Читать книгу Thailand ohne Wiederkehr - Manuela Garbini Kuhn - Страница 5
Eine aussergewöhnliche Frau
ОглавлениеNur eine selbstsichere Frau mit guten Nerven ertrug ihr Dasein an der Seite eines Lebemannes, wie Paul Meister einer war. Erst nach und nach hatte Katharina Meister mit der eigenartigen Lebensweise ihres Ehemannes umzugehen gelernt. Jahrzehntelang hatte sie ihre ganze Energie in die Familie gesteckt und erst nach vielen Kränkungen, Demüti- gungen und Verletzungen gelernt, auch sich selbst ins Blick- feld zu rücken. Diese Erfahrungen waren es auch gewesen, die sie irgendwann dazu getrieben hatten, tapfer und mutig ihr eigenes soziales Umfeld aufzubauen, und dennoch nicht das Wahre aus den Augen zu verlieren. Sie hatte nie aufge- geben und glaubte weiterhin fest an eine Liebe bis in den Tod. Sie war sich sicher, ihr Herz kein zweites Mal verschenken zu wollen.
Während der regelmässigen Abwesenheiten ihres Mannes im fernen Thailand war sie ihm trotz allem immer eine gute Stütze als Freundin geblieben. Ihre sich jährlich wiederholende Fernbeziehung pflegten Herr und Frau Meister, indem sie sich die wichtigsten Ereignisse per E-Mail schrieben. Dazu benötigten sie lediglich einen Computer oder einen Laptop und eine stabile Internetverbindung.
Die Wintermonate ohne ihren Mann zu verbringen, fiel Katharina mit der Zeit nicht mehr ganz so schwer. Längst hatte sie eingesehen, dass es nur unnötige Zeit- und Kraft- verschwendung bedeutete, weiter dagegen anzukämpfen, und irgendwann war sie zu der Einsicht gelangt: «Das Beste ist, zu akzeptieren, was eh nicht zu ändern ist!»
Mit dieser Einstellung hatte sie mit Sicherheit etwas sehr Gutes für sich selbst erreicht: Sie wusste nun, was sie wollte, aber noch viel wichtiger war, dass sie jetzt auch wusste, was sie nicht mehr wollte!!!
In all der Zeit hatte sie nie die Hoffnung und den Glauben an sich selbst verloren und gelernt, das Wesentliche in der Beziehung zu ihrem Mann niemals aus den Augen zu verlieren. Es war ihr sehr gut gelungen, sich vornehmlich darauf zu konzentrieren, was wirklich in ihrem Leben zählte, und sie war viel zu schlau, um sich länger auf Sinn- oder Zweckloses zu versteifen. Stattdessen war sie dankbar für die gewonnene Erkenntnis, die es ihr ermöglichte, inzwischen Bedeutungsloses und Unwichtiges aus der Vergangenheit loszulassen und eine gesunde Distanz dazu zu pflegen. Sie hatte Katharina letztendlich auch dazu verholfen, sich Schritt für Schritt für das Richtige und Gute einzusetzen, die Schön- heiten des Lebens neu zu entdecken und endlich auch voll auszukosten. Sie teilte alles, was sie nicht mehr länger mit ihrem Mann gemeinsam erleben konnte, nun mit anderen Menschen.
Nachdem sie selbstlos, hingebungsvoll und mit all ihrer Liebe drei Kinder grossgezogen hatte, blieb ihr nun auch genug Zeit dafür. Endlich konnte sie ihr Dasein in die eigene Hand nehmen und nach ihren Vorstellungen ausrichten. Dennoch unterhielt sie zu ihren beiden Söhnen und ihrer ältesten Tochter weiterhin eine tiefe Beziehung. Über die vielen Jahre des Zusammenlebens war eine starke Bindung zwischen ihnen entstanden und vieles, was sie zusammen durchgemacht hatten, hatte die Verbundenheit untereinander noch vertieft. Das Familienleben zu hegen und zu pflegen, lag Mutter Meister sehr am Herzen. Sie behütete ihre grossen und kleinen Schösslinge wie eine Löwin ihre Jungen. Schliesslich waren die drei Kinder ihr ganzer Stolz!
Viel zu schnell waren Tochter und Söhne erwachsen geworden. Selbständig und erfolgreich gingen sie nun jeweils ihren eigenen Lebensweg. Doch sie waren immer für ihre Mutter da, wenn sie jemanden brauchte, der ihr Halt und Sicherheit in harten Zeiten vermittelte. So gaben ihre Nächsten ihr die Zuneigung und Fürsorge zurück, die sie einst von ihr erhalten hatten. Die Sonntage waren für Katharina trotzdem hart. Sie war es von jeher gewohnt, eine Grossfamilie um sich zu scharen, und wenn ihr Mann verreist war, fühlte sie sich manchmal doch einsam. Eine grosse Leere breitete sich dann in ihr aus. Sonntags schien die Stadt wie ausgestorben zu sein, die meis- ten Restaurants waren aufgrund des Ruhetags geschlossen, sodass ein Stadtbummel in St. Gallen, wo sonst stets reges Treiben herrschte, keinen rechten Sinn machte. Ihre Freunde und Bekannten widmeten sich ihren eigenen Familien, sodass auch hier gemeinsame Unternehmungen ausfielen.
Meistens nutzte sie deshalb den Freitag oder Sonntag, wenn sie nicht selbst bei ihren Kindern zu Besuch war, um mit ihnen zu telefonieren, die kommende Woche zu besprechen und die nächsten Einladungen bei ihr zum Essen zu planen. So kam sie sich wenigstens nicht ganz nutzlos vor, hatte wieder eine Aufgabe mehr, die ihren Alltag füllte, und das schöne Gefühl, gebraucht zu werden.
Unter der Woche war sie dagegen gut beschäftigt und widmete sich intensiv ihren zwei liebsten Freizeitbeschäftigungen. Eine davon war die Fotografie, der sie mit grossem Ehrgeiz nachging. Sie hatte sich einem Fotoklub angeschlossen, in dem sie viele neue Erfahrungen sammeln konnte und einige männliche und weibliche Mitglieder das schöne und auf- wendige Hobby mit ihr teilten. Aus Katharina wurde mit der Zeit eine richtige Könnerin auf dem Gebiet der Fotografie. Sie war irgendwann so gut darin, dass sie sogar kleinere Foto-Ausstellungen organisierte, für die sie ihre besten Schnappschüsse zusammenstellte. Diese hatte sie meistens auf ihren kürzeren oder längeren Wanderungen durch die wunderschöne Natur geknipst, aus der sie eine unbändige Kraft schöpfen konnte. Rosen in allen Farben und Arten dienten ihr immer wieder als prachtvolle Motive. Besonders gelungene Bilder aus der Tierwelt wie Schmetterlinge, Vögel und Pferde rahmte sie ein und schmückte damit ihre ge- schmackvoll eingerichtete Wohnung.
Mit einigen Frauen aus dem Fotoklub, mit denen sie mittler- weile engeren Kontakt geknüpft hatte, bildete sie eine Frauen- gruppe, die sich regelmässig im privaten Kreis traf. Die Frauen bekochten sich gegenseitig mit allen kulinarischen Raffinessen und jede kümmerte sich einmal pro Monat um ein gemein- sames Essen. Kochen war Katharinas zweite grosse Leiden- schaft und somit war sie hier ganz und gar in ihrem Element. Ihre Zusammenkünfte nutzten die Frauen aber auch, um sich über ihr Leben, ihre alltäglichen Probleme, ihre Männer sowie ihre Kenntnisse und Erfahrungen in der Fotografie auszutauschen. Bei so vielseitigen Themen ging ihnen nie der Gesprächsstoff aus.
Katharina nutzte ihre Zeit aber auch, um ihre Stellung in ihrem Beruf als Buchhalterin auszubauen und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Dadurch wurde sie finanziell unabhängiger und konnte ihr Leben ganz nach ihren persönlichen Wünschen und Bedürfnissen gestalten. Das zusätzliche Einkommen ermöglichte ihr ausserdem, langersehnte Urlaubsreisen zu unternehmen. Früher hatte sie ihren Mann ab und zu nach Asien begleitet, doch seit Katharina weite Distanzen in ferne Länder zu anstrengend geworden waren, hatten sich auch ihre Reisegewohnheiten verändert. Zusammen mit ihrer besten Freundin plante sie meist Kurzreisen ins nahegelegene Europa, was für sie sehr viel angenehmer und bequemer war.
Zudem wollte sie ihre Mutter, die bald ihr hundertstes Lebens- jahr erreichen würde, nicht zu lange allein lassen. Sie besuchte die betagte Frau jede Woche in Bern, wo sie inzwischen in einem Altersheim wohnte. Eine Verpflichtung und Fürsorge, die sie gerne auf sich nahm, und dabei die Gelegenheit nutzte, ihre Tochter zu besuchen, die mit ihrem Mann und ihrem Sohn ebenfalls in der schweizerischen Bundesstadt lebte und sie stets herzlich willkommen hiess.
So ging Katharina also mit einem gesunden Egoismus ungezwungen ihren Weg. Sie widmete sich dem, was für sie richtig war und ihrer Seele guttat. Dies ermutigte sie immer wieder, ihren Alltag bestens zu meistern. Sie verstand die hohe Kunst des Lebens und stellte sich tapfer ihrem Schicksal immer wieder aufs Neue. Der ständige Kampf, hartnäckig ihre eigenen Ziele zu verfolgen, hatte sich am Ende wirklich gelohnt. Ihre wertvollen Lebenserfahrungen brachten sie auf den richtigen Weg. Nichts und niemand konnte sie davon abhalten, ihre Neugier und Lebensfreude zu stillen. Und so ging sie nun zwar allein, aber frei, selbstbewusst, offen und mit ihrem leichten, selbstverständlichen Sein auf ihr Leben zu. Was für eine mächtig starke und weise Dame aus ihr geworden war!
Die Menschen f r a g en sich oft, wen oder was
möchte ich in diesem Leben ei g entlich verkö r pe r n?
Bis sie merken,
das Beste ist, man selbst zu bleiben.