Читать книгу Der Gesang des Einhorns - Manuela Tietsch - Страница 7
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ОглавлениеDas Frühjahr zog schneller ein, als Malinda gehofft hatte. Überall zwängten sich die kleinen, hellgrünen Triebe durch die dunkle Erde an die Luft, um zu wachsen. Das Wetter wurde wieder freundlicher. Die Sonne gewann an Kraft. Doch mit jedem neuen Tag wurde ihr das Herz schwerer, denn sie wusste, dass bald ihre Entscheidung fallen müsste. Dann musste sie auch diese beiden Menschen, die ihr lieb und teuer geworden waren, wieder verlassen. Fedan und Dolina waren ihr eine zweite Familie geworden. Doch Tapferes Mädchen wurde zusehends unruhiger, schaute oft nach Norden und wieherte schrill, einem Unsichtbaren zu. War es der alte Laird dem sie entgegen fieberte? Oder war es der Vater von Kleiner Bruder?
Auch Fedan bemerkte ihr Zaudern. Eines Abends sprach er sie an. „Mädchen, ich sehe du tust dich schwer die Entscheidung der Stute anzuerkennen, doch sie wartet auf deine Zustimmung.“ Er starrte einen Augenblick in die Flammen. „ Wenn du sie nicht unnötig peinigen willst, solltest du bald losziehen.“
Malinda konnte nicht gegen ihre Traurigkeit ankämpfen, freilich hatte Fedan Recht. Weshalb schob sie also das unausweichliche vor sich her. Sie nickte ihm nachdenklich zu und hob drei Finger, um ihnen zu zeigen, dass sie in drei Tagen reisen wollte.
Dolina schluckte schwer, sie hatte dieses Mädchen sehr lieb gewonnen. Ihr Angebot, ihr einen Féileadh mor zu geben, hatte sie ausgeschlagen, denn sie glaubte damit leichter als Mädchen entlarvt zu werden und meinte in der Kleidung der Sachsen sicherer zu sein und Dolina gab ihr im nachhinein Recht. Sicher hätte sie mehr Bewegungsfreiheit in einem großen Tuch, es war wie für das Hochland geschaffen, da sie jedoch so und so die meiste Zeit reiten würde, spielte es keine Rolle.
Die nächsten Tage beschäftigten sie die Reisevorbereitungen für Malinda, was nicht die Schwermut aufhob, die sich über die drei Menschen ausbreitete. Ein schmerzreicher Abschied stand bevor.
Sehr früh am dritten Morgen brach Malinda auf. Es dämmerte gerade erst, die Grenze zwischen Himmel und Erde wurde von einem tiefen grau geschluckt. Noch nie hatte sie dermaßen viel für eine Reise vorbereitet, aber sie wollte Dolina nicht verletzen, die sich so viel Mühe gab. Bisher brauchte sie kaum mehr als das, was sie am Leibe trug.
Dolina verabschiedete sich tränenreich von ihr und auch Fedan war blass im Gesicht. Malinda konnte nicht weinen, obwohl ihr die ungeweinten Tränen auf der Seele brannten, doch seit dem verhängnisvollen Tag hatte sie nicht eine einzige Träne mehr vergossen. Die unausgesprochene Frage, ob sie einmal zurückkehrte, beantworteten ihre Augen mit einem Ja, doch wann das sein würde, wer wusste das schon? So umarmten sie sich lange und versuchten je ein Stück des anderen in sich aufzunehmen, damit es in den Zeiten der Trennung im Herzen fest verankert bliebe.
Traurig und ängstlich zugleich brach sie schließlich auf, einer sehr erregten Stute und ihrem Sohn folgend. Kleiner Bruder war inzwischen zu einem stattlichen Hengstchen herangewachsen. In ihm schlug das Herz eines starken Tieres und er war neugierig, wie alle Pferde.
Auch sie spürte eine gewisse Ungeduld aber die Angst vor dem was folgen würde, war stärker. Sie fürchtete sich auch vor dem ersten Zusammentreffen mit dem alten Laird. Wer konnte sagen, ob er warten würde, bis sie ihm auf ihre Art mit Gesten erklärt hatte, wie sie an die beiden Tiere gekommen war. Wenigstens blieb das Wetter ihnen hold und sie kamen, für Malindas Empfinden, viel zu gut voran.
Wie im Herbst schlich jeden Morgen ein dicker Nebel über den Boden, der sich erst gegen Mittag wieder verzog, dann allerdings leuchteten die Pflanzen und der Himmel in glasklaren Farben. Tagsüber erwärmte sie die zunehmend höher steigende Sonne, des Nachts kroch der Nebel wieder über das Land, wie ein Lindwurm der alles verschlang. Trotz der Trockenheit am Tag, ließ der feuchte Nebel Malindas Kleidung klamm und schwer an ihrem Körper zurück.
Was sie jedoch in Wahrheit frösteln ließ, war weder der Nebel noch die kalten Nächte. Die Angst hatte sich in ihr Herz geschlichen. Sie konnte Tapferes Mädchen kaum dazu bewegen in Deckung zu bleiben, im Gegenteil, und ein Gefühl beschlich sie, dass die Schritte der Stute von Augenblick zu Augenblick schneller wurden. Sie fürchtete sich davor Menschen zu begegnen, hier in der Nähe des Lairds. Unter Umständen fragten sie nicht lange, sondern knüpften sie gleich auf. Nicht selten überfiel sie der Wunsch einfach abzuspringen und Tapferes Mädchen alleine weiterziehen zu lassen.
An jenem Morgen war der Wunsch zu fliehen so übermächtig, dass Malinda liegen blieb, anstatt wie sonst in aller Frühe ihre Sachen zu packen und der Stute zu folgen.
Tapferes Mädchen schien durch ihr Verhalten in große Not geraten zu sein, denn sie galoppierte immer wieder ein Stück fort, um jedoch wieder zurückzukehren, als wollte sie ohne Malinda keinen Schritt gehen.
Malinda fügte sich schweren Herzens ein weiteres Mal.
Drei Tage später, die Sonne brannte heiß herunter, erreichten sie eine größere Siedlung. Eine klobige Burgfeste hockte auf einem Hügel und drum herum standen eine große Anzahl winziger Häuser. Zwischen den Gebäuden wimmelte es nur so von Menschen. Die Festung lag an einem dunklen See, in den der Hügel bis zur Hälfte hineinragte. Man konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der See das Land erobern wollte, oder der Hügel schon verschlucktes Land zurückforderte. Kein Wimpernschlag verging, ehe man sie bemerkte und Tapferes Mädchen alles daran setzte, dass man auch im hintersten Winkel auf sie aufmerksam wurde.
Sie wieherte laut und schrill.
Sogleich ertönte von unten dieselbe schrille Antwort. Schon sah Malinda ein Pferd den Hügel heraufgaloppieren. Sie spürte wie sich die Muskeln von Tapferes Mädchen spannten, um dem anderen entgegen zu eilen. Sie konnte im letzten Augenblick abspringen.
Tapferes Mädchen lief los. Kleiner Bruder folgte dichtauf.
Auf halber Strecke trafen sich die Tiere. Sie beschnupperten sich, führten einen tänzerischen Reigen auf. Malinda bewunderte die anmutigen und geschmeidigen Bewegungen. Das war der Vater von Kleiner Bruder, kein Zweifel. Die drei glänzten in der Sonne wie eingewachst. Sie verlor sich in dem wunderbaren Anblick dieser schönen Tiere.
Wie aus heiterem Himmel schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt oder nie. Das war vermutlich ihre einzige Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen. In Gedanken rief sie den beiden ein Lebewohl zu, ehe sie sich umwandte und davon eilte.
Alasdair rannte wie ein Besessener den Hügel hinauf, die anderen hinterher. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde. Sie war wirklich zurückgekehrt. Aye, er hatte es gewusst und sein Herz lächelte voller Stolz und Wohlwollen.
Nechtan holte auf. „Du hattest Recht!“
„Das hatte ich!“ Alasdair war überglücklich. Sein Blick wanderte den Hügel hinauf, wo er den Burschen stehen sah, ehe dieser sich plötzlich umwandte und verschwand. Weshalb? Hatte er etwas zu verbergen? War womöglich doch er der Dieb gewesen? Er wirkte noch sehr jung und verdammt, er hatte Fionna geritten, ohne Zaumzeug oder Sattel.
Als er Fionna erreichte, begrüßte sie ihn überschwänglich, ehe sie sich zu ihrem Sohn umdrehte, als wollte sie ihm zeigen wen sie mitgebracht hatte. Alasdair trat zu dem Junghengst, strich ihm über die weiße Stirn, während der an ihm schnupperte. Mit wenigen Schritten war sein Vater bei ihm, schubste ihn sanft mit der Nase am Hals.
„Den habt ihr beiden gut hinbekommen!“ Alasdair lachte erfreut auf. Seine Augen suchten noch einmal die Hügelkuppe ab. Der Junge war nicht mehr zu sehen. Was soll´s, überlegte er, wenn er seinen Lohn nicht wollte, ihm war’s eins, Hauptsache die Stute war wieder hier und sein Hengst zufrieden.
Unvermittelt riss Fionna den Kopf in die Höhe. Sie blickte ebenfalls zur Hügelkuppe hinauf. Ihr schrilles angstvolles Wiehern zerriss die Luft und schon galoppierte sie hinter dem Jungen her. Alasdair verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er mit ihr angestellt? Hatte er sie verzaubert?
Nechtan erschien neben ihm. „Hast du die tiefen Narben gesehen?“
Alasdair nickte nur.
„Glaubst du er war das?“
„Und glaubst du sie würde ihm derart nachtrauern, wenn er’s war?“ überlegte Alasdair.
Nechtan schüttelte den Kopf. „Schließlich steht ihm ja auch noch eine Belohnung zu.“
Sie folgten Fionna, ebenso wie die beiden Hengste.
Niall und drei Männer beeilten sich den Anschluss nicht zu verpassen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe sie den Burschen eingeholt hatten.
Malinda lief was sie konnte, doch sie hatte das schrille Wiehern Fionnas gehört und unwillkürlich gewusst, dass es ihr galt. So blieb sie stehen und wartete.
Da tauchte sie auch schon auf, dicht gefolgt von den beiden Hengsten und, Malinda erschauerte, von einigen Männern. Für den Bruchteil von Augenblicken war sie versucht doch weiter zu fliehen, allerdings war sie sich der Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens wohl bewusst. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und dann hatte Fionna sie auch schon erreicht. Sie tänzelte aufgeregt um sie herum. Um sie zu beruhigen schmiegte Malinda ihre Wange an Fionnas und sprach in Gedanken auf sie ein.
„Es ist ja gut. Ich werde nicht weiterlaufen. Ich hoffe jedoch dein Laird ist ein gerechter und verständnisvoller Mann.“
Alasdair verlangsamte seinen Lauf. Vor ihm stand Fionna Wange an Wange mit dem Jungen. Er begutachtete diesen genauer. Was für ein jämmerlicher Schmachthaken.
Er musste höchstens sechzehn sein, war jedoch kaum größer als ein Dreizehnjähriger. Seine Glieder wirkten zerbrechlich, feingliedrig, wie die eines Mädchens. Seine honigblonden Haare standen ihm wild vom Kopf ab, so kurz geschnitten trug er sie. Er wirkte auf ihn wie ein heruntergekommener Adliger der Sachsen, oder Angeln. Seine Kleidung flatterte ihm locker um die Glieder. Doch, er konnte es kaum fassen, Fionna schien ihn zu lieben. Entgegen seiner inneren Erregung, trat er nach außen hin sehr ruhig wirkend zu dem Jungen.
Malinda schaute auf, geradewegs in die tief dunkelbraunen Augen dieses großen Mannes. War er etwa der Laird? Sie hatte mit einem alten Mann gerechnet!
Er sah sie gespannt, aber nicht unfreundlich an. Sie musste trotzdem trocken und schwer schlucken. Er war so groß, hatte so breite Schultern und durch sein Leinenhemd zeichnete sich sein muskulöser Körper ab. Er könnte sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Schüchtern warf sie einen Blick auf die anderen Männer hinter ihm und stellte fest, dass diese ebenso groß und kräftig wirkten. Mit einem Mal kam sie sich auffällig klein und zerbrechlich vor. Waren hier alle Menschen so groß? Am liebsten wäre sie in einem Mauseloch verschwunden, wo sie sicherlich auch hineingepasst hätte, so winzig wie sie sich fühlte.
Als hätte Fionna ihre Angst und Unsicherheit gespürt, wurde sie von ihr sachte in den Bauch gestupst. Zärtlich schob sie ihren Kopf zur Seite, da sie all ihre Aufmerksamkeit für das folgende brauchte.
Der Mann trat noch näher und blieb kaum eine Armlänge von ihr entfernt stehen. Er musterte sie eingehend. Unter seinem forschenden Blicke sackte sie noch mehr in sich zusammen. Bestimmt hatte er gleich ihr Geheimnis enttarnt. Er begann zu sprechen und sie war froh inzwischen bei Dolina und Fedan die Sprache verstehen gelernt zu haben.
„Warum bist du weggerannt, Junge? Dir steht eine Belohnung zu.“
Malinda zuckte die Schultern. Sie legte keinen Wert auf die Belohnung. Als er sie nur fragend ansah und offensichtlich auf eine gesprochene Antwort wartete, sah sie sich gezwungen ihm durch eine Geste zu erklären, dass sie des Sprechens nicht fähig war. Verstand er sie?
Alasdair überlegte. „Du bist stumm?“
Sie nickte, während er sie seltsam ansah.
„Hast du die Stute gefunden?“
Malinda nickte wieder und machte eine Bewegung als hätte sie einen dicken Bauch, dann zeigte sie auf Kleiner Bruder.
Alasdair glaubte zu verstehen. Er wechselte einen Blick mit Nechtan, der nickte.
„Sie lag also gerade in den Wehen?“
Der Junge nickte erneut.
„Und die Wunden?“ Hatte sie die schon?“
Er nickte wieder, dieses Mal forsch, als plagte ihn die Angst, dass man diese Grausamkeiten ihm anlastete.
„Ein paar Leute haben euch vor einigen Monaten im Süden gesehen! Wusstest du nicht wem diese Pferde gehören? Oder aus welchem Grund hast du dir soviel Zeit gelassen um zu mir zu kommen?“ Er fühlte Wut in sich aufsteigen, doch er versuchte ruhig zu bleiben.
„Wie soll er gleich zwei Fragen beantworten!“ sagte Nechtan beschwichtigend.
Alasdair blickte Nechtan einen Augenblick verständnislos an, ehe er begriff.
„Also wusstest du nicht wem Fionna gehört?“
Der Knabe schüttelte heftig den Kopf.
„Und wann hast du es erfahren? Jetzt erst?“
Er schüttelte wieder den Kopf.
„Verdammt, so kommen wir nicht weiter.“ Alasdair überlegte.
„Wie alt bist du?“
Der Junge blickte ihn lediglich an.
„Fünfzehn? Sechzehn?“
Er dachte nach, ehe er die Schultern zuckte.
Alasdair wunderte sich nicht, wahrscheinlich kannte er nicht einmal seine Eltern. Im Grunde tat ihm der Junge leid. Ein Schwächling, verdammt umherzuziehen und auf den guten Willen anderer angewiesen.
„Also gut, die Belohnung steht dir zu,“ sagte er gnädig, „und wenn du nichts Besseres vorhast, kannst du eine Weile hier bleiben. Sicherlich finden wir eine Beschäftigung für dich. Vielleicht bei den Frauen, fiel es Alasdair gehässig ein, laut sagte er. „Du kannst ja offensichtlich gut mit den Pferden umgehen?“
Wieder nickte der Junge, während seine Augen jedoch auf den Boden blickten. Offensichtlich gefiel ihm diese Vorstellung nicht besonders. Also doch zu den Frauen!
Malinda konnte nicht fort. Sie war sich sicher, dass Tapferes Mäd-, nein, wie hatte er sie genannt, Fionna, ihr ein weiteres Mal folgen würde. Außerdem, das gestand sie sich allerdings nur ungern ein, übte dieser Mann trotz ihrer Angst eine ungeheure Anziehungskraft auf sie aus.
Ohne ein weiteres Wort wandten sich die Männer um und sie folgte ihnen. Sie beobachtete den federnden Gang des Lairds. Seine langen, rotbraunen Haare, die zu einem Zopf gebunden weit über den Rücken fielen. Das erste Mal in ihrem Leben empfand sie Trauer, dass sie ihm nicht als Frau entgegentreten konnte. Hätte er sie wahrgenommen?
Sie würde so gerne seinen Nacken einmal berühren, nur um zu wissen, ob er sich so gut anfühlte, wie er aussah! Was dachte sie da, sie würde nie in ihrem Leben Freude bei der Berührung eines Mannes empfinden! Niemals!