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Eines Tages werden wir alt sein und zurückdenken an all die Geschichten, die wir uns hätten erzählen können.

„One Day Baby“ – Asaf Avidan

Unser Sterben auf Raten

Statistisch gesehen dürfen wir vom Zeitpunkt unserer Geburt an ca. 80 Jahre am Spiel unseres Lebens teilnehmen. Eine Statistik, die natürlich trügerisch ist, weil sie uns eine irreführende Lebenserwartung vorgaukelt. Sie verleitet zur Annahme, dass wir noch viel Zeit haben, noch Ewigkeiten auf Erden verweilen dürfen. Ewigkeiten, die es nicht einmal ansatzweise schlimm erscheinen lassen, wenn wir unsere Zeit vergeuden.

Blöd nur, wenn wir entgegen unserer statistischen Lebenserwartung frühzeitig am Zebrastreifen unter die Räder kommen, der Krebs bereits an uns nagt, wir der Treppe kopfüber begegnen, unsere Pumpe aussetzt, wir den Hörnern eines Stieres im Weg stehen oder sich bei Tempo 70 ein Ski ungewollt verabschiedet.

Die vermutete, uns verbleibende Ewigkeit kann ziemlich schnell verpuffen.

Sorry, aber es ist nun mal so. Unsere Zeit ist begrenzt.

Und das Leben hält sich nicht an Statistiken. Ich halte es daher für klug, sich mit dem Tod zu beschäftigen. Er trifft uns täglich. Ganz genau: täglich.

Das Problem ist folgendes: Unser Todestag ist nur der letzte Tag unseres Lebens. Bis dahin sterben wir tausende Tode: tausende, tägliche kleine Tode. Wir sterben sozusagen auf Raten. Denn jeder Tag, an dem wir nur existieren statt unseren Alltag mit Leben zu füllen, nicht nach unseren Zielen streben und nicht jenes Leben anvisieren, das wir gerne haben möchten, ist ein verlorener Tag. Ein Tag, der nicht mehr zurückkehrt. Ein Tag, der für uns gestorben ist.

Es ist daher fatal zu denken, wir hätten Zeit. Zeit, die es uns ermöglicht, Dinge irgendwann zu erledigen, unsere Wünsche später zu erfüllen und irgendwann ein glückliches Leben zu führen. Aus irgendwann und später wird in der Regel nie.

Vielfach ist es guter Brauch, sich einen „Lagekalender“ zu basteln. Er zählt, wie viele Tage noch verbleiben, bis die Wehrpflicht, die Lehrzeit, die Berufsschule etc. endet. Genauso gut könnten wir uns einen Kalender mit unserer durchschnittlichen Lebenserwartung basteln und jeden Tag ein entsprechendes Stück davon abreißen. Das würde uns bewusst machen, wie schnell die Zeit vergeht. Und wir wüssten, egal wie wir es drehen und wenden, das abgerissene Stück kehrt nicht mehr zurück. Unsere Lebensreise hat sich für einen Tag unwiederbringlich verkürzt.

Andererseits ist auch nichts Schlechtes daran, sich zu erinnern, dass unser Leben enden wird und unsere Zeit begrenzt ist. Das hilft, die großen und kleinen Entscheidungen im Leben leichter zu treffen und die Prioritäten richtig zu setzen.

Das Leben von Steve Jobs beispielsweise war – noch bevor er an Krebs erkrankte – geprägt vom Tod. Er hat den Tod zu seinem Werkzeug gemacht. In seiner beeindruckenden Rede an der Stanford University verriet er, dass ihn ein Zitat, das er im Alter von 17 Jahren las, fürs Leben geprägt hat:

„Wenn Du jeden Tag so lebst, als wäre es Dein letzter, wird es höchstwahrscheinlich irgendwann stimmen“.

Ab diesem Zeitpunkt sah er jeden Tag in den Spiegel und stellte sich folgende Frage:

„Wenn heute der letzte Tag in meinem Leben wäre, würde ich das tun wollen, was ich mir für heute vorgenommen habe?“

Und immer, wenn seine Antwort zu viele Tage hintereinander „Nein!“ war, wusste er, dass er etwas verändern musste.

Klug. Tatsächlich ist jeder Tag den Du lebst, Dein letzter Tag. Er kommt nie wieder. Veränderungsresistenz und Aufschub sind daher unsere Todfeinde. Wer nicht bereit ist, täglich zu wachsen, neue Wagnisse einzugehen, Veränderungen und Abenteuer zu suchen, stirbt nicht nur an jedem einzelnen Tag. Er wird am Ende seiner Tage mit Wehmut auf ein wenig erfülltes Leben zurückblicken.

Am Ende unseres Lebens bereuen wir nicht unsere Taten und Handlungen, auch dann nicht, wenn wir damit gescheitert sind.

Nein. Wir bereuen das, was wir nicht versucht haben, alle Vorhaben, die wir unterlassen haben und alle unsere Versäumnisse. Der Schmerz des Bedauerns wird sich in uns ausbreiten.

Stell Dir vor, Cliff Young sitzt im Alter von 80 Jahren auf seiner Terrasse mit seinem Enkel auf dem Schoß und beginnt, eine Geschichte zu erzählen:

„Damals, als ich 61 Jahre alt war, wäre ich beinahe einen Marathon gelaufen“.

Nur ein schlichter Satz und seine Geschichte ist bereits erzählt. Eine Geschichte, die Cliffs Augen leer erscheinen und seine mit Trauer und Schmerzen des Bedauerns erfüllten Mundwinkel nach unten sacken lassen würde.

Sein Traum hätte sich niemals erfüllt.

Kein Mensch ist stolz auf etwas, das er beinahe gemacht hätte.

Marathon in Gummistiefeln?

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