Читать книгу Die Muse von Florenz - Manuela Terzi - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеNur wenige Gassen weiter, unter Torbögen und engen Vorbauten hindurch, bog Juliana auf die große Piazza della Signoria ab. Erbarmungslos flutete grelles, heißes Licht den Platz und zwang sie innezuhalten, um zu Atem zu gelangen. Die plätschernden Brunnen in der Mitte des Platzes verhießen Abkühlung, doch Juliana fieberte der Begegnung mit Dario entgegen. Deshalb verschwendete sie keinen Blick an die anmutigen marmornen Figuren, zu deren Füßen sie oftmals rastete. Je näher sie dem anderen Ende der Piazza und damit auch Dario kam, desto unsicherer wurde sie. Sollte sie so tun, als hätte sie zufällig davon erfahren, wo er sich aufhielt? Vielleicht reagierte Dario ebenso unbeherrscht wie ihr Vater? Was erwartete sie bei dem empfindsamen Künstler zu finden? Verständnis für einen Mann, dessen Liebe über die Grenzen hinausgeschossen war? Sie durfte ihm auf keinen Fall erzählen, dass ihr Vater blindwütig auf die Büste eingeschlagen und Dario Unfähigkeit unterstellt hatte, seine Werke zu vollenden. Sie verlangsamte ihre Schritte. Hatte Vater nicht verlangt, dass Dario das Geld für die Büste zurückzahlen solle? Was ging es sie an? Immerhin hatte Vater genug Lakaien um sich geschart, die seinen Reden mit großem Eifer lauschten. Sollte einer von ihnen die Vorhut spielen, nicht sie. So stand sie vor den Toren des Palazzo della Signoria und focht einen Kampf mit sich aus.
Ein Tross von Ratsherren hetzte an ihr vorbei, in einen heftigen Disput vertieft. Ein großer Mann mit überraschend sanfter Stimme weckte Julianas Aufmerksamkeit. Nicht er, sondern vielmehr seine Kleidung. Er musste reichlich schwitzen unter diesem purpurfarbenen Mantel mit Hermelinpelz. Verzückt blickte sie auf die goldenen Kreuze, die den Mantel schmückten. Der Gonfaloniere, das höchste Mitglied der Signoria!
»Ihr könnt nicht bestimmen, wie hoch die Familien ihre Türme bauen!«, begehrte ein jüngerer Mann neben dem Gonfaloniere auf und schwenkte seinen Hut, um sich mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.
»Dieses Edikt wurde aus gutem Grund ausgeschrieben, Cornelio. Vergesst nicht, warum Ihr in den Rat gewählt wurdet und wem Ihr diese Ehre zu verdanken habt«, zischte der ältere Mann, während er herumtollenden Kindern mit den Fäusten drohte. »Genug jetzt! Verschwindet, Bälger!« An den Jüngeren gewandt sagte er: »Spart Euch diesen Ehrgeiz für die Sitzung auf oder tut, was ich Euch rate: Schweigt.«
Letzteres war offensichtlich ein unwillkommener Rat. »Und ich sage Euch, der capomaestro lässt sich von niemandem in die Knie zwingen. Nennt mich töricht, mein guter Onkel – von dieser Kuppel wird man lange sprechen.«
Dem Alten verschlug es die Sprache. Auch Juliana schluckte heftig. Kaum jemand wagte, ihrem Vater zu widersprechen, aber dieser Mann tat es beim Gonfaloniere, dem einflussreichsten Mann in Florenz. Die Unverfrorenheit des jungen Mannes erschien Juliana gleichermaßen unklug und leichtsinnig. Ein Glockenschlag erklang. Sie besann sich darauf, nicht länger an Ort und Stelle zu grübeln. Von Glockenschlag zu Glockenschlag verdunkelten sich die Gassen abseits der Piazza, dass sie meinte, die Nacht wäre da. Diese vermaledeiten Türme! Waren sie wahrhaftig nicht hoch genug? Verärgert schüttelte sie den Kopf. Jede Piazza übertrumpfte die andere an Größe. Jede Brücke musste breiter, imposanter sein. Die Unersättlichkeit, die so mancher Florentiner für sich beanspruchte, egal, ob es um die schönen Dinge des Lebens oder das Ausmaß einer Machtdemonstration ging, ermüdete sie immer mehr. Oft genug hatte ihr Vater bei Tisch erzählt, worüber sich die Patrizier stritten. Mal ging es um höhere Steuern oder die Kleiderordnung, die Streitigkeiten um die Höhe der Türme erhitzten die Gemüter jedoch am meisten. Vater fand darin auch Gutes, zumal die betroffenen Parteien seinen Rat suchten und dafür mit vielen Gulden teuer bezahlten. Oft saß er jedoch zwischen den Stühlen, durfte weder des einen oder anderen Partei ergreifen. Die einen, denen beinahe über Nacht das Sonnenlicht abgesprochen wurde, stritten gegen die anderen, die ihre Rivalen durch diese Geste herausforderten. Jeder seiner endlosen Vorträge endete mit der steten Mahnung, dieses oder jenes Gesetz zu beachten. Wenn Dina ihn sanft rügte, dass er sich beim Abendessen befand und nicht auf einer Ratsversammlung, nickte er zerstreut mit dem Kopf und bat sie mit einem Handkuss um Vergebung. Diese Zärtlichkeiten zu beobachten, hatte Juliana bislang verwirrt. Ihre Wangen brannten ob der Erinnerung an jenen Tag auf der Loggia, an Antonios Kuss. Erst die scharfen Worte vom Gonfaloniere versetzten sie schlagartig in die Wirklichkeit zurück.
»Wenn man den notario wahrhaftig aus seinem Amt enthebt, liegt es da nicht an uns, einen geeigneten Nachfolger zu ernennen?«
»Schweigt Ihr endlich? Ich kenne Ferdinando, das würde er niemals tun.« Der ältere Patrizier schlug dem ungestümen Ratsherrn neben sich auf die Schulter.
Der junge Mann nickte zerknirscht.
»Mäßigt Euren Zorn, junger Freund, es gibt heute in der Tat Wichtigeres als den Ehrgeiz unserer Familie! Falls die Verträge tatsächlich im Treu und Glauben falsch ausgestellt sind, wird sich der notario dafür verantworten müssen.«
Es bestand kein Zweifel! Die Ratsherren hatten von ihrem Vater gesprochen. Trieb er sein seltsames Verhalten so weit, dass man ihn seines Amtes entheben wollte?
Mit einem letzten Blick auf den Palazzo della Signoria floh Juliana in die schattige Gasse hinein. Nach einem wachsamen Blick, ob ihr jemand gefolgt war, näherte sie sich der Rückseite eines Hauses. Unbemerkt schlüpfte sie durch eine schmale Pforte in den Palazzo dell’Arte della Lana, in dessen Gemäuer sich die Zunft der Tuchhändler traf. Sie kannte das prächtige Gebäude von ihren Spaziergängen mit ihrem Vater, der ihr manchmal erlaubt hatte, ihn zu begleiten. Es war aufregend, dem leidenschaftlichen Feilschen der Männer zu lauschen. Ihre Sprache war lebendiger als die ihres Vaters, der notario pflegte anderen Umgang. Mit Hand und Fuß begleiteten die Händler gestenreich ihre Verhandlungen, sogar Fäuste schwangen mit.
Hinter einem wuchtigen Schrank nahe der Treppe wartete Juliana ungeduldig, bis der letzte Mann den Palazzo verlassen hatte und sie ungestört war. Dann schlich sie über einen schmalen Brückensteg, der den Palazzo mit einem von außen unscheinbar wirkenden Gemäuer nebenan verband, und hielt an der Schwelle des Orsanmichele inne. Ob sie überhaupt den Mut fand, Dario anzusprechen? Ihr Herz schlug heftig und die Sorge um das Wohlergehen ihres Vaters mischte sich in die Sehnsucht, Darios Vertrauen zu gewinnen.
Verborgen hinter verführerisch duftendem Oleander, der an den Seiten des Portals in großen Kübeln stand, blickte Juliana atemlos in die Tiefe der riesigen Halle. Dort stand in der Mitte des Gewölbes ein Mann, allein, über weißen Marmor gebeugt. Dario. Alles, was sie ihm sagen wollte, war verflogen, so gebannt starrte sie in seine Richtung. Es war nicht richtig, die unverhohlene Leidenschaft dieses Mannes zu beobachten. Heimlich, um zu sehen, was unschuldigen Augen verboten war, doch sie konnte nicht anders. Schweiß glänzte auf seinem nackten Oberkörper, der das Muskelspiel seiner starken Arme betonte. Benommen schlug sie ein Kreuz nach dem anderen und lauschte seiner schmeichelnden Stimme. In den gewaltigen Bögen hallte das Timbre. Er wirkte so ganz anders, als Assunita ihr erzählt hatte. Einen Teufel nannten ihn die, die sein Talent nicht guthießen, es ihm womöglich neideten. Einen Draufgänger, einen Jüngling, der grün hinter den Ohren war. Geizig sei Dario, unnachgiebig und rachsüchtig im Umgang mit denen, die seine ketzerischen Ideen laut zu kritisieren wagten. Juliana glaubte all das nicht. Vielmehr spürte sie stille Demut vor dem, was er schuf. Sie wusste von Assunita, dass er eifrig jeden Zoll des kostbaren Marmors verteidigte, wenn ihm der Rat eines anderen nicht willkommen war. Den Gerüchten zufolge reiste er selbst in die gefährlichen Marmorbrüche von Carrara, um nach dem richtigen Block zu suchen. Oft fürchteten die Männer um sein Leben, wenn er sich, ein Seil um die Hüften geschlungen, in die schwindelnde Tiefe gleiten ließ, erzählte man sich. Er dirigiere seine Helfer, ein Stück höher oder tiefer, bis er endlich ein besonders wertvolles Stück des kostbaren Steins entdecke. Diese Prozedur könne Stunden andauern.
Sie lächelte wehmütig und dachte an die erste Begegnung mit Dario zurück. So oft sie auch versucht hatte, ihm erneut zu begegnen, war es ihr nicht gelungen. Sein Verlangen, ungestört zu bleiben, schien jedenfalls ungewöhnlich. Meist standen die Türen weit offen und neugierige Florentiner waren ihm stets willkommen. Seit Tagen waren die Türen verschlossen, deshalb auch der Umweg über die Tuchhändlergilde.
»Dario«, seufzte sie und presste ihre Hand auf den Mund. Nicht auszudenken, wenn er sie hörte oder gar mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen hier vorfände.
»Ich kann nicht länger warten, mia.« Voller Hingabe glitt Dario mit seiner Hand über den milchig weiß glänzenden Körper vor ihm, der sich ihm unverhüllt darbot. Juliana errötete. Ohne Scheu wanderten seine Finger über die sanften Hügel kleiner, fester Brüste, erkundeten Täler und Ebenen. Er zögerte nicht, kannte den Weg der Begierde blind und schien neugierig genug, den weiblichen Körper vor ihm ohne Hast zu entdecken. Vom Bauchnabel aus beschrieb er einen großen Bogen über ihre Hüften, sprang von einer Seite zur anderen, um den sehnigen Oberschenkel hinabzugleiten. Die Statue war makellos schön. Ihr Becken wohlgeformt, die Scham kühn betont durch das leicht angezogene linke Bein, als warte sie ungeduldig auf das, worüber Dina mit ihrer Tochter erst kürzlich gesprochen hatte. Das unvollendete Gesicht erinnerte Juliana an jemanden. Sie war zu aufgeregt, um darüber nachzudenken. Ihre Wangen brannten indes wie Feuer. Im Salon ihres Vaters empfand sie Angst, gar Verwirrung. Je länger sie in Darios Nähe verweilte und ihn bei seiner Arbeit beobachtete, desto mehr schwand das unschuldige Kind in ihr. Eine süße, quälende Sehnsucht durchzog ihr Herz, und sie wünschte sich, diese vollkommene Hingabe am eigenen Leib zu erfahren. Angespannt sank sie auf die Knie. Sie zog ihren Surcot so weit hoch, dass er ihre weißen Knöchel entblößte. Was wäre, wenn sie sich Dario so zeigte? Sie lächelte beschämt und ließ den dünnen Stoff fallen. Es verlangte mehr denn nur entblößte Knöchel, diesen Künstler zu fesseln. Wäre er ebenso voller Zuneigung und Verständnis oder gestand er dies nur seinen auserwählten Geliebten zu, steinern oder nicht? Vielleicht sah er in ihr nur ein launisches Kind, das nach ungeteilter Aufmerksamkeit verlangte. Verzaubert von der stummen Zwiesprache zwischen Dario und einem unscheinbaren Stück Marmor, aus dem so unbeschreibliche Kunstwerke entstanden, wünschte sich Juliana, ihm zu dienen. An solch einem Wunder teilzuhaben, dessen sie Tag für Tag ansichtig würde. Sie war weder Stein noch Meißel, doch in diesem Moment wünschte sie sich immer sehnlicher, sein Werkzeug zu sein. Als Muse wollte sie ihn leiten, wenn er zweifelte, und ihn lobpreisen, wenn er vor der Vollendung seiner Werke stünde.
»Bald werden sie kommen und dich mir wegnehmen, meine Liebste, und ich kann nichts dagegen tun.« Mit einem Seufzer wandte sich Dario ab und zog ein ledernes Bündel heran, mit einem Band umwickelt. Mit sicheren Händen entrollte er das Päckchen, bis seltsam anmutende Instrumente im einfallenden Sonnenlicht funkelten. Zögernd schwebte seine Hand darüber, dann entschied er sich für eine schmale Klinge, einem Messer ähnlich. »Ich bin ein Narr, meine Schöne. Ein verliebter Narr. Bald bin ich ein einsamer Narr, der sein Leid in Wein ertränkt und sich am Busen irgendeines Weibs, das nicht annähernd deine Schönheit besitzt, nach dir verzehrt.« Er sah voller Begehren auf die sanft geformten Arme, die Brust und Scham. Er neigte sich tiefer und drückte der Statue einen Kuss auf die schmalen Lippen.
»Nein!«
Dario hob den Kopf. Mit einem zynischen Lächeln wandte er sich um. »Begehrt Ihr gar diesen Kuss? Seid Ihr deshalb hier?«
Mit einem erstickten Schrei sprang Juliana auf. Mit zitternden Beinen stolperte sie über die Brücke hinüber ins Treppenhaus des Palazzo dell’Arte della Lana. Zu spät bemerkte sie den Schatten, der an der Pforte auf sie fiel.
»Dachtet Ihr, ich hätte Eure Anwesenheit nicht bemerkt? Ihr irrt. Niemand ist so dreist, mich zu stören. Ihr tut es!«
Plötzlich schmeckte sie Darios Lippen, den bitteren Geschmack von billigem Wein und eine nie gekannte Süße, die ihr den Atem raubte. »Wagt es nie wieder!«, presste sie atemlos hervor und drängte an ihm vorbei.