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Mega-Risiken durch Mikroplastik und Weichmacher

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Plastik wurde zu einem der hässlichsten Begriffe, nachdem Kunststoff 100 Jahre lang einen Siegeszug erlebt hat, nicht weil dieser Werkstoff billiger, sondern für viele Aufgaben der besser geeignete ist. Ein Auto ohne chemisch hergestellte Materialien wäre um ein Fünftel schwerer. Der Treibstoffverbrauch wäre höher. 20 Prozent der Kunststoffproduktion verarbeitet das Baugewerbe. Wärmedämmung mit Hilfe von Plastikelementen reduziert gewaltig den Energieeinsatz in Gebäuden. Rohrleitungen aus Kunststoff sind dichter und halten länger. Ein Drittel des gesamten Plastiks wird für Verpackungen eingesetzt. Die geruchsneutrale und fettdichte Klarsichtfolie und weitere Materialien haben den Verderb von Nahrung deutlich reduziert. Wesentlich längere Haltbarkeit bedeutet, dass weniger Esswaren entsorgt werden müssen. Das spart auch am Ressourcenverbrauch. Ware in Kunststoff ist leichter. Glasflaschen schneiden erst besser ab, wenn sie öfter als sechs Mal wiederverwendet werden und dabei weniger als 200 Kilometer transportiert werden.

Heute reden wir nur noch über Plastik als Fluch. Zu Recht. Zum Beispiel, weil weltweit in jeder Minute fast zehn Millionen Plastiktüten verwendet und irgendwann ausgemustert werden. Manche sind nur 20 Minuten im Gebrauch und widersetzen sich 450 Jahre ihrer Auflösung.

Bei der Herstellung von Kunststoffen wird durch die Wiederholung einzelner chemischer Moleküle Material erzeugt, das erst durch das Hinzufügen von Zusätzen zu brauchbarem Plastik wird: flexibel, unzerbrechlich, weich, beständig gegen die hohe Hitze bei der Herstellung. Sie heißen Weichmacher. Einige dieser Chemikalien verschmelzen fest mit den Plastikmolekülen. Andere werden nicht in das Produkt eingebaut, sondern lediglich aufgetragen und mit ihm äußerlich verbunden. Bei diesen äußeren Weichmachern ist eine Abgabe an die Umgebung einfach nicht zu vermeiden.

Ihre Sammelbezeichnung lautet Mikroplastik. Allerwinzigste Kunststoffpartikel kommen aus 1.000 Quellen. Der Abrieb von Autoreifen wird an erster Stelle genannt. Schon an dritter Stelle sind Überreste von Kunstrasenplätzen, die bis zu 100 Tonnen Einstreumaterial enthalten, von dem jährlich fünf Prozent verloren gehen. Im Abwasser von Waschmaschinen finden sich bis zu 1.900 Teilchen von synthetischen Fasern pro Waschgang. Mikroplastik aus Kunstfaserkleidung gelangt auch durch das Tragen in die Umwelt. Spuren von Outdoor-Bekleidung auch von führenden Marken sind im Eis des Fornigletschers in den Ostalpen Hauptverursacher der Verschmutzung.

Ein kleiner Teil wird gezielt für den Gebrauch in Babywindeln, Kosmetika und Zahnpasta produziert. Die allermeisten entstehen durch den Zerfall von Kunststoffprodukten.

Gemeinsam haben sie, dass sie schwer abbaubar sind. Selbst winzigste Partikel können Giftstoffe, sowie Schwermetalle wie Blei enthalten. Viele Chemikalien gelten als krebserregend, als hormonell aktiv oder als giftig. Entscheidend ist die reaktive Oberfläche je Menge, und sie wird größer, je stärker verkleinert wird.

Über die Belastung der Ozeane durch Mikroplastik sind seit 2010 mehr wissenschaftliche Arbeiten erschienen als in der ganzen Zeit davor. Manches ist noch unklar, doch schlimme Fakten sind unstrittig. Plastikfragmente sind weltweit verteilt. Sie sind mit einem Cocktail gefährlicher Chemikalien verbunden. Sie stellen eine gewaltige Bedrohung der Meere und ihrer Bewohner dar. Von 557 Gattungen Meerestieren, die von uns konsumierten eingeschlossen, nehmen mindestens 203 in jeder Ebene der Nahrungskette diese Gifte auf.

Marines Mikroplastik wurde 1972 erstmals im westlichen Nordatlantik entdeckt. Zuletzt wurde geschätzt, dass jährlich acht Millionen Tonnen Plastik in die Meere gespült werden, aber nur etwa eine Viertelmillion Tonne kann schwimmend im Meer nachgewiesen werden. Das lässt befürchten, dass unvorstellbare Mengen von Meeresbewohnern aufgenommen werden, ehe diese Plastikteilchen von tieferen Strömungen erfasst werden oder zu Boden sinken und zu Sedimenten werden. Mikroplastik wird im ewigen Eis der Pole entdeckt, wird an Küsten angeschwemmt, und synthetische Fasern fallen sogar vom Himmel.

Viele Partikel saugen sich mit anderen Giftstoffen voll oder binden sie an ihre Oberflächen. In einem Forschungsbericht heißt es: „Ein einzelnes Pellet kann die millionenfache Dosis an Umweltgiften aufweisen als das Meereswasser, in dem es schwimmt.“ (Quelle: „Microplastic: What Are the Solutions?“ SpringerLink. 21. Juli 2017).

In zwei dokumentierten Untersuchungen hatten Muscheln und Fische aus dem Lebensmittelhandel Mikroplastik im Blutkreislauf und in den Innereien.

Es wurden Spuren von keineswegs unbedenklichen Polyfluoren aus Lebensmittelverpackungen und Sprays für Möbel, Kleidung, Schuhe und Textilien, von Triclosan, dem Wirkstoff in antimikrobialer flüssiger Seife und Zahnpasta, sowie flammenhemmenden Chemikalien nachgewiesen. Ebenso die Weichmacher Bisphenol A, Abkürzung BPA, und Phthalate, von denen feststeht, dass sie hormonelle Wirkungen ausüben. Diese Chemikalie wird mit frühzeitiger Pubertät, Diabetes, Übergewicht, Herzerkrankung, Lungenleiden, Nierenfunktionsstörung, Problemen der Reproduktion, vergrößerter Prostata, Fettsucht, Insulinresistenz mit nachfolgendem Diabetes, Hyperaktivität und Lernstörungen in Verbindung gebracht. Phthalate, die in Farben, Spielzeug, Kosmetika und Nahrungsmittelverpackungen verwendet werden, stören hormonelle Wirkungen in Frauen und Männern.

Hinweise verdichten sich, dass es bei Meerestieren zu Krebserkrankungen kommt und dass die Fruchtbarkeitsrate und auch die Lebensdauer sinken.

Versuche mit extremen Ergebnissen verbieten sich beim Menschen. Reaktionen bei Muscheln, Fischen, Wattwürmern, Ratten, Mäusen und Schnecken zeigen, dass die Aufnahme von Mikroplastik zu alarmierenden Veränderungen führt. Es treten Entzündungen auf, es kommt zu Verhaltensstörungen, es sind in Geweben Einlagerungen von Umweltgiften, die den Plastikteilchen anhaften, unvermeidlich. Eingeatmete Mikroplastikteilchen gelangen durch die Lunge in den Blutkreislauf. Sie werden in der Leber von Mäusen nachgewiesen. Durch Entzündungsreaktionen und Störungen der Nahrungsverwertung sind Testgruppen von Wasserflöhen wegen Mikroplastik innerhalb von vier Generationen ausgestorben.

Nach einer Berechnung durch das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheit und Energietechnik wurden 2018 in Deutschland pro Person Plastikteilchen im Gewicht von vier Kilogramm in die Luft, ins Wasser und ins Erdreich freigesetzt, insgesamt 446.000 Tonnen, beinahe ein Kilogramm in jeder Sekunde.

Im Januar 2019 drückte sich das im Bereich des Bundesministeriums für Landwirtschaft angesiedelte Bundesinstitut für Risikobewertung zum wiederholten Male um eine Einschätzung der Gefahren für Menschen und räumte nur ein, dass sich Hinweise auf Schäden bei kleineren Organismen verdichtet haben (Quelle: „Mikroplastik in Lebensmitteln: Orale Aufnahme, Toxikologie und Risikobewertung.“ Bundesinstitut für Risikobewertung, UMID 1/2019).

Die wissenschaftliche Literatur zählt als weitere Quellen der Belastung durch Spuren von Plastik und Weichmachern auf: Kopierer und Drucker, Lackbeschichtungen, Autoreifen, Kunstrasensportplätze, Kosmetika, Sonnenschutzmittel, Brillengestell, Nahrungszusätze, Waschmittel, synthetische Bekleidung, Medikamente wie Appetitzügler und Cholesterinsenker. Auch Schuhsohlen und Fahrbahnmarkierungen leisten ihren Beitrag.

In jüngster Vergangenheit konzentrierte sich im Zuge der Feinstaubdiskussion das Interesse auf Schwebstoffe in der Luft, die so klein sind, dass nur ein Teil von den Schleimhäuten im Nasenraum zurückgehalten werden kann. Die aktuelle Einstufung dieser gefährlichen Materie geht auf den National Air Quality Standard der amerikanischen Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency von 1987 zurück. Die Angst vor dem Einatmen gefährlicher Substanzen ist begründet, denn die Lunge wird nur durch die dünnste Barriere im Körper geschützt. Außer dem Mund als Anfang des Verdauungstrakts sind die Haut und sogar die Hornhaut des Auges ebenfalls Eingangspforten für Mikroplastik.

Inzwischen muss akzeptiert werden, dass ein Kontakt mit Nahrungsmitteln, mit Wasser, mit der Atemluft und mit der Haut nicht zu vermeiden sind. Zum Beispiel wimmelte es im Thermopapier von Kassenbons, in Fahrscheinen oder Belegen für die Rückgabe von Leergut bis zum Verbot 2020 höchstwahrscheinlich von Chemikalien, die dem Körper in einem Ausmaß schaden können, das bis vor kurzem unvorstellbar schien. Der deutsche Chemiker und Umweltberater Peter Braungart aus Schwäbisch-Gmünd wurde deutlich: „Wenn Sie das Zeug anfassen, nehmen Sie zwei Dutzend Chemikalien auf.“ Er warnte auch vor dem Tragen herkömmlicher schwarzer Unterwäsche, etwa eines BHs: „Chemikalien in diesen Kleidungsstücken sind für den Hautkontakt nicht geeignet. Sofort ausziehen!“

Jedoch einmal im Körper verbleiben Schadstoffe zum größten Teil dort.

Die üblichen Statistiken über gesundheitliche Folgen berücksichtigen nur Schäden durch eingeatmeten Feinstaub, und sie sind erschreckend genug. Eine bestimmte chronisch fortschreitende Erkrankung der Lunge, COPD, tritt heute fast drei Mal häufiger auf. Asthma und Lungenentzündung haben sich mehr als verdoppelt. Bei Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird eine Zunahme um 120 Prozent errechnet.

Unberücksichtigt bleiben Folgen, die nicht unmittelbar der Belastung durch Mikroplastik und Weichmacher zugerechnet werden, die aber mit diesen Einwirkungen zusammenhängen. Es kommt zu Schädigungen des Gewebes im Bereich der einzelnen Zellen, zu eingeleitetem Zelltod und zur Aktivierung von Fresszellen gegen eingetretene Entzündungsprozesse und gegen vermutete Krankheitserreger. Dadurch könnten verfrühte Sterbefälle auf das Dreifache steigen.

Kunststoffverpackungen sind für den Menschen die häufigste und gefährlichste Quelle, aus der Weichmacher in den Körper gelangen. Die am meisten verbreiteten Gruppen sind Salze einer Säure, Phthalate genannt, und Bisphenole. Sie können besonders günstig und billig hergestellt werden und sind vielseitig verwendbar.

Weichmacher wandern besonders leicht in Fette ein. Das hat messbare Konsequenzen. Das amerikanische Institut für Umweltmedizinwissenschaft National Institute of Environmental Health Sciences in Durham, USA, belegte 2016 mit einer Studie, dass regelmäßige Kunden von Fast-Food-Ketten um etwa 40 Prozent höhere Weichmacherspiegel im Blut aufweisen. Forscher des Milken Institute an der George Washington University haben das an 8.877 Testpersonen nachgewiesen. Je öfter sie sich für einen Burger entschieden hatten, desto mehr Rückstände der Phthalatekategorien DEHP und DINP belasteten ihren Organismus. Das New Yorker Center for Biomedical Research veränderte in Versuchen mit DEHP die Hormonsysteme von Ratten. Es kam zu einer deutlichen Erhöhung weiblicher Geschlechtshormone auch bei männlichen Tieren. Studien in England verbanden dieses Phänomen mit Diabetes und schwerem Übergewicht. In Europa werden als gefährlich eingestufte Weichmachergruppen, die auf Etiketten mit den Abkürzungen DEHP, DBP, BBP und DIBP angeführt werden, nach und nach durch andere Chemikalien ersetzt. Importgüter halten die Problematik jedoch wach, da in anderen Kontinenten noch sehr lax mit Weichmachern umgegangen wird.

Die durch Wanderung in Nahrungsmittel entstehende Dosis der Belastung ist in der Theorie durch die Europäische Kommission und nationale Gesundheitsbehörden durch die Festlegung von errechneten Grenzwerten kontrolliert. Zum Beispiel hält das Bundesinstitut für Risikobewertung den Verpackungskunststoff PET für unbedenklich. Doch die über diese Substanz vorliegenden Studien sind dürftig, und was heute noch als harmlos gilt, kann ebenfalls bereits ein Problemfaktor sein.

Jeder von uns nimmt diese chemischen Wirkstoffe und Schadstoffe aus verschiedenen Quellen auf. Die Gesundheit wird durch Mikroplastik und Weichmacher in einem langfristigen Prozess belastet. Ein großes Risiko geht vom langsamen Abbau solcher Substanzen im Körper aus. Auf diese Weise können sich bei fortwährender und wiederholter Aufnahme selbst von geringen Mengen durch Addition große Konzentrationen im Blut und in den Zellgeweben anreichern.

Unter bestimmten Bedingungen zerfallen Kunststoffmaterialien oder es entstehen durch Abrieb Plastikpartikel in Nanometergröße, die oft mit dem freien Auge nicht sichtbar sind, so genanntes sekundäres Mikroplastik. So winzig sie auch sind, enthalten sie doch Weichmacher, und außerdem ziehen sie weitere Schadstoffe und Giftstoffe an.

Eigens dafür industriell hergestelltes Mikroplastik war jahrelang in vielen Kosmetika zu finden, in Shampoos, Duschgel, Make-up, Lippenstift, Sonnencremes, Zahnpasta. Beginnend in 2017, erließen die USA, Kanada, Frankreich, Schweden und Großbritannien nationale Verbote für Mikropellets in Kosmetikprodukten. Viele Hersteller verwendeten daraufhin freiwillig andere Füllstoffe.

Schädliche Wirkungen durch die Phthalate DEHP wurden besonders intensiv erforscht, weil diese Chemikalien nach 1947 in erheblicher Menge in Blutplasmabeuteln für die Lagerung in Blutbänken und Krankenhäusern verwendet werden. Bis heute ist der Einsatz von PVC-Plastik noch nicht vollständig verboten. Blutkonserven wurden anfangs in Glasbehältern aufbewahrt und konnten nur 14 Tage lang bei unter vier Grad gelagert werden. Zerbrechlichkeit war ein großes Risiko. So gesehen war die Einführung der Plastikkonserven ein großer Fortschritt, bis die amerikanische Behörde für Lebensmittel und Medikamente, US Food and Drug Administration die Plastikbehälter wegen der Wanderung von chemischen Komponenten in das Blut als Droge einstufte (Quelle: „DEHP plasticizer and blood bags: challenges ahead“. Onlinelibrary.wiley.com. 31. Mai 2013). Schon 1967 wurde erstmals gemeldet, dass ein Liter gespeichertes Blut 50 bis 70 Milligramm Weichmacher der Gruppe DEHP aus den Plastikbeuteln aufwies. Befallen werden vor allem die für den Transport von Sauerstoff notwendigen roten Blutkörperchen. Durch Bestrahlung konnte die Wanderung verringert werden.

Aufwändige Forschung deckte auf, was passiert, sobald Weichmacher den menschlichen Blutkreislauf erreichen. Während der Organismus versucht, sie in der Leber unwirksam zu machen, entstehen vermehrt aggressive Sauerstoffradikale, die zum Beispiel Gefäßwände mit oxidativem Stress gefährden. In einem Versuch wurde männlichen Freiwilligen DEHP oral eingegeben, wovon innerhalb von 48 Stunden nur drei Viertel mit dem Urin wieder ausgeschieden wurden. Bei wiederholter Belastung zeigen sich im Blut unausweichlich spezielle Sauerstoffradikale, so dass diese Untersuchung heute bei der Verfolgung von Dopingsündern mit Blut angewendet wird.

Plastik ist ubiquitär, überall verbreitet. Während die EU zögerte, veröffentlichte „National Geographic“ einen alarmierenden Bericht zur Situation in den Weltmeeren und verband ihn mit der Frage: Wie kriegen wir die vermuteten 236.000 Tonnen Mikropellets aus unseren Ozeanen wieder heraus?

Laut dem französischen Institut für die Bewirtschaftung der Meere verzehren Austern, die Mikroplastik aufnehmen, zwar mehr Algen, gleichzeitig jedoch halbiert sich ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Solche Meerestiere mit der Fähigkeit, Wasser zu filtern, sind vital für das Marineleben, und ihr Rückgang hat Auswirkungen auf andere Spezies und auf die Nahrungskette von uns Menschen.

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