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LEBEN UND GLAUBEN VERKNÜPFEN Mit Maria Räume des Lebens öffnen LEBEN UND GLAUBEN NEU WIEDER ZUM KLINGEN BRINGEN

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Auch in Zeiten des Wegbrechens von Zugehörigkeiten zu christlichen Gemeinden, des Verlustes von Bindungen an die Kirche und einer immer größeren Distanzierung zur Kirche als Institution bleiben für viele Männer und Frauen über Wallfahrtsorte und in Gemeinden und Familien tradierte Praktiken der Volksfrömmigkeit – vor allem der marianischen – weiterhin von Bedeutung: das Marienbild in der Wohnung; das Licht, das vor dem Marienaltar im Dom angezündet wird; ein Sich-auf-den-Weg-Machen an bestimmten Marienfesten, zu einer Kapelle, einem Kloster in der Nähe oder Ferne. Das gehört für viele Menschen immer noch zum Ausdruck ihres Glaubens, ein Zeichen ihrer Verbundenheit mit Gott, die sie in der Verehrung Marias zum Ausdruck bringen. Nicht nur in den romanischen Ländern und vor allem im lateinamerikanischen Raum, wo Zigtausende von Menschen alljährlich die Marienwallfahrtsorte der „Virgen de Guadalupe“ in Mexiko, der „Virgen de Copacabana“ in Bolivien oder der „Virgen de Luján“ in Argentinien aufsuchen, auch in den deutschsprachigen Diözesen ist dies von Bedeutung. In der Vielfalt der Bilder der Schutzmantelmadonna, der Knotenlöserin, der Lieben Frau vom Rosenkranz, der Pietà und den vielen Madonnen in den kleinen und größeren Kirchen mit dem Jesusknaben auf dem Arm entdecken viele Menschen ein Bild für die Ausdrucksgestalt ihres Glaubens; aus den Marienbildern tritt für sie das Bild einer Glaubenden und von Gott Erhörten, einer „Begnadeten“, über die sie ihr eigenes Glaubensbild ausprägen können.

Maria hat den Weg Jesu von Nazaret begleitet, ihr Leben war ganz mit ihm verbunden, darum kann sie „Vorbild“ für einen Weg des Glaubens sein, der eröffnet, wer dieser Jesus von Nazaret, der Mensch gewordene Gottessohn, der Messias Israels, ist. Maria nimmt dabei mit auf einen Weg, der zum Leben ermutigt; ein Weg, auf dem sich aus der Dichte des durchlebten und erlittenen Alltags, in der Vielfalt der Begegnungen, im Darin-sich-Binden an Jesus von Nazaret und im Vertrauen auf und der Hoffnung in das Wirken des Gottes Israels auch die je eigenen Glaubensgestalten herausbilden können. Maria wird in den Gebetstexten und Andachtsbildern der Volksfrömmigkeit oft in „einfachen“, alltäglichen Praktiken dargestellt: Sie nährt Jesus, sie liest, sie verrichtet eine Handarbeit, sie ist in das Gespräch mit Elisabet vertieft. Glauben und Leben stehen bei Maria in einer Verbindung, die andere ermutigt, das eigene, noch so gebrochene und unscheinbare Leben vor Gott zu bringen und dieses Leben anzunehmen, zu ihm zu stehen. Maria hat vertraut auf Gott, der „Freund des Lebens“ (Weish 11,26) ist, und sie ist darin zu einer Lebensbegleiterin für viele Menschen geworden.

Bereits in der frühen Kirche ist Maria als Zuflucht der Glaubenden verstanden worden. Das älteste Mariengebet „Unter Deinem Schutz fliehen wir“ ist auf einem Papyrus des 3./4. Jahrhunderts entdeckt worden.1 Es ist Ausdruck der Verehrung Marias und der Bedeutung, die sie in der frühen Kirche für den Glauben des Volkes hatte. Sie war und ist „Vorbild“ im Glauben und darin „Typus“ der Kirche, wie die Kirchenvätertheologie herausgearbeitet hat. Die Kirche, das Volk Gottes auf dem Weg durch die Zeit, die Gemeinschaft der Glaubenden, hat in ihr ein „Vorbild“, das helfen kann, den Glauben zu bilden und auszubilden. In der Volksfrömmigkeit haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder neue Gestalten der Verehrung Marias ausgebildet, Ausdrucksformen für den lebendigen Glauben des Volkes und die vielfältigen Weggestalten. Das Zweite Vatikanische Konzil wird dies bestätigen, wenn im abschließenden Kapitel der Kirchenkonstitution Lumen gentium von Maria die Rede ist als „Typus der Kirche unter der Rücksicht des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus“ (Nr. 63). In einer Ansprache am 23. Oktober 2013 hat Papst Franziskus daran erinnert: „Der Glaube Mariens ist die Erfüllung des Glaubens Israels. In ihr ist die gesamte Wanderschaft, der gesamte Weg des Volkes in Erwartung der Erlösung zusammengefasst, und in diesem Sinne ist sie ein Vorbild des Glaubens und der Kirche, in dessen Zentrum Christus steht, die Menschwerdung der unendlichen Liebe Gottes.“2

Auf Maria zu schauen heißt, in einen Raum des Glaubens und Lebens zu treten, der sich in der Geschichte christlichen Glaubens in den vielen Räumen von Menschen in der Spur Jesu entfaltet hat. Auf Maria zu schauen ist darum nicht mehr und nicht weniger als eine Einführung in den christlichen Glauben. Gerade heute, in Zeiten vielfältiger und neuer religiöser Suchbewegungen, die die vielen Wege der Welt nehmen und oft weniger in „klassischen“ Räumen der Glaubenstradierung der Kirchen zu finden sind, brauchen solche Einführungen in den Glauben konkrete, „greifbare“, „verkörperte“ Gestalten, an denen sich Menschen orientieren können und die Räume eröffnen, in denen das konkret wird, was Heil, Erlösung, Befreiung ist. Sie brauchen Menschen, die auf ihrem Lebensweg in das Vertrauen in Gott hineingewachsen sind und die daraus gelebt haben, die ihr Leben in den Dienst dieser Gottesgeschichte gestellt haben: dass der Gott Israels den Menschen ganz nah gekommen ist, dass Gott Mensch geworden ist, dass sich darin die Verheißung von Erlösung erfüllt und im Geschehen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi verdichtet hat. An diesen Menschen – die Kirche verehrt sie als Selige und Heilige – kann in symbolischer Weise abgelesen werden, was Glauben heißt. Die Orientierung an einem Bild, einem Gebet, einer Andacht, die eine Annäherung an diesen besonderen Menschen bedeutet, ermöglicht den Suchenden unserer Zeit ein je neues Sich-Vertiefen in den Glaubensweg dieses Menschen und darin eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte, ein Wachsen und Reifen und ein Sich-herausfordern-Lassen durch das „Vorbild“ des anderen, ein Sich-Bereiten für einen Ruf, für ein neues Hören auf Gottes Wort und Sich-von ihm-ansprechen-Lassen.

Leben und Glauben können mit Blick auf Maria neu miteinander zum Klingen gebracht werden. Paul VI. hatte in seiner Enzyklika Evangelii nuntiandi 1975 den Bruch zwischen Glauben und Leben als eine der größten Herausforderungen für die Glaubensweitergabe und kirchlichen Praktiken bezeichnet; Papst Franziskus knüpft 2013 in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium daran an; er weist auf die Notwendigkeit hin, Leben und Glauben wieder neu aufeinander zu beziehen, und gibt in seinen Ansprachen und Predigten ein Beispiel dafür.3 Glauben kann nur aus und in der Vielfalt und Dichte der Begegnungen, der all- und sonntäglichen, wachsen. „Wie lebte Maria diesen Glauben?“, so fragt Papst Franziskus in seiner Ansprache im Oktober 2013: „In der Einfachheit der vielen täglichen Beschäftigungen und Sorgen jeder Mutter, wie die Zubereitung der Speisen, die Pflege der Kleidung, die Betreuung des Hauses … Gerade diese Normalität der Gottesmutter bildete die Grundlage für die einzigartige Beziehung und den tiefen Dialog, der sich zwischen ihr und Gott, zwischen ihr und ihrem Sohn, vollzogen hat. Das von Beginn an vollkommene Ja Mariens wuchs bis zur Stunde der Kreuzigung. Dort erweitert sie ihre Mutterschaft zu einer Umarmung aller Menschen, um sie zu ihrem Sohn zu führen. Maria lebte stets im Geheimnis des Mensch gewordenen Gottes als dessen erste vollkommene Nachfolgerin. Sie betrachtete alles im Lichte des Heiligen Geistes in ihrem Herzen, um den ganzen Willen Gottes zu begreifen und umsetzen zu können.“ Maria ist Wegbegleiterin, den Glauben in den alltäglichen Praktiken zu verankern; sie hat ihr Leben in den Dienst des Gottes Israels gestellt, sie hat im Vertrauen auf die Verheißungen Gottes gelebt, und das ist erwachsen in den täglichen Verrichtungen, an der Seite Jesu, im Dialog mit ihm und darin mit Gott.

Frau aus dem Volk

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