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Kapitel 4

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Dämonen jagten Juliana durch dunkle Gänge, in denen tiefes, unheilvolles Grollen und schmerzerstickte Schreie hallten. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ein grelles Licht am Ende des Ganges versprach Rettung, doch es entschwand immer wieder ihrem Blick. Mit jedem Schritt entfernte sie sich mehr vom Weg der Tugend und verlor sich in lockender Süße verzehrender Leidenschaft. Juliana zerrte verzweifelt an ihrem Surcot, der an Nägeln in der Wand hängen geblieben war und sie daran hinderte, den rettenden Schein zu erreichen. Ein greller Lichtstrahl blendete sie.

»Herr im Himmel, ich werde nie wieder Unrecht tun!«, rief sie und fuhr hoch. Schweißgebadet saß sie am nächsten Morgen in ihrem Bett und begegnete dem besorgten Blick ihrer Mutter.

»Du hattest einen Albtraum, Liebes.« Dina fasste nach Julianas Hand und zog ihr den Surcot über die entblößten Schultern.

»Die Sonne ist so hell.« Juliana hielt inne. Die Fensterläden waren wieder offen!

»Die gute Maria wird nachlässig. Hast du im Surcot geschlafen?« Dina ließ prüfend ihren Blick über das ungewohnte Chaos in Julianas Kammer wandern. »Zieh dich ordentlich an und komm in mein Zimmer, dann sprechen wir über alles«, sagte sie.

»Hat Vater also endlich Vernunft angenommen«, flüsterte Juliana erleichtert. Hastig setzte sie sich auf und umarmte ihre Mutter. Sie dachte an die seltsame Unterredung der Männer, die sie belauscht hatte. Welche Verträge hatte Vater geändert und in wessen Auftrag? Er war bekannt dafür, dass alles auf den Gulden genau festgehalten wurde.

»Das Talglicht erlosch vor dem Schlafengehen mitten im Gebet.« Julianas Wangen glühten. Sie bemerkte die verräterischen roten Flecken auf dem Bettlaken. Und die Fußspuren zur Wand, wo sie die unverhoffte Tür zum Geheimgang entdeckt hatte. Gewiss gab es noch mehr in der Casa Serrati.

In ihrer Aufgewühltheit nach ihrem Ausflug hatte sie Darios Geschenk mit ins Bett genommen. Rasch rutschte sie über die schmutzige Stelle, um die Neugier ihrer Mutter nicht zu schüren, und ignorierte das unangenehme Drücken des Backsteins unter ihrem Gesäß. Kaum hatte ihre Mutter die Kammer verlassen, stürzte Juliana ans Fenster. Der vertraute Duft der Stadt waberte um ihre Nase. Frische Luft erfüllte die Kammer und schenkte ihr neue Hoffnung. Von Leichtigkeit erfüllt, drehte sie sich übermütig im Kreis, bis sie taumelnd auf das Bett zuwankte und hineinfiel. Sie konnte die Casa verlassen, war nicht länger Gefangene. Das Klopfen und Hämmern an der Piazza del Duomo, das in den letzten Minuten bis zu ihrem Fenster zu hören gewesen war, erfüllte sie mit Lebenslust.

*

Mit einem Lächeln betrat sie nach einer äußerst flüchtigen Morgentoilette Mutters Salon. Dort verzog sie enttäuscht den Mund. In der Mitte des Tisches stand eine geöffnete Holztruhe mit halb fertigen Stickereien.

Ihre Mutter ignorierte ihre Enttäuschung und wies auf den Stuhl zu ihrer Rechten. »Es wird Zeit, dich deinen Kunstfertigkeiten zu widmen. Dein Vater muss in einer dringenden Sache in die Signoria. Wir haben also den ganzen Tag Zeit zu reden und ich habe ein Auge auf die Fortschritte, die deiner Aussteuer zugutekommen.«

Juliana schluckte. Sollte sie ihre Mutter fragen, ob Antonio tatsächlich gewillt war, sie zu ehelichen? Was wollte er mit einer jungen Frau, die kein Interesse am Sticken zeigte und deren Herz längst vergeben war?

Von Weitem konnte man deutlich erkennen, welche Stickereien durch die geschickte Hand ihrer Mutter entstanden waren. Die kunstvoll verzierten Tücher und Deckchen machten die Casa Serrati wohnlich. Sie zeugten von der liebevollen Hand einer Frau, die es perfekt verstand, den Haushalt zu führen und ein gemütliches Heim zu gestalten. Im Gegensatz dazu die zerknüllten, halb vollendeten Tücher Julianas, die vielleicht Maria aus Sentimentalität aufbewahrte. Keinesfalls würden sie jemals einen Tisch zieren. An manchen Stellen eines vermaledeiten Tüchleins erinnerte sich Juliana sogar an die damit verbundenen Tränen. Bei Gott, sie verabscheute diese quälend langsam verrinnenden vertanen Stunden der Stickerei!

Der seltsame Traum der letzten Nacht ging ihr nicht aus dem Kopf. Schuld daran war ihr Vater. Sein Zorn trieb ihn immer tiefer ins Verderben. Er wird dafür büßen, was er mir und meiner Familie angetan hat. Dieser Satz ging ihr nicht mehr aus dem Ohr. Meinte er tatsächlich den capomaestro oder verwechselte er ihn im Zorn?

Ihre Rückkehr aus dem zufällig entdeckten Geheimgang war eine Flucht gewesen. Längst war das Talglicht in ihrer Hand erloschen, sodass sie Schritt für Schritt durch die Dunkelheit einen Weg zurück in ihre Kammer hatte finden müssen. Außer Atem und voller Angst hatte sie bis zum Morgengrauen in einer Ecke gekauert und war erst kurz vor Mutters Erscheinen mit Darios Backstein in der Hand unter die Decke geschlüpft.

Beschämt sah Juliana auf ihre Finger, während Mutter unbeirrt an ihrer Stickerei arbeitete. Nicht nur das Rot des Backsteins hatte seine Spuren hinterlassen. Staub und ein übler Geruch hingen in ihrer Nase. Der Backstein ließ sich nicht verleugnen, fürchtete sie. Er brandmarkte sie. Darum nahm sie verstohlen das größte Tuch in der Hoffnung, Mutter würde mehr auf ihre eigene Stickerei achten und nicht auf Julianas Finger. Gehorsam setzte sie sich auf den Stuhl und beobachtete die zarten Hände ihrer Mutter, die mühelos mit Nadel und Garn umgingen und Stich für Stich ein kunstvolles Muster zauberten.

»Meine Aussteuer hat keine Eile, Mutter«, sagte sie leichthin und stach mit bester Absicht die Nadel unbeholfen in den zarten Stoff. »Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben, fern dieser Stadt und überhaupt …«

Dina legte ihre Arbeit beiseite und sah ihre Tochter lächelnd an. »In meinem Herzen magst du immer mein kleiner Engel bleiben. Du bist eine junge Frau und musst deine eigenen Wege gehen.«

»Das will ich auch, doch Vater lässt mich nicht. Ich mag so gern hinaus und das Modell der cupola sehen, ohne dass Vater mich begleitet. Ich verspreche Euch, ich komme auf dem schnellsten Weg heim und sticke, bis es in ganz Florenz kein Garn mehr gibt«, beteuerte sie. »Ich schwöre bei all…« Sie brach ab, weil ihre Mutter plötzlich in Tränen ausbrach.

»Du bist wie dein Vater! Immer spielt ihr mit der Wahrheit und tut, als wäre alles in Ordnung. Die ganze Stadt hat euch verspottet?«

Juliana verstand nicht. Dann dämmerte ihr, wovon ihre Mutter sprach, und sie ließ die Stickerei jäh fallen. Was sollte sie tun? Was durfte sie sagen, ohne das seltsame Verhalten ihres Vaters zu entblößen? »Maria übertreibt. Du kennst sie ja«, erklärte sie mit gespielter Leichtigkeit. »Die Leute mussten lange warten und es hatte zu trinken gegeben.« Sie hoffte, dass ihre Mutter sich mit dieser Erklärung zufriedengab. Eilig wand sie die Stickerei in ihren Händen. »Zeigst du mir, wo ich die Fadenenden vernähen muss?« Ungewohnt wissbegierig und eifrig hielt sie ihrer Mutter das zweifelhafte Kunstwerk entgegen. In diesem Moment klopfte es an der Tür und Bernardo kündigte Besuch für die Herrin an.

Juliana, erleichtert, dem quälenden Miteinander entkommen zu sein, sprang auf. »Ich ziehe mich in meine Kammer zurück, Mutter.« Kaum hatte sie die Schwelle erreicht, blieb sie erstarrt stehen.

»Ferdinando! Ich muss mit dir reden!« Die herrische Stimme, die bis zur Galerie hinauf unüberhörbar war, gehörte ihrer zänkischen Tante Apollonia. Vaters ältere Schwester wohnte nahe dem Borgo Santi Apostoli und suchte die Familie immer dann heim, wenn diese es am wenigsten brauchen konnte.

Juliana wechselte mit ihrer Mutter einen unheilvollen Blick, dann ergaben sie sich mit vereinten Kräften ihrem Schicksal.

»Liebste Apollonia, was für eine schöne Überraschung«, begrüßte Dina ihren unerwarteten Gast mit einem so liebevollen Lächeln, dass Juliana nie eine Abneigung ihrer Mutter gegenüber der angeheirateten Schwägerin vermutet hätte.

Juliana straffte die Schultern und versuchte, es ihrer Mutter gleichzutun. »Tante Apollonia, ich freue mich über Euren Besuch.« Sie erntete nur einen abfälligen Blick.

»Ist dir die Seife ausgegangen, Dina? Wie das Kind herumläuft!« Schnaubend erreichte die füllige Witwe die Galerie und sah sich neugierig um. Das Schwarz ihrer Garderobe färbte seit Langem auf ihr Gemüt ab. Verdrossenheit und Neid beherrschten Tante Apollonias Wesen, deren Neugier sie auch heute nicht von boshaftem Spott abhielt. »Besitzt ihr keine Dienstboten mehr?« Sie zeigte vorwurfsvoll auf einen dunklen Fleck vor der Salontür.

Juliana erschrak. Sie hatte nach ihrer nächtlichen Flucht aus dem Gang vergessen, ihre Fußsohlen zu waschen.

»Gewiss, Apollonia. Sie werden dir gleich eine Erfrischung bringen nach dem weiten Weg, den du in dieser Hitze auf dich genommen hast. Warum hast du keinen Boten geschickt, um nach Ferdinando zu verlangen?«

»Vater kommt spät zurück, Tante Apollonia«, erklärte Juliana und warf ihrer Mutter einen Hilfe suchenden Blick zu.

Tante Apollonias Wangen glühten, doch Dina ließ sie zappeln.

»Wie geht es dir, liebste Apollonia? Das Wetter heute ist lähmend, findest du nicht auch?« Geschickt ließ sie ihren Fächer unter der Stickerei verschwinden, während Apollonia der Schweiß über die dicken Backen lief.

Juliana hatte verstanden. Sie öffnete kurzerhand alle Fenster im Salon, um der Hitze Einlass zu gewähren. Ihre Tante hasste die stickigen Tage des Sommers. Deshalb zog sie es vor, in Fiesole die Zeit bis Herbst zu verbringen. Lediglich der Wissensdurst über die Ereignisse der letzten Tage hatte sie von ihrer geplanten Abreise abkommen lassen.

Bevor Angelica, eine jüngere Dienerin, den kühlen Wein und feuchte Tücher servieren konnte, nahm Juliana den erfrischenden Stoff fort und stopfte ihn von ihrer Tante unbemerkt unter ihren Surcot. Angelicas Augen wurden noch größer, denn Dina bat darum, das Eingangsportal zu öffnen. So fände der Wind Einlass in die Casa. Ihre Mutter wusste, dass die träge Hitze des Tages nun durch alle Räume und den Vorhof fluten würde.

Tante Apollonia war einfältig. Und vor allem darauf bedacht, die Unvernunft ihres Bruders zu hinterfragen. »Was für ein Spektakel erzählt man sich auf den Straßen? Ferdinando soll betrunken gewesen sein? Ich schäme mich zu Tode, mich rechtfertigen zu müssen. Meine Freundinnen reden von nichts anderem mehr!«

Dina seufzte. »Ferdinando selbst ist nicht glücklich über den Verlauf dieses Tages. Es war ein heißer Tag. Sie hatten nicht darauf geachtet, genügend zu trinken.«

»Er ist notario, kein Trunkenbold. Dina, bei allem Respekt, ich befürchte, es fehlt dir an Entschlossenheit und Kraft, deine Familie zu führen.« Apollonia zeigte auf Juliana und packte sie an der Hand. »Nicht mal ein Waschweib vom Arno hat solch schmutzige Hände! Deinem Mann werfen sie Steine hinterher, und dann sperrt ihr euch ein … Seid ihr noch bei Verstand?«

Dina starrte auf Julianas Hände, dann wanderte ihr Blick hoch. »Steine? Juliana, ist das wahr?«

Julianas Augen füllten sich mit Tränen. Die schmerzliche Erinnerung zerriss ihr das Herz, der plötzlich verstehende Blick ihrer Mutter noch mehr. »Ich weiß nicht, was passiert ist! Ich kam aus der Kirche und Vater torkelte, weinte, schrie und …« Ihre Stimme erstarb. »Er stank wie ein Kind.«

»Warum erzählst du solchen Unsinn, Juliana?«

Erschrocken wirbelte sie herum. Hatte Vater schon lange hinter ihr gestanden? Zu lange, fürchtete sie.

Mit bleichem Gesicht betrat er den Salon und schüttelte fassungslos den Kopf. »Mein eigen Fleisch und Blut. Geh mir aus den Augen, sofort!«, schrie der notario außer sich und warf das Tablett nach Juliana, das Angelica aus Verwunderung hatte stehen lassen.

*

Benommen kehrte Juliana in ihre Kammer zurück und schloss mit zitternden Fingern die Fenster. Die Läden hielten nicht nur die Hitze fern. Das dämmrige Licht verhinderte, dass ihr sehnsüchtiger Blick etwas erspähte, das ihr fern wie nie schien. Noch immer hallte Vaters zornige Stimme in ihren Ohren nach. Sie hatte nicht gelogen! Warum nur war Tante Apollonia gekommen? Vaters Zorn verdankte sie allein dieser gehässigen alten Frau, deren verachtende Augen selbst bei der Predigt in der Kirche nicht milder wurden. Juliana schlug mit der Hand gegen die Wand. Hatte Vater diesen schrecklichen Tag gänzlich aus seinem Gedächtnis verbannt oder erinnerte er sich wahrhaftig nicht mehr daran, wie seltsam er sich gebärdet hatte? Sie bildete sich das nicht ein. Zu heftig brandete die Erinnerung an den schier unendlichen Heimweg hoch. Sogar kleine Kinder waren ermutigt worden, den Trunkenbold und seine Tochter auszulachen. Hatte Vater diese demütigenden Erlebnisse tatsächlich vergessen? Oder schämte er sich so sehr, dass er lieber tat, als wäre das nicht passiert? Dafür bezichtigte er seine eigene Tochter der Lüge? Während ihr Vater mit erhobener Stimme in Mutters Salon Gründe für das frevelhafte Benehmen seiner Tochter suchte, war ihre Seele rein.

Juliana entzündete ein Talglicht und kniete nieder. »Vergib mir, oh Herr. Ich habe gesündigt, doch ich habe nicht gelogen. Ich träume von Dario, was sich nicht gehört, deshalb lege ich all mein Vertrauen in dich. Befreie mich von diesen seltsamen Gedanken, die mein Herz gefangen nehmen. Beschütze meinen Vater vor seiner Blindheit und befreie meine Mutter von ihrer Angst, uns beide zu verlieren.«

Es dauerte bis in den Nachmittag hinein, bis sich ihr Vater endlich beruhigte. Julianas Magen knurrte inzwischen. Hatte man sie vergessen oder weitete Vater seine Strafe aus, indem er ihr das Abendbrot verweigerte? Unruhig wanderte sie durch das Halbdunkel ihrer Kammer und überlegte, ob Vaters Zorn wohl länger anhielt. Bislang hatte sie ihm kaum Anlass gegeben, über ihr Verhalten zu klagen oder sie gar zu strafen. Die kleinen Ausflüge, die sie ohne sein Wissen wagte, waren kaum der Rede wert. Seit Kurzem begehrte sie gelegentlich auf und wollte ihre eigene Meinung kundtun, wissen, was in den Straßen vor sich ging. Nicht wie ihre Cousinen den ganzen Tag Tante Apollonias Geschwätz ertragen und unsägliche Dinge tun wie Sticken, weil es der Anstand gebot.

Beim Läuten der Abendglocken hielt sie es nicht länger in der engen Kammer aus und spähte auf den Flur. Es war still im Haus. Zu still für diese Zeit. Wenn niemand mehr mit ihr über die cupola und das, was vorgefallen war, sprechen wollte, musste sie nach einem anderen Weg suchen.

Angetrieben von den zornigen Worten ihres Vaters, verspürte sie den Drang, dem capomaestro zu helfen, der von den Tiraden gegen ihn nichts ahnte. Sie wollte die cupola mit eigenen Augen sehen, irgendwann. Bis dahin musste das Modell genügen. Vielleicht gab es ein Geheimnis, das sich dahinter verbarg? Vater gelang es, Menschen für sich einzunehmen, und ebenso leicht brachte er sie gegen sich auf. Warum in Gottes Namen reagierte er so feindselig, wenn die Sprache auf Brunelleschi kam?

Ein paar Schritte später verharrte sie vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Da sich niemand zeigte, der sie daran hindern konnte, trat Juliana über die Schwelle und schloss sanft die Tür. Sie wusste, dass sie unrecht tat. Es schnürte ihr den Hals zu, doch ließ man ihr eine Wahl? Sie öffnete die Schranktür und starrte auf die unzähligen dicken Bücher, die dicht an dicht aneinandergereiht waren. In Leder gebunden, unbarmherzig mit Schnüren festgezurrt, damit keines der Schicksale verloren ging. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Spielte Vater nicht ebenso wie der capomaestro Gott? Die leicht verkohlten Pläne lagen unberührt auf dem Tisch. Unschlüssig blickte sie zur Tür, dann zu den Plänen. Die Angst, ihr Vater könne sie in seinem Arbeitszimmer überraschen, verdrängte sie. Kaum saß sie auf dem geflochtenen Gestühl, betrachtete sie gebannt die Aufzeichnungen und lächelte verzückt. Mit dem Finger fuhr sie bedacht über die Zeichnung der sanft gewölbten Kuppel, die das Dach der Santa Maria del Fiore schließen sollte. Die Pläne des capomaestro in ihren Händen! Assunita würde es nicht glauben, wenn sie ihr davon erzählte. Juliana beugte sich voller Neugier tiefer. Ein schwungvolles Kürzel bestätigte die Einträge auf ihre Richtigkeit. Kein Geringerer als Filippo Brunelleschi hatte unterzeichnet. Sogar das Emblem der Opera war deutlich auf dem Papier zu erkennen. Verblüfft bestaunte Juliana die Pläne, die mit Zahlen und Berechnungen übersät waren. Die cupola. Schwebend. Anmutig in den angesetzten Bögen aus Holz und Stein. Juliana schloss ihre Augen und stellte sich vor, wie sie vor dem Dom stand. Mit dem Kopf im Nacken die cupola betrachtend – bis die Tür aufsprang und ihr Vater vor ihr stand.

»Ich werde morgen frühzeitig in den Palazzo della Signoria gehen und Giovanni beweisen, dass ich im Recht bin«, erklärte Ferdinando wütend. Er blieb zwischen Tür und Angel stehen, was Juliana genug Zeit verschaffte, die Pläne an ihren Platz zu schieben. Bevor ihr Vater sie ertappte, sprang sie auf und schloss rasch den Schrank mit den Büchern.

Überrascht, sie hier zu finden, hob ihr Vater die buschigen Augenbrauen. »Sind alle verrückt geworden? Hinaus mit dir, und wage nie wieder, mein Arbeitszimmer zu betreten!«

Mit weichen Knien blieb Juliana vor der geschlossenen Tür stehen, in der Hoffnung, ihr Vater käme zur Vernunft und riefe sie zurück, doch nichts geschah.

»Ich werde das Modell wiedersehen«, flüsterte sie. »Und wenn ich den capomaestro selbst darum bitten muss!«

Die Muse von Florenz

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