Читать книгу Angst ist nur ein Gefühl - Manuel Rieger - Страница 4

Einleitung

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Das Thema Angst belgeitet mich schon mein ganzes Leben lang. Schon als Kind hatte ich große Ängste. Ich war und bin ein Gefühlsmensch und versuche vieles mit kognitiven Ansätzen auf der Verstandsebene zu lösen. Das hat nicht immer dazu beigetragen, einen konstruktiven Umgang mit Ängsten und Emotionen zu finden. Was ist Angst? Wie kann man mit Angst und anderen belastenden Emotionen umgehen? Sind wir unseren Ängsten und Emotionen ausgeliefert? Wenn nein, was können wir daran ändern und wie?

Solche Fragen stellte ich mir oft. Darum habe ich dieses Buch geschrieben. In diesem Buch werden Sie viele Antworten zum Umgang mit Ihren Ängsten erhalten. Sie werden einige Geschichten lesen, welche aus meinem täglichen Leben stammen und mit dem Umgang mit Angst zu tun haben. Sie erhalten praktische Einblicke in das Thema Angst sowie Tipps und Tricks, wie man mit Ängsten und anderen Emotionen umgehen kann. Ich bin mir sicher, auch Sie hatten Erlebnisse, die Ihnen bis heute in Erinnerung sind. Erlebnisse, die Ihnen Angst machten, die Sie mit Scham, Schuld und vielen Fragen zurückgelassen haben. Oft versuchen wir unsere eigenen Ängste zu überspielen oder Ihnen aus dem Weg zu gehen. Das klappt leider meist nur sehr kurzfristig. Irgendwann holen Sie uns ein. Sie beeinflussen unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Karriere und damit unser Glück.

Oft war es mir im Leben gelungen, mich großen Ängsten zu stellen, mutig trotz einer „gestrichen vollen Hose“ voran zu gehen und mein Ding zu machen. Häufig habe ich auch gehört: „Du bist immer so ruhig, hast du nie Angst?“, während ich innerlich zitterte und am liebsten davongelaufen wäre. Es ist eines meiner Talente, dass man mir wenig bis gar nicht anmerkt, wenn ich gewaltige Angst habe. Aber mindestens genauso oft ist es mir nicht gelungen, mich meinen Ängsten zu stellen. Es war mir nicht möglich, mein Ding durchzuziehen oder ich bin vor Personen, Situationen, Gesprächen, Konflikten geflohen. Ich nehme an, auch Ihnen ging und geht es sehr ähnlich. Sie kennen solche Situationen sicher auch. Die Frage ist nun, warum es uns manchmal gelingt, mutig zu sein und trotz Angst alle Widrigkeiten zu überwinden. Und warum ziehen wir manchmal unverrichteter Dinge, mit schlotternden Knien, von Tannen? Wie können wir es öfter schaffen, trotz Angst mutig nach vorne zu gehen?

Genau auf solche Fragen und Herausforderungen werden Sie Antworten in diesem Buch finden.

Und manchmal, ja manchmal, da passieren scheinbar auch Wunder. Dinge, die wir uns nicht erklären können. Und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass auch Sie schon solche Erlebnisse hatten. Um auf diese Situation einzugehen, muss ich ein wenig ausholen und darf Sie auf eine kleine Reise mitnehmen.

Gerade die Ereignisse, die in der folgenden Geschichte ihren Ursprung gefunden haben, werden uns in diesem Buch öfter begegnen. Daher macht es für mich Sinn, Sie auf diese spannende Reise zu entführen. Die Reise zu einem wundervollen Ereignis, in dem die Angst schlagartig verflogen war. Ein Beispiel, das Urvertrauen, wie es die berühmte Logotherapeutin Elisabeth Lukas es häufig nennt, in uns allen steckt.

Ich werde niemals den 21. Dezember 2013 vergessen. Ein ganz besonderer Tag für mich und meine Karriere. Seinen Anfang nahm das Ganze Ende Oktober mit einem Anruf. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass ich beim Zahnarzt war, um meine halbjährliche Mundhygiene zu genießen (vor dem Zahnarzt habe ich seit ein paar Jahren gar keine Angst mehr, nachdem ich über zwei Jahrzehnte allein schon beim Gedanken daran panisch wurde). Ich war also beim Zahnarzt und fühlte mich toll, als die Behandlung fertig war. Mit leichtem Schritt und gut gelaunt bewegte ich mich in die Richtung der Ordinationsassistentin, um zu bezahlen. Da warf ich einen kurzen Blick auf mein Handy.

Eine mir nicht bekannte, ausländische Nummer war darauf zu sehen. Auch die Vorwahl des Landes war mir vollkommen unbekannt. Ich hatte ein sehr eigenartiges Gefühl. Wer konnte das sein? Waren es schlechte Nachrichten? Meist denkt man ja nicht gerade an die positiven Dinge, die in so einer Situation passieren können. Aber diesmal spürte ich ein ganz aufgeregtes kribbeln, als ich die Nummer sah. Während ich bezahlte, gab ich die Nummer in eine Internetsuchmaschine ein. Das Ergebnis war, dass es sich um eine jemenitische Handynummer handelte. Wem der Anschluss gehörte, konnte ich allerdings nicht herausfinden. Meine Aufregung stieg weiter. Alte Kollegen und Freunde von mir, mit denen ich in Österreich und dem benachbarten Ausland im Personenschutz gearbeitet hatte, waren seit einem guten Jahr im Jemen.

Mein erster Gedanke galt der Unversehrtheit meiner Kollegen. „Hoffentlich war ihnen nichts passiert!“ Warum aber sollte man mich anrufen, wenn den Jungs etwas passiert wäre? Die Gedanken kreisten in meinem Kopf. Leichte Angst, Aufregung und Neugierde wechselten sich ab. Und dann kam dieses Gefühl, ein wundervolles, aufregendes Gefühl. Ich wagte es zuerst gar nicht, so weit zu denken. Es kam mir fast lächerlich vor. Trotzdem stellte ich mir dann, aufgeregt wie ein Kind vor Weihnachten, die Frage, ob sie möchten, dass ich auch in den Jemen komme.

Ich war vor knapp sechs Jahren aus der Sicherheitsbranche ausgestiegen. Ich hatte meine Matura der Handelsakademie nachgemacht und ein Bachelorstudium in Betriebswirtschaft absolviert. Aber der alte Traum, einmal Personenschutz in einem Krisengebiet zu machen, alles was man jemals gelernt und gehört hatte abzurufen und anzuwenden, war noch immer in meinem Kopf. Mein Herz schlug wie wild, als ich die Taste drückte, um die Nummer zurück zu rufen. Und tatsächlich, es war ein alter Kollege und Freund, der am anderen Ende der Leitung war. Er kam sehr schnell zur Sache. Der Jemen war im Umbruch, es wurde von Tag zu Tag gefährlicher und sie würden das Personenschutzteam um einen Teamleiter aufstocken. Mein Herz schlug wie verrückt. Tatsächlich kam die Frage: „Hättest du Lust, diesen Job zu machen?“.

Ich fühlte mich wie in einem Traum. Es war unvorstellbar. Dieser Anruf und diese Frage hätten mich beinahe laut jubelnd in die Höhe springen lassen. Beschwingt sagte ich zu und ging zu meinem Auto. Aber da kamen natürlich Zweifel auf und mir wurde bewusst, dass viel Vorbereitung auf mich warten würde, sollte ich den Job bekommen. Denn natürlich gab es mehrere Bewerber. Ich schickte meine Bewerbung an die entsprechende Stelle und musste noch einige nervenaufreibende Wochen überstehen. Meiner damaligen Freundin sagte ich von all dem nichts. Ich wollte sie nicht unnötig aufregen. Genau in der Woche, als ich in Regensburg meine letzte Studienwoche absolvierte, wollten mir meine Ex-Kollegen und lieben Freunde Bescheid geben. Es gab noch viele Dinge zu klären. Die anderen Bewerber, das genaue Setup für die Aufstockung, die Freigabe der Europäischen Union und die Zustimmung ihrer Exzellenz, der Botschafterin der Europäischen Union für den Jemen. Ich erzählte so gut wie niemandem von diesem Anruf. Eigentlich erzählte ich gar niemandem davon. Wir fuhren bester Laune am 2. Dezember 2013 nach Regensburg. Unsere ganze Studiengruppe freute sich auf diese wundervolle Woche voller Wissen, Spaß und auch Party. Regensburg im Advent, ein Traum! Die Weihnachtsmärkte, die Stadt, die Menschen, unsere Studiengruppe. Wir hatten riesigen Spaß und feierten auch nicht zu knapp. Eigentlich saßen wir die gesamte Woche recht schwer angeschlagen von unseren Partys im Unterricht.

Meine Studienkolleginnen und Studienkollegen waren die einzigen, die ich in meinen Anruf und die Jobchance einweihte. Bei so manchem Bier wurde darüber geredet, gelacht, aber auch die Sorgen über diesen Auftrag besprochen. Die Woche verging schließlich, ohne den heiß ersehnten Anruf. Die tolle Zeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen lenkte mich meist von den Gedanken an den Anruf ab. Dennoch war ich enttäuscht, ja fast ein wenig traurig. Ich dachte mir nur: „Naja, es war eine Chance!“ Wahrscheinlich hatte man sich für jemand anderen entschieden oder der Auftrag ist eben auf diese Art nicht erweitert worden. Trotz des Gefühlschaos genoss ich die Woche sehr. Die tolle Zeit mit meinen Mitstreitern verging wie im Fluge.

Am vorletzten Tag, am Freitag, den 6. Dezember, gingen wir wie üblich, immer noch ein wenig verkatert vom Vortag, zum Mittagessen in die Mensa der Fachhochschule. Über dem Eingang zur großen Mensa hing ein ebenso großer Fernseher. Auf diesem liefen die Nachrichten. Als wir spaßend diesen Weg gingen, stieß mich plötzlich der Studienkollege neben mir an, zeigte mit dem Finger auf den großen Bildschirm über dem Eingang und meinte: „Schau dir das einmal an!“. Ich blickte hin, sah Chaos, Menschen in Uniformen, Staub, Interviews und dann den Text darunter: zwei deutsche Ärzte bei Terroranschlag im Jemen getötet.

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Studentinnen und Studenten strömten links und rechts an mir vorbei, doch ich hatte nur noch den Bildschirm im Blick. Auch meine Kolleginnen und Kollegen gingen zum Essen. Ich sah mir den Bericht an. Es herrschte das absolute Chaos. Es wurde berichtet, dass es eines der furchtbarsten und brutalsten Attentate überhaupt war, welches je im Jemen stattgefunden hatte. Die Bilder zogen mich in ihren Bann. Langsam und nachdenklich schlenderte ich, in meinen Gedanken verloren, weiter in die Mensa. Insgeheim wusste ich, dass das auch etwas bezüglich meines Jobangebotes verändert hatte. Wir genossen die restlichen zwei Tage und fuhren am Samstag in der Nacht bestens gelaunt nachhause. Ich war ein wenig nachdenklich, denn es hatte keinen Anruf mehr gegeben.

Am Montag darauf ging ich zur Arbeit. Ich dachte gar nicht mehr an das Jobangebot. Es war der 9. Dezember 2013. Wir hatten viel Spaß bei der Arbeit, in dem kleinen Handyshop, in dem ich nebenbei jobbte. Ich absolvierte parallel zur Betriebswirtschaft auch ein Pädagogikstudium und war im Sozialbereich tätig. Als mein Telefon am Nachmittag läutete, waren mein Kollege und ich gerade am Herumalbern mit ein paar Kunden. Ich dachte nicht mehr an das Jobangebot im Jemen. Ich vermutete, der Anruf sei von meiner damaligen Lebensgefährtin. Lachend schaute ich auf das Handy, um den Anruf anzunehmen, doch plötzlich verzog sich mein Gesicht. Es war nicht meine Lebensgefährtin, es war die Nummer aus dem Jemen. Mein Herz pochte wie wild. Ich hatte nicht mehr mit diesem Anruf gerechnet. Zögernd hob ich ab und entfernte mich ein paar Schritte von meinem Kollegen und den Kunden.

„Tut mir leid, dass ich mich erst heute melde. Bei uns überschlägt sich alles. Du hast vielleicht vom Anschlag gehört. Hast du zuhause schon alles geklärt? Ronny fliegt morgen heim. Er könnte sich am Mittwoch mit dir treffen. Bis Donnerstag um 12 Uhr brauchen wir deine Zusage. Ich buche dir dann deine Flugtickets um 14 Uhr am Donnerstag. Den genauen Tag deiner Anreise sagen wir dir noch. Es wird noch vor Weihnachten sein“, teilte mir mein Freund mit. Das war am 9. Dezember 2013. „Ja, ok, dann treffe ich mich mit Ronny am Mittwoch“, brachte ich noch irgendwie heraus. „Gut, besprecht das Ganze. Wir wollen dich hier haben. Wir brauchen dich hier. Aber das Ganze ist keine leichte Mission. Das hier ist ernst. Also überleg es dir gut.“.

Ich legte auf. Alles drehte sich. Die Ereignisse überschlugen sich. Ich ging geistig abwesend zurück zu meinem Kollegen. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Ja“, gab ich kurz zurück. „Ich glaube, wir müssen reden. Auch mit dem Chef.“ Was in den nächsten zwei Tagen folgte waren Gespräche mit meinen Chefs, im Handy-Shop und im Sozialbereich. Niemand legte mir Steine in den Weg. Doch erst dann kamen die schwierigeren Gespräche. Ich hatte für den Studienabschluss noch zwei Wochenenden mit Anwesenheit zu absolvieren. Eines davon könnte ich absolvieren, wenn ich im Februar auf Urlaub zuhause wäre. Das Wochenende im Jänner allerdings nicht. Also begannen schwierige Telefonate mit dem Professor, den Organisatoren und der Fachhochschule. Letztendlich kam man zum Entschluss, dass meine Noten ausgezeichnet waren, meine Bachelorarbeit schon benotet wurde und man mir die Chance auf diese Erfahrung nicht nehmen wollte.

Das Gespräch mit meiner Lebensgefährtin war jedoch das Schlimmste. Seit Oktober wusste ich von der Möglichkeit. Nie hatte ich etwas gesagt. Einfach, weil die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich passieren würde, so gering war. Ich wollte sie nicht unnötig aufregen, wenn das Ganze am Ende dann nicht zustande gekommen wäre. Also schrieb ich ihr eine Nachricht, dass wir am Abend reden müssten. Sie rief mich nur wenige Minuten, nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte an und fragte, was los sei. Ich versuchte sie weiter auf den Abend zu vertrösten. Aber natürlich war sie zu erschrocken. Sie wollte unbedingt wissen, was es denn so Wichtiges zu besprechen gab und warum wir das jetzt nicht besprechen konnten. Nachdem sie nicht locker lies, erzählte ich ihr kurz vom Jobangebot aus dem Jemen. Sie wirkte fast erleichtert, scheinbar hatte sie sich etwas noch viel Schlimmeres vorgestellt. Natürlich war sie nicht begeistert, aber wir sprachen am Abend in Ruhe über die Situation. Über das Für und Wider, die Chancen und Risiken. Sie merkte in diesem Gespräch, dass es mein größter Traum war, diesen Job anzunehmen. Genau das, was ich mein ganzes Leben machen wollte. Und dass ich festentschlossen war, in den Jemen zu fliegen. So willigte auch sie ein.

Als ich mich am Mittwoch mit meinem alten Kumpel Ronny traf, war er angespannt. Er versuchte ruhig und lässig zu wirken, wie immer, aber er war jetzt vier Monate durchgehend weg gewesen und wirkte müde. Er erzählte mir von der Mission. Von unseren Aufgaben und der Botschafterin. Er teilte mir mit, dass vier neue Teammitglieder kommen würden, davon drei neue Personenschutzteamleiter, weil sich der ganze Auftrag erweitert hätte und die Gefahr massiv gestiegen wäre. Ich sollte einer der drei Personenschutzteamleiter sein. Ich wäre der Älteste der drei neuen Personenschützer. Und ich wäre jener mit der ruhigsten Art, wenn es stressig wird. Genau so jemand, den sie jetzt dringend brauchen würden.

Meine große Stärke war es schon immer, in hitzigen Situationen einen ruhigen Kopf zu behalten und eine große Ruhe auszustrahlen. Im Dienst war ich, egal wie hart, gefährlich oder stressig es zuging, immer ruhig, gelassen und sachlich. Natürlich hatte ich auch Angst, aber dienstlich gab es einfach eine Aufgabe, die zu erfüllen war. Ob ich Angst hatte oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Und man merkte mir diese Angst kaum an. Ich war immer scheinbar ruhig und hatte die Kontrolle. Meine zweite große Stärke war es, sehr sympathisch auf die meisten Menschen zu wirken. Ich hatte und habe einfach die Gabe, mich mit Akademikern, Professoren, hohen Personen aus Wirtschaft und Politik genauso unterhalten und auf eine Ebene finden zu können wie mit einem Obdachlosen oder Hooligan. Und genau das brauchte das Team jetzt. Jemanden, der auch in Stresssituationen ruhig bleibt, Ruhe ausstrahlt, gute Entscheidungen trifft. Und außerdem mit der Chefin, also der Botschafterin höchstpersönlich, gut auskommen würde.

Ronny schilderte mir aber nicht nur die Schattenseiten. Er sagte mir auch, dass die Menschen im Jemen sehr offen wären, freundlich. Und dass es ein tolles Land wäre. Er zeigte mir Fotos und Videos vom Team, von Einsätzen, vom Training, von Blaulichtfahrten. Dann sah er mich an. „Ich weiß es ist kurzfristig. Du hast 24 Stunden Zeit. Dann musst du zu- oder absagen. Überleg es dir gut. Aber es ist eine riesige Chance.“

Ich ging nachhause. Es war alles so aufregend. Natürlich hatte ich all die Videos vom Anschlag gesehen. Auch andere Berichte und Videos hatten mir die Jungs geschickt. Beispielsweise von einem Polizisten der GSG9, einem Freund und Kollegen, den man wenige Monate zuvor im Jemen erschossen hatte. Ja, teilweise war das Gefühl mulmig, aber ich hatte nie wirklich Angst.

Keine 24 Stunden später kam der Anruf. Ich sagte zu und fragte, was nun zu tun sei. „Du packst deine Sachen, meldest dich ab, rufst das Außenministerium an, dass du in den Jemen gehst, genießt noch die verbleibende Zeit mit deinen Hunden und deiner Freundin und schwingst deinen Arsch am 21. Dezember in den Flieger!“, lautete die Antwort.

In den nächsten Tagen bereitete ich alles vor. Mir war klar, dass ich vielleicht nicht mehr nach Hause kommen würde. Es war leider nicht ganz ausgeschlossen, dass ich mein zuhause nicht mehr wiedersehen würde. Aber diese Chance war so groß, dass ich sie nutzen musste. Ich regelte alle Formalitäten, ging noch ein paar Mal zum Schießen, frischte meine Kenntnisse im Personenschutz auf. Ich las mich in die politische Situation des Jemen und des Nahen Osten ein und studierte die Agenda der Europäischen Union im Jemen. Ich war damals 34 Jahre alt und noch nie zuvor in meinem Leben geflogen. Sogar für die Tätigkeiten im Kosovo, knapp zehn Jahre zuvor, waren wir immer mit Autos oder Bussen gefahren. Damit sollte vermieden werden, dass man anhand der Flugbuchungen schon erkannte, wann wir im Land sind.

Also war allein die Anreise schon ein riesiges Abenteuer für mich!

Die Zeit verging wie im Flug, den ich ja noch nie erleben durfte. Trotzdem hatte ich nie wirklich Angst davor. Es war alles aufregend und einfach viel zu erledigen. Vielleicht waren es die ganzen Erledigungen, die es mir gar nicht möglich machten, zu viel über das Ganze nachzudenken. Die Vorfreude war außerdem so groß, dass ich teilweise glaubte, es wäre alles nur ein Traum.

Meinen Eltern und meiner Schwester sagte ich gar nicht, wohin es ging. Ich sagte Ihnen lediglich, ich würde nach Kairo fliegen, was ja nicht gelogen war, denn von dort ging mein Anschlussflug. In Kairo würde ich mich mit der EU-Botschafterin treffen und sie begleiten.

Aufgrund der recht großen Medienpräsenz des Jemens zu dieser Zeit, wollte ich sie nicht beunruhigen. Und ich wusste genau was passieren würde, wenn sie das Ziel kannten. Sie würden sofort eine Suchmaschine im Internet anwerfen und viele unschöne Berichte finden. Nach dem Tod meines Bruders vor einigen Jahren wäre die Angst, noch einen Sohn zu verlieren, sicher sehr groß gewesen. Ich wollte ihnen diese Ängste ersparen. Sie sollten sich mit mir freuen und nicht schlaflos vor Angst zurückbleiben. Sie waren auch so schon beunruhigt genug.

Und so stand ich plötzlich am 21. Dezember 2013 am Flughafen Wien. Eine Umarmung zum Abschluss, ein Foto, wie ich zur Sicherheitskontrolle ging und ich war auf mich alleine gestellt. Normal, so sagten mir die Jungs, würde man immer zu zweit fliegen. Aber ich müsse schon vor den anderen im Jemen sein. Sie wollten, dass ich einige Tage Vorsprung hatte, um mich einzuleben und gleich meine Aufgaben zu übernehmen, damit ich dann die neuen Kollegen unterweisen konnte.

Ich trank noch einen gemütlichen Kaffee und stieg dann in das Flugzeug. Es war aufregend. Mein Herz schlug schneller, aber ich hatte noch immer keine Angst. Aufregung, ein wenig Anspannung, viel Neugier, aber keine Angst. Mein erster Flug und dann gleich in so ein Abenteuer! Das Flugzeug setzte sich in Bewegung. Ich war so nervös. Was hatten meine Freunde gesagt? Am besten einen Kaugummi nehmen beim Start. Kauen und den Mund offen lassen, wegen dem Druckausgleich. Ich nahm den Kaugummi. Das Flugzeug hielt an. Wir waren in der Warteposition für den Start. Und da passierte es.

Wie aus dem Nichts, überkam mich die totale Panik. Ich begann zu schwitzen und bekam in dieser Röhre von Flugzeug unglaubliche Platzangst. Mein Puls schoss in undenkbare Höhen.

Was mache ich hier? Bin ich verrückt? Ich werde schon im Flugzeug sterben! Das ist doch nicht normal! Wie soll dieses Stück Metall fliegen, wenn die Flügel schon beim Fahren so wackeln? ICH MUSS HIER RAUS! Aber wie? Gibt es hier eine Notbremse, wie im Zug? Ich riss an meinem Sicherheitsgurt und wollte nur noch raus. Die Platzangst wurde unerträglich. Mir war so heiß und ich schwitzte ohne Ende.

Und erst diese dämliche Idee mit dem Personenschutz im Jemen! Ja, ich war natürlich auch die letzten Jahre oft schießen, ich machte bei taktischen Trainings einfach zum Spaß mit und ja, ab und zu machte ich ein paar Aufträge nebenbei. Aber ich bin doch raus aus dem Ganzen! Ich werde dort keine drei Tage überleben! Wie peinlich wird das werden! Alle werden über mich lachen oder mich bemitleiden. „Ja, das war echt dumm von ihm. Da war er lange nicht in dem Bereich tätig und dann macht er sowas. Jetzt hätte er sein Studium fertig endlich, die Welt würde ihm offenstehen und dann macht er sowas.“

Ich konnte all diese Stimmen in mir hören. Das Flugzeug rollte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich hier noch rauskam. Konnte man einen Flieger einfach anhalten, damit ich aussteigen kann? Wie würde es sich anfühlen, wenn die Kugeln meinen Körper durchschlagen, sollte ich den Flug überleben und erst im Jemen getötet werden?

Ich verfiel in eine unglaublich tiefe Panik. Eine Panik, wie ich sie trotz all meiner Ängste, die ich schon oft hatte im Leben, so noch nie erlebt hatte. Der Pilot drückt derweilen aufs Gas und mir wurde bewusst, dass es jetzt kein Entkommen mehr gab. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

In diesem Moment geschah etwas, das ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde:

plötzlich, in all meiner vollkommenen Verzweiflung hatte ich das Gefühl, dass mich etwas an meiner linken Schulter berührte, die Schulter, die dem Gang des Flugzeuges zugewandt war. Ich sah mich sogar zur Seite und nach hinten um, ob da jemand war, aber es war niemand zu sehen. Dann hatte ich plötzlich ein vollkommenes Gefühl der Ruhe. Die Panik war weg, von einer Sekunde auf die andere. Ich hatte nur noch das Gefühl, dass alles gut gehen würde. Einfach alles an meinem Abenteuer würde gut gehen. Das Flugzeug hob in dem Moment vom Boden ab und ich konnte meinen ersten Flug unglaublich genießen. In diesem Moment verliebte ich mich ins Fliegen. Sekunden zuvor hatte ich noch die Panik meines Lebens, jetzt war ich ruhig und entspannt. Fliegen sollte die nächsten Jahre meines Lebens sehr häufig vorkommen. Und ich genieße bis zum heutigen Tag jeden meiner dutzenden Flüge.

Viele Jahre habe ich darüber nachgedacht, was an diesem 21. Dezember 2013 in dem Flugzeug passiert war. Es war ein unglaubliches, unbeschreibliches Ereignis. Selten zuvor hatte ich etwas derartig Tiefes und emotional Berührendes erlebt. Einige Jahre dachte ich mir: „War es ein Wunder? War es mein verstorbener Bruder, der plötzlich an meiner Seite war und mir das Gefühl gab, dass etwas oder jemand auf mich achtet?“

Mein Leben war oft geprägt von Angst. Als Kind, im Ring als Boxer, bei Schlägereien, Zukunftsängste, Existenzängste, Angst vor Krankheiten, Angst vor Trennung, Angst vor Schmerz. So viele Ängste hatten mein bisheriges Leben geprägt. Doch Angst hatte mich auch immer ein Stückweit fasziniert. Was war es also an diesem Tag, dass mir so ein tiefes Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens schenkte?

Im Zuge meinen Ausbildungen in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement, psychologische Beratung und dem psychotherapeutischen Propädeutikum, die ich in den Jahren danach absolvierte, stellte ich mir diese Frage immer wieder. Und im Zuge meiner logotherapeutischen Ausbildung kam ich dann zu einer Antwort. Eigentlich erhielt ich durch die Logotherapie viele Antworten. Auch auf viele Fragen zu den Themen Angst, Emotionen, Mut, Liebe und Vertrauen. Aber von diesen Antworten werden Sie später noch mehr erfahren und auch praktische Tipps erhalten, wie Sie diese in Ihrem Leben anwenden können.

Und liebe Leserin, lieber Leser, wie auch immer Sie diese Situation interpretieren, was auch immer Ihr Zugang ist, ob es nun ein Schutzengel, eine verstorbene Person, etwas Göttliches oder einfach eine neuronale Entladung irgendwo im Gehirn war, ich möchte Ihnen Ihre Meinung nicht nehmen.

Aber ich glaube all, dass man all das auch zusammenfassen kann. Wir Menschen verstehen mit Sicherheit nicht alles, was auf unserer Welt oder in unserem Universum geschieht. Ich kann also nicht ausschließen, ob es nicht tatsächlich mein Bruder war (ein Gedanke, der mir natürlich sehr gefällt). Vielleicht war es auch tatsächlich etwas Göttliches. Auch das kann ich nicht ausschließen. Aber für jemanden wie mich, der sich auch immer versucht an der Wissenschaft zu orientiert, gab es noch eine ganz andere und plausible Erklärung. Es war etwas, dass wir Menschen seit der Geburt in uns tragen. Etwas, dass der Großteil von uns Menschen aber verliert. Und genau das gilt es aber zurück zu gewinnen.

Unser Urvertrauen!

Der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, Viktor Frankl, sprach schon davon. Besonders häufig erwähnte es seine berühmteste Schülerin, Elisabeth Lukas. Sie hat dem Thema ganze Bücher gewidmet.

Und ein stückweit ist Urvertrauen auch Ziel dieses Buches. Weil Urvertrauen uns alle Ängste nehmen kann. Naja, vielleicht nicht ganz nehmen. Aber Urvertrauen kann die Ängste erträglich machen. Und Urvertrauen macht uns mutig, und lässt uns liebevoll werden.

Leider gibt es keinen direkten Weg zum Urvertrauen. Man kann also nicht hergehen und sagen: „Ab heute habe ich Urvertrauen in meinem Leben“. Wir müssen es wiederentdecken. Zurückgewinnen, wo es verschüttet wurde.

Und in diesem Buch erhalten Sie hierzu praktische Tipps, wie Sie dies schaffen können. Sie erfahren von einigen Methoden, die auch wissenschaftlich belegt sind. Genutzt wird dafür beispielsweise die Logotherapie, die systemischen Lehre, die positiven Psychologie, aber auch tiefenpsychologische Schulen. Keine Sorge, es wird keine theoretische Abhandlung dieser Themen. Anhand von Geschichten, Beispielen, Tipps und Tricks, die Sie aktiv umsetzen können, möchte ich Sie dazu anregen, Ihren Mut wiederzufinden. Und damit auch die Beschränkungen der Ängste hinter sich zu lassen.

Angst ist nur ein Gefühl

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