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VORWORT

Ein Forscher auf der Hundewiese


Eines Nachmittags spazierte ich durch den Central Park in New York City. Ich blieb stehen, um den Eichhörnchen beim Spielen zuzusehen, als mich eine Mutter und zwei Jungen überholten. Einer der Buben fragte, was ich täte, und ich antwortete ihm, dass ich den Eichhörnchen zusähe. Sein Interesse war geweckt, und auch sein Bruder kam neugierig näher. Fünf Minuten später hatte ich die beiden zu Ethologen ausgebildet. Ich erklärte, dass Eichhörnchen, genau wie ihr Familienhund, zu den Säugetieren gehörten, und dass sie viel über ihren Hund lernen könnten, indem sie ihn beim Spielen mit seinen zwei- und vierbeinigen Freunden beobachteten. Sie waren Feuer und Flamme, und als sie weitergingen, hörte ich sie ihre Mutter fragen: „Können wir morgen wiederkommen und die Eichhörnchen beobachten?” Ich freute mich und staunte, wie einfach es gewesen war, ihr Interesse zu wecken. Ich hoffe, dass sie tatsächlich zurückkommen, um die Eichhörnchen zu erforschen und dass sie auch beginnen, ihrem Hund genauer zuzusehen. Es tut nicht nur uns selbst gut, die Tiere und die Natur zu beobachten – je mehr Aufmerksamkeit wir den Hunden schenken, mit denen wir unser Leben teilen, desto besser wird es ihnen gehen.


In den letzten vierzig Jahren habe ich als Ethologe und Hundeliebhaber viele derartige Begegnungen erleben dürfen: Ich habe Tiere beobachtet, Fragen über Tiere beantwortet und andere dazu ermuntert, die Tiere selbst genauer zu beobachten. Vor allem habe ich viele Stunden – nach Meinung des ein oder anderen sicherlich zu viele – auf Hundewiesen verbracht und den Vierbeinern dabei zugesehen, das zu tun, was auch immer sie gerade tun wollten. Seit Jahren ist dies Teil meiner Arbeit, wofür ich unendlich dankbar bin.

Hunde, deren bevorzugter Name (so versicherten mir viele der von mir konsultierten Experten) Canis lupus familiaris lautet, sind faszinierende Tiere.1 Schon vor langer Zeit habe ich festgestellt, dass der Besuch einer Hundewiese eine wunderbare Bildungserfahrung darstellt. Sowohl was Hunde als auch Menschen betrifft sind sie ausgesprochen lehrreich. Ein Besuch auf der Hundewiese kann Halbwahrheiten über Hunde widerlegen und als Eisbrecher wirken. Hier wird ununterbrochen interagiert und kommuniziert: Hunde beobachten Hunde, Menschen beobachten Hunde, Hunde beobachten Menschen, und Menschen beobachten sich gegenseitig dabei, wie sie sich um ihre Hunde kümmern, mit ihnen spielen und sie unter Kontrolle zu halten versuchen. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie viel ich lerne, wenn ich mich in einem Hundepark aufhalte und einfach nur beobachte, wie Hunde untereinander, Menschen untereinander, und Hunde und Menschen miteinander umgehen.

In Freilaufzonen tummeln sich spannende Charaktere an beiden Enden der Leine bzw. auf beiden Seiten des Zaunes. Hier wird darüber diskutiert, was Menschen und was Hunde wollen, warum sich Hunde so verhalten, wie sie das tun, wie viel sie verstehen, und wie wir mit ihnen umgehen und sie erziehen sollten. Ständig stellen Hundeliebhaber Fragen und geben Ratschläge, stellen Theorien auf und äußern ihre Meinung über das Verhalten ihrer Mitmenschen. Sie wollen wissen, wie sich Probleme wie Angst oder Aggression lösen lassen und warum Hunde manchmal die Wünsche ihrer Menschen ignorieren, wieso sich Hunde in stinkenden Dingen wälzen und mitunter nichts dagegen haben, wenn ihnen ein Artgenosse aufreitet. Die Menschen wollen ihre Hunde verstehen lernen.

Wahrscheinlich habe ich jede Frage, die sich zum Thema Hund stellen lässt, schon einmal gehört: Wie können wir die Lebensqualität eines Hundes messen? Woran sieht man, dass ein Hund Schmerzen hat? Sollen wir unserem Vierbeiner ohne besonderen Grund versichern, dass er „brav” ist? Warum markieren, bellen, haaren und knurren Hunde? Was bedeutet die Vorderkörpertiefstellung; warum vergraben sie Dinge, nur um sie gleich darauf wieder auszubuddeln? Wieso versuchen sie, Knochen im Teppich zu vergraben, und tun dann so, als wären diese unsichtbar? Leiden Hunde unter Kopfschmerzen? Haben sie ein Gewissen? Trauern Hunde? Erkranken sie an posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) und anderen psychologischen Leiden? Haben manche Hunde einen Napoleonkomplex? Warum fressen Hunde Gras, und warum drehen sie sich im Kreis, bevor sie sich hinlegen? Wie spüren sie menschliche Krankheiten auf? Wie funktioniert ihre Nase? Wie intelligent sind Hunde? Sind wir für sie nichts weiter als ein Dosenöffner? Verstehen Hunde unsere Sprache? Mögen sie Musik?2 Sehen sie gern fern?3

Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass ich zu einem gern gesehenen Vertrauten der Hundeparkbesucher geworden war. Immer wieder sucht jemand das Gespräch und beginnt: „Bitte erzählen Sie das nicht weiter, aber …” Sie vertrauen sich mir an, erzählen mir persönliche Geschichten über ihre Hunde, andere Hunde oder andere Menschen. Ich möchte mich nicht am Tratsch beteiligen und bemühe mich, einfach nur zuzuhören. Jedes Mal, wenn ich denke, mittlerweile alles gehört zu haben, erzählt mir jemand etwas ganz Neues und Anderes. Die Hundewiese ist immer wieder für Überraschungen gut.

Ich habe das Gefühl, dass sich mir auch die Hunde anvertrauen und bemühe mich sehr, die Welt aus deren Blickwinkel zu sehen, wenn ich ein Auslaufgebiet besuche – schließlich heißt es aus gutem Grund Hunde- und nicht Menschenwiese. Manchmal kommt ein Hund auf mich zu, als wolle er mich bitten: „Kannst du meinem Menschen sagen, dass ich mich einfach in stinkenden Dingen wälzen und alles anpinkeln muss? Und dass wildes Spielen ganz normal ist? Und erinnere ihn bitte auch daran, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.”

Viele Menschen haben großes Interesse am Verhalten des Hundes, und oft wird die Hundewiese zum Klassenzimmer: Ich empfehle den Haltern Artikel und Bücher und streue Wissenswertes und Hilfreiches aus Verhaltensforschung, Evolutionsbiologie und Naturschutz in unsere Gespräche ein. Ein junger Mann meinte scherzhaft (wenigstens glaube ich das), dass er auf der Hundewiese mehr gelernt habe als im Biologieunterricht. Hin und wieder stehen wir in einer Gruppe von fünf oder zehn Menschen zusammen und diskutieren stundenlang aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln über Hunde, Kojoten und Wölfe.

Aufgrund all dieser Begegnungen kam ich zu dem Schluss, dass Bedarf nach einem einfach verständlichen und leicht zugänglichen Hundebuch besteht: ein Buch, welches das Verhalten der Hunde, ihr kognitives, emotionales und moralisches Leben, ihre Interaktionen mit Artgenossen und Menschen erklärt und darauf eingeht, wie wir uns am besten um die Hunde kümmern können, die Teil unseres Lebens und unserer Gesellschaft sind. Diesem Zweck ist das vorliegende Werk gewidmet. Ich versuche darin, die oben gestellten Fragen zu beantworten – allerdings kennen wir die Antwort in manchen Fällen nicht. Ich wünsche mir, dass dieses Buch dem Leser helfen möge, nachhaltige, positive und einfühlsame Beziehungen zwischen Hunden und ihren Artgenossen sowie zwischen Hunden und Menschen aufzubauen. Ein friedliches Zusammenleben ist ein Segen für alle, und wir müssen uns dafür einsetzen, dass unsere Hunde ein Leben in Frieden und Sicherheit genießen können.

Seit über vier Jahrzehnten erforsche ich Hunde und ihre wild lebenden Verwandten, aber im Grunde habe ich bereits im Alter von drei Jahren damit begonnen, dieses Buch zu schreiben. Als Kind und Jugendlicher meinten meine Eltern immer wieder, dass ich mit Tieren besser umgehen könne als mit Menschen. Ich fragte ständig, was andere Tiere dachten und fühlten und sprach mit dem Goldfisch in seinem kleinen Aquarium. Ich wollte wissen, was in seinem winzigen Kopf vor sich ging und wie es sich anfühlte, endlose Kreise in einem nassen Käfig zu schwimmen. Meine Eltern sagten, dass ich mich um die Tiere kümmerte – immer wollte ich dafür sorgen, dass es ihnen gut ging, und niemals zweifelte ich an ihrer Intelligenz und ihren Emotionen. Ich wusste ganz einfach, dass sie diese hatten und dass ich ihre Gefühle nachempfinden konnte.4

Seit damals habe ich Hunde in den unterschiedlichsten Lebensbedingungen und Lebensräumen erforscht – darunter auch auf Hundewiesen – und viel über das Verhalten dieser faszinierenden Tiere gelernt. Ich studierte Tiere, die mir vertraut waren, weil sie mit mir zusammenlebten, und solche, die ich nicht kannte; darunter wildlebende Hunde unter fast allen möglichen Bedingungen. Ich erforschte auch Kojoten, Wölfe und andere Mitglieder der Gattung Canis und diskutiere liebend gern Parallelen und Unterschiede der verschiedenen Arten. Dabei ist wichtig, dass Hunde weder Wölfe noch Kojoten oder Dingos sind. Hunde sind Hunde, und es gilt, sie dafür das schätzen, wer sie sind, und nicht für das, wovon wir wünschten, dass sie es wären.

Natürlich haben die Vierbeiner auf der Hundewiese nicht die Freiheit, einfach nur sie selbst zu sein – auch dann nicht, wenn die Leine gelöst wird. Die Menschen, die sie hierher gebracht haben, haben immer ein Auge auf sie; sie kommentieren, dirigieren, korrigieren und versuchen, ihre Gefährten zu kontrollieren. Im Auslaufgebiet lernt man ebenso viel über die Beziehungen zwischen Hunden und Menschen und Menschen untereinander wie über die Spezies Hund. Wenn ich den Menschen dabei zusehe, wie sie mit ihren Hunden spazieren gehen und für diese sorgen – manchmal zerren sie diese an der Leine hinter sich her und drängen sie, ihr Geschäft zu verrichten, nachdem sie den ganzen Tag im Haus eingesperrt waren –, dann habe ich manchmal das Gefühl, dass den Menschen nicht bewusst ist, mit wem sie ihr Leben teilen oder dass sie keine Ahnung davon haben, was ein Hund minimal möchte und braucht, um ein gutes Leben zu haben. Aus diesem Grund ermuntere ich Menschen immer gern dazu, wie die Jungen mit den Eichhörnchen in die Rolle eines Ethologen zu schlüpfen und Tiere zu beobachten, zu hinterfragen und von ihnen zu lernen.

Wie wir noch sehen werden, ist es ein Fehler, über „den Hund” zu sprechen, als wären alle Hunde gleich. Hunde sind genauso individuell wie Menschen. Um bestmöglich für Ihren Hund sorgen zu lernen, müssen Sie ihn beobachten und herausfinden, was er mag und was nicht und ihn als Individuum kennenlernen. Ein weiteres Ziel dieses Buches ist es, den Leser zu ermuntern, selbst zum „Citizen Scientist“, zu deutsch etwa Bürger- oder Zivilwissenschaftler, zu werden. Darum habe ich auch zahlreiche Geschichten von Hundehaltern mit aufgenommen, die das Verhalten Ihrer Vierbeiner im Alltag beschreiben. Mit anderen Worten: Dieses Buch verbindet Wissenschaft und Geschichten, die das Leben schreibt. Ich liebe beides und beide Zugänge können sich gegenseitig bereichern. Oft inspirieren Fragen, die wir uns im Alltag stellen, wichtige wissenschaftliche Studien: Wir möchten mehr darüber wissen, was uns im täglichen Leben bewegt. Im Zusammenleben mit unseren Gefährten kann die zivile Wissenschaft unser Wissen über die Spezies Hund erweitern und bereichert in jedem Fall das Leben des Hundehalters mit seinem Vierbeiner. So wissen wir zwar sehr viel über Hunde – aber der Leser wird feststellen, dass das, was wir oft für ein Credo im Verhaltens unserer Vierbeiner halten, nicht unbedingt empirisch belegt ist: Hunde drehen sich nicht immer im Kreis, bevor sie sich hinlegen. Auch fressen sie nicht notwendigerweise Gras, um erbrechen zu können. Weder dient Urinieren immer dem Markieren des Reviers noch Aufreiten der Fortpflanzung (auch Hündinnen zeigen dieses Verhalten). Dominanz gibt es sehr wohl, doch geht es in Zerrspielen nicht notwendigerweise um Dominanz oder Aggression. Es spricht nichts dagegen, einen Hund zu umarmen, sofern dieser damit einverstanden ist. Hunde schlafen nicht den ganzen Tag, sondern nur zwölf bis vierzehn Stunden. Wir wissen zwar, dass Hunde Freude und Trauer empfinden, aber nicht, ob sie auch Emotionen wie Scham oder Schuldgefühle erfahren.5 Es ist auch ein Gerücht, dass Hunde, die mit Futter trainiert werden, ihren Besitzer nicht lieben, sondern bloß ausnutzen.6

Ich finde es faszinierend, wie viel es über diese wunderbaren Lebewesen noch zu lernen gibt. Während sich viele der Fragen, denen ich mich in diesem Buch widme, mit den ihnen zugrunde liegenden Prinzipien der Evolution hündischen Verhaltens erklären lassen, so zeigen sie zugleich auch, wie stark dieses Verhalten variieren kann. Wir sind immer noch dabei, herauszufinden, warum Hunde ihre Nasen hier und dort reinstecken und warum sie spielen, bellen, heulen, pinkeln und Exkremente fressen – ganz zu schweigen von der Frage, ob sie Gefühle, Bedürfnisse und Absichten anderer wahrnehmen können, ob sie Eifersucht empfinden, wissen, wer sie sind und Selbsterkenntnis erlangen können.

Dieses Buch ist bewusst so geschrieben, dass es dem breiten Publikum jener Menschen zugänglich ist, die meine Faszination und mein Interesse an Hunden teilen. Es ist ein Buch für alle, die mir auf der Hundewiese begegnen: Akademiker, andere Experten, engagierte Hundeliebhaber und einfach alle, die sich um ein vierbeiniges Familienmitglied kümmern. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich bemühen, die Lebensqualität und Lebensfreude ihres Hundes zu maximieren. Viele von ihnen wollen mehr über das Verhalten ihrer Kameraden lernen. Außerdem hoffe ich, dass dieses Buch den Ton unserer Gespräche widerspiegelt: persönlich und oft unbeschwert, gleichzeitig aber auch so detailliert, kritisch und wissenschaftlich fundiert, wie ich sie nur halten kann. Wichtig ist mir der Hinweis, dass wir bestimmte Aussagen nicht mit ausreichend Daten belegen können und weitere Studien nötig sind. Das, was wir jedoch über das Verhalten der Hunde wissen, sollten wir dafür einsetzen, bestmöglich für sie zu sorgen. Dazu gehört auch das Trainieren bzw. Ausbilden unserer Hunde. Es gibt keinen Grund, grausame oder gewalttätige Methoden einzusetzen, um unsere Hunde dazu zu bringen, sich in einer von Menschen beherrschten Welt unseren Wünschen entsprechend zu verhalten.

Ich schätze mich unglaublich glücklich, ein Forscher auf der Hundewiese zu sein und hoffe, andere zu inspirieren, es mir gleichzutun. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, in der Gesellschaft von Hunden über sie zu lesen und zu schreiben. Wir werden zwar niemals alle Geheimnisse dessen lüften, was in den Köpfen und Herzen anderer Tiere – darunter auch unserer Hunde – vor sich geht, aber wir wissen doch bereits viel darüber, was sie denken und fühlen. Häufig ist es eine Frage des gesunden Menschenverstandes, gut für sie zu sorgen.

Sind Sie bereit? Dann kommen Sie, lassen Sie uns die Hunde treffen!


Ich verbrachte unzählige Stunden damit, Zeke und seine Freunde beim gemeinsamen Spielen und Entspannen in meinem Zuhause in den Bergen am Rande von Boulder, Colorado, zu beobachten. (Foto: R. J. Sangosti/Denver Post/Getty Images)

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