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ZWEI

Die Welt aus Hundeperspektive


Jeder weiß, dass sich Hunde in der Form und Größe ihrer Schnauzen und Nasen unterscheiden. Oft hängt dies mit ihrer Kopf- und Gesichtsform zusammen. Einer meiner Lieblingshunde war Sammy alias Mr. Rüssel, ein riesiger Mischling, der mit der größten Schnauze und Nase ausgestattet war, die ich je an einem Hund gesehen habe. Sammy sah aus wie ein Ameisenbär und schien sich dessen auch bewusst zu sein. Nichts war vor seiner Nase sicher, und besonders gerne hielt sich diese in der Nähe von Popos, Ohren, Körpern und Köpfen seiner Artgenossen sowie in der Schrittgegend, an den Ohren und Lippen nichtsahnender Zweibeiner auf. Auf der Hundewiese war er unter dem Spitznamen Staubsauger bekannt, weil er sich wie ein solcher verhielt. Als ich eines Tages ins Beobachten zweier spielender Hunde vertieft auf der Wiese stand, kam Sammy von hinten auf mich zu, und ehe ich mich wehren konnte, tauchte seine Schnauze vorne zwischen meinen Beinen auf. Ich lachte bei der Vorstellung, dass er seinen Rüssel nur ein Stückchen heben müsste, um mich darauf reiten zu lassen wie auf dem Rücken eines Pferdes. Sammy sah mein Lachen als Zeichen, dass ich Spaß an seinem Spiel hatte, und schob seine Schnauze gleich noch einmal von hinten zwischen meine Beine.


Eine Frau, die ihren ersten Hund aus dem Tierheim adoptiert hatte, erfuhr, dass ich mich beruflich mit Hunden befasste, und fragte: „Warum schnüffelt sie an allem, scheint Dinge, die ich deutlich sehe, nicht zu erkennen und reagiert unruhig und aufgeregt, wenn sie etwas hört, was ich nicht höre?“ Diese Fragen höre ich oft, und ich erkläre dann meist, dass sich die Welt aus Hundeperspektive stark von der unseren unterscheidet.

Am besten beginnt man, sich mit der Welt der Hunde zu befassen, indem man sich vorstellt, wie es ist, ein Hund zu sein und die Umgebung über die Sinne eines Vierbeiners wahrzunehmen. Hunde haben dieselben fünf Sinne wie wir auch, nehmen darüber jedoch andere Dinge wahr. Ich weiß, es ist viel verlangt, sich vorzustellen, Sie wären ein Hund. Nicht nur, dass es uns unmöglich ist, uns wirklich all die Informationen bewusst zu machen, die ein Hund über seine faszinierende Nase und eifrige Zunge wahrnimmt – Hunde berühren mit beiden dieser Organe auch ständig Dinge, die wir mitunter ziemlich abstoßend finden. Sollten Sie sich das wirklich vorstellen?

Ich präsentiere Ihnen eine „Ethologie der Sinne”, oder einen Schnappschuss dessen, wie Hunde ihre Welt über ihren Geruchs-, Seh-, Hör-, Geschmacks- und Tastsinn wahrnehmen – natürlich im Rahmen dessen, was wir Menschen als angemessenes Verhalten sehen. Wie andere Tiere – darunter auch der Mensch – verarbeiten Hunde einen Cocktail an Reizen, die gleichzeitig und in rascher Folge auf ihn eindringen. In der Regel transportieren diese von Ethologen als multimodale Signale bezeichneten Reize mehr Information als Reize, die sich auf einen einzigen Sinn beschränken.

Die anhaltende und sich ständig ändernde Kakophonie der Sinneseindrücke erlaubt es den Hunden, detaillierte Informationen dazu zu sammeln, was gerade vor sich geht. Vielleicht hilft es ihnen sogar, zukünftige Ereignisse vorauszuahnen. Die so gewonnenen Informationen sind unerlässlich für die Entscheidung, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten wollen. Hunde bellen zwar (was ich in Kapitel sieben bespreche), nutzen aber nicht wie wir Menschen eine verbale Sprache, um miteinander zu kommunizieren und ihre Gefühle auszudrücken. Stattdessen verlassen sie sich in erster Linie auf ihre fünf Sinne und nonverbale Kommunikation.

Die Nase des Hundes ist ein Kunstwerk

Die Welt ist voller Gerüche. Weder können, noch müssen oder wollen wir Menschen sie alle wahrnehmen – aber Hunde sind anders. Gerüche machen ihre ganze Welt aus, und die Hundenase ist Expertin darin, diese aufzuspüren. In Hund – Nase – Mensch: Wie der Geruchssinn unser Leben beeinflusst bezeichnet Dr. Alexandra Horowitz den Hund als Nasentier bzw. als „Nase mit Körper dran”, und Forscher bezeichnen Hunde als makrosmatische Säugetiere, weil ihr Geruchssinn lebenswichtig ist.61 Ich denke immer, dass ein Hund ohne funktionierende Nase kein Hund ist. Tatsächlich haben Hunde abgesehen von ihrer guten Nase auch ein sogenanntes vomeronasales Organ, das auch als Jacobson-Organ bezeichnet wird. Es gehört zum zusätzlichen olfaktorischen System des Hundes und reagiert nicht auf flüchtige Gerüche wie die übrigen Riechzellen, sondern auf flüssige Reize.62

Wir wissen, dass Hunde ihre Nasen gern überall reinstecken. Oft schnaufen sie dabei oder kurz darauf. Ihre hochempfindlichen Nasen sind legendär – so sehr, dass wir ihre Lebensphilosophie unter dem Motto „Erst schnüffeln, dann denken” zusammenfassen könnten. Wir wissen nicht, warum die Nase der Hunde so sensibel ist. Manche Forscher vermuten, dass es damit zu tun haben könnte, dass sie sich so nah am Boden befindet. Andere meinen, es handle sich dabei einfach um eine evolutionäre Adaption, von welcher das Tier profitiere –und „darum ist es jetzt eben so, wie es ist”. Wie dem auch sei – Hunde setzen ihre Nasen scheinbar ununterbrochen ein.

Schnüffeln Hunde an Orten und Stellen, die tabu für uns sind, so fühlen wir uns unwohl. Auf meinen Streifzügen über die Hundewiese höre ich häufig jemanden rufen: „Stopp, nimm deine Schnauze da weg!” oder „Wie widerlich! Hör auf, an seinem Popo zu schnüffeln!” Hunde schnuppern liebend gern an Geschlechtsteilen, Urinmarken und Hundehaufen, um spannende Informationen einzuholen. Was Gerüche betrifft, so sollten wir Hunde Hunde sein lassen, anstatt unsere eigenen Vorstellungen von Anstand auf sie zu übertragen. Das heißt, dass wir ihnen erlauben sollten, einander nach Herzenslust zu beschnüffeln und ihre Spaziergänge tatsächlich ihre Spaziergänge sein zu lassen – ganz gleich, wie frustrierend und schwierig dies sein mag. Ihre Sinnesorgane müssen genauso wie ihre Muskeln, Herzen und Lungen ausgelastet werden.

Was nimmt die Hundenase wahr?

Ich habe Ihnen bereits mehrere Hunde vorgestellt – darunter Paul und Pina, die „Popo-Fans”, Sally und Simba, „die Schamlosen”, und Sammy alias „Mr. Rüssel” –, für deren Nasen es kein Halten gibt. Diese Hunde können nicht anders, als ihre Schnauze an intime Orte zu stecken, was immer wieder die Frage aufwirft, warum sie dies tun und was sie daran so offensichtlich genießen.

Wir wissen zwar, dass Hunde mithilfe der Nase wichtige Informationen sammeln, aber wir können nicht immer sagen, worum es sich bei diesen Informationen handelt. Es ist allgemein bekannt, dass Rüden anhand des Geruches einer Hündin feststellen können, ob diese läufig ist. Außerdem scheinen alle Hunde in der Lage zu sein, Artgenossen auf Geruchsbasis eindeutig zu identifizieren. Sie können ihren Eigengeruch vom Geruch anderer unterscheiden und möglicherweise anhand des Duftes eines Artgenossen lesen, wo dieser gewesen ist, mit wem er Kontakt hatte und wie er sich fühlt. Nachdem wir Menschen so viel Zeit damit verbringen, zu staunen und zu lachen, wenn Hunde leidenschaftlich den Duft von Fußböden, leblosen Gegenständen und Körperteilen einsaugen, ist es erstaunlich, wie wenig wir tatsächlich wissen. Die Bürgerwissenschaft kann einen Anreiz bieten, weitere wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet durchzuführen.

Manchmal wird sogar spekuliert, dass Hunde Zeit riechen könnten. Sie haben sicherlich ein gewisses Zeitgefühl: Die meisten Hunde wissen, wann es Zeit für ihr Abendessen ist und scheinen vorauszuahnen, wann ihre Menschen nach Hause kommen. Wir wissen allerdings nicht, wie sie tatsächlich feststellen, wie früh oder spät es ist und was das für sie bedeutet. Alexandra Horowitz vermutet, dass Hunde Gerüche wahrnehmen können, während sich diese auflösen und sich ihr Zeitgefühl daraus ergibt. Vielleicht haben sie aus demselben Grund eine gute Vorstellung davon, wann ihr Mensch nach Hause kommt.63 Ich weiß nicht, ob dies tatsächlich der Fall ist – vielleicht können sie dies in manchen Situationen. Meine eigenen Beobachtungen und die Berichte anderer lassen darauf schließen, dass Hunde außerdem nicht nur wissen, wer an einer bestimmten Stelle eine Urinmarke hinterlassen hat, sondern auch korrekt einschätzen können, wie lange dies her ist. Dies ist bisher nicht wissenschaftlich belegt worden – wir müssen weiter forschen, um dieser respekteinflößenden und zugleich spannenden Frage auf den Grund zu gehen.

Was auch immer die Nase den Hunden verrät – sie riechen niemals nicht; vielleicht arbeitet ihre Nase sogar im Schlaf. Dabei kommt es häufig vor, dass Hunde ihre Freunde ebenso genau unter die Nase nehmen wie Bekannte und Fremde – selbst dann, wenn sie nur wenige Sekunden lang getrennt waren. Jessica Pierce erzählte mir, dass ihre Hündin Bella ihre Schwester Maya zu beschnüffeln pflegte, wenn diese beim Tierarzt gewesen war. Ich erinnere mich noch heute daran, wie häufig ich über Jethro – einen Hund, mit dem ich mein Zuhause teilte – lachte: Er roch selbst dann mit größtem Interesse an Zeke, wenn dieser weniger als eine Minute den Raum verlassen hatte. Zeke gab sich geduldig, wenn Jethro ihn vom Kopf bis zu den Zehenspitzen mit der Schnauze untersuchte. Manchmal schien es mir, als würde Zeke sagen: „Hey, ich war nur unten an der Straße, um zu pinkeln und unsere Freundin Lolo zu treffen.” Hunde scheinen das Schnüffelbedürfnis ihrer Artgenossen nicht infrage zu stellen, und ich bin mir sicher, dass sie wissen, was sie tun. Vielleicht ist es wie bei Menschen, die einander mitunter Sekunden nach der Verabschiedung eine SMS schicken. Wurde nicht schon alles gesagt? Manchmal will man sich einfach noch einmal kurz melden.

Was auch immer es ist, das die Nase den Hunden verrät – Gerüche können Hunde dermaßen einnehmen, dass sie völlig zu vergessen scheinen, was rund um sie vorgeht und was sie gerade tun. Manchmal begegne ich einem Hund, der dermaßen ins Schnüffeln vertieft ist, dass er mein Auftauchen überhaupt nicht wahrzunehmen scheint. Während ich an diesem Kapitel arbeitete, beobachtete ich einen Hund, der einer Spur von einem Radweg in Boulder folgte, welche geradewegs in einen Bach führte! Ich erinnere mich auch gut an den Tag, als ich den Feldweg zu unserem Haus in den Bergen hochlief und sah, wie Jethros ausgezeichnete Nase meinen Gefährten geradewegs in ein Kaktusfeld führte. Ich schrie, um ihn zu warnen – doch es war bereits zu spät. Gern würde ich sagen, dass er aus dem stacheligen Zusammenstoß lernte – doch leider war dies nicht der Fall. Am nächsten Tag stieß er mit der Nase an derselben Stelle erneut gegen einen Kaktus. Was auch immer es war, dass Jethro so vereinnahmte – es ließ ihn alles andere vergessen. Interessanterweise schenkte keiner seiner Hundefreunde den duftenden Kakteen auch nur die geringste Aufmerksamkeit.

Die Raffinesse der Hundenase wirft die Frage auf, wie sich Gerüche ausbreiten. Wie ich weiter unten bespreche, stellt die Fähigkeit der Hundenase, Gerüche zu unterscheiden, unsere eigenen olfaktorischen Talente in den Schatten. Hunde können subtile Unterschiede zwischen Düften wahrnehmen, die für uns genau gleich riechen. Auch ist bekannt, dass sie dazu ausgebildet werden können, nach Bomben, Drogen und verbotenen Lebensmitteln zu suchen. Im letzteren Fall lernen Hunde, nicht jedes x-beliebige Nahrungsmittel, sondern nur ganz bestimmte Dinge anzuzeigen. Ausgebildete Hunde können sogar verschiedene Krankheiten riechen und Ärzten auf diese Art bei der Diagnose helfen. Sie sind in der Lage, in den unterschiedlichsten Situationen Spuren zu verfolgen und Gerüche aufzuspüren und werden an Tatorten eines Verbrechens oder zur Suche vermisster Personen eingesetzt, wobei sie die Richtung erkennen, aus welcher der Geruch des Gesuchten kommt.

Hunde sind auch als Umweltschutzbiologen im Einsatz. Sie helfen beim Aufspüren der Tiere, ohne dass es nötig wäre, diese einzufangen und mit Funkhalsbändern auszustatten. Sie finden seltene Arten und spüren Losungen auf, mit deren Hilfe ihre zweibeinigen Partner feststellen, was die Wildtiere gefressen und ob sie pharmazeutische Produkte, Schwermetalle oder Gifte aufgenommen haben. Auch helfen sie, das Wildern und Töten von Elefanten und Nilpferden zu verhindern, die bis heute aufgrund des Elfenbeins bzw. ihrer Hörner in Gefahr sind. Interessanterweise kommen viele Artenschutzhunde, die ein aufregendes und erfülltes Leben an der Seite eines Biologen führen, ursprünglich aus dem Tierheim. Die Hunde, mit denen ich in den Bergen von Boulder, Colorado, lebte, ließen mich verlässlich wissen, wenn sich Schwarzbären oder Pumas in der Nähe aufhielten. Ich folgte ihnen, wohin sie ihre Nase führte, bis ich die Losung des entsprechenden Tieres fand, anhand derer ich feststellen konnte, um welches Tier es sich handelte. War es ein Bär oder Puma, machte ich mich auf den Heimweg.64 Einer meiner Hunde zeigte auch an, wenn sich ein Rotluchs in der Nähe aufhielt. Er hatte sich mir nie gezeigt, doch wusste ich, dass er hier war. Braver Hund!

Aufgrund dessen, wie sich die Hundenase ausbilden lässt, sind uns auch ein paar der Dinge bekannt, die Hunde mittels ihrer Nase über Menschen herausfinden: Sie können zwischen unseren Emotionen unterscheiden und bestimmte Krankheiten erkennen. In den meisten Fällen kam der Mensch überhaupt erst auf die Idee, Hunde in der Diagnostik einzusetzen, weil diese selbst uns zeigten, dass sie eine bestimmte Krankheit riechen konnten. Interessanterweise lassen sich nicht alle menschlichen Krankheiten auf dieselbe Art feststellen.65

2016 kreierte Mathew Reichertz, ein Professor am Nova Scotia College of Art & Design, eine Kunstausstellung mit dem Titel Dog Park. Diese umfasste eine Gemäldeserie, die vom Blickwinkel eines Hundes aus zeigte, wie sich verschiedene Düfte in der Atmosphäre verteilen. Professor Reichertz erklärt: „Ich beschäftigte mich damit, wie sich Gerüche im unebenen Gelände ausbreiten, wie die Nase des Hundes funktioniert und wie sich Hunde verhalten, wenn sie einer Spur folgen. Je mehr ich mich bemühte, den Geruchssinn der Hunde zu verstehen, desto deutlicher wurde, dass deren olfaktorische Erfahrung eine Art Architektur ergibt, in welcher sie leben und sich bewegen.”66

Ich frage mich auch immer wieder, was passiert, wenn ein Hund schläft. Oft beobachte ich einen dösenden Hund – zumindest sieht es aus, als würde er schlafen –, dessen Nase sich langsam von einer Seite zur anderen bewegt, häufig begleitet oder dicht gefolgt von einem Schnaufen, einem anderen Geräusch oder einer Augenbewegung. Manchmal höre ich ein lautes Schnauben und rechne damit, gleich einen Patzen Nasenschleim durch den Raum fliegen zu sehen, während der Hund friedlich weiterschläft und vielleicht von einer köstlichen Mahlzeit oder einem Tag mit Freunden träumt.

Wie funktioniert die Hundenase?

Wir alle haben eine gute Vorstellung davon, was Menschen riechen können. Darum ist es hilfreich, unser eigenes Riechvermögen mit dem des Hundes zu vergleichen.67 Der Geruchssinn ist der am höchsten entwickelte Sinn des Hundes. Der olfaktorische Kortex ist Teil des Gehirns. Beim Hund ist er etwa vierzig Mal größer als beim Menschen. Etwa fünfunddreißig Prozent des Hundegehirns ist für Gerüche zuständig, während es beim Menschen nur fünf Prozent sind. Hunde können ihre Nasenlöcher unabhängig voneinander einsetzen, was ihre Fähigkeit zur Geruchswahrnehmung weiter erhöht. Wissenschaftler haben untersucht, wie die Luft durch die Nase eines Vierbeiners strömt und festgestellt, dass diese durch die Nasenlöcher ein- und durch die Schlitze auf der Seite der Nase ausatmen. Dadurch können Gerüche im hinteren Teil der Nase behalten werden. Hunde atmen auch nicht alle Geruchsmoleküle gleichzeitig aus.68 Die menschliche Nase kann zwischen vier- und zehntausend verschiedene Gerüche wahrnehmen, die Hundenase hingegen zwischen dreißig- und hunderttausend: Sie ist der unseren um das Hunderttausend- bis Millionenfache überlegen.

Alexandra Horowitz verrät uns, dass die Riechschleimhaut eines Hundes dessen gesamten Körper zudecken könne wie ein Leintuch, wenn wir diese ausbreiten würden – im Gegensatz zu der des Menschen, welche gerade mal ein Muttermal auf der Schulter abdecken könnte.69

Hunde schnüffeln etwa fünf Mal pro Sekunde. Wenn sie die Möglichkeit dazu haben, verbringen Sie ein Drittel ihrer Zeit damit, nach Herzenslust zu schnuppern, zu schnüffeln und zu riechen. Während des Schnüffelns atmen Hunde nicht aus. Das erlaubt ihnen, selbst schwache Gerüche wahrzunehmen. Sie können ihre beiden Nasenlöcher unabhängig voneinander bewegen und einsetzen, und wenn ihre Nahrung weniger Protein und mehr Fett enthält, verbessert sich ihr Geruchssinn.70

Hunde können sogar unter olfaktorischer Erschöpfung leiden, wenn sie zu viel riechen. Ich frage mich, ob sie mitunter von den Gerüchen, denen wir sie aussetzen, überwältigt sind: Wie beeinflussen Hundeparfums, Shampoos und Seifen die Wahrnehmung biologisch relevanterer Gerüche? Mögen Hunde die duftenden Seifen überhaupt, oder schmeicheln diese einzig und allein der menschlichen Nase? Es ist wichtig, darauf zu achten, wie sie sich gegenüber den Gerüchen verhalten, mit denen wir sie besprühen, baden oder einreiben.71

Dem norwegischen Forscher und Hundenasenspezialsiten Dr. Frank Rosell zufolge hilft die Nase des Hundes auch beim Aufwärmen, Filtern und Befeuchten der inhalierten Luft, bevor diese in die Lunge strömt. Zwar dienen die Nasenlöcher aller Lebewesen sowohl dem Atmen als auch dem Riechen, doch sind diejenigen des Hundes außerordentlich gut organisiert und den unseren weit überlegen.

Dr. Rosell schreibt:

„Atmet der Hund durch die Nase, gelangt die Luft durch die Atemwegsbereiche in der langen Schnauze und dann direkt in die Lunge. Wenn er schnuppert, gelangt die Luft hingegen zuerst in einen Seitenweg, den wir Recessus olfactorius („olfaktorische Vertiefung”) nennen. Dieser befindet sich im hintersten Teil der Nasenöffnung. Mikrosomatische Säugetiere wie Menschen und Primaten besitzen solche Recessi olfactorii nicht. Hunde haben bewegliche Nasenöffnungen, die sich beim Schnuppern weiten: dies öffnet eine obere Passage, die die Luft direkt zum hinteren Teil des Recessus olfactorius leitet. Die Luft wird langsam durch das Sinnesorgan filtriert, bevor sie in die Lunge gelangt.“72

Auch von Rasse zu Rasse gibt es Unterschiede. Dr. Rosell erklärt:

„Die Geruchsschleimhaut variiert sowohl zwischen den verschiedenen Rassen als auch innerhalb einer Rasse und mit dem Alter. Schäferhunde haben mit 96 bis 200 cm2 das größte Geruchsschleimhautareal. Ein Cocker Spaniel hat eine Fläche von 67 cm2 und bei einem Foxterrier-Welpen kann das Geruchsareal nur 11 cm2 groß sein. Je größer das Areal, desto größer die Möglichkeit, auch schwache Gerüche wahrzunehmen.”73 Abgesehen vom Messen des Geruchsschleimhautareals haben Forscher auch die Anzahl olfaktorischer Rezeptorzellen unterschiedlicher Rassen bestimmt: Bloodhounds haben mit rund 300 Millionen die meisten Rezeptorzellen. Aus diesem Grund haben Bloodhounds auch die beste Nase aller Rassen – eine Nase, die zwischen zehn und hundert Millionen Mal empfindlicher ist als unsere. Deutsche Schäferhunde haben immer noch 220 Millionen olfaktorische Rezeptorzellen, Foxterrier 147 Millionen und Dackel 125 Millionen.

Die beste Nase: Hund versus Mensch

Wie viel wichtiger ist die Nase für den Hund als für den Menschen?

Die folgenden Vergleiche verdeutlichen den Unterschied:

• Das Rhinencephalon (Riechhirn) des Hundes ist fast sieben Mal größer als das des Menschen.

• Die Riechschleimhaut eines Hundes misst zwischen 67 und 200 Quadratzentimeter, während jene des Menschen nur zwischen drei und zehn Quadratzentimeter groß ist.

• Hunde können zwischen 125 und 300 Millionen olfaktorische Zellen haben. Menschen besitzen fünf Millionen.

• Jede olfaktorische Zelle des Hundes ist mit 100 bis 150 olfaktorischen Haaren besetzt. Menschen haben sechs bis acht olfaktorische Haare pro Zelle.

• Hunde können manche Stoffe bis zu einer Verdünnung von einem part per trillion riechen. Die niedrigste vom Menschen wahrnehmbare Verdünnung liegt bei einem part per billion.

Dr. Rosell schreibt:

„Atmet ein Hund ein, zieht die Luft aus der Nähe ins Nasenloch und er weiß, in welches Nasenloch der Geruch gelangt. Die Nasenlöcher der Hunde sind mehr als nur eine einfache Öffnung. Sie haben eine flügelähnliche Klappe, die sich vor dem Luftstrom öffnet und dahinter wieder schließt. Diese Klappe bestimmt die Richtung des Luftstroms in der Nase und aus der Nase heraus. Wenn der Hund einatmet, entstehen Öffnungen oberhalb und seitlich dieser Klappe. Beim Ausatmen schließen sich diese und die Luft fließt aus anderen Öffnungen seitlich unterhalb der Klappe heraus, und zwar so, dass der Hund das Einsammeln neuer Gerüche steigern kann. So fließt die warme, ausgeatmete Luft nach hinten und weg vom Geruch, an dem die Hunde schnuppern, wodurch verhindert wird, dass der Geruch mit der ausgeatmeten Luft vermischt wird. Weil die Luft warm ist, werden die Geruchsstoffe aufgewärmt und gehen leichter in eine Gasform über, was das Geruchssammeln verstärkt. Indem sie die Nase nah am Boden halten und rasch einatmen, können Hunde die schwereren, nicht flüchtigen Geruchsstoffe vom Boden hochblasen, in die Luft wirbeln und einatmen. “74

Ganz klar: Die Hundenase ist ein Kunstwerk, eine raffinierte Anpassung an die Umwelt, ein Meisterstück der Evolution – und dabei doch ganz ohne Ziel und Plan entstanden! Erzählt mir jemand, dass er sich wünschte, die Nase eines Hundes zu haben, rate ich ihm, sich das nochmal zu überlegen: Ich bin froh, einiges über das faszinierende Sinnesorgan zu wissen, doch nicht einmal ich möchte all jene Dinge riechen können, deren Duft unsere Hunde betört.

Die Welt aus dem Blickwinkel des Hundes

Zweifellos haben Hunde einen feinen und hoch entwickelten Geruchssinn. Sie haben außerdem ein Paar guter Augen, die ebenfalls wichtig sind, um sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtzufinden. Sicher bin ich nicht der Einzige, der schon einmal im Blickduell gegen einen Hund verloren und als Erster weggeschaut hat. Hunde sind übrigens nicht die einzigen Tiere, die dem Menschen in die Augen sehen: Mit wilden Kojoten, Schwarzbären und Pumas rund um mein Berghaus habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht.

John Bradshaw und Nicola Rooney schreiben: „Hunde sind visuelle Universalisten und können sich in den verschiedensten Lichtverhältnissen zurechtfinden. Sie sind Dichromaten – das heißt, sie können nicht zwischen grün und grau bzw. gelb und orange unterscheiden, und rot erscheint für sie schwarz. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass Farben eine Rolle in der visuellen Kommunikation der Hunde spielen. Das Sehvermögen variiert von Rasse zu Rasse. Greyhounds wird nachgesagt, von allen Hunden am besten zu sehen – jedoch wurde dies bis heute nicht eindeutig nachgewiesen.”75

Die Nahsicht des Menschen ist besser als jene der Hunde: Sie verlassen sich oft auf eine Kombination aus Gerüchen und Geräuschen, um sich mit Dingen in unmittelbarer Nähe auseinanderzusetzen. Bewegungsreize werden besser wahrgenommen als stationäre Reize. Dem kommt zum Beispiel im Lesen des Schwanzwedelns eines Artgenossen (mit dem ich mich in Kapitel sieben beschäftige) Bedeutung zu. Wir wissen auch, dass Hunde Tiere auf Basis eines Bildes von deren Kopf unterscheiden können. Immer wieder erzählt mir jemand, dass sein Hund Artgenossen aus großer Distanz „lesen” könne: Er wisse schon aus der Ferne, ob diese ihm freundlich gesinnt und an einem Spiel interessiert sind oder ob sie keinen Kontakt wollen. Allerdings ist die Sehschärfe der Hunde der unseren weit unterlegen: Was wir aus über zwanzig Meter Entfernung sehen können, erkennen sie erst aus sechs Metern Entfernung. Sie sollten Brillen tragen! Darum fasziniert es mich jedes Mal wieder, wenn ein Hund einen anderen aus großer Distanz erkennen kann. In der Besprechung einer Studie von Dominique Autier-Dérian und ihren Kollegen sagt C. Claiborne Ray: „Mit Größenunterschieden vom winzigen Malteser bis zum riesigen Bernhardiner und unzähligen Varianten von Fell, Schnauze, Rute und Körperbau ist es schwer zu glauben, dass tatsächlich alle Hunde ein und derselben Art angehören. Und doch erkennen Hunde einander problemlos gegenseitig – selbst dann, wenn sie nicht auf Hinweise wie Geruch, Bewegungsmuster und Bellen, Jaulen oder Winseln zurückgreifen können.”76

Viele Hundehalter berichten, dass ihre Vierbeiner bei ersten Begegnungen Artgenossen derselben Rasse bevorzugen und dass Hunde derselben Rasse einander anders behandeln als Hunde verschiedener Rassen. Hat dies wie das Erkennen verwandter Tiere unter Nagern mit dem Geruch zu tun? Hunde wissen zwar, wie sie selbst riechen, aber nicht unbedingt, wie sie aussehen – oder vielleicht doch? Studien, die in den 1960er Jahren an Vögeln durchgeführt wurden, lassen vermuten, dass ihnen die eigene Farbe aufgrund ihres Spiegelbildes in Wasserflächen bewusst werden könnte.

Wir wissen auch, dass Hunde nicht farbenblind sind, aber ein geringeres Farbspektrum wahrnehmen können als wir: Hunde sehen eine Bandbreite an Farben, die jener eines rot-grün-blinden Menschen entspricht. Andererseits können Hunde nachts besser sehen als wir. Es wird angenommen, dass sie sich in fünf Mal schwächerem Licht als wir zurechtfinden.

Hundeohren: Der Gehörsinn unserer Vierbeiner

Von langen Schlappohren bis kurzen Stehohren können die Ohren der Hunde die unterschiedlichsten Formen und Größen haben. Unabhängig davon hören sie Dinge, die uns Menschen verborgen bleiben. Zudem sind Hundeohren beweglich und können in verschiedene Richtungen gedreht werden, was dem Vierbeiner erlaubt, genauer zu bestimmen, woher ein bestimmtes Geräusch kommt. Je nach Rasse und Alter sind Hunde in der Lage, Frequenzen von bis zu vierzig- bis sechzigtausend Hertz zu hören (ein Hertz entspricht einem Zyklus pro Sekunde). Menschen hingegen hören Geräusche von bis zu zwölf- bis zwanzigtausend Hertz. Das Geräusch einer Hundepfeife bewegt sich in der Regel in einem Frequenzbereich zwischen dreiundzwanzig- und vierundfünfzigtausend Hertz. Hunde besitzen mehr als achtzehn Muskeln, um die flexible Ohrmuschel zu bewegen. Im Allgemeinen ist der Frequenzbereich, in dem Hunde hören können, etwa doppelt so groß wie der des Menschen und sie können Geräusche aus vier Mal so großer Entfernung wie wir wahrnehmen: Was ein Hund aus zwanzig Metern Entfernung hört, hört ein Mensch erst aus fünf Metern Entfernung.77 Der Gehörsinn der Hunde ist natürlich an jene Laute angepasst, welche sie selber von sich geben: John Bradshaw und Nicola Rooney berichten, dass Studien zufolge wilde Caniden zwölf und Hunde zehn verschiedene Geräusche produzieren. Bis heute herrscht allerdings keine Einigkeit, wie viele Laute Hunde tatsächlich von sich geben: Manche Wissenschaftler zählen verschiedene Geräusche zur selben Kategorie, während andere eine feinere Einteilung vornehmen.

Geschmack, Geruch und das Potpourri der Sinneseindrücke

Dieses Kapitel konzentriert sich vor allem auf Nase, Ohren und Augen der Hunde: die wichtigsten Sinne der Caniden und zugleich jene, über die wir am meisten wissen. Über den Geschmacks- und Tastsinn unserer Vierbeiner wissen wir vergleichsweise wenig.

Der Geschmackssinn der Hunde ist weit weniger empfindlich als unserer: Hunde haben etwa 1.700 Geschmacksknospen, während Menschen 9.000 besitzen. Angesichts dessen, was Hunde abschlecken und ins Maul nehmen, ist dies vielleicht gar nicht so schlecht.

Auch der Tastsinn spielt eine Rolle – für manche Hunde mehr als für andere. Manche Vierbeiner lassen sich gerne umarmen, solang dies zu ihren Bedingungen geschieht. Es wirkt auch so, als könne Streicheln bzw. Liebkosen einen ängstlichen oder nervösen Hund beruhigen – vorausgesetzt, dieser lässt sich gerne berühren. Andere Hunde wiederum werden nur ungern umarmt. In diesem Fall sollte die Abneigung gegen Berührungen respektiert werden.

Zwischen Hunden gehen Berührungen häufig mit direktem Kontakt einher. Möglicherweise verstärken sie oder schwächen ab, was die Hunde einander mitzuteilen haben. Ich beobachtete einmal einen Hund, der langsam auf einen gestressten Artgenossen zuging, sich neben ihn legte und ihm eine Pfote auf den Rücken legte, als wolle er sagen: „Alles in Ordnung. Ich bin hier. Keine Angst.” Hin und wieder putzen Hunde einander, und oft schlafen sie Bauch an Rücken mit Körperkontakt. Dennoch wissen wir abgesehen davon, dass manche Hunde Körperkontakt mögen und andere nicht, bisher nur wenig über Berührungen unter Hunden.

Die größte Herausforderung für zukünftige Studien liegt nicht bloß darin, herauszufinden, wie jeder Sinn für sich funktioniert, sondern wie Hunde den Input verschiedener Sinnesorgane zu multimodalen Signalen kombinieren, um sich in der Welt zurechtzufinden und Entscheidungen zu treffen. So konnte eine Studie von Ludwig Huber etwa zeigen, dass Hunde visuelle und auditive Informationen kombinieren und mit deren Hilfe andere Hunderassen korrekt identifizieren können. Die vierbeinigen Studienteilnehmer ordneten Bilder von Hunden unterschiedlicher Größe jenen Lautäußerungen zu, welche diese in der Regel von sich geben.78

Früher oder später werden uns weitere Studien ermöglichen, besser zu verstehen, wie Gerüche, visuelle Eindrücke und Geräusche in Isolation und Kombination wirken und wie Hunde auf deren Basis die Welt wahrnehmen. Bis es so weit ist, wissen wir zumindest Folgendes: Wie auch immer Hunde all die Reize verarbeiten, die ständig auf sie einstürzen – wenn ihre Nase am Boden oder am Hintern eines Artgenossen klebt, wirken sie wie in eine Symphonie der Gerüche versunken.

Feldstudien auf der Hundewiese

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