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Angela Kreuz Tamam
Оглавление„Wenig los heute, was?“
Aslan setzte den dreirädrigen Karren mit den Sesamkringeln ab und schob sich die Mütze aus der Stirn. Am Himmel war keine Wolke zu sehen und die Sonne schien bereits intensiv; es würde ein heißer Tag werden.
Bilal saß mit gegrätschten Beinen auf einem Plastikhocker, die faltigen Hände auf die Knie gestützt. Vor ihm lag ein abgewetzter Kelim, darauf eine Personenwaage. Bilal guckte für einen Moment griesgrämig drein, doch dann hellte sich sein Gesicht auf.
„Hast du schon was verkauft?“, erkundigte er sich, obwohl er mit einem Blick sah, dass von dem perfekten Arrangement kein einziger Kringel fehlte. Er hatte noch gute Augen für sein Alter.
„Bis jetzt nicht.“
Ein paar Möwen segelten über dem Platz und kreischten. Auf der Parkbank gegenüber spielte ein Langhaariger Saz.
„Der Junge macht mit dem Geklampfe in einer Stunde mehr Geld als wir beide zusammen an einem Tag.“
Aslan hatte sein halbes Leben auf Hochzeiten gespielt und war ein gefragter Mann gewesen. Aslan ist der Beste. Er hatte Generationen von Jungen das Saz-Spielen beigebracht. Doch seit der Sache mit seiner linken Hand war ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Musik aufzugeben.
„Glaub ich nicht.“ Bilal zog die Nase hoch.
Die Waage glänzte in der Morgensonne. Sie war ein solides Modell aus Chrom und grünen Glasplatten und die Anzeige ähnelte dem Tachometer eines Oldtimers. Bilal fischte ein Stofftuch aus seiner Westentasche, beugte sich nach vorne und polierte das Metall. Das Gerät hatte ein kleines Vermögen gekostet, doch wenn er damit gute Geschäfte machte, würde er es in ein paar Monaten abbezahlt haben und danach die Gewinne einfahren. Manchmal brauchte man einfach Geduld. Seine Frau würde das nie verstehen.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Wetten?“ Aslan ließ nicht locker.
Ein kleines Mädchen balancierte auf dem Rinnstein. Ihre Mutter nahm sie an der Hand und zog sie Richtung Waage.
„Stell dich da drauf.“
Die Kleine lächelte unsicher, ihr Mund entblößte eine Zahnlücke. Sie erinnerte Bilal an seine eigene Tochter, als sie in dem Alter gewesen war. Er nickte ihr aufmunternd zu. Sie trat vorsichtig auf die Glasplatten.
„17 Kilo“, sagte Bilal, nachdem der Zeiger zu zittern aufgehört hatte. „Das macht eine halbe Million.“
„Sie ist viel zu dünn“, sagte die Mutter verärgert, „komm“. Sie gingen ohne zu bezahlen.
„He, was ist mit meinem Geld?“, brummte er, doch in diesem Moment ratterte die Straßenbahn vorbei und verschluckte seinen Einwand.
„Unverschämt.“ Aslan biss in einen Sesamkringel.
Bilal zuckte mit den Achseln und schaute durch die bunte Straßenschlucht auf den Bosporus hinunter; ein Dampfer tutete. Er liebte die Morgenstimmung, wenn der Tag noch so frisch war. Der Hafen, die Seeluft; er hätte nie aus seiner Stadt wegziehen wollen.
Noch vor Kurzem war er neben der Brücke Angeln gegangen, bis seine Frau die Ausrüstung in die Mülltonne geworfen und von ihm verlangt hatte, er solle statt ungenießbarer Fische zur Abwechslung ein wenig Geld nach Hause bringen, sie wolle endlich wieder mal mit der Tochter shoppen gehen und nicht ständig in alten Kleidern herumlaufen. Doch als er ihr seine Investition gezeigt hatte, war es auch nicht recht gewesen.
Ein beleibter Mann schlenderte an ihnen vorbei und aß im Gehen aus einer Papiertüte Pommes.
„He Gürkan, du solltest dich mal wieder wiegen!“, rief Bilal. Der Dicke war mit ihm im Viertel aufgewachsen; er betrieb seit Jahren ein Schnellrestaurant unten am Hafen. Sein Vater hatte eine Zuckerbäckerei besessen, wodurch Gürkan die feinsten Leckereien in Hülle und Fülle hatte – und jede Menge Freunde.
„Will’s gar nicht wissen“, winkte er ab.
Der Teejunge kam vorbei. Bilal nahm zwei Gläser vom Tablett und reichte eines davon an Aslan weiter, der ihm im Gegenzug einen Kringel mit Serviette anbot. Der Cay schmeckte kräftig und süß. Bilal gab dem Jungen ein paar Münzen. Drüben stimmte der Saz-Spieler ein Tanzlied an. Eine Gruppe Touristen blieb stehen und bewegte sich klatschend zur Musik.
„Grauenvoll“, kommentierte Aslan und ging in die Hocke.
„Um was willst du wetten?“, fragte Bilal.
„Eine Flasche Raki.“
„Abgemacht.“
Sie schlugen ein.
Neben dem Brunnen fütterte eine Frau in langen, fließenden Gewändern die Tauben. Bilal rieb sich die Augen und zuckte zusammen. Das war tatsächlich Esin! Sie waren zusammen zur Schule gegangen. Wie flott sie immer noch aussah. Er steckte sein Hemd in die Hose.
Mangels Taschengeld hatte sich Bilal damals mit Gürkan angefreundet, nur um der Schönen Lokum zu schenken, dem sie nicht widerstehen konnte; zuvor hatte er mit einer Nadel Gedichte in das hauchdünne Packpapier eingeritzt. Esin liebte die Geleewürfel mit Rosengeschmack, Pistazien und Ingwer. Wie gerne hätte er ihr damals diese Kostbarkeiten zwischen ihre Lippen auf die Zunge gelegt. Doch sie war bereits einem anderen Mann versprochen gewesen, von dem sie sich, was man so hörte, später hatte scheiden lassen.
Esin schüttelte die Plastiktüte mit dem Futter aus und wandte sich zum Gehen. Bilal fingerte einen Kamm aus der Hosentasche und fuhr durch sein feines Haar.
„Olala, der Morgenwind kommt“, spielte er auf die Bedeutung ihres Namens an.
„Bilal.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Verkaufst du keine Motorroller mehr?“
Ihr Gesicht war rundlicher geworden und die Grübchen in den Wangen hatten sich vertieft. Aber in ihren Augen glomm immer noch ein Funke. Diese Frau war seine Inspiration gewesen, und wenn er sie bekommen hätte, wer weiß, vielleicht wäre er ein Dichter geworden. Er hatte damals an Schlaflosigkeit gelitten und oft Verse reimend in den Nachthimmel gestarrt, als ob sein Schicksal auf diese Weise zu wenden gewesen wäre. Doch es war lange her und er wischte die Erinnerung weg.
„Der Laden lief nicht mehr so gut wie früher und mein Sohn wollte ihn nicht übernehmen“, sagte er.
Esin lächelte. „Die jungen Leute haben andere Sachen im Kopf.“
Sie sah aus wie ein Ölgemälde.
„Was ist mit dir?“, fragte er nach.
„Ich komme über die Runden“, sagte sie. „Halte mich bei reichen Leuten mit Putzen über Wasser.“
Sie schaute auf die Waage. „Findest du, dass ich zugelegt habe, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?“
„Kaum.“
Keine Frage, sie würde immer ein Prachtweib sein. Sie stieg auf die Waage, die 98 Kilo anzeigte, doch man konnte es auch andersherum lesen. „86.“
„Ach Bilal“, sagte sie. „Du hast dich keinen Deut verändert.“ Sie hielt ihm einen Geldschein hin. „Das stimmt so.“ Er schüttelte den Kopf. „Tamam.“