Читать книгу Der Gesang des Einhorns - Manuela Tietsch - Страница 5

3 Freunde

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Am Waldrand, nahe der ersten Siedlung, begegneten ihnen reisende Adlige. Zu spät, um ihnen noch aus dem Weg zu gehen. Sie fügte sich dem was folgen würde.

„He, Bursche!“

Malinda blickte fragend zu dem feisten Mann in samtenen Gewändern hinauf. Sein starkes Roß stampfte auf der Stelle und schnaufte, weil der Mann an den Zügeln zog.

„Ja du. Wem gehören die beiden Pferde?“

Malinda Blickte ihm fest in die Augen, um ihn einschätzen zu können. Sie zeigte auf sich.

„So ein Unsinn?“ Er wandte sich seinem Begleiter zu. „Sir Evert, was meint ihr? Glauben wir das diesem Taugenichts?“

Der angesprochene, ein Mann in den fünfzigern, mit einem übergroßen Schnurrbart, der an beiden Seiten der Wangen herunterhing, schüttelte höhnisch grinsend den Kopf. „Kaum Sir Wilfried!“

Malinda fluchte innerlich. Sie hatte es ja kommen sehen.

Wäre Tapferes Mädchen doch nur im Wald geblieben. Jetzt liefen sie Gefahr, dass die Männer die Pferde einfingen und sie womöglich ebenfalls gefangen gesetzt wurde.

Einmal mehr wünschte sie sich des Sprechens noch fähig zu sein, um diesen Kerlen eine Lüge auftischen zu können, denn die Wahrheit würden sie eh nicht glauben.

Die Adligen Herren tuschelten untereinander. Sir Wilfried winkte nach hinten, seinen Männern zu, während er sein Pferd bedrohlich zwei Schritte vorwärts in ihre Richtung trieb.

Malinda überlegte nicht länger. Jetzt oder nie. Kurzerhand sprang sie auf den Rücken von Tapferes Mädchen. Sie schnalzte mit der Zunge und trieb sie an. Hoffentlich duldete Tapferes Mädchen sie auf ihrem Rücken?!

Die Stute galoppierte sofort an und Kleiner Bruder folgte auf dem Fuß.

Die Ritter waren überrumpelt. Ehe sie sich einig waren ob und wer ihr folgen sollte, war sie bereits im Waldesdickicht verschwunden.

Äste klatschten ihr schmerzhaft ins Gesicht. Gerade so konnte sie einem Baum ausweichen. Sie blickte über ihre Schulter. Hielt Kleiner Bruder den scharfen Spurt mit? Sie brauchte sich keine Gedanken machen, sein kräftiger Körperbau und sein starkes Wesen kamen zum Zuge. Hinter sich hörte sie noch Rufe, doch die Ritter gaben schnell auf. Entweder hatten sie noch etwas Besseres vor, oder sie waren zu faul. Wie auch immer, die Flucht war gelungen.

Dass Tapferes Mädchen sie so anstandslos trug und auf die leisesten Zeichen ansprach? Als spürte sie, dass die Gefahr vorüber war wechselte die Stute in eine langsamere Gangart. Malinda streichelte ihr den Hals und sprang leichtfüßig ab. In Zukunft würde sie außerhalb des Waldes vorsichtiger sein. Sie war weder dumm, noch wollte sie das Schicksal ein weiteres Mal herausfordern. Sie war froh dieses Mal so glücklich davon gekommen zu sein.

Sie wanderten die nächsten Wochen in nördliche Richtung weiter, während sich die Landschaft von Tag zu Tag mehr veränderte, und mit ihr das Wetter.

In den Morgenstunden war es feuchtkühl und ein feiner Nebelschleier, der sich erst zum Mittag hob, lag auf dem taunassen Gras. Sanfte Hügel erlaubten ihr auch noch in weiter Ferne die Übersicht über das Land. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass die Farben der Gräser und Blumen, das dunkle grünblau der Seen und das leuchtende hellblau des Himmels stärker, ja, klarer wirkten und sie fragte sich ernsthaft, ob weiter südlich nicht tagtäglich ein Nebeldunst über dem Land hing, der einem die klare Sicht raubte. Sie fühlte sich seltsam befreit in dieser klaren Luft.

Ab und an ritt sie. Tapferes Mädchen hatte offenkundig nichts dagegen. Sie kamen gut voran. Nur selten begegneten sie Menschen, da sie versuchte sich eher abseits der großen Siedlungen zu halten. Obwohl sie sich inzwischen gerne mal an einem warmen Kamin niedergelassen hätte. Als Belohnung für eine geleistete Arbeit war dies nicht unüblich, aber sie hatte zu große Angst, dass man ihr die Pferde abnahm. Manches Mal fragte sie sich wohin Tapferes Mädchen sie führte? Die Stute schien ihres Weges sicher zu sein und je weiter sie nach Norden kamen, umso mehr zog sie die Geschwindigkeit an. Des Nachts schliefen sie dicht aneinander gedrängt. Sogar Tapferes Mädchen legte sich dazu, was Malinda recht sonderbar fand. Die meisten Pferde zogen das schlafen im stehen vor. Denn im Liegen hatten sie keine Übersicht.

Fionna belächelte liebevoll die Gedanken der jungen Frau. Wie sollte diese auch wissen, dass sie sich dazu legte, damit Malinda nicht fror und damit ihr die Nähe eines anderen Wesens Frieden und Vertrauen geben würde, was Malinda sich mehr als alles andere im Leben wünschte.

In einem gastfreundlichen Dorf rasteten sie für einige Tage. Die Bewohner begegneten ihnen großzügig und offenherzig. Voll bepackt an Mundvorrat für Malinda reisten sie weiter.

In dieser ganzen Zeit wuchsen sie drei fest zusammen. Wie würde es sein, wenn Tapferes Mädchen und Kleiner Bruder sie eines Tages verließen? Sie mochte nicht daran denken.

Sie verstanden sich auch ohne Worte. Malinda brauchte nur zu denken und Tapferes Mädchen führte es aus. Kein Mensch bisher hatte sich derart auf sie einstellen können oder wollen!

Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung und konnte kaum fassen, dass diese schon so viele Wochen zurücklag. Der Sommer neigte sich dem Ende zu. Die Blätter begannen sich neu einzukleiden, zeigten sich eitel in den verschiedensten Braun - Rot und Gelbtönen. Das Land schien ihr zunehmend vertrauter, obwohl sie noch niemals in ihrem Leben hier gewesen war.

Der Nebel, welcher unerwartet von einem Augenblick zum nächsten auftauchen konnte und ebenso wieder verschwand, gab der Landschaft ein geheimnisvolles Wesen. Bisher glaubte sie nicht an die Geschichten, welche die Alten den Kindern erzählten, hier kamen ihr jedoch Zweifel. Es erschien ihr keineswegs abwegig irgendwelchen Elfen zu begegnen, oder vor Kobolden fliehen zu müssen, die sich ihren Schabernack mit ihr erlaubten. Auch blieb sie an Seen lieber vorsichtig, denn einem Kelpie wollte sie auf keinen Fall begegnen.

Und so manches Mal, wenn die Erinnerung an die vergangenen Erlebnisse zu stark war und sie kummervoll in die Weite blickte, glaubte sie ein Einhorn zu erkennen, dass aus der Ferne zu ihr herüberschaute. Jedes Mal fühlte sie sich durch das bloße ansehen dieses Wesens gestärkt und getröstet. Dieses Land, auf dem sie nun weilte, war wirklich seltsam verzaubernd, so verzaubernd, dass sie sich sogar einbildete Einhörner zu sehen.

Fionna hatte Lughna bemerkt und sie wusste auch, dass er sich bereit erklärt hatte Malinda zu behüten und für ihr Wohlergehen zu sorgen. In Gedanken rief sie ihrem Verwandten einen Gruß zu, seine Anwesenheit gab auch ihr ein Gefühl der Kraft und Sicherheit. Und sie wäre gern in seiner Begleitung nach Hause gelaufen, aber dafür war Malinda noch nicht reif. Sie würde noch eine Weile brauchen, bevor sie ein echtes Heim finden würde.

Seit dem verlassen des freundlichen Dorfes, waren sie keinem Menschen mehr begegnet. Um so erstaunter war Malinda als die nächsten Menschen, denen sie begegnete keine Sachsen oder Angeln mehr waren, sondern Scoten. Sie hatte die unsichtbare Grenze anscheinend vor einer Weile überschritten ohne es zu merken. Oder hatte sie es doch gemerkt, da ihr inzwischen alles so verwunschen vorkam?

Die beiden Paare und zwei Männer waren zu Fuß unterwegs und offensichtlich ebenso erstaunt über ihr Auftauchen wie sie. Sie unterhielten sich leise, doch selbst wenn sie laut geschrieen hätten, wäre Malinda nicht eines der Wörter vertraut gewesen. Die Frauen hielten sich abseits, beäugten sie misstrauisch. Unter ihrer Landestracht, dem großen Tuch, lugten bei allen die nackten Füße hervor. Malinda beneidete die langen und mit schönen Zöpfen verzierten Haare der Frauen. Sie konnte nicht erkennen welchem Clan sie angehörten, auch nicht an der Farbe, welche die Männer trugen. Sie konnte auch nicht erkennen ob sie der unteren, mittleren, oder oberen Schicht angehörten. Sie hatte damals lediglich von ihrem Großvater gelernt, dass die großen Tücher Landstrichbedingt gefärbt waren und sich die verschiedenen Clans an den Farben erkannten und dass nur die Lairds sieben Farben tragen durften, andere drei und die untersten nur eine einzige.

Und hüte dich vor dem Scoten, der seinen Sgian dhub in der Innenseite des linken Strumpfes trägt, denn dann ist er auf dem Kriegspfad! erinnerte sie sich an die dunkle Stimme ihres Großvaters. Wehmütig sah sie sein braungebranntes, von den vielen kleinen Falten überzogenes Gesicht, vor ihrem inneren Auge auftauchen. Sie schüttelte die Erinnerungen ab, sie waren zu schmerzlich.

Sie brauchte keine Angst haben, die Männer trugen die Dolche an der Außenseite des rechten Strumpfes und Malinda hatte nicht vor sich mit ihnen anzulegen. Sie hatte von ihrer Kampfbereitschaft und Rücksichtslosigkeit dem eigenen Leib und erst Recht dem des Feindes gegenüber gehört.

War es hier üblich, dass ein Knabe mit solchen Pferden durch die Lande zog, fragte sie sich? Sicher nicht. Sie war trotzdem auf der Hut.

Als einer der Männer auf die beiden Pferde zeigte und sie dabei grimmig anblickte, kam Leben in sie. Ein weiteres Mal sprang sie auf den Rücken von Tapferes Mädchen, um mit ihr davon zu stürmen. Sie wagte nur einen einzigen Blick zurück, um sicherzugehen, dass ihnen Kleiner Bruder auch folgte. Die Leute hatten sich nicht von der Stelle gerührt, doch sie schauten ihr aufdringlich hinterher.

Nach einigen Tagen erreichten sie ein kleines Haus aus grauem Stein, welches sicherlich schon einmal bessere Tage erlebt hatte. Es ragte aus dem saftigen Grün der Wiese empor wie ein Sattel aus Schilf und Stroh über den man Seile gespannt hatte, die an den Enden mit Steinen beschwert waren. Gab es Bewohner? Sie kam zum Stehen und sah sich um.

Nach einer Weile trat ein Mann um die sechzig heraus, dem eine Frau gleichen Alters folgte. Er war hoch gewachsen und obwohl ihn das harte Leben gezeichnet hatte, wirkte er lebensfroh und gesund. Seine graubraunen Haare trug er zu einem dicken Zopf geflochten, ein eher spärlicher Vollbart zierte sein Kinn und die Wangen. Trotz des vielen Stoffes seines großen Tuches, dessen Ende er gekonnt, als täte er es immer so, über den Arm gewickelt hatte, konnte sie einen noch sehr muskulösen Körper erkennen.

Seine Frau war bestimmt gut einen halben Kopf größer als Malinda. Auch sie wirkte gesund, blickte sie aus dunkelgrauen, klaren Augen an. Ihr Körper war vermutlich nicht mehr ganz so gerade, wie er es noch mit zwanzig gewesen war, doch sie strahlte erhabenen Stolz aus. Ihre ebenfalls teils ergrauten, ehemals dunkelbraunen Haare, trug auch sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr lang über den Rücken hing. Ihre Stirn wurde von einem Stirnband geziert.

Die beiden, offensichtlich ebenso misstrauisch wie sie, denn der Mann trug sein Messer weder im rechten noch im linken Strumpf, sondern in der Faust, die er fest darum spannte, grüßten freundlich, anders, als die Leute, denen sie vor wenigen Tagen begegnet war. Die beiden sprachen sie verhalten an.

Malinda zeigte mit Gesten, dass sie des Sprechens nicht fähig war und dass sie das Gesagte nicht verstand. Sie drehte die Handflächen nach Oben zum Zeichen, dass sie unbewaffnet war und nichts Böses wollte, ehe sie vom Pferderücken herunter sprang.

Als sie neben Tapferes Mädchen stand, führte sie ihre rechte Hand zum Herzen, neigte den Kopf und den Oberkörper, in der Hoffnung dass die beiden sie verstanden. Eine Weile standen sie sich so gegenüber. Malinda begegnete den Blicken der beiden Leute mutig.

Die Augen des Mannes ruhten eine sehr lange Weile auf den beiden Pferden, in seinem Gesicht konnte Malinda allerdings keine Gemütsbewegung erkennen. Schließlich wandte er sich ihr vollends zu und vollführte eine einladende Geste mit dem Arm. Er zeigte ihr einen Platz unter einem kleinen Dach auf vier Holzpfählen, wo sie und die Pferde offensichtlich die Nacht verbringen durften.

Malinda lächelte erfreut und versuchte ihre Dankbarkeit mit Gesten zum Ausdruck zu bringen. Tapferes Mädchen und Kleiner Bruder begannen sofort zu grasen, als sie ihr Bündel unter das Dach legte und sich daneben setzte. Die Frau war in das Haus gegangen, doch der Mann hielt sich draußen auf, beschäftigte sich mit verschiedenen Arbeiten. Er wollte wohl eine Weile ein Auge auf sie werfen um sich ganz sicher zu sein. Malinda konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich war es hier recht einsam und wenn einer etwas Böses im Sinn hatte, gäbe es so schnell keine Hilfe. Allerdings war sich Malinda auch im Klaren, dass sie, hätte sie tatsächlich etwas Böses im Sinn, sicher den kürzeren ziehen würde, denn der Mann sah nicht aus, als würde er sich in irgendeiner Form unterdrücken lassen. Nach kurzer Zeit trat die Frau wieder heraus, in den Händen eine dicke Scheibe Brot, eine Schale mit Haferbrei und einen Becher mit Wasser, welches sie ihr lächelnd anbot. Während Malinda sich, wie sie hoffte, nicht all zu gierig über das Essen hermachte, sprach die Frau mit ihr.

Sie verstand, dass sie Dolina und ihr Mann Fedan hießen.

Dolina gab sich redlich Mühe das Sprachhindernis mit Gesten zu überbrücken und lächelte sie fortwährend warmherzig an und dieses Lächeln schlich sich in Malinda Herz. Sie vergaß den Vorsatz ihr Herz keinem mehr zu öffnen. Das Glück endlich auch einmal wieder freundlichen Menschen begegnet zu sein, ließ ihr Misstrauen und die Angst schmelzen. Dolina verabschiedete sich für die Nacht, als sie sah, dass ihr Mann seine Arbeit niederlegte und sie gingen gemeinsam ins Haus. Malinda schaute eine Weile satt zufrieden zu den grasenden Pferden hinüber, ehe sie müde die Augenlider schloss.

Am nächsten Morgen bot sie den beiden ihre Hilfe an, um noch ein paar Tage länger den Frieden und das gute Essen genießen zu können. Bereitwillig nahmen sie ihr Angebot an.

Sie hackte Holz, bis ihr der Schweiß von der Stirn lief und besserte das Dach und einige Stellen am Mauerwerk des Hauses aus, bis sie müde ins Gras fiel und zufrieden die Lider schließen konnte.

Am vierten Abend nach ihrer Ankunft lud Dolina sie das erste Mal ins Haus ein.

Schon am fünften Abend wanderte sie mitsamt ihrem Bündel hinein, um dort neben der Feuerstelle zu schlafen. Die Pferde behielten den Unterstand für sich alleine und Fedan baute sogar noch zwei Seitenwände aus Ästen, zum Schutz gegen den Wind, der mit jedem Tag schneidender wurde.

Fedan wusste das diese Tiere Laird MacDasdanach gehörten und auch, dass dieser verzweifelt auf der Suche nach ihnen war. MacDasdanach hatte sogar eine Belohnung ausgesetzt, falls einer die Stute zurückbrachte. Sie war ihm vor gut einem Jahr gestohlen worden. Er war so sicher, dass es sich um genau die Stute handelte, weil ihre Blesse sogar aus dem weiß ihres Felles heraus leuchtete. Das hatte nur dieses eine Pferd vorzuweisen. Obwohl ihn seine Pflichten als Clanführer davon abhielten die Suche umfangreicher zu gestalten, gab MacDasdanach die Stute und die Hoffnung sie zu finden nicht auf. Fedan war nicht dumm und nicht blind. Er sah sehr wohl welch enge Verbindung zwischen dem Jungen und den Pferden bestand. Er sah die Narben, welche den Leib der Stute überzogen, doch es war ihm unmöglich zu glauben, dass sie der Junge derart misshandelt hatte. Er ging so zärtlich mit den Tieren um, als handelte es sich um seine Geliebten. Er zählte eins und eins zusammen. Sicherlich hatte der Junge die Stute aufgegriffen, möglicherweise sogar ihre Wunden versorgt und damit stand für ihn außer Frage ihn beim Laird anzuschwärzen. Irgendwann im Frühjahr, wenn der Junge die Sprache besser verstand, würde er ihm erzählen zu wem die Stute gehörte, doch er würde ihm überlassen was er zu tun gedachte. Vorausgesetzt sie würden den Winter bei ihm und Dolina bleiben, was er mittlerweile stark hoffte.

Es fiel Malinda nicht gerade leicht sich vor diesen herzlichen Menschen weiter zu verstecken und mehr als einmal glaubte sie schon längst erkannt zu sein. Sie half Dolina und Fedan bei allen Arbeiten und erhielt als Gegenleistung Unterricht in der Sprache der Scoten und Kost und Unterkunft.

Sie versorgte die Pferde mit allem, mit dem sie sich nicht selber versorgen konnten und wenn es sie überkam, wanderte sie mit ihnen Stundenlang durch das verblühende Heidekraut.

Und jedes Mal wenn sie zurückkehrten, erblickte sie Fedan, der gerade ins Haus ging. Hatte er auf sie gewartet?

Das Wetter war herbstlich, der Wind strich um das Haus und durch das gelbliche, verblühte Gras. An manchen Tagen, wenn sie draußen auf dem Hügel unweit des Hauses saß und sich dem Wechselspiel des herbstlichen Himmels hingab, wenn sie zusah wie sich ein plötzlicher Nebel wieder hob und so scharfe Farben auf der Erde, dem Gras, der Heide und dem Ginster hinterließ, dass alles wie frisch gewaschen und klar erschien, während der Wind die Kleidung auf ihre Durchlässigkeit hin prüfte, hörte sie in weiter Ferne einen wunderbaren Gesang. Er versetzte sie in Wehmut, Freude und manchmal holte er auch ihre tiefste Trauer an die Oberfläche. Wahrscheinlich lag es an den Geschichten, die Dolina und Fedan an den Abenden erzählten, Geschichten von Elfen, Feen, Kobolden und Zauberwesen, so dass ihr am Ende ihre Einbildungsgabe den seltsamen Gesang, der von den Hügeln bis zu ihr drang, nur vorgaukelte.

Das erste Mal seit vielen Jahren erfuhr sie so etwas wie Familiensinn, den sie aufsog wie eine verdurstende das Wasser. Es wurde ihr immer unerträglicher die beiden zu belügen und sie trug ihr Geheimnis mit sich herum wie ein Bündel schwerer Steine.

Als sie wieder einmal mit Tapferes Mädchen und Kleiner Bruder ausritt, blieben Dolina und Fedan an der Haustür stehen um ihr hinterher zublicken.

„Ob sie wohl weiß, dass wir es wissen?“ Dolina blickte ihrem Mann fragend ins Gesicht.

„Ich bin mir nicht sicher. Manchmal glaube ich es, manchmal bin ich vom Gegenteil überzeugt.“ Fedan sah Dolina lächelnd an.

„Wollen wir es ihr nicht sagen?“

„Ich möchte, dass sie es uns erzählt. Das ist sie uns schuldig.“ sagte Fedan ernst.

„Bei allem was sie für uns getan hat? Unsere eigenen Kinder hätten nicht besser für uns sorgen können.“

Fedan schaute seine Frau eine Weile nachdenklich an. „Aye, du hast mal wieder recht, aber trotzdem, ich möchte, dass sie es uns erzählt.“

Dolina nickte verständnisvoll. „Was mag sie wohl erlebt haben? Es ist doch mehr als ungewöhnlich, dass eine Frau alleine durch die Lande zieht und noch dazu durch fremdes Land.“

Fedan nickte, doch seine Gedanken waren schon woanders. „Mich erstaunt wie sie mit den Tieren umgeht." Er sah zu seiner Frau. "Sie braucht nur zu denken und in die Richtung der Pferde zu schauen, schon handeln diese.“

„Glaubst du das wird dem Laird gefallen?“

Erstaunt wandte er sich wieder Dolina zu. „Du weißt wem die Stute gehört? Ich dachte Frauen hätten keinen Blick dafür!“

Dolina lachte. „Du solltest nicht soviel denken, es geht ja doch daneben! Möglicherweise sollte ich sie fragen ob sie mich mitnimmt, wenn sie weiterzieht!“

Fedan tat empört. „Das würdest du nicht wagen Weib!“

Dolina kicherte. „Sei dir dessen nicht so sicher, Mann.“

Plötzlich lachten sie herzlich über ihr Geplänkel.

Dolina sah ihren Mann verschmitzt an, während sie sich neu in ihn verliebte. „Aye, ich habe die richtige Wahl getroffen!“ Sagte sie mit einem Mal ernst.

Fedans Züge wurden ebenfalls ernst, doch in seinen Augen konnte Dolina ein Feuer entdecken, welches ihr die Gedanken ihres Mannes offenbarte, mehr als jedes Wort das hätte tun können.

Er grinste schelmisch. „Aye!“

Sie beeilten sich ins Haus zu kommen.

Als Malinda zurückkehrte waren die beiden sehr ausgelassener Stimmung. Umso schlechter kam sie sich wegen ihrer Täuschung vor. Den ganzen Nachmittag hatte sie sich Gedanken gemacht, wie sie es den beiden sagen konnte, ohne eine Abweisung aufs Spiel zu setzen. Sie war jedoch fest entschlossen. Nur wie?

Sie ging langsam zu ihnen ans Feuer. Dolina füllte ihr eine Schale mit Haferbrei ab und reichte sie ihr. Nachdenklich nahm sie die Schale entgegen. Während sie sich noch anschauten öffnete sie plötzlich ihren Mund. Doch ebenso unerwartet schloss sie ihn wieder, sie schluckte schwer und schaute betrübt zu Boden. Kein Ton würde über ihre Lippen kommen. Sie hatte es wieder vergessen! Wider Willen begann sie leise, tränenlos zu weinen und hasste sich dafür.

Dolina trat tief berührt zu ihr, legte ihr den Arm um die Schultern. „Scht... Es ist ja gut! Weine ruhig!“

Fedan räusperte sich verlegen.

Dolina strich ihr über den Rücken. „Was wolltest du uns erzählen?“

Malinda schaute verzweifelt in ihre Augen.

Dolina lächelte sie aufmunternd an. „Wir wissen schon eine ganze Weile, dass du nicht bist, wer du zu sein vorgibst!“, sagte sie schlicht. „Ist es das?“

Malinda nickte und warf den beiden einen ängstlichen, fragenden Blick zu.

Dolina schüttelte den Kopf. „Du wirst schon deine Gründe haben! Aye.“

„Sollen wir dein Geheimnis wahren?“ fragte Fedan, um etwas zu sagen.

Sie nickte heftig.

„Und wie ist dein Name? Dein richtiger Name?“

Malinda formte mehrmals überdeutlich mit den Lippen ihren Namen, hauchte ihn leise ohne Stimme hervor und nach einer Weile gelang es Dolina tatsächlich den richtigen zu erraten. „Malinda?“

Malinda nickte glücklich.

Fedan räusperte sich ein weiteres Mal unbehaglich. „Auch ich habe dir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich wollte mir das für den Frühling aufbewahren. Doch inzwischen verstehst du unsere Sprache schon besser als ich dachte.“ Er schürte das Feuer unnötigerweise. „So sage ich es dir jetzt schon.“ Wieder räusperte er sich, während er sich unbewusst am Kinn kratzte. Eine Geste die er mehr als einmal pro Tag ausführte und zwar immer dann, wenn er sich unsicher war oder etwas nicht so lief, wie er es geplant hatte.

„Es geht um die Stute. Sie ist vor mehr als einem Jahr gestohlen worden und Laird MacDasdanach sucht seitdem nach ihr. Es gibt sogar eine Belohnung für den, der die Stute zurückbringt, dass er schon von dem Fohlen weiß, bezweifle ich.“

Malinda schloss die Augenlider. Sie musste das Gehörte erst einmal verdauen. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Woher wusste Fedan, dass es sich bei Tapferes Mädchen um die gestohlene Stute handelte? War er sich sicher? Wo lebte dieser Laird? Sie hasste es, nicht eine dieser Fragen über die Lippen bringen zu können.

Fedan sprach unterdessen weiter. „Falls du sie zurückbringen möchtest, um dir deine Belohnung zu holen, können wir dich begleiten und für dich sprechen.“

Erstaunt öffnete sie die Augenlider abermals. Hatte sie richtig gehört? Falls? War ihm denn recht wenn sie nicht zu diesem Laird ging?

Was für ein Schicksal erwartete sie dort? Innerlich sträubte sich alles gegen diesen Gedanken.

Fedan legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. Anscheinend war ihre Seelenverfassung offensichtlich.

„Warte erst einmal das Frühjahr ab und gewöhne dich an den Gedanken. Wir werden dir keine Steine in den Weg legen, wenn du nicht zu MacDasdanach gehst. Wir sehen wie gut ihr drei euch versteht und ich habe keinerlei Bedenken, dass es den Tieren bei dir bestens ergehen wird.“ Er lachte auf, „soll doch der Laird besser auf seine Tiere Acht geben!“

Malinda war zutiefst berührt und aufgewühlt. Sie stand auf, trat die zwei Schritte zu den beiden und umarmte sie, ehe sie hinaus zu den Pferden ging, die in einiger Entfernung grasten.

Ihr Mädchen schaute auf, als sie zu ihr trat. Malinda fiel ihr um den Hals und schluchzte ohne eine Träne zu vergießen. Warme Fohlenlippen stupsten sie in die Seite. Sie strich ihm über die Stirn. Was sollte sie nur tun? Sie konnte den Gedanken die beiden an einen herrischen alten Laird zu verlieren nicht ertragen. Nach einiger Zeit fällte sie einen Entschluss. Sollte Tapferes Mädchen im Frühjahr den Wunsch zeigen, dass sie weitergehen wollte, so würde sie die beiden zu dem alten Laird bringen. Sie würde sich fügen. Doch den Weg musste die Stute selber finden, sie würde Fedan nicht danach fragen. Sie versteckte ihr Gesicht in dem weichen Fell von Kleiner Bruder. War es richtig ihn und seine Mutter zurückzuhalten?

Der Gesang des Einhorns

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