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Ein Tag mit Philipp A

Ich habe es geschafft. Der endgültige Durchbruch. Was für ein Deal. Ich stehe vor der Frontseite des Reichstags. Wenig los gerade und eigentlich bin ich nie am Haupteingang, sondern schlüpfe durch die Seiteneingänge, aber gerade genieße ich etwas die Stimmung. Vor dem Hohen Haus. Alles wird laufen wie immer. Ich sehe die kleinen Menschen durch die gläserne Kuppel, wie sie dort weit weg, auch von oben den Bundestag besichtigen. Alles so transparent … da muss ich lächeln. Sollen sie das ruhig denken – sie haben ja keine Ahnung. So aber jetzt zum Seiteneingang zur Limousine und auf zum nächsten Autokonzern.

Mann, es gab eine Zeit, da sind auch die Chefetagen zu uns in die Ministerien gekommen. Aber diese ständigen, blöden Anfragen von wahrscheinlich neidischen Abgeordneten zu Gesprächsterminen, sollen dann ja immer entlarven, wie, wie viel und wie einseitig wir mit einigen Lobbys sprechen. Na und. Sie denken, sie wären so klug, dabei müssen wir uns einfach nur woanders treffen. Daran ändert das Lobbyregister von 2021 so gar nichts. Aber das Gewissen ist beruhigt, und alle halten wieder die Klappe. Die Sozen feiern sich dafür so ab, dabei wissen sie ja genau wie wir, dass es nichts verändert. Na gut, es wurde gejammert, dass wir uns viel mehr mit den wichtigen Unternehmensvertreterinnen, als mit Ökos und sozialen Gleichmachern treffen. Aber hallo, wer bezahlt denn die Zeche und bringt alles zum Laufen?

Nach der kurzen Diskussion ist jetzt wieder alles wie vorher. Scheiß Doppelmoral bei diesen angeblichen Mitte-links-Parteien. Schön ihrer Basis und der Öffentlichkeit Moral vortäuschen, aber die Fleischtöpfe dann auch nicht verschmähen. Darf halt nur nicht so aussehen. Ja gut, auch bei uns wird immer mehr auf den Schein geachtet. Jetzt laden wir schon zu einem Autogipfel, bei dem wir von Verkehrswende sprechen. Der Umstieg dauert aber nun mal etwas, und diesen Alarmismus der Klimaleute kann ich nicht mehr hören. Alle fahren doch gern Auto. Alle lieben deutsche Autos, gerade weil sie schnell sind. Natürlich verbrauchen sie dann viel. Die Schlacht steht in Europa gerade bevor, und da muss Deutschland stark bleiben, und dafür bin ich der Richtige.

Ich steige in den Wagen. Sogar an unsere Limousinen wollen sie ran, als wenn das was verändern würde. Symbolpolitik. Symbole werde ich jetzt setzen bei dem Treffen. Meine Tage als Abgeordneter und Staatsekretär sind ja gezählt. Danach werde ich zwar immer noch das machen, was ich sowieso jetzt schon hauptsächlich mache, aber dann ohne die jämmerliche Kontrolle der selbsternannten Investigativjournalistinnen und der ewigen Gutmenschen. Klar, sie werden kurz zetern, Abgeordnetenwatch und Lobbycontrol sagen: böse, böse … aber das ist mir jetzt so was von egal. Meine Noch-Kolleginnen sind dagegen höchstens neidisch. Und die Chance noch mal Kanzler zu werden, habe ich immer noch. Merz mal richtig zeigen, wie das funktioniert mit der Rückkehr aus der Wirtschaft in die Politik.

Das Gespräch war wie vorhergesehen. Die Pflicht halt und viele nette Worte. Hätte es doch wenigstens was Nettes zu essen gegeben. Mein Fahrer bringt mich zurück, heute mal bitte nicht wieder einen Smalltalk über die Hertha. Ich spiele am Handy rum. Foto bei Insta veröffentlicht, wo ich richtig wichtig aussehe. Die Likes boomen am meisten bei Posts ohne Inhalt. Lustig, die Warnungen vor der Privatisierung der Politik. Die ist doch längst vollendet. Es zählt, wie man sich verkauft, sich inszeniert. Die wichtigen Medien spielen ja alle mit. Die haben mich schon von Anfang an promotet, auch wenn sie es anders nennen würden. Wegen jedem Mist wurde ich gefragt, auch als ich noch so gar nichts zu sagen hatte. Alles ist eine Frage der Werbung und des Geldes.

Ein Anruf aus Brüssel. Es läuft. Wir sind uns alle einig, dass die EU-Richtlinie zum viel zu nahen Verbot der Herstellung von Verbrennungsmotoren gestoppt werden muss. Volle ­Offensive. Die haben sie doch nicht alle. Wir haben die EU durchsetzt mit Lobbyisten, aber dann kommen doch immer mal solche Aufschläge. Klar, meist sind es gewissensberuhigende Maßnahmen, Zielerklärungen ohne Bindung oder Ankündigungen, um Zeit zu gewinnen. Aber dann entsteht doch manchmal so was wie ein Handlungsdruck. War auch so, als die Klimaspinnerjugend auf der Straße mega gehypt wurden. Dazu neben der immer tiefer fallenden SPD eine strauchelnde Union. Wir fingen an uns zu rechtfertigen, alles wurde ein Zeitspiel, auch weil die Lobby ’ne Zeit brauchte, um warm zu laufen. Dann kam Corona, und wir hatten alle Zeit und alle Zeichen auf un­serer Seite.

Jetzt ist wieder Druck von außen im Kessel, aber die Lobbymaschinerie läuft schneller. Die Kooperative Soziale Neue Marktwirtschaft ist mit einer fetten Kampagne dabei. Sie sind an zahlreichen Politikern und Promis dran. Sehr zuverlässig. Sie haben gute geschulte Leute. Ihr Einfluss reicht bis weit in die Grünen und die SPD hinein. Ihr Umfeld und ihre Kontakte über die atlantische Gruppe bis hin zum Kreml sind aber immer noch da. Die Klimabewegung ist wieder stärker geworden, aber agiert immer ohnmächtiger. Sie ­hatten gedacht, wenn sie ein paar Posten in einigen Parteien bekommen, werden sie alles verändern. So naiv. Sie werden vom System geschluckt und ausgespuckt. Die Schlaueren spielen mit, und dafür bekommen sie dann auch mal ein Spielzeug oder einen Pyrrhussieg in einer Nebenfrage.

Zugegeben, die Klimaveränderungen werden immer dramatischer, aber immer sollen es die Konzerne richten. Und wenn es schon darum geht, der Fußabdruck der grünen Klientel ist doch am größten. Sie haben große Häuser, reisen viel, kaufen viel. Im Bundestag sind gerade die Grünen die Vielflieger, und außer den drei Ökos, die symbolisch mit dem Rad kommen, drängeln sie sich gern in die Limousinen. Ich habe nichts dagegen, wenn wir bei den Technologien etwas grüner und effizienter werden. Damit kann auch viel Geld verdient werden. Ok auch beim Verkehr. Tesla zeigt es schon lange. Diskutiert ja zum Glück keiner, wieviel Energie und Materialien die Herstellung seiner Autos kosten. Aber auch immer dieses Getue, als wenn das Klima allein von den Autos abhängt. Gut, der Andi, der hat damals wirklich eine miserable Figur abgegeben. Aber er ist sich treu geblieben, während der Markus immer mal wieder auf Öko tut. Wir leisten unseren Beitrag, aber diese Vorlage wird verhindert. Hier geht es um viel mehr.

Ich bin im Büro angekommen. Endlich einen guten Kaffee. Nein, die Postmappe ist zu dick. Beantwortet das meiste ohne mich, ihr wisst doch, was ich will, raunze ich vielleicht etwas zu streng meinen Mitarbeiter an. Ich werde auch noch mit meinem Team anstoßen, aber sag es ihnen erst die Tage. Bin in Gedanken immer noch bei meinem neuen Job. Ich kassiere jetzt übergangsweise doppelt ab. Die Diät als Abgeordneter plus die Zulage als Staatsekretär und dann noch das üppigere Salär im neuen Job. Haha, ok dreifach. Sagen wir, ich gehöre zur gehobenen Mittelschicht. Das neue Gehalt ist offiziell natürlich ein Vorschuss und wird erst nach dem Mandat abgerechnet. Diese lächerliche Karenzzeitregelung von 18 Monaten juckt mich nicht. Meinen direkten Wechsel in die Wirtschaft wird die Kommission bestimmt nicht untersagen. Auch so ein Papiertiger, extra so gestaltet, dass die Gemüter beruhigt werden, aber zahnlos. Am Ende genehmigt man doch jeden Wechsel. Und wenn nicht, passiert auch nichts.

Heute Abend gibt es ’ne Party. Lustig, wenn ich an meine Anfangsphase im Bundestag zurückdenke, als sie noch Stress gemacht haben, weil ich auf Kosten von Lobbyisten ein wenig gefeiert habe und gereist bin. Als wenn diejenigen, die die Chance bekommen, sie nicht auch nutzen würden. Dafür arbeite ich hart genug. Ohne die dämlichen Korruptionsfälle hätte da eh keiner mehr drüber gesprochen. Da sind wir dann ja kurzzeitig mal verweichlicht. Aber wo Mittel sind …

Ein Kollege aus dem Landtag ruft mich an. Beglückwünscht mich zu meinem künftigen Job als oberster Lobbyist. Na, da ändert sich bei dir ja fast nichts, feixt er. Dann wird seine Stimme ernst. War ja fast knapp, sagt er. Ach Quatsch, sage ich. Ja, es sah eine Zeit so aus, als würde es im Bundestag zu einer ungewöhnlichen Woche kommen. Nach zig Anläufen hatte es eine Petition wirklich mal geschafft, größeres Aufsehen zu erlangen, und daraus ist ein Gruppenantrag geworden. Beides eigentlich unmöglich. Petitionen an den Bundestag sind Beruhigungspillen. Nur wenige schaffen es in den Petitionsausschuss, und die werden dann halt dort erster Klasse beerdigt. Oder es gibt mal selten eine Empfehlung zu einem Aspekt. Eine Empfehlung, die sich gut anhört, aber dann eigentlich nie in ein Gesetz fließt. Und Gruppen­anträge gibt es auch nur sehr selten und scheitern dann auch am Fraktionszwang und unseren Spiel­regeln.

Wo kommen wir da hin, wenn Abgeordnete selbstständig denken, machen, was sie wollen, und sogar mit Abgeordneten aus anderen Parteien ins Bett gehen, statt sich an die Regeln zu halten.

Glücklicherweise sehen das dann doch eigentlich alle Fraktionen gleich, und deshalb schert da fast niemand aus, und wenn, bekommt sie Stress. Auf jeden Fall kommen eigentlich nie die für einen Gruppenantrag nötigen fünf Prozent Abgeordneten zusammen. Diesmal bekam die Petition zur Einrichtung eines Bürgerinnenrats, der über die Größe des Bundestags, die Vergünstigungen und Privilegien der Abgeordneten verhandeln sollte, sehr viel Zulauf und Öffentlichkeit. So viel, dass sich diesmal sogar einige verrückte Abgeordnete zusammengeschlossen und bei ihren Kolleginnen getrommelt haben. Natürlich wäre niemals durchgekommen, dass die Beschlüsse eines solchen Bürgerinnenrats bindend wären, aber als Symbol und Beruhigung fand die Sache immer mehr Anhänger. So ein Blödsinn.

Volkes Wille? Wohin hat uns das schon mal geführt? Die oberste Regel ist und bleibt: Wir bestimmen unsere Regeln selbst. Regel Zwei: Wir geben uns fast keine Regeln – erlaubt ist, was geht. Einiges muss man halt geschickt machen. Volkes Stimme? Sie können doch wählen. Das funktioniert … meistens. Für den komplizierten Rest sind die meisten eh zu dumm. Ok, auch die Abgeordneten, wie man jetzt wieder sieht. Aber genau deshalb haben sie ja eigentlich nichts mehr zu sagen. Es bestimmen einige wenige in der Regierung, mit einigen wenigen in den Konzernzentralen und einigen wenigen, wie mich, die erfolgreich dazwischen vermitteln. Der Rest folgt, und wer nicht mitmacht, ist raus. So läuft das Spiel.

Also beruhige dich, Kollege, selbst wenn, hätte es nicht viel angerichtet. Am Ende knicken sie immer ein. Die Sozen zuerst, wie üblich. Die wenigen aus unserem Laden waren nur dabei, weil sie der Spitze eins auswischen wollten. Aber die kann man einschüchtern oder einkaufen. Haha, musste kurz auflachen. Ich muss Schluss machen, habe noch einige Gespräche, habe ja für meine Nachfolge noch einiges zu arrangieren.

Der Tag von Philipp ist nicht langweilig, und man kann sich ausmalen, wie es weiter geht. Natürlich spielt er in einer nicht so fernen fiktiven Zukunft. Alles übertrieben? Nein, alles hat es so oder so ähnlich schon gegeben. Allein mit den Gesprächen, die ich schon gehört habe, könnte ich Bücher füllen. Und wie heißt es so schön am Ende eines Filmabspanns: Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Aber hier werden sie bewusst in Kauf genommen. ;)

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