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VORBEMERKUNG
Оглавление«Praxisschock» steht groß auf dem Buchumschlag, und wenn der Untertitel nicht wäre, könnte man meinen, der Berufseinstieg sei eine hoffnungslose Angelegenheit. Das trifft selbstverständlich nicht zu. Angehende Lehrpersonen werden in vielen Praktika bestmöglich auf die bevorstehende Berufspraxis vorbereitet, sodass sie eben genau keinen Praxisschock erleiden. Wenn es – wie in diesem Buch beim fiktiven Berufseinsteiger Nico Sommer – trotzdem zu einem kommt, dann oft, weil die Verbindung von Theorie und Praxis nicht hergestellt wird. Oder anders formuliert: Wenn jemand denkt, nach der Ausbildung die Theorie endlich hinter sich lassen zu können, täuscht er sich gründlich. Wer geschockt und leicht desillusioniert nach schneller Hilfe sucht, landet meist bei Ratgeberliteratur. Dazu gehört dieses Buch definitiv nicht.
Als ehemaliger Sekundarlehrer weiß ich, dass allgemeine Tipps oft zu kurz greifen. Und nach meinem Studium der Erziehungswissenschaft und aus der jetzigen Sicht als Dozent an der Pädagogischen Hochschule liegt es mir umso ferner, eine Sammlung von Praxisrezepten zu veröffentlichen. Vielmehr möchte ich die Verbindung zwischen Theorie und Praxis aufzeigen und stärken. Es gibt für Situationen oder Fragen in der Schulpraxis immer viele und diskutierbare Lösungen – und es gäbe selbstverständlich auch andere Antworten als jene aus der Pädagogischen Psychologie und der Allgemeinen Didaktik. Ich analysiere und erkläre aus diesen Perspektiven, weil sie mir die vertrautesten sind.
Dieses Buch ist ein theoretisch gestützter Praxisbericht aus dem Leben eines Berufseinsteigers, der allerhand typische, zuweilen überzeichnete Situationen des Schulalltags erlebt. Nico Sommer ist erfunden. Ich habe mit ihm so etwas wie einen Wunschstudierenden oder eine Wunschlehrperson kreiert, denn er verlässt sich nicht nur auf die Versuch-Irrtum-Methode, um Erfahrungen zu sammeln und so qua learning by doing zum besseren Lehrer zu werden. Er versucht stattdessen, Theorie und Praxis zu verknüpfen, also gelernte Theorie in der Schulpraxis anzuwenden oder das Unterrichtsgeschehen theoretisch zu reflektieren – ganz im Sinne des reflective practitioners von Donald A. Schön.[1]
Die Grundidee des Buches ist, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, an Nicos Gedanken teilhaben können und so nicht nur sehen, wie er handelt, sondern verstehen, weshalb er so handelt. Zur besseren Übersichtlichkeit sind seine Gedanken jeweils kursiv gesetzt.
Da Nico kein Erziehungswissenschaftler ist, erklärt er in seinen Gedanken nicht immer die ganze dahinterstehende Theorie und definiert nicht jeden Fachbegriff. Wer sich also noch mehr in die Theorie vertiefen möchte, ist herzlich eingeladen, die am Seitenrand und im Index ausgeführten Begriffe in der Fachliteratur nachzuschlagen.
Die zu Beginn jedes Kapitels – Klassenführung, Wissenserwerb, Motivation, Metakognition und Selbststeuerung, Verstehen und Anwenden – etwas salopp formulierten Fragen mögen für die Phase des Berufseinstiegs besonders kennzeichnend sein, beschäftigen aber auch erfahrene Lehrpersonen in der täglichen Arbeit immer wieder. Insofern richtet sich das Buch nicht ausschließlich an Berufseinsteigende, sondern an alle an Unterricht interessierten Personen. Es soll dazu beitragen, den berüchtigten Theorie-Praxis-Graben weiter zuzuschütten oder, noch besser, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen.
Zürich, im Herbst 2019
Marcel Naas