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Kapitel 2

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Ein paar Wochen waren nach den schrecklichen Vorfällen in Norfolk vergangen. Die Sommerferien waren zu Ende gegangen und für Faith und Shirley begann wieder der Alltag an der Virginia-High. Ihr Freund Marcel Kingston war zwei Jahre älter und hatte sein Studium am Norfolk Admiral College begonnen. Dort konnte er seinem Kindheitstraum Eishockeyprofi zu werden nachgehen und nebenbei einen guten Studienabschluss für das Berufsleben machen. Es war der erste Tag an den Lehrstätten und Faith genoss es rauszukommen und wieder unter ihren Mitschülern zu weilen. Ihr erster Gang allerdings führte sie zum Direktor der High-School, Professor Dr. Al W. Atorceislay. Sie klopfte kurz an und betrat das Büro des Direktors, der sie freudig begrüßte und ihr einen Platz gegenüber am Schreibtisch anbot.

„Schönen guten Morgen Faith. Ich freue mich, dass du so kurzfristig Zeit finden konntest und das Angebot zum Gespräch wahrgenommen hast. Wie geht es dir nach diesem schweren Schicksalsschlag?“

„Nun, um ehrlich zu sein Professor Atorceislay. Es ging mir schon besser, aber aktuell fühle ich wesentlich besser, als noch vor ein paar Tagen, als die Wunde noch frisch war.“

Der grauhaarige zur Glatze neigende Mann nickte. „Ich verstehe dich voll und ganz. Nun, wenn dir irgendwas auf der Seele brennt, dich belastet oder du einfach nur reden willst, ich bin für dich da. Mein Büro steht immer offen.“

Faith blickte ihren Direktor an. Er war erst seit einem halben Jahr an der Virginia-High. Professor Atorceislay war ein kräftig gebauter Mann, der zum Bierbauch neigte und in sein 52. Lebensjahr ging.

„Ich danke Ihnen Professor. Das Angebot nehme ich gerne wahr, wann immer etwas ist.“

Sie stand auf und wollte gerade gehen, als es erneut an der Tür zum Direktorenzimmer klopfte. Atorceislay lächelte. „Das geht ja heute zu, wie im Taubenschlag. Herein!“

Ein dünner Mann im grauen Anzug und hellblauen Hemd mit rot-weiß-gestreifter Krawatte betrat das Zimmer. Er war etwa 1,85 m groß, trug eine grau-schwarze Brille mit durchsichtigen Rändern um die Gläser. Der Mann wirkte recht unscheinbar, würde er nicht durch seine gekrümmte Armhaltung auffallen. Es handelte sich um Professor Joe Schtidler, stellvertretender Direktor der High-School, Lehrer für IT-Kommunikation und Biologie und Redaktionsleiter der Schulzeitung.

„Guten Morgen, Professor. Ich wollte gerade aufbrechen.“

Schtidler grinste sie aus seinen schiefen Zähnen an. „Guten Morgen Faith. Dann lass dich nicht aufhalten. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“

„Ihnen auch Professor Schtidler. Ciao.“ Faith verließ das Zimmer des Direktors und begab sich in Richtung der Unterrichtsräume. Sie konnte Professor Schtidler nicht sonderlich leiden und war froh, dass sie ihre Tätigkeit bei der Schülerzeitung rasch beendet hatte. Der Professor neigte zu unverständlich wirkenden Sätzen, die sich oftmals maßlos in die Länge zogen. Es gab Gerüchte, dass er als DJ im berühmten Techno Club Route 66 auflegte. Andere sagten, dass er in seinem Haus in seinem Dachwintergarten ein Labor führte, wo er mit fossiler DNA arbeitete. Faith und vielen Mitschülern war der Professor nicht so ganz koscher, weswegen es nicht verwunderlich schien, dass die Schülerzeitung hauptsächlich mit sogenannten Strebern besetzt war. Die Redakteure der Zeitung flitzten für den Schuljahresbeginn schon sehr eifrig über die Gänge, was Faith und Shirley ein wenig verwunderte. Sie hielten Matthew Warren, den stellvertretenden Chefredakteur der Zeitung an.

„Guten Morgen Matthew. Schöne Ferien gehabt?“

Matthew wirkte leicht gestresst. Dennoch ließ er die Beiden nicht links liegen. „Hi Faith. Hi Shirley. Danke, die Ferien waren recht angenehm. Bis es vor fünf Tagen losging.“

Faith blickte ihn verdattert an. „Was losging?“

Matthew war empört: „Sagt mal, wart ihr die letzten Tage auf einem fremden Planeten oder im Urlaub? Mensch, vor fünf Tagen verschwanden sechs Schüler unserer Schule spurlos. Darunter auch ein bekanntes Liebespärchen Freddie Krueger und Heather Langenkamp. Freddie war ein Musterschüler und Captain des Football-Teams. Man vermutet ein Liebesdrama, dass die beiden durchgebrannt sind. Heathers Eltern sind sehr streng und spießig, was diese Beziehung anging. Aber man hat nichts von den Beiden gefunden. Keine Spur. Und sie wurden nirgendwo gesehen. Gerade Freddie sollte mit seinen Narben im Gesicht jemandem auffallen.“

Faith nickte, während Matthew sie verwundert anblickte. „Und ihr habt wirklich nichts mitbekommen?“

Faith senkte den Kopf und schüttelte ihn still. Shirley sprang ihrer Freundin zur Seite. „Matthew, du unsensibler Hund. Ihr habt vor lauter Recherchearbeit nicht bekommen, dass die Millers, Faith‘ Eltern gestorben sind!“

Eine peinliche Stille entstand. Matthew lief rot an. Ihm war sein vorheriges Getue peinlich. Er reichte Faith die Hand. „Entschuldige bitte Faith. Das wusste ich nicht. Du hast mein aufrichtiges Beileid.“

Ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen und sie nahm die Geste an. „Danke dir Matthew. Du warst beschäftigt und schon immer den Schlagzeilen auf der Spur. Ist schon in Ordnung.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und ließ Matthew seiner journalistischen Tätigkeit nachgehen.

Shirley schüttelte immer noch verärgert den Kopf. Als Matthew außer Sicht- und Hörweite war, machte sie ihrem Ärger Luft. „Dieser verdammte Streber! Ich könnte ihn in der Luft zerreißen. Immer nur PC, Zeitung und fette Schlagzeilen. Am liebsten hätte ich ihm eine geschmiert.“

Faith grinste. „Du bist zu hart zu ihm. Es ist schon in Ordnung. Mir ist es lieber, dass mich wenige Leute darauf ansprechen. Ich möchte nichts Besonderes sein, nur weil meine Eltern tot sind. Ich möchte einfach nur Faith sein. Was steht denn als Erstes auf dem Stundenplan für heute?“

Shirley blickte auf ihren Stundenplan: „Die ersten zwei Stunden haben wir Mathe bei Mrs. Thompson. Dann Geschichte, Politik und Physik und danach haben wir frei!“

„Wir könnten nach dem Unterricht ins Elm’s gehen und dort auf den ersten Schultag anstoßen. Gute Idee?“

Faith nickte. „Lass uns noch Marcel fragen. Vielleicht hat er auf der Uni auch keinen langen Tag.“

Shirley zückte ihr Handy, um eine Kurznachricht in das Gerät zu tippen und dann begab sie sich mit Faith in das Klassenzimmer.

Nach einem kurzweiligen ersten Unterrichtstag saßen Faith und Shirley im Elm’s und schlürften an ihrer Coke. Marcel hatte ebenfalls zugesagt und wollte etwas später zur Gruppe dazu stoßen. Es war bereits 4 Uhr am Nachmittag als der College Boy verschwitzt die Bar betrat.

„Na Marcel? Noch ein paar College Mietzen aufgerissen?“, fragte Faith grinsend.

„Mittlerweile kann ich sie an zwei Händen abzählen“, kontere Marcel frech und umarmte Faith. „Hallo Shirley“, und auch da ließ die Umarmung nicht lange auf sich warten.

Die drei Freunde unterhielten sich angeregt und die Stimmung war überragend. Marcel ließ sich nicht die Gelegenheit nehmen den beiden einen neuen Hockeydrehschlag mit dem Strohhalm darzustellen, wobei er den Eiswürfel-Puck an den benachbarten Tisch schoss und der dort sitzenden Dame im Ausschnitt des tiefausgeschnitten Sommerkleides landete. Die Dame schrie vor Schreck auf, während Marcel erst einmal hinter seinem Cola-Glas auf Tauchstation ging. Faith und Shirley bemühten sich mit ihrem Gekicher den Unglücksraben nicht zu verraten.

Sie hatten sich gerade einen Snack zum Abendessen bestellt, als Faith‘ Handy klingelte. Es war Chris. Faith, Marcel und Shirley sollten unverzüglich zu Banes Anwesen kommen. Sie bezahlten, nahmen den Bus und fuhren mit ihm zum Anwesen von Chris. Er begrüßte die drei schon leicht ungeduldig.

„Gott sei Dank, da seid ihr ja.“

„Wir sind so schnell wie es nur ging aus der Stadt zurückgefahren, Chris. Was ist los?“, fragte Faith neugierig.

„Das erkläre ich euch gleich. Wir erwarten noch einen weiteren Gast.“

Gespannt, was sie erwarten würde, betraten sie das Haus und nahmen im großen Salon Platz.

„Auf wen oder was warten wir denn genau?“, fragte Faith nach einer Weile ungeduldig.

„Wirst du schon sehen. Wir haben noch ein paar Minuten.“

Plötzlich klopfte es an der Tür. Chris stand auf, verließ den Raum und öffnete dem Besuch die Tür. Ein blonder großgewachsener Mann, um die 30 betrat den Salon und setzte sich auf den freien Platz an der Südseite des Tisches. Chris setzte sich gegenüber.

„Nun, bevor wir anfangen. Das hier ist Raven. Er gehört zu unserem Team zur Gilde des Lichts.“

Faith und ihre Freunde grüßten Raven und dieser erwiderte höflich den Gruß.

Chris fuhr fort. „Er ist ein Meister in sämtlichen Kampfsportarten und wird gemeinsam mit mir eure Ausbildung und euer Training übernehmen.“

Shirley blickte ihn: „Unsere Ausbildung? Ich dachte Faith wäre alleine, die Auserwählte.“

Chris schüttelte den Kopf. „Nein Shirley, es betrifft auch dich und Marcel. Dass ihr mit Faith befreundet seid, ist kein Zufall. Das Schicksal hat euch zusammengeführt, um eine alte Prophezeiung zu erfüllen.“

„Wir kommen in einer Prophezeiung vor? Wie abgefahren ist das denn? Und was müssen wir tun? Zombies töten? Oder die Apokalypse aufhalten?“, fragte Marcel neugierig.

„Deine Ideen treffen es schon ganz gut. In der Tat beinhaltet die Prophezeiung über euch, dass ihr die dunkle Bedrohung aufhalten müsst. Wir gehen davon aus, dass Hunter zu den Jüngern einer längst vergangenen dunklen Organisation angehört. Was genau, wissen wir selbst noch nicht. Fakt ist, dass eine junge Frau, abstammend von einer Frau, die aus Liebe ihr Dasein als Engel aufgegeben hat eine Gruppe von vier weiteren bestimmten Personen anführt und die Schlacht gegen die dunkle Bedrohung gewinnen soll. Diese Frau bist du Faith. Deine Großmutter war ein Engel, die aus Liebe zu Bartholomew van Helsing zu einem Menschen wurde. Das heißt, du trägst das Blut eines Engels in dir und hast damit besondere Fähigkeiten.“

„Und was haben wir damit zu tun?“, fragte Marcel. „Warum sind ausgerechnet wir die Freunde, die in der Prophezeiung vorkommen?“

„Wenn ihr mich mal ausreden lassen würdet und eure Fragen für später aufhebt, dann komme ich so langsam zu diesem Punkt, was es mit euch zu tun hat.“ Chris räusperte sich nochmal. „Also, was die Prophezeiung mit euch zu tun hat. Dass ihr miteinander befreundet seid ist vom Schicksal vorherbestimmt. Ihr tragt nämlich alle drei dasselbe Muttermal in Form eines Kreuzes auf eurer rechten Schulter.“

Shirley, Faith und Marcel zupften an ihren Kragen, sodass ein Blick auf die Schulter möglich war und Chris hatte Recht. An der rechten Schulter an genau der gleichen Stelle befand sich ein kreuzförmiges Muttermal. Die drei blickten sich verwirrt an. War es tatsächlich mehr als nur ein Zufall gewesen, dass sie sich gefunden hatten und beste Freunde wurden?

„Ich habe immer gedacht, das sei irgendein komischer Leberfleck“, meinte Faith.

„Nein. Daran seht ihr, dass mehr dahintersteckt, als nur eine Laune der Natur und der Genetik. Dass Faith dank ihres Engelsblut über besondere Talente verfügt, wie Schnelligkeit und mehr Kraft, das wissen wir bereits. Aber auch ihr beide, Shirley und Marcel habt besondere Fähigkeiten. Ich habe lange recherchiert und bin mir ziemlich sicher, dass du Shirley die Kräfte deiner Großmutter geerbt hast.“

„Was hatte denn deine Großmutter für Kräfte? Hatte sie auch gerne kurze Röcke getragen?“, fragte Marcel grinsend.

Alle lachen. Nur Shirley war nicht so ganz begeistert. „Witzbold. Nein, Chris. Was war denn die besondere Fähigkeit meiner Großmutter? Mir ist da nie etwas Besonderes aufgefallen und meine Mutter hat auch nie etwas davon erwähnt.“

„Wenn ich richtig recherchiert habe, dann hat deine Großmutter die Magie der Feen beherrscht.“ Ein Raunen ging durch den Raum.

„Aber wieso ist mir das nie aufgefallen und meine Mutter hatte so etwas auch nie gezeigt?“

„Es ist möglich, dass solche Kräfte auch mal eine Generation überspringen“, entgegnete Chris. „Was dich angeht, Marcel da bin ich mir noch nicht so sicher, welche Kräfte du hast. Vielleicht müssen wir da einfach nur abwarten, was sich da entwickelt.“

Marcel wirkte geknickt: „Na toll, ich geh mal wieder leer aus.“

Faith versuchte ihn aufzubauen: „So lange wir noch nicht wissen, was deine Kräfte sind, kannst du den dunklen Mächten ja deinen Hockeyschläger über den Kopf ziehen.“

„Sehr witzig. Haha. Ich hoffe mal nicht, dass irgendein Dämon oder Mutantenwesen bin, das eine Gefahr für euch darstellt und ihr mich tötet.“

„Davon gehe ich mal nicht aus“, warf Raven ein. „In der Vergangenheit gab es immer wieder Teammitglieder in Prophezeiungen, die ihre Kräfte erst mitten im Geschehen entdeckten. Und dazu gehören keine Dämonenkräfte.“

„Einmal ist immer das erste Mal“, entgegnete Marcel sarkastisch.

„Können wir wieder zum Thema zurückkommen?“, versuchte Chris den Faden wieder aufzunehmen. „Also. Raven und mir wurde von einem Jungen zugetragen, dass Faith‘ High-School mehrere Schüler verschwanden. Des Weiteren sind im Waldgebiet der Stadt mehrere komische Echsenwesen gesehen worden. Raven wird auf Patrouille gehen. Und du Faith wirst ihn begleiten, während ich Marcel und Shirley noch ein wenig Unterricht geben werde.“

„Warum muss ich mit dem Sahneschnittchen auf Wache gehen? Können Shirley und Marcel uns nicht begleiten?“

„Ich bin kein Sahneschnittchen!“

„Also ich würde viel lieber mit Faith gehen.“

„IHR KÖNNTET EIGENTLICH MAL EIN WENIG MEINE AUTORITÄT ACHTEN!“, verschaffte sich Chris Ruhe im Stimmgewirr. „Es bleibt dabei. Faith und Raven gehen auf Beobachtung im Waldgebiet. Ich werde Marcel und Shirley noch ein bisschen Einweisung in die Welt des Paranormalen geben. Raven, geht jetzt los, bevor die Nacht zu weit vorangeschritten ist.“

„Wieso braucht Faith keine Theorie?“

„Keine Sorge, die kriegt sie von mir noch nachgeholt. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion.“

Raven wirkte leichte genervt. „Von einem Kindergarten, der auszog um Dämonen zu bekämpfen. Komm mit Faith. Wir müssen uns noch ausrüsten.“

„Wozu?“

„Ich glaube nicht, dass deine Engelskräfte alleine ausreichen, wenn wir auf diese Kreaturen treffen.“

Faith begleitete Raven in die Waffenkammer des Anwesens. Dort fand sie ein wahres Arsenal an Ausrüstung. Raven nahm sich ein Langschwert und eine Pistole mit Silberkugeln als Munition. Faith entschied sich für eine Armbrust, die über einen speziellen Mechanismus verfügte. Konnte man bei einer handelsüblichen Armbrust immer nur einen Pfeil pro Schuss abfeuern, verfügte diese Armbrust über ein Magazin, in welches man 20 Pfeile einspannen und abschießen konnte. Die Pfeile der Armbrust waren mit einer Silberlegierung überzogen, was für die meisten Dämonen tödlich war.

Gemeinsam zogen die beiden hinaus in die Nachtluft. Es war Ende August, aber die Nachtluft war noch angenehm warm.

Auf dem Weg zum Wald kamen sie am Norfolker Friedhof vorbei. Sie hörten dort panische Schreie und als sie sich umsahen, kam ein Jugendlicher in Panik durch das Haupttor gerannt, gefolgt von einer bleichen Gestalt mit spitzen Eckzähnen. Raven stellte sich zwischen den Angreifer und den Jungen, zog einen Pflock aus seiner Umhängetasche und rammte sie dem anrennenden Vampir in den Brustkorb. Die Bestie ließ einen entsetzten Schmerzensschrei los und zerfiel im fahlen Licht der Laterne zu Staub. Der Pflock fiel geräuschvoll auf den Asphalt. Der flüchtende Jugendliche zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, als Raven sich umwand und ihn ansprach.

„Das wäre erledigt, Junge. Was hattest du denn mitten in der Nacht auf einem Friedhof verloren? War wohl eine besondere Mutprobe?“

„Nein, Sir“, entgegnete der Jugendliche. Ich hatte eine Nachtwanderung mit Freunden unternommen und in der Nähe des Waldes überkam mich … Na ja, sie wissen schon … Ich musste …“

„Du musstest pissen“, beendete Raven den Satz des Jungen.

„Genau.“

„Da muss dich ja der Blutsauger ganz schön erschreckt haben. Dein Hosenstall steht noch offen.“

„Nein, nein. Nicht der Vampir. Es war ein Wesen, was ich noch nie gesehen habe. Noch nicht mal in den kühnsten Horrorfilmen. Das Tier oder was auch immer es war, hatte den Kopf eines Dinosauriers und der Rest des Körpers war behaart. Es sah wie ein kleiner Tyrannosaurus Rex mit Fell aus. Es wollte mich angreifen, also bin ich geflüchtet. Als ich es abgehängt hatte, bin ich diesem Dracula Verschnitt in die Fänge gelaufen.“

„Und dann bist du uns über den Weg gerannt und wir haben den Blutsauger fein säuberlich von seinem irdischen Dasein befreit.“

„Genau. Geht das wirklich so einfach mit einem Pflock ins Herz?“

Raven lächelte. „Es gibt noch die Möglichkeit den Vampiren einfach den Kopf abzuschlagen, aber das macht zu viel Dreck. Dann lieber ein sauberer Stoß mit dem Pflock ins Herz. Und du siehst jetzt zu, dass du nach Hause kommst. Bis die Stadt beginnt, ist es ja nicht mehr weit und da sollten dir keine Gestalten mehr über den Weg laufen.“

Der Junge war fasziniert von Raven: „Sind Sie so eine Art Ghostbuster oder warum wissen Sie so viel über diese Wesen?“

„Ghostbuster? Also diesen Vergleich habe ich noch nie gehört. Aber kann man so sagen.“

„Voll cool.“

Sie begleiteten den Jungen bis sie nahe genug an den Häusern der Hauptstraße waren, dann ließen sie ihn alleine nach Hause laufen und Faith und Raven widmeten sich ihrer eigentlichen Aufgabe. Es musste einen Zusammenhang geben, zwischen den verschwunden Schülern der Virginia-High und den Dino-Wesen. Der Vollmond am Himmel spendete ein wenig Licht, während sie sich über die Waldwege orientierten. Sie ahnten nicht, dass sechs leuchtend gelbe Augenpaare sie verfolgten und fixierten. Raven wurde die Sache bald zu bunt. Schließlich waren sie schon über zwei Stunden unterwegs und hatten diese unheimlichen Echsenwesen nicht entdeckt.

„Das kann doch nicht wahr sein. Ein Junge geht einfach nur in den Wald schiffen und wird von diesen Wesen angegriffen. Wir laufen eine halbe Ewigkeit und haben gar nichts Komisches bemerkt.“

Faith versuchte ihren Begleiter zu beruhigen: „Ich kann dich verstehen Raven. Ich bin aber auch echt froh, dass du mir von den Stiefeln abgeraten hast. Mit denen hätte ich jetzt wahrscheinlich Blasen an den Füßen.“

Raven lachte: „Die hättest du dann mit deinen Pfeilen zum Platzen bringen können. Und Silber ist gut für die Wundheilung. Scherz beiseite, ich hätte jetzt nichts gegen noch einen kleinen Kampf mit einem Vampir oder einer …“

Er kam nicht weiter. Plötzlich und wie aus dem Nichts stürzten sich aus den Baumwipfeln drei Echsenwesen auf Faith und Raven und aus den Gebüschen kamen noch einmal drei. Faith wurde von einem der Wesen umgerissen. Das Biest setzte nach und schnappte mit seinen langen gefährlichen Reißzähnen nach der jungen van Helsing. Doch Faith rollte sich instinktiv zur Seite, sodass der Biss ins Leere ging. Sie nutzte die kurze Verschnaufpause, lud ihre Waffe mit Pfeilen und feuerte sie ab. Das Biest ging getroffen zu Boden. Zwei weitere der Echsenwesen versuchten Faith in die Zange zu nehmen und attackierten sie. Faith sprang in die Luft, sodass die Wesen mit ihren Köpfen zusammenstießen und Faith sie mit einer weiteren Ladung Pfeile bombardieren konnte. Drei von diesen fossilen Wesen waren tot. Raven hatte zwei mit seiner Pistole hingerichtet und ein weiteres mit einer Kugel verwundet. Er wollte nochmal nachsetzen, doch er ließ das Wesen gewähren.

„Warum erledigst du es nicht, Raven?“

„Weil, ich glaube, dass uns dieses Wesen zu seinem Schöpfer bringen wird. Folgen wir ihm einfach.“

Faith und Raven folgten der Blutspur, die das Wesen hinterließ. Vor einer weißen Mauer blieb es stehen, klingelte, wartete bis zum Öffnen des Tores und kroch herein. Faith und Raven nutzten die Gelegenheit und schlüpften kurz vor dem Schließen des Tores ebenfalls hinein. Die Bestie schien noch reichlich Energie zu haben, dass es die Feuerwehrleiter hinaufkletterte und auf dem Dach verschwand. Faith und Raven folgten mit einigem Abstand und erblickten am Ende der Leiter eine riesige Dachterrasse mit einer großen Hütte, ja fast schon einem Haus auf dem Haus darauf. Die beiden versteckten sich hinter einer der grünen Hecken, während die Tür der Hütte geöffnet wurde. Der Schöpfer des Biestes trat hinaus und betrachtete seine Schöpfung. Faith stockte der Atem. Sie kannte den Mann. Er war recht groß und schlaksig und wirkte damit fast unscheinbar, aber durch den Mondschein, der den ganzen Mann in leichtes blasses Licht tauchte sah sie die Arme. Es war ein Lehrer der Virginia-High. Sie konnte es nicht glauben, dass die Gerüchte wahr waren über Professor Joe Schtidler. Der Professor hatte in seinem Haus ein kleines Laboratorium aufgebaut, wo er mysteriöse Kreaturen erschuf.

„Es ist unfassbar!“, flüsterte sie Raven zu. „Das ist Professor Schtidler.“

„Du kennst diesen Kerl?“

„Ja, er ist Lehrer an unserer Schule. Ich kann es kaum glauben, dass das was man über ihn erzählt wahr ist.“

Ravens Gesicht wurde ernst. „Wir dürfen jetzt keine Panikaktion starten. Lass uns die Situation beobachten und zuschlagen, wenn wir es überblicken können.“

Professor Schtidler war zwischenzeitlich wieder in das Labor gegangen und hatte sich einen Gegenstand geholt. Ein lauter Knall ertönte und das Wesen lag regungslos am Boden. Schtidler blickte sich um. „Ich hatte doch viel mehr am Start. Und dieses Wesen ist so schwer verwundet gewesen, es würde mich nicht wundern, wenn …“ Er setzte die Waffe gen Nachthimmel und feuerte einen erneuten Schuss ab. Raven stürzte sich aus dem Gebüsch auf ihn und drückte ihn zu Boden, sodass die Waffe vom Dach fiel. Faith trat auf die beiden zu.

„Ich kann kaum glauben, dass die Gerüchte über Ihre Machenschaften wahr sind, Professor!“

Er lächelte teuflisch. „Du und dein Blondschopf, ihr werdet mich nicht aufhalten können.“

„Oh, Sie werden begeistert sein, was wir alles können“, antwortete Raven sarkastisch. „Und jetzt schießen Sie mal los. Was waren das für komische Wesen?“

„Ich werde gar nichts sagen!“ Für diese Aussage gab es einen kräftigen Schlag gegen die Schläfe von Ravens Faust.

„Mach nur so weiter, Freundchen und der nächste Schlag sorgt für eine neue Brille. Also, was für komische Wesen züchten Sie?“

Ängstlich blickte sich Professor Schtidler um. Er wusste, dass er gegen den blonden Hünen keine Chance hatte ohne Waffe und ohne seine Echsen-Schergen.

„Als alle anfingen über meine Armhaltung zu spotten und mich mit dem König der Dinosaurier zu vergleichen, kam ich auf die Idee mich mit Fossilien und deren Gen-Code zu befassen. Und in der DJ-Szene lernt man den einen oder anderen extravaganten Spinner kennen, der einem das nötige Material günstig beschafft. Innerhalb von zehn Jahren hatte ich mein Equipment am Start. Doch mir fehlte noch ein Schritt zur großen Verwandlung. Also begann ich nach und nach Schüler zu entführen und diesen meinen Sud einzuflößen. Die ersten Versuche gingen schief. Doch die letzten Sechs waren perfekte Schöpfungen. Werwölfe sind nicht mehr in. Werechsen gehört die Zukunft. Das Serum, was ich geschaffen habe ließ Verwandlungen unabhängig von den Mondphasen zu. Lediglich dieses beschissene Silber schafft es die Verwandlung zu stoppen und die Bestien zu töten. Das habt ihr ja wunderbar geschafft.“

Faith war fassungslos. „Und nur für ihren Ehrgeiz haben sie den Tod von so vielen Schülern zugelassen?“

„Schüler? Das sind noch schlimmere Monster, als das was ich aus ihnen gemacht habe. Ich habe es nicht nur für meinen Ehrgeiz getan. Oh nein. Wenn die Wesen unverwüstlich gewesen wären, hätte ich meine Verwandlung komplett abgeschlossen. Keiner hätte mich mehr T-Schtidler genannt, wenn ich mich in den tödlichen T-Rex 2.0 verwandelt hätte. Sämtliche Spötter hätte ich einfach verspeist. Damit hätte mich niemand mehr aufhalten können und die Bahn wäre freigewesen, für meinen Förderer und Meister.“

Raven lockerte seinen Griff. „Dann sagen Sie uns! Wer ist Ihr Meister?“

„Ich werde darüber nichts sagen. Ich kann meinen Partner nicht verraten.“

Faith wandte sich an ihren Lehrer: „Professor, ich kann Sie verstehen, dass die Lästereien Sie verletzt haben. Aber, was Sie getan haben ist unmenschlich. Ihr Spiel ist aus, aber wenn Sie uns helfen, werden wir uns darum kümmern, dass Ihr Partner härter bestraft wird.“

„Niemals!“

Mit einem Ruck stellte Raven den Professor auf die Beine. Er schien unmenschliche Kräfte zu haben, denn der Hüne schaffte es den Schöpfer der Werechsen spielerisch über das Dach seines Hauses pendeln zu lassen. „In diesem Spiel sind Sie ein ganz kleines Licht, Prof. Sagen Sie uns den Namen und Sie werden Ihre erbärmliche Existenz beibehalten können. Ich zähle bis Drei. Eins… Zwei…“

Zitternd und zappelnd über den Abgrund, aber durch Raven festgehalten drehte sich Professor Schtidler um: „In Ordnung. Ich sage Ihnen, was ich am Start habe. Mein Meister und Förderer ist …“

Ein Schuss aus der Ferne ertönte und traf den Professor genau ins Gesicht. Er war sofort tot. Raven ließ den toten Körper fallen und blickte sich um. Auch Faith versuchte den Todesschützen zu entdecken, doch es gelang ihr nicht. Sie blickte Raven an und er bedeutete ihr, die Feuerwehrleiter hinabzuklettern, das Gelände zu verlassen und Chris vom einigermaßen gelungen Ausgang der Mission zu berichten. Den gesamten Rückweg schwiegen sie. Faith fühlte sich mies. Obwohl sie das Verschwinden ihrer Mitschüler und das Rätsel um die fossilen Echsenwesen aufgeklärt hatte, kam ihr das Ende wie eine Niederlage vor. Raven merkte, dass etwas nicht stimmte.

„Du musst dich nicht grämen“, brummte er. „Es wird immer wieder Rückschläge auf unseren Missionen geben und niemals wird ein Auftrag so ablaufen, wie er im Detail geplant war. Auch mich, interessiert wer hinter der Liquidierung von Professor Schtidler steckt. Aber das werden wir wohl erst einmal nicht herauskriegen. Und wenn du es positiv siehst, wir haben wieder einen bösen Schandfleck von der weißen Weste der Erde entfernt.“ Er lächelte sie und sie erwiderte sein Lächeln zaghaft. Der Rest des Weges war unterhaltsamer und bei Chris angekommen, berichteten Faith und Raven vom Ausgang der Mission. Chris hatte in der Zwischenzeit Shirley und Marcel nach Hause gebracht und berichtete, dass das Laboratorium von Professor Schtidler mittlerweile durch die Gilde des Lichts untersucht wurde und nach Abschluss zerstört werden sollte. Faith wirkte nun auch etwas zufriedener, doch etwas beunruhigte sie. Wer war dieser mysteriöse Attentäter, der Schtidler hinrichtete, als dieser gerade auspacken wollte.

Währenddessen in einem schicken Penthouse an der westlichen Stadtgrenze Norfolks. Ein älterer Mann schloss die Tür auf und stellte seine Aktentasche auf den Tisch. Er atmete schwer. Es war ein langer Tag für ihn gewesen. Sein Blick fiel auf sein Telefon im Flur. Ein rotes blinkendes Licht zeigte ihm, dass jemand eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Er drückte auf den Play-Knopf und die Nachricht wurde abgespielt. Es erklang die Stimme des mysteriösen Hunter:

„Sie hatten mir gesagt, ich sollte mich melden, wenn die Mission der Werechsen scheitern sollte und Professor Schtidler über Sie auspacken wollte. Dies ist gerade geschehen. Ich konnte noch rechtzeitig den guten Professor daran hindern. Er verweilt nicht mehr unter uns. Die Gilde hat das Labor in Beschlag genommen. Ich konnte vor dem Eintreffen einige Unterlagen sicherstellen und lasse Sie Ihnen zukommen. Sie werden für unser Unterfangen sehr nützlich sein. Ich erwarte Ihre weiteren Instruktionen.“

Der alte Mann lächelte und nahm sich eine Flasche Wein aus der Küche und schenkte sich ein. Sein Schachspiel hatte begonnen und die ersten Züge schienen ihm perfekt in die Karten zu spielen.

Faith - Chroniken einer Jägerin

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