maschinen für Softeis vorbeigekommen, doch Thas machte keine Anstalten, dort ein Eis zu holen. Layna fragte sich, ob es nur ein Vorwand gewesen war und er sie gleich hinter eine der Buden zerren würde, um sie zu erwürgen. In der Nähe des nächsten Automaten hielt sie an.

»Was ist?«, fragte Thas. Sie zeigte auf den Eisautomaten, aber er schüttelte den Kopf. »Nicht daraus. Ich zeige dir, wo du das beste Softeis der Welt bekommst.«

»Wahrscheinlich in einer dunklen Ecke, wo sie niemand schreien hört«, dachte Layna. Sie ging keinen Schritt weiter. Sie konnte die Situation einfach nicht einschätzen. War sie in Gefahr oder nicht? Lud ein Mörder sein Opfer auf ein Eis ein, bevor er es umbrachte?

Thas bemerkte ihr Zögern. »Vertrau mir. Es ist nicht mehr weit.«

Layna seufzte und verdrehte die Augen. Die Neugierde war doch stärker als ihre Angst und so ging sie mit ihm. Nach ein paar Metern bog er durch einen Durchgang in eine schmale Seitengasse ab. Dort gab es Stände, die nicht automatisiert waren. In jeder kleinen Bude saß jemand, der sich langweilte. Kaum jemand verlor sich in diese Seitenstraße. Die meisten blieben auf dem Hauptweg bei den modernen Automaten und Fahrgeschäften. Auch Layna war dieser Weg vorher noch nie aufgefallen.

Vor der letzten Bude hielt Thas an. Es war eine rosa gestrichene Holzhütte mit aufgemalten Comicfiguren, in der Zuckerwatte und Eis verkauft wurden. Ein dicker, glatzköpfiger Mann saß auf einem kleinen Stuhl und schnarchte vor sich hin.

Thas räusperte sich, um höflich auf sich aufmerksam zu machen, doch der Verkäufer reagierte nicht.

»Butch!«, rief er schließlich, woraufhin der Mann vor Schreck beinahe vom Stuhl kippte.

Als dieser sah, wer vor seiner Hütte stand, sprang er sofort auf und richtete sein weißes Hemd sowie die blau gestreifte Schürze.

»Thas! Dich habe ich heute nicht erwartet«, sagte er fast schon ängstlich, als hätte sein Chef ihn beim Schlafen erwischt. »Was kann ich für dich tun?«

Layna vermutete, dass Thas öfter bei Butch vorbeischaute, wenn sie sich mit Vornamen ansprachen. Dennoch wirkte der dicke Mann sehr nervös. Wahrscheinlich bekam er in der hintersten Ecke des Parks eher selten Besuch.

»Ich hätte gerne zwei Portionen Softeis«, antwortete Thas freundlich.

Butch blickte fragend zwischen ihm und Layna hin und her. »Nur Eis? Mehr willst du nicht von mir?«

»Nur Eis, Butch. Eins für meine Freundin und eins für mich. Wenn es dir nichts ausmacht.«

»Natürlich nicht.« Sichtlich nervös öffnete er seine Kühltheke. Nebel stieg auf, als der den Deckel hochhob, und die kalte Luft zu Boden sickerte. Mit einer kleinen Kelle löffelte er das cremige Eis in zwei essbare Schalen, steckte noch je eine Waffel und einen Löffel hinein und stellte das Eis auf den Tresen.

Thas nahm die Becher, bedankte sich und reichte Layna einen. Es duftete herrlich nach Vanille und sah einfach köstlich aus. Ohne zu bezahlen, machten sie sich auf den Weg.

»Thas!«, rief der Verkäufer hinterher. »Ich hoffe … ich wollte nur sagen, dass …«

»Nicht heute, Butch!«, schnitt er ihm das Wort ab. »Heute habe ich andere Dinge im Kopf.«

Butch nickte tief. Es wirkte beinahe wie eine Verbeugung.

»Ein komischer Kerl«, flüsterte Layna.

»Er ist in Ordnung.«

Thas begann sein Eis zu löffeln. Sie beobachtete das mit einem Hauch Faszination. Er genoss es sichtlich. So etwas Simples wie ein Eis begeisterte ihn also.

»Kommst du oft hier her? Ich meine – du hast gar nicht bezahlt«.

»Ich kenne Butch schon eine Ewigkeit. Er tut mir einen Gefallen, ich tue ihm einen Gefallen. So läuft das bei uns.«

Layna schob sich den ersten Löffel Eis in den Mund. Es war das beste Eis, das sie je probieren durfte – so cremig und fluffig. Es war viel weicher als ein Eis aus den Automaten und schmeckte nicht nach künstlichen Vanillearomen, sondern nach richtiger Vanille aus Schoten. So etwas kannte sie nur aus dem Fernsehen, wenn reiche Sterneköche hochkomplizierte Gerichte zubereiteten. Schweigend löffelte sie den Becher aus, bevor sie auch diesen knabberte.

Thas schaute ihr dabei selbstzufrieden zu. »Habe ich also nicht zu viel versprochen?«

»Ich werde nie wieder ein anderes Eis essen können«, lachte Layna.

Mit dem letzten Bissen waren auch die Zweifel an Thas verschwunden. Jemand, der sich so für eine Kleinigkeit wie ein Eis begeisterte, konnte unmöglich etwas Grausames wie einen Mord begehen. Es sei denn, er war geisteskrank und Thas wirkte nicht, als hätte er den Verstand verloren.

Eine Zeit lang spazierten sie im Beach Park umher und unterhielten sich darüber, wie Layna zur Fotografie gekommen war. Thas war der Meinung, sie solle ihre Fotos auf einer Ausstellung verkaufen, damit jeder die Werke bewundern konnte. Doch sie traute sich nicht, mit ihren Bildern an die Öffentlichkeit zu gehen, was für ihn wiederum Verschwendung ihres Talentes war. Auf der Strandpromenade packte Layna die Kamera wieder aus, um wenigstens im Vorbeigehen ein paar Fotos zu schießen. Das gute Licht wollte sie ausnutzen, deshalb war sie ja dorthin gegangen.

Thas stützte sich auf eine Mauer, an der sich die Brandung brach. Er lehnte sich leicht nach vorne und beobachtete die Wellen, die gegen die Felsen preschten. Das Blau des Meeres spiegelte sich in seinen Augen, während sein Blick im Ozean versank. Layna drückte auf den Auslöser, um diesen Moment festzuhalten.

»Hast du nicht schon genug Fotos von mir gemacht?«, fragte Thas mit einem Lächeln, ohne sich vom Wasser abzuwenden.

Layna spürte, dass ihre Wangen rot anliefen, und senkte die Kamera. Sie wollte ihn auf keinen Fall provozieren, indem sie ihn wieder fotografierte. Doch da war etwas, das sie faszinierend an ihm fand. Vielleicht war es der beeindruckende Kontrast zwischen den dunklen Haaren und seinen fast weißen Augen oder die sinnlichen Lippen, eingerahmt von winzigen Bartstoppeln. Nein, sie durfte nicht anfangen, von ihm zu schwärmen. Mit Mike war es schon kompliziert genug, da musste sie es nicht noch komplizierter machen und an einen weiteren Mann denken.

Sie lehnte sich ebenfalls ein Stück über die Mauer und schaute hinunter zum Meer. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dort eine ganze Stadt liegen soll.« Sie wartete auf eine Antwort, doch Thas schwieg. »Wenn damals alle mit der Umwelt achtsamer umgegangen wären, hätte es keine Überschwemmung gegeben und Los Angeles würde noch stehen.«

Thas schaute zu ihr herüber und runzelte die Stirn. »Du glaubst, dass es deshalb die Flutwelle gab? Weil die Menschen nicht umweltbewusst gelebt haben?«

»Es ist die logische Konsequenz. Sie haben sich egoistisch verhalten, nur an sich und ihr Geld gedacht und mit der Ausbeutung der Erde ihre Ressourcen und die Natur vernichtet. Die Rechnung haben sie dann bekommen. Jeder muss für seine schlechten Taten bezahlen.«

Thas lachte. »Für seine schlechten Taten bezahlen? Und wie stellst du dir das vor? Die Guten kommen in den Himmel und die Bösen in die Hölle?«

»Ich weiß nicht, ob ich an so etwas glauben soll. Himmel, Hölle, Gott und den Kram. Wo war Gott, als die Menschen hier ertrunken sind? Warum hat er das nicht verhindert?«

Thas schnaufte leise und wirkte plötzlich ernster. »Vielleicht war es ja Gott, der die Welle geschickt hat.«

»Warum sollte er das tun?«

»Wie heißt es doch so schön? Gottes Wille ist unergründlich. Der Alte macht doch eh, was er will und biegt sich alles so hin, wie es ihm am besten passt.«

Layna hatte das Gefühl, dieses Thema verfolge sie seit Tagen und jeder, mit dem sie darüber sprach, wurde beinahe zornig. Erst Mike im Museum, als es um die Skulptur des gefallenen Engels ging, und nun Thas. Obwohl er von sich aus damit angefangen hatte. Warum also schaute er sie so erzürnt an? In seinen silbernen Augen funkelte etwas Teuflisches. Sie spürte erneut, wie sich sein eiskalter Blick durch sie hindurchbohrte. Ihr Hals schnürte sich zu, als würde er sie würgen. Sie bekam kaum noch Luft.

»Ich muss langsam los«, log sie. »Mein Rad steht hinten am Parkplatz. Hat mich gefreut und danke für das Eis.« Sie unterdrückte ein Zittern, als sie Thas die Hand zum Abschied reichte.

Das Teuflische in seinem Blick wich der Verwunderung über ihren plötzlichen Aufbruch. »Dann können wir gemeinsam gehen. Mein Bike steht auch dort.«

Layna versuchte, die Enttäuschung über die misslungene Flucht bestmöglich zu verbergen. Ein paar Minuten musste sie sich noch zusammenreißen. Während sie schweigend am Pier entlang in Richtung Parkplatz gingen, lenkte sie sich ab und überlegte, was sie mit dem angebrochenen Tag anfangen könnte. Vielleicht besuchte sie am Nachmittag Vicci im Picasso, in der Hoffnung, Mike dort zu treffen. Er würde sie bestimmt von Thas ablenken.

Auf dem Parkplatz angekommen, blieb Thas plötzlich stehen. »Das ist mein Bike.« Er zeigte auf ein mattschwarz lackiertes Fahrzeug.

Obwohl Layna schnellstmöglich von ihm weg wollte, machte sie dieses Ding neugierig. Sie vermutete, dass es ein Motorrad war, doch so eines hatte sie noch nie zuvor gesehen.

»Was genau ist das?«, fragte sie.

»Es ist das letzte seiner Art«, antwortete Thas und strich liebevoll über den matten Lack der Maschine. »Mit solchen Motorrädern wurden früher Rennen gefahren. So etwas kennt man heute gar nicht mehr. Es werden ja leider nur noch diese lahmen Elektrodinger gebaut. Aber hiermit hat man richtigen Fahrspaß.«

»Das fährt nicht elektrisch?«

Thas lachte. »Nein. Das gute Stück hat einen Verbrennungsmotor.«

»Mit Benzin?«, fragte Layna überrascht. »So etwas bekommt man doch gar nicht mehr.«

Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein diabolisches Lächeln ab. »Vitamin B. Es gibt so vieles, das offiziell nicht mehr existiert, aber immer noch zu haben ist.«

»Wie dieses Motorrad, das verboten ist?«

»Zum Beispiel.«

Layna schaute sich die Maschine genauer an. Ihre aggressive Form und der mattschwarze Lack machten sie noch bedrohlicher, als Fortbewegungsmittel ohnehin schon für sie waren. Die spitz zulaufende Front und die schmalen Scheinwerfer erinnerten sie an eine giftige Schlange, die jeden Augenblick auf sie zugeschossen kommen könnte. Auf der Seite war ein silbernes Wort lackiert: Thasiel.

Layna zeichnete mit dem Finger die ersten drei Buchstaben nach. »Ist das dein kompletter Name?«

»Das ist er.«

»Wie spricht man es aus? Thäsil?«

»Das i und das e werden getrennt voneinander gesprochen. Thäsi-el.«

Das war der ungewöhnlichste Name, den sie je gehört hatte. Aber er passte zu ihm. Schließlich war Thas mindestens genauso ungewöhnlich. Sie wusste einfach nicht, wie sie ihn einschätzen sollte. War er eine Gefahr für sie, oder war er es nicht? In der einen Sekunde wollte sie am liebsten weit weg rennen, in der nächsten wollte sie mehr über ihn wissen. In der einen Sekunde war er die Nettigkeit in Person, in der nächsten umgab ihn eine gewisse Dunkelheit, die ihr Angst machte. Vor allem dann, wenn er sie so eiskalt anschaute, dass ihr das Blut in den Adern gefror.

»Wenn du willst, nehme ich dich mal mit«, sagte Thas und zeigte auf den Sozius.

»Um Gottes Willen! Willst du mich umbringen?«, erschrocken wich Layna einen Schritt zurück. Das konnte er nicht ernst meinen.

»Angst?«, fragte er mit seinem teuflischen Grinsen, als wolle er sie herausfordern.

Sie schaute ihn scharf an. »Todesangst trifft es eher.«

»Kannst es dir ja überlegen.« Er nahm die Jacke, die über dem Lenkrad hing, und zog sie an. Das schwarze Leder schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihn, während er den Reißverschluss zuzog.

»Bevor ich es vergesse …« Thas griff in eine Seitentasche an seiner Hose. Layna zuckte zusammen. Würde er doch die Waffe ziehen und sie erschießen? Dort, auf dem Parkplatz, mitten am Tag? Wer sonst, außer einem Kriminellen, fuhr ein Motorrad, das seit Jahrzehnten verboten war? Angespannt stand sie da, unfähig wegzulaufen. Was würde es auch bringen? Dann würde er ihr eben in den Rücken schießen.

»Hast du deins auch dabei?«, fragte er und zeigte sein Smartphone, das er aus der Tasche gezogen hatte.

Layna ohrfeigte sich in Gedanken dafür, dass sie vermutet hatte, er wolle sie erschießen und holte ihres aus dem Rucksack. Sie hielten die transparenten Scheiben mit der Rückseite aneinander, um ihre Daten auszutauschen.

Thas schwang sich auf das Motorrad, nahm seinen ebenfalls mattschwarzen Helm vom Rückspiegel und setzte ihn auf.

»Ich melde mich bei dir«, sagte er, bevor er mit einem kleinen Knopfdruck an der Seite des Helmes das verdunkelte Visier schloss. Er startete den Motor, der brüllend ansprang und raste mit Vollgas vom Parkplatz. Der ohrenbetäubende Lärm der Maschine war noch zu hören, als Thas bereits aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Ein Wunder, dass die Polizei das Ding nicht schon längst konfisziert hatte.

Layna stand da und schaute ihm nach. Obwohl sie dieses Motorrad und ihn bedrohlich fand, wirkte beides zusammen anziehend auf sie. Oder lag es an der Gefahr, die sie in seiner Nähe spürte, dass sie so aufgeregt war? Sie warf einen Blick auf ihr Smartphone, auf dem seine Daten angezeigt wurden. Sie fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, mit ihm die Kontaktdaten auszutauschen. Wollte er ihr wirklich etwas antun, war es ihm nun ein Leichtes, sie zu finden.

»Mit wem treibst du dich denn hier rum?« In Mikes Stimme war der Vorwurf deutlich zu erkennen. Er kam gerade über den Parkplatz, als Layna das Motorrad nicht mehr hörte. Das graue Hemd hatte er bis zur Brust aufgeknöpft, doch der lässige Look passte nicht zu seiner Stimmung.

Verunsichert durch diesen harten Ton, ging Layna ein paar Schritte zurück. »Spionierst du mir nach?«, fragte sie bissig.

Mike näherte sich ihr vorsichtig und strich sanft über ihren Arm. Sie bekam eine Gänsehaut an den Stellen, an denen er sie berührte. Sein Blick wurde weicher und ein kleines Lächeln zeigte sich.

»Ich komme gerade von einem Termin und habe dich mit diesem Typen gesehen. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig eifersüchtig bin.«

Mit diesem Geständnis hatte Layna nicht gerechnet. Er war eifersüchtig, weil sie mit einem anderen Mann geredet hatte? Anscheinend lag ihm doch mehr an ihr und sie fühlte sich geschmeichelt.

»Das brauchst du nicht sein«, sagte sie leise.

»Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl bei dem Kerl. Allein schon, weil er dieses Gefährt besitzt. Er ist mir nicht geheuer und ich möchte nicht, dass du dich mit Kriminellen triffst und dir nachher noch etwas passiert. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich würde mich besser fühlen, wenn du dich von ihm fernhältst.«

Anscheinend hatte das komische Gefühl, das sie bei Thas hatte, sie nicht getäuscht. Sie war erleichtert, dass auch Mike in ihm etwas Bedrohliches sah. Und trotzdem: Er hatte ihr nichts getan und sie war alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Sie brauchte keinen Vormund, der ihr sagte, was sie tun und lassen sollte.

Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, nahm Mike sie in die Arme und hielt sie fest. »Versprich mir, dass du ihn nicht wiedersehen wirst. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er dir wehtut.«

»Aber was sollte er mir schon antun?«

Er sah sie flehend an. »Bitte versprich es mir.«

Bevor sie antwortete, beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie. Er presste seinen Mund mit Druck auf ihren, als müsse er sie mit diesem Kuss fesseln. In ihr entbrannte schlagartig das absolute Gefühlschaos. Der Kuss war richtig – und falsch.

Sie wünschte ihn sich, doch ein Teil von ihr stieß ihn weg. Sie wurde schwach und stark zugleich, wollte fliehen, aber auch kämpfen.

Je länger der Kuss dauerte, je zärtlicher seine Lippen wurden und sanft über ihre glitten, desto weniger wurden die Zweifel. Es war richtig. Er war der Richtige.

»Ich verspreche es«, hauchte sie, nachdem Mike sich von ihr gelöst hatte.

Er lächelte sie zufrieden an. »Komm, ich lade dich zum Essen ein. Heute wirst du mich nicht mehr los.«

Hand in Hand gingen sie in das beste Restaurant am Pier. Layna grinste glücklich vor sich hin. Endlich hatte er sie geküsst. Endlich hatte sie jemanden gefunden, der für sie da war, der sich um sie kümmerte. Sie musste nicht mehr die Starke sein. Von diesem Tag an hatte sie einen Mann an der Seite, der auf sie aufpasse. Thas war vollständig aus ihren Gedanken verschwunden. Sie hatte nur noch Augen für Mike, der sie an diesem Nachmittag auf Händen trug.

Nach einem langen Spaziergang am Meer brachte er sie schließlich nach Hause. Layna bat ihn, mit in die Wohnung zu kommen, doch er befürchtete, dass Tony davon nicht begeistert wäre. Da musste sie ihm wohl oder übel recht geben. Sie sollten Tony noch ein wenig Zeit lassen, um sich mit ihrer Beziehung anzufreunden. Schweren Herzens verabschiedete sie sich von Mike, der sie an sich zog und ihr einen kurzen Abschiedskuss gab. Etwas enttäuscht darüber, dass der Kuss so schnell vorüber war, trottete Layna zum Fahrstuhl. Als sie die Tür zur Wohnung öffnete, kam ihr Tony bereits entgegen gestürmt.

»Hast du das mit der Bibliothek gehört?«, fragte er ganz aufgeregt. »Da wurde eingebrochen, aber nichts gestohlen außer dem Kopf von Washington.«

Layna fuhr erschrocken zusammen. Richtig, die Bibliothek! Das hatte sie vollkommen verdrängt. Sie versuchte so überrascht wie möglich zu wirken. »Ähm … eingebrochen?«

»Ein Fenster wurde eingeschlagen! Die Polizei steckt noch mitten in den Ermittlungen. Aber das Seltsamste an der ganzen Sache: Die Videokameras haben nichts aufgezeichnet! Das Bild ist total verrauscht. Sagt zumindest die Polizei.«

Erleichtert seufzte Layna. An die Überwachungskameras hatte sie absolut nicht gedacht. Also war sie erstmal sicher, solange die Polizei keine weiteren Hinweise finden würde. Aber wo war Washingtons Kopf geblieben? Sie war sich sicher, dass er noch auf der Wiese gelegen hatte, als sie weggegangen war. Doch das war ihr in diesem Moment egal. Sie war bis dahin mit einem blauen Auge davon gekommen. Dafür sollte sie dankbar sein.

»Wo warst du überhaupt den ganzen Tag?«, fragte Tony und ging in die Küche. Er öffnete den Kühlschrank und holte eine Schüssel Käsemakkaroni heraus.

Layna setzte sich an den Küchentresen und schielte auf die Nudeln. Die frische Luft am Meer hatte sie hungrig gemacht und von der kleinen Portion im Restaurant war sie nicht richtig satt geworden. »Ich verrate es dir, wenn die Hälfte mir gehört.«

»Okay, schieß los«, antwortete Tony und stellte die Schüssel in die Mikrowelle.

»Ich war am Pier, Fotos machen. Dort habe ich jemanden kennengelernt. Er war nett, sah gut aus, aber dann hatte er wiederum eine Art an sich … einfach zum Fürchten. Dieser Blick … als ob dich tausende Eiszapfen durchbohren. Ach ja … und Mike hat mich geküsst.«

Tony unterbrach die Eingabe an der Mikrowelle und drehte sich zu Layna um. Skeptisch zog er seine Augenbrauen hoch. »Jetzt willst du es aber wissen, was? Fährst gleich zweigleisig.«

»Hey! So ist es doch gar nicht!« Sie hob abwehrend die Hände. »Mit Thas läuft überhaupt nichts. Ich will nur Mike.«

»Aha. Thas also. Komischer Name.«

Layna lachte. »Genau das habe ich auch gesagt.«

Während sie für Tony den Nachmittag detailgetreu wiedergab, aßen sie gemeinsam die klebrigen Käsenudeln aus einer Schüssel, wie sie es schon als Kinder getan hatten. Sie liebte diese kleinen Rituale. Sie erinnerten sie an eine Zeit, in der ihr Leben noch unbeschwert gewesen war. In der sie an nichts anderes gedacht hatte, als an den nächsten Streich, den sie und Tony spielen würden oder wie sie ihr Baumhaus einrichten sollte. An solchen Erinnerungen saugte sie sich so fest wie möglich und allein der Geruch von Käse schenkte ihr für einen kurzen Moment diese Unbeschwertheit aus ihrer Kindheit.

Mit vollem Magen ging sie in ihr Zimmer und rief die Cloud auf dem Monitor auf. Als Erstes erschienen die Bilder von Thas auf dem Campus. Sie wechselte zur Einzelansicht und blätterte langsam durch die einzelnen Abbildungen von ihm. Die Fotos der Menschen auf dem Pier wischte sie schnell zur Seite. Bei der Aufnahme von Thas an der Mauer blieb sie hängen. Sie betrachtete es lange und stellte ein Foto von ihm aus dem Park daneben. Sie hatte das Gefühl, als würde sie zwei verschiedene Persönlichkeiten betrachten: Den Thas mit den teuflischen, eiskalten Augen, bei dessen Anblick sie erschauderte, und den freundlichen, in sich ruhenden Thas, der gedankenverloren das Meer beobachtete. Dieser hatte keinen dämonischen Blick, keine unheimliche Ausstrahlung, vor der sie Angst haben müsste.

»Ist das der Kerl, mit dem nichts läuft? Dafür glotzt du den aber verdammt lange an.« Tony stand an ihrem offenen Fenster auf dem Balkon und schaute sich neugierig die Fotos an.

»Tony!«, schrie Layna, wütend darüber, dass er sie beobachtet hatte, und schmiss ihm ein Kissen an den Kopf. »Was soll der Scheiß? Geh rüber in dein Zimmer und kümmere dich um deinen eigenen Kram!«

Er hob das Kissen auf und warf es zurück auf das Bett. Drohend hob er den Finger. »Ich kenne dich, Lay. Manchmal besser als du selbst. Entscheide dich, bevor du in Teufels Küche kommst!«

»Verschwinde!«, brüllte sie.

Mit hochgezogenen Schultern ging Tony über den Balkon in sein Zimmer.

»Der spinnt doch.« Layna wandte sich wieder dem Monitor zu, von dem Thas sie anschaute. Dieser Anblick fesselte sie, ob sie wollte oder nicht. Trotz der verwirrenden Gefühle, die er in ihr hervorrief. Sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte, geschweige denn, ob sie ihn einfach nur attraktiv fand oder sich gefühlsmäßig zu ihm hingezogen fühlte. Hatte Tony vielleicht recht? War sie womöglich nicht wütend, weil er sie beobachtet hatte, sondern weil er das aussprach, an das sie nicht denken wollte? Ihr Herz gehörte doch Mike.

Layna schaltete das Display aus. Sie musste sich ablenken, damit sie sich nicht in etwas hineinsteigerte. Mit dem Tablet bewaffnet, setzte sie sich auf ihr Bett, um endlich den Aufsatz über den gefallenen Engel zu schreiben.

Tony saß in seinem Zimmer und versuchte sich auf ein Buch zu konzentrieren, doch seine Gedanken schweiften ständig zu Layna. In letzter Zeit war sie seltsam. Stimmungsschwankungen war er ja gewohnt, aber dass sie sich so schnell mit jemandem einließ, hätte er niemals erwartet. Sie kannte Mike kaum und wie viel konnte er ihr schon bedeuten, wenn sie bereits einem anderen hinterherschaute? Er hatte keinerlei Zweifel, dass dieser Thas ihr gefiel. Die Art und Weise, wie sie die Fotos von ihm anschaute, verriet sie. Aber auch ihn kannte sie gerade ein paar Stunden. Was war bloß mit seiner Freundin los, dass sie sich Hals über Kopf in ein Liebesabenteuer warf und sich gleichzeitig einen zweiten Mann angelte? Das war nicht mehr die Layna, mit der er aufgewachsen war. Er sah sich schon ihre Tränen trocknen, weil es mit keinem der beiden geklappt hatte. Sollte er noch einmal rüber gehen und mit ihr reden? Vielleicht konnte er sie dazu bringen, es etwas langsamer angehen zu lassen – mit wem war ihm letztendlich egal. Sie waren ihm beide ein Dorn im Auge und potentielle Kandidaten, Layna zu verletzen. Doch so aufgebracht, wie sie im Augenblick war, wäre ein vernünftiges Gespräch nicht möglich. Sie würde sich aufregen, bevor er das erste Wort gesprochen hätte. Also beschloss er, die Füße stillzuhalten und abzuwarten. So schnell, wie sich das alles gerade entwickelte, war es vielleicht auch wieder vorbei. Das hoffte er zumindest.

Das Licht in deinen Adern

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